Virtuelle Lernräume sind gut besucht

14.10.2005 von Edgar Wang
Unterricht per Web-Konferenz gewinnt an Attraktivität. Microsoft und Cisco mischen mit.

Hier lesen Sie ...

  • warum sich Unternehmen für Web-Conferencing interessieren;

  • welche besondere Rolle der Dozent im virtuellen Klassenraum spielt;

  • wer die wichtigsten Hersteller sind und welche Trends sich abzeichnen

Jahrelang dümpelte der E-Learning-Markt vor sich hin. Beachtliche Fortschritte macht allerdings ein Angebot, dem ursprünglich weniger zugetraut worden war als Lernprogrammen für Einzelanwender: Virtuelle Lernräume. Die Aussichten erscheinen so attraktiv, dass große Softwarehersteller wie Microsoft und Macromedia, aber auch der Netzspezialist Cisco in den Markt eingestiegen sind. Sie werden auf mittlere Sicht zu den Hauptakteuren gehören.

Web-Konferenzen sind im Kommen

Ein Indiz für die Veränderung der Marktlandschaft ist die Wortwahl: Kein Anbieter beschränkt sich heute darauf, von virtuellen Klassenräumen zu sprechen - es geht um größere

Jürgen Pattberg von Telekom Training schult 80.000 Mitarbeiter online.

Zusammenhänge. Mit "Kommunikation, Kollaboration und Lernen in Echtzeit" wirbt etwa der amerikanische Anbieter Centra, der für sich in Anspruch nimmt, weltweit die meisten Softwarelizenzen an Unternehmen und ihre Trainingsabteilungen verkauft zu haben. Dem Wettbewerber Netucate Systems, der die US-Firma iLinc Communications vertritt, geht es um "Realtime-Collaboration-Lösungen für die Business-Kommunikation".

Über allem steht der Begriff "Web-Conferencing", mit dem in der Regel nicht nur Trainings, sondern Sitzungen gemeint sind, die via Internet zustande kommen. Aber auch in der Weiterbildung haben sich die E-Meetings so gehäuft, dass für viele Lerner diese Erfahrung mittlerweile gleichbedeutend mit E-Learning geworden ist. Oft werden sie mit persönlichen Zusammenkünften gemischt (Blended Learning). Für ihren Einsatz sprechen in vielen Fällen Kostengründe. So kann bei öffentlich geförderten Maßnahmen der Arbeitsagenturen eine einzige Reise des Trainers das Budget überschreiten. Also versucht man es mit E-Conferencing klein zu halten.

Online-Trainer auf dem Prüfstand

Es ist allerdings eine Illusion, zu glauben, bei einer Live-Veranstaltung im Netz passiere dasselbe wie in einem Seminarraum. Ein Online-Kurs kann nur gelingen, wenn Lehrer und Lernender das Medium beherrschen und akzeptieren. Für die Kursleiter bedeutet das Netz eine strenge Prüfung: Während manche Kurse von den Teilnehmern trotz eines schlecht vorbereiteten Trainers als Erfolg gewertet werden, wenn die Gespräche in den Kaffeepausen unterhaltsam und die Verpflegung gut waren, bieten Kaffee und Kuchen online keinen Trost.

Der Moderator ist nicht nur der wichtigste Inputgeber, sondern auch der Administrator der Veranstaltung. Er lädt die Teilnehmer ein und sendet ihnen ihre Registrierungsdaten zu. Die Teilnehmer loggen sich ein und sehen und hören zunächst ihn, bis er Präsentations- und andere Rechte an ausgewählte Personen weitergibt. Die Möglichkeiten der Interaktion sind vielfältig: Angefangen von Chat und Messaging, VoIP/Video über virtuelle Präsentationen bis hin zum  gemeinsamen Surfen und Einrichtung separater Gruppenräume.

Improvisation ist online zu riskant

Präsentationsunterlagen müssen auf den Punkt vorbereitet sein, Leerlauf ist verheerend, weil sich peinliche Pausen viel schwerer überspielen lassen als im realen Seminarraum. Stefan Lemanzyk moderierte als Projektleiter von Synergie Network zahlreiche virtuelle Kurse: "Das Zeit-Management muss exakt und alle Schritte müssen aufeinander abgestimmt sein. Improvisation ist riskant - dafür ist die Effizienz bei guter Vorbereitung wesentlich höher."

Wenn der Trainer nicht gerne online arbeitet und die Technik noch zusätzliche Probleme schafft, wird das dem Lernerfolg der Teilnehmer nicht förderlich sein. Dies waren auch die Erfahrungen der Deutschen Telekom. "Als wir 1999 die ersten Online-Kurse abhielten, hatten wir Schwierigkeiten, weil sie technisch nicht ausgereift waren und die Tonübertragung zu wünschen übrig ließ. Bei den Trainern stießen wir auf wenig Gegenliebe", erinnert sich Jürgen Pattberg, Leiter E-Learning-Systeme bei der Telekom Training, dem internen Bildungsanbieter des Konzerns.

Online-Schulungen sind bei der Telekom Alltag

Das hat sich mittlerweile gründlich gewandelt. Der Konzernriese zählt europaweit zu den größten Nutzern von virtuellen Klassenzimmern. Etwa 80.000 Mitarbeiter haben solche Seminare besucht - vor allem aus den Technik- und Vertriebsabteilungen. Seit dem Jahr 2000 besteht eine enge Kooperation mit dem Anbieter Centra. Von anfangs 80 erhöhte sich die Zahl der permanent nutzbaren Einzellizenzen auf 400. Doch auch das reichte nicht aus: In diesem Juli erwarb Telekom Training eine Lizenz, laut der sie die Centra-Lösung international

Wolfram Peters, Tertia Edusoft: "Wir stehen vor einem Aufschwung."

unbegrenzt einsetzen darf. "Für unsere Mitarbeiter gehört das Lernen mit Online-Tools zum Alltag, und wir rechnen damit, dass das Interesse daran weiter steigt", prognostiziert Pattberg.

 Die virtuellen Lernräume betreten die Schüler über die konzerneigene "Global-Teach"-Plattform, auf der auch die Lernmaterialien zugänglich sind. Die konzerneigenen Server stehen in einer "demilitarisierten IT-Zone", aus der Anwender hinter und vor der Firewall bedient werden können. IT-Anbieter entdecken Lernmarkt Centra, das dieses Jahr nach langem Anlauf zum ersten Mal schwarze Zahlen schreiben dürfte, ist mit diesem Auftrag ein großer Coup gelungen. Die Lizenzvereinbarung, die ein siebenstelliges Euro-Volumen erreicht, umfasst nicht nur Virtual-Classroom-Software, sondern auch kollaborative Lösungen. Wolfram Peters, Geschäftsführer

der Tertia Edusoft GmbH, die als deutscher Centra-Partner die Zusammenarbeit mit der Deutschen Telekom betreut, meint dazu: "Für das gesamte Marktsegment ist dieser Geschäftsabschluss ein wichtiges Signal. Wir stehen vor einem neuen Aufschwung. Anwendungsszenarien, die Teamarbeit und Konferenzen im Netz ermöglichen, spielen eine immer größere Rolle."

Microsoft und Cisco mischen im E-Learning-Markt mit

Beeindruckend ist die Entwicklung der 1996 gegründeten US-Firma Webex, die mit ihrem Mietsoftwareangebot Marktführer geworden ist. Sie wurde dieses Jahr zum dritten Mal in Folge vom US-Magazin Forbes als eine der am schnellsten wachsenden Technologiefirmen genannt, die etwa 300 Millionen Dollar pro Jahr umsetzt. Diese guten Aussichten locken immer mehr große IT-Unternehmen an. Sie sehen in den synchronen Lösungen eine attraktive Ergänzung ihres originären Angebots und setzen darauf, ihre Marktpräsenz als Hebel zu nutzen.

Im vergangenen Jahr kam Macromedia mit der Flash-basierenden Lernsoftware "Breeze" auf den Markt. 2003 entschied sich Microsoft, auf die Weiterentwicklung seiner Kommunikationssoftware "Net-Meeting" zu verzichten, erwarb mit Placeware einen der ersten Anbieter von Web-Conferencing-Produkten und machte dessen Technik zur Grundlage des seither angebotenen "Live Communication Server". Im gleichen Jahr zog Cisco nach, schluckte Latitude Communications und verfügt seither ebenfalls über eine Web-Conferencing-Plattform. Offensichtlich setzt das Unternehmen auf eine Ausweitung der IP-Telefonie, um sein Kerngeschäft zu stärken. Dafür erweitert es sein Portfolio mit Angeboten, die sich zur IP-Telefonie ergänzen lassen. Ähnliche Bestrebungen lassen sich bei Telekommunikationsfirmen wie Avaya und Nortel beobachten. Zudem hat nun Cisco im September eine Allianz mit

Macromedia verkündet.

Studien bestätigen das gestiegene Interesse an Web-Conferencing-Produkten: So geht die IDC-Untersuchung "Web Conferencing Survey 2004" davon aus, dass sich rund 60 Prozent der Geschäftssitzungen durch Web-Konferenzen ersetzen lassen. Warum dies nicht nur möglich ist, sondern von immer mehr Unternehmen gewünscht wird, liegt auf der Hand. Wie beim gemeinsamen Lernen im Netz geht es um niedrigere Reise- und Ausfallkosten. Die Informationsvermittlung ist schnell. Das Bedürfnis wächst, den Wissensaustausch flexibel und aus dem Stand heraus - per Klick - zu organisieren, im Arbeitsprozess zu lernen und die Zusammenarbeit von Experten und Teams zu verbessern.

Siegeszug der Billigprodukte?

Für die Zukunft ist auch mit einer stärkeren Differenzierung der Marktsegmente nach Qualität und Preislage zu rechnen. Neben etablierten Lösungen wie etwa von Webex, Centra, Interwise und Netucate werden Produkte zu deutlich niedrigeren Preisen auftauchen. Ihre Leistungsfähigkeit dürfte allerdings zunächst nicht überwältigend ausfallen. Oft bildet auch die Firewall eines Unternehmens eine unüberwindliche Schwelle: Eine Zusammenführung interner und externer User gelingt nicht. Dass Billigprodukte in seinem Unternehmen eine Chance haben, glaubt Telekom-Bildungsspezialist Pattberg nicht: "Bei uns muss sich Web-Conferencing nahtlos in die vorhandene Anwendungssoftware integrieren lassen - etwa durch Outlook-Plug-ins - und muss verlässlich funktionieren. Es genügt nicht, dass bestimmte Features nur im Prinzip zur Verfügung stehen. Diese Qualität hat ihren Preis."

Auch Tertia-Edusoft-Chef Peters glaubt nicht an den Siegeszug von Web-Conferencing-Massenware: "Bei größeren Rollouts arbeiten Kunden gern mit Partnern zusammen, die über Beratungsressourcen für komplexe Implementierungen und das entsprechende Know-how verfügen. Dies können Anbieter mit einer reinen Preisorientierung in der Regel nicht bieten." Zurzeit lässt die Entwicklung des Markts vermuten, dass er Platz für viele Anbieter bietet. Das Ziel von Unternehmen wie Cisco ist jedoch, Web-Conferencing so einfach zu machen wie ein Telefongespräch.