Personalmanagement

Virtuelle Teams: Ohne kulturelle Kompetenz klappt es nicht

04.04.2008 von Carolin Schäfer
Globale virtuelle Teams gelten als Wettbewerbsvorteil, aber nur, wenn sie trotz Distanz und kultureller Unterschiede zur Höchstleistung geführt werden.

Der Einsatz von virtuellen Teams ist zu einer wichtigen Option für globale Organisationen im 21ten Jahrhundert geworden. Das Führen von internationalen Teams auf Distanz ist hierbei eine der größten Herausforderungen. Internationale Organisationen investieren in die Weiterbildung ihrer Mitarbeiter, daher wissen Teammitglieder eines internationalen Projektes, dass man sich an fremde Kulturen anpassen sollte. Ganz nach der idiomatischen Redewendung: "When in Rome - do like the Romans do". Aber wo ist Rom in einer Video-Konferenz? In virtuellen Teams fehlt häufig das Bewusstsein, dass kulturelle Unterschiede im Team zu Missverständnissen und ineffektiver Zusammenarbeit oder sogar zum Scheitern eines Projektes führen können.

Woher rühren kulturelle Unterschiede und welche Auswirkung haben sie auf die Zusammenarbeit auf Distanz? Wie werden virtuelle Teams erfolgreich geführt? Welche Gewohnheiten müssen Teammitglieder in der virtuellen Welt ablegen und welche Verhaltensweisen müssen entwickelt werden, um virtuelle Zusammenarbeit zu erzielen und Projekterfolge zu sichern?

Hindernisse der virtuellen Teamarbeit

Internationale Projekte involvieren Teammitglieder aus allen Teilen der Welt. Offensichtliche Hindernisse wie verschiedene Zeitzonen, unzuverlässige Telekommunikationssysteme, unterschiedliche Softwareversionen, fehlende oder unvollständige Peripherie, Fremdsprachen oder unterschiedliche Technologiestandards müssen überwunden werden.

Weniger offensichtlich ist die Tatsache, dass jedes Teammitglied eine multikulturelle Identität besitzt, die starken Einfluss auf die Zusammenarbeit im Team hat. Unsere multikulturelle Identität spiegelt sich in unseren Wertvorstellungen, Verhaltensweisen, Erwartungen und Einstellungen wider, die in erster Linie durch unsere Nationalität sowie unserer ethnischen Abstammung geformt werden. Aber auch kulturelle Elemente wie unsere geografische Herkunft, der wirtschaftlicher Status, unser Alter, die Religion, an die wir glauben, der Beruf oder die Funktion, die wir ausüben, oder die Unternehmens- und Abteilungskultur, die wir leben, umgeben und beeinflussen unsere multikulturelle Identität und somit unsere Art zu sein.

Die Ausgangslage für virtuelle Teams

Es ist keine Seltenheit, dass der Teamleiter beispielsweise aus Großbritannien kommt und Experten aus Deutschland, Schweden, Italien, USA, Indien, China und Saudi Arabien führt. Virtuelle Teams sollen häufig unter großen Zeitdruck das Projektziel erreichen, ohne das Gesamtbudget aus den Augen zu verlieren. Dabei werden die Teammitglieder von vielfältigen kollaborativen Technologien und Tools wie etwa E-Mail, Instant Messaging, Audio- und Videokonferenzsystemen, Wikis, Projektmanagement-Tools und Groupeware-Tools unterstützt.

Der britische Teamleiter des virtuellen Teams aus unserem obigen Beispiel sollte zunächst die kulturellen Unterschiede der Teammitglieder kennen und verstehen, inwieweit die Zusammenarbeit im Team davon beeinflusst ist. Nationalität und ethnische Abstammung haben einen direkten Einfluss auf das Kommunikations- und Diskussionsverhalten, auf zwischenmenschliche Beziehungen oder auch auf die individuelle Einstellung zu Zeit.

Die Bedeutung des Kontexts

Kulturwissenschaftler Edward T. Hall unterscheidet "high- and low context cultures". Personen mit einem starken Fokus auf Kontext legen großen Wert auf die Umstände und das Umfeld, in dem eine Interaktion stattfindet. Personen mit einem niedrigen Fokus auf Kontext hingegen legen darauf keinen gesteigerten Wert.

