CIO-Agenda 2009

Vier Wege zu mehr Agilität in der IT

20.11.2008 von Karin Quack
Dass die IT beweglicher werden muss, ist eigentlich jedem CIO klar. Aber wie lassen sich Agilität und Zuverlässigkeit unter einen Hut bringen?
Die Diskussion um das Thema Flexibilität setzten sich in den Kaffepausen des Syntegrations-Workshops fort.
Foto: Jo Wendler

Wenn der CIO den Fachbereichsleitern glauben würde, wäre alles ganz einfach: Er müsste nur jedes gerade benötigte Feature mit der jeweils aktuellsten Technik umsetzen - zu überschaubaren Kosten und mit hundertprozentiger Ausfallsicherheit oder wenigstens einem gesichertem Support. Das ist Fiktion, schon deshalb, weil auf diese Weise eine Komplexität entstünde, die der IT am Ende jede Bewegungsfähigkeit nähme.

Aber es gibt doch ein paar Methoden, wie die IT mehr Flexibilität und Agilität gewinnen, also den Business-Anforderungen stärker entgegenkommen kann, ohne ihr Grundprinzip - Standardisierung, wo möglich, und Individualisierung, wo nötig - aufzugeben. Auf dem diesjährigen COMPUTERWOCHE-Workshop "The CIO Beyond" wurden vier davon - mit der Methode der Syntegration - ausgiebig diskutier.

Weg 1: Eine lebendige IT-Governance etablieren

Wenn die IT Bewegungsspielraum gewinnen will, muss sie an der einen oder anderen Stelle Grenzen setzen. "Die Governance wird oft als die Polizei der IT missverstanden. Aber Sie ist auch unser Freund und Helfer", erläutert René Wies, Vice President Development Processes, Methods and IT bei der BMW Group: "Neben ordnenden Aufgaben hat sie auch eine beratende und gestaltende Verantwortung."

Der Vergleich mit der Polizei sei gar nicht so abwegig, pflichtet Hans-Joachim Popp, CIO der Deutschen Gesellschaft für Luft- und Raumfahrt (DLR), seinem Kollegen bei: "Der einzige Sinn der Ordnungskräfte ist doch, die Lebensumstände der Bürger so zu gestalten, dass sie sicher und damit effizient leben und arbeiten können." So wolle auch der CIO, der seine Kunden einschränke, letztlich nur deren Arbeitsfähigkeit verbessern.

Ricardo Nebot vermisst das Interesse für nachhaltige Lösungen.
Foto: Jo Wendler

Allerdings habe die IT in Bezug auf das Interesse an "nachhaltigen" Lösungen noch Überzeugungsarbeit zu leisten, klagte Ricardo Nebot, Leiter Anwendungsentwicklung beim Hamburger Großverlag Gruner & Jahr: "Wenn der Berichtszeitraum ein Jahr beträgt - wie überzeugen wir dann die Business-Verantwortlichen, Investitionen zu tätigen, die sich erst in zwei Jahren oder später auszahlen werden?"

Am besten bietet sich die IT den Fachbereichen frühzeitig als Ratgeber an - bevor diese überhaupt einen Umsetzungsauftrag erteilen. Und damit sie auch tatsächlich gefragt wird, darf sie diese Leistung nicht in Rechnung stellen. Dazu Michael Müller-Wünsch, CIO bei Ceva Logistics: "In der Konzeptions- und Designphase sollte die IT kostenlose Ressourcen bereitstellen. Denn sonst wird sie nicht einbezogen." Über entsprechend angepasst Stückpreise könne sie die investierten Ressourcen schließlich doch in Rechnung stellen.

Weg 2: Flexible Elemente in der IT-Organisation verankern

Eine der Diskussionsgruppen erarbeitete konkrete Maßnahmen, mit denen sich einzelne Teile der IT-Organisation flexibilieren lassen. Dazu zählen:

Zum letzten Punkt ein anonymes Zitat: "Ich kann doch keinen VIP-Support organisieren und dann picklige Jungs mit T-Shirts und Baggy-Pants zum Vorstand schicken. Die mögen noch so kompetent sein - das passt einfach nicht."

Weg 3: Mit externem Sourcing Freiräume schaffen

Wenn die IT Teile ihrer Aufgaben an einen Dienstleister vergibt, kann sie ihre eigenen Ressourcen für die wirklich wichtigen Dinge verwenden. Diese These blieb tendenziell unbestritten. "Outsourcing macht mich flexibler, weil der Partner mir frei Kapazität verschafft", bestätigte Carsten Stockmann, CIO bei Mayflower Capital. Und Thomas Rössler, IT-Chef des Medienhauses Südhessen, ergänzte: "Der Outsourcing-Partner ist nicht flexibler als wir, aber das, was er macht, ist sein Kerngeschäft."

Rene Wies verglich die IT-Governance mit dem Freund und Helfer in grün.
Foto: Jo Wendler

BMW-Manager Wies wollte noch einen Schritt weitergehen: "Vielleicht kann ich in meiner Infrastruktur - aufgrund der technologischen Dynamik oder der geringen Installationsbasis - gar nicht die notwendige Flexibilität aufbauen oder zumindest nicht die Skills dafür halten. Dann sollte ich meine eigenen Kapazitäten lieber in die Kerngeschäftsbereiche hochziehen." Allerdings komme es häufig vor, dass dem Outsourcing-Partner für komplexe Themen die Referenz- oder Musterlösungen fehlten, also eine angebliche Standardlösung noch erstellt werden müsse: "Wir sprechen dann von Bananenprodukten, die erst beim Kunden reifen."

Eine der zentralen Fragen des Outsourcings - vor allem im Hinblick auf die Agilität, Flexibilität und Aktualität der Lösung und der Services - ist laut Wies: "Wie lange beauftrage ich einen Partner? Ein Insider hat einmal gesagt: Bei drei Jahren wird es schon kritisch, bei fünf Jahren hat der Anbieter eine fast irreversible Abhängigkeit geschaffen."

Jürgen Holderried, Leiter Organisation und Informations-Management-Strategie bei der Audi AG, gab zu bedenken, dass eine höhere Flexibilität an der einen Stelle wohl immer mit weniger Flexibilität an einer anderen erkauft werde: "Mittels Fremdvergabe eines Aufgabenbereichs kann man sich eine höhere Flexibilität bezüglich der internen Ressourcenverfügbarkeit verschaffen, doch an anderer Stelle verliert man durch langfristig Vertragsbindungen vielleicht an Flexibilität."

Carsten Stockmann widerlegte die herrschende Lehre des Outsourcings.
Foto: Jo Wendler

Aus der Sicht von Mayflower-CIO Stockmann ist Outsourcing ohnehin nur sinnvoll, wenn der Kunde signifikant kleiner oder größer ist als der Partner: "Entweder er kann einen Huckepack nehmen und man selbst seine Grenzkosten reduzieren. Oder man ist groß, braucht aber für bestimmte Aufgaben ein kleines, wendiges Schnellboot und eine andere Unternehmenskultur." Wenn die Partner pari seien, liefere das Outsourcing nicht unbedingt eine zusätzliche Flexibilität. "In manchen Lehrbüchern mag das anders stehen; dort heißt es, große Partner nehmen dich nicht wahr, kleine helfen dir nicht weiter", räumte Stockmann ein, "aber in den alten Lehrbüchern stand auch, dass die Erde eine Scheibe wäre."

Bei BMW legen die Anwendungsfelder in der IT jeweils eine eigene Sourcing-Strategien auf, berichtet Wies. Das sei insofern sinnvoll, als reife Anwendungsfelder andere Prioritäten setzten als in der Entwicklung begriffene: "Wichtig ist in diesem Zusammenhang jedoch, dass wir ein unternehmensweites Instrumentarium für ein gezieltes Sourcing haben und nicht jedes Mal von vorn anfangen."

Weg 4: Mit der Entwicklung bei den Mitarbeitern beginnen

Wer Veränderungen in der IT-Organisation bewirken will, darf die Mitarbeiter nicht außen vor lassen. Sie müssen lernen, dass mit Flexibilität und Agilität Werte sind, über die sie sich persönlich auszeichnen und gleichzeitig im Sinn des Unternehmens handeln können.

"Die Mitarbeiter sind immer veränderungsbereit, wenn sie von der Veränderung profitieren", weiß Ricardo Diaz Rohr, CIO des Energieversorgers EnBW: "Allerdings gibt es Unternehmen, in denen die Mitarbeiter über Jahre hinweg zu einer gewissen Konsumentenhaltung erzogen wurden. Wir müssen sie aus dieser Komfortzone herausholen, ihnen das Thema Proaktivität nahebringen."

Thomas Rössler würde seine Leute gern in die Fachbereiche schicken.
Foto: Jo Wendler

"Die Leute wollen aus ihrem stillen Kämmerchen nicht heraus", bestätigte Rössler: "Wir müssen auf die Kunden, also die Fachbereiche, zugehen. Das ist unangenehm, denn dann muss man mit den Kunden verhandeln, und das haben die IT-Mitarbeiter seit Jahren nicht getan."

Diese natürliche Abneigung gilt es zu überwinden: "Wir müssen wegkommen von der Einstellung: Was die Fachbereiche jetzt schon wieder wollen …", mahnt er. "Jeder IT-Mitarbeiter sollte einmal in einer Fachabteilung mitgearbeitet haben, damit er weiß, was dort vorgeht."

Auch Häuptlinge müssen lernen

Matthias Mertens, CIO der Stadtwerke Düsseldorf, plädierte dafür, die Stellenbeschreibungen der IT-Mitarbeiter zu überarbeiten: "Wir müssen einen Zertifizierungsprozess für Agilität und Flexibilität aufsetzen, und wir brauchen entsprechende Sollprofile.

Ricaro Diaz