Gemäß Hall ist eine tendenzielle Zuordnung von Nationalitäten möglich. Jedoch ist wichtig zu erwähnen, dass diese Zuordnung nur eine generelle Tendenz aufweist und nicht auf alle Personen des Kulturkreises übertragbar ist.

Folgende Tabelle zeigt die Unterschiede beider Stile für die jeweiligen Nationalitäten aus dem oben genannten Beispiel-Team auf. Dabei werden die Ausprägungen "Zwischenmenschliche Beziehungen", "Kommunikations- und Diskussionsverhalten" sowie "Einstellung zu Zeit" besonders betrachtet.

Kontextunterschiede

Hoher Kontext

Niedriger Kontext

Nationalität der Teammitglieder

Indien, China, Saudi-Arabien, Italien

USA, Großbritannien, Deutschland, Schweden

Zwischenmenschliche Beziehungen

"Ich möchte Dich kennen lernen, bevor ich mit Dir arbeite."

Beziehungsorientierte Personen

Gute Beziehungen basieren auf Vertrauen und brauchen langfristiges Engagement

Gefühle von anderen werden nie verletzt

"Ich möchte die Aufgabe erledigen."

Aufgabenorientierte Personen

Beziehungen können schnell aufgebaut und auch wieder gelöst werden

Geschäftliches und Privates werden gerne getrennt

Kommunikations-/ Diskussionsverhalten

"Ich meine das, was Du in der Lage bist zu verstehen."

Aussagen werden im Kontext mit sozialem Status, der Vergangenheit und sonstigen Umständen betrachtet/ interpretiert

Aussagen sind impliziert und häufig indirekt

Es wird davon ausgegangen, dass Teammitglieder den Sinn der Aussage verstehen, ohne dass er explizit genannt wird

"Ich meine das, was ich sage."

Aussagen basieren auf objektiven Fakten, sind kurz, klar und direkt

Kommunikation ist ein Weg zum Informationsaustausch

Aussagen sind offen und ehrlich

Einstellung zu Zeit

"Zeit ist Gold!"

Zeit ist polychronisch

Bedürfnisse von Teammitgliedern sind wichtiger als festgelegte Agenda-Zeiten

Wandel braucht Zeit

Beziehungsaufbau braucht Zeit

"Zeit ist Geld!"

Zeit ist monochronisch

Geplante Aufgaben werden in der vorgegebenen Zeit erledigt

Wandel kann schnell erreicht werden

An eine Agenda ist man gebunden

Die Übersicht zeigt die gegensätzlichen Einstellungen, Verhaltensweisen sowie Erwartungen und verdeutlicht das große Potenzial für Missverständnisse, die zu Frustration unter den Teammitgliedern führen. Die fehlende Möglichkeit der persönlichen Kontaktaufnahme, wie in Face-to-face-Meetings, erschwert die Zusammenarbeit zusätzlich. Die Interpretation von nonverbalem Verhalten, wie Gesten, Körpersprache, Augen- und Körperkontakt sind in der virtuellen Welt nicht wie gewohnt möglich. Hinzu kommt die Notwendigkeit, kollaborative Technologien zu nutzen, um die Distanz zu überbrücken. Um effiziente Teamarbeit zu erreichen, bedarf es also mehr Aufwand für Teammitglieder und dessen Manager.

Erfolgsfaktor Nummer eins: Vertrauensbildung

Manager von virtuellen Teams können nicht über die üblichen Anweisungs- und Kontrollsysteme führen. Sie können strategische Ziele vorgeben, gemeinsam Richtlinien diskutieren oder festlegen und Erwartungen ihrer Teammitglieder abfragen, aber wirkliche Teamleistung wird nur über Vertrauen und Kommunikation erreicht.

In Anlehnung an den Experten Terence Brake schaffen die folgenden fünf Prinzipien Vertrauen und fördern die Zusammenarbeit:

1. Beziehungspflege ist der Türöffner

Von Projekt Beginn an sollten intensive "Kennenlern-Komponenten" eingeplant werden. Teammitglieder müssen die Möglichkeit erhalten, emotionale Verbindungen zu den Kollegen herzustellen. Es ist wichtig, dass Mitglieder für das geschätzt werden, was sie sind und nicht für das, was sie tun. Idealerweise geschieht das über ein Face-to-face Kick-off-Meeting. Falls das nicht möglich ist, wäre eine virtuelle Vorstellungsrunde etwa in Wikis oder per Videokonferenz angebracht. Dabei könnten Mitglieder beispielsweise ihre Interessen, Ziele und Visionen sowie persönliche Bilder untereinander austauschen.

2. Klare Ziele von Anfang an

Es zahlt sich aus, zu Anfang genügend Zeit in die Klarstellung des Teamzwecks, der Rollenverteilung im Team und den Verantwortlichkeiten zu investieren. Aufgrund der Distanz bestehen schon ausreichend Unsicherheiten, die nicht noch zusätzlich mit Verwirrung und Ungewissheit angereichert werden sollten. Klare Ziele und Aufgaben, einschließlich der Festlegung von wem, bis wann und in welcher Art diese zu erfüllen sind, schaffen Fokus und Klarheit für alle Teammitglieder.

3. Klarer Ablauf und Berechenbarkeit

Unmodern, aber nicht wegzudenken: Ein klarer Ablauf und Berechenbarkeit der Teammitglieder sind kritische Erfolgsfaktoren für virtuelle Teams. Ungewissheit erzeugt Zweifel, Angst und Rückzug. Das Resultat ist ein demotiviertes und unproduktives Team. Der Nutzen von einheitlichen Team Tools, Vorlagen, definierte Prozesse oder festgelegte Kommunikationszeiten tragen zu einem klaren Ablauf und somit zu Berechenbarkeit bei. Teamleiter sollten leicht erreichbar sein sowie den Dreh- und Angelpunkt im Team darstellen.

4. Ablaufvereinbarungen

Operationale Ablaufvereinbarungen legen Methodik und Prozesse der Teamarbeit fest und sollten zu Beginn des Projektes gemeinsam definiert werden. Ablaufvereinbarungen bedarf es in der Regel für Planungsprozesse, Entscheidungsfindung, Kommunikation und Koordination. Während virtueller Team-Meetings sollte der Teamleiter sich immer wieder Zeit nehmen zu prüfen, ob und wie gut die Ablaufvereinbarungen gelebt werden.

5. Aufmerksamkeit für jeden

Was bei Face-to-face-Teams selbstverständlich ist und in Kaffeeecken oder auf dem Flur vor dem Meeting informell passiert, sollten Manager von virtuellen Teams explizit einplanen, nämlich dass sie einzelne Teammitglieder auch außerhalb des offiziellen Meetings treffen. Jedes Mitglied sollte die Möglichkeit bekommen, mit dem Leiter persönliche Erfolge, Herausforderungen, Bedürfnisse und Wünsche zu besprechen. Die Distanz und die Technologien wecken leicht den Eindruck, dass Teammitglieder abstrakt und "ohne Gesicht" sind. Persönliche Aufmerksamkeit schafft Vertrauen, kostet wenig und bietet einen enormen Vorteil für jeden einzelnen im Team und letztlich für die gesamte Teamleistung.

Fazit

Wir tendieren dazu, Gewohnheiten aus einer Umgebung (Face-to-face-Teamarbeit) auf eine andere, neue Umgebung (virtuelle Teamarbeit) zu übertragen. Es ist wichtig, die Unterschiede zu erkennen und sich entsprechend anzupassen. Mitglieder von virtuellen Teams sind gefordert, das Bewusstsein und die Akzeptanz für unterschiedliche, multikulturelle Identitäten zu entwickeln. Manager von virtuellen Teams sind gefordert, kulturelle Kompetenz zu entwickeln, um die verschiedenen multikulturellen Mitglieder zur Höchstleistung zu führen. Vertrauensbildung ist hierbei der Erfolgsfaktor Nummer eins. Für alle Beteiligten ist es unerlässlich, kollaborative Technologien kennen (und lieben) zu lernen, die Teamarbeit trotz Distanz möglich machen. (ka)

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Carolin Schäfer …

Foto: Carolin Schäfer

… ist Partnerin von der Agentur korrekt! und als Trainerin und Berater der internationalen Kompetenzentwicklung im Einsatz. Sie hat funktionale Expertise gepaart mit interkulturellen Erfahrungen sowie exzellente Fähigkeiten im Beziehungsmanagement.

Die Diplom Betriebswirtin hat Auslandserfahrung am eigenen Leib erlebt. Längere Arbeits- und Studieneinsätze in Frankreich, Schweden oder USA untermauern Ihr Wissen genauso wie Ihr beruflicher Background als Exportmanagerin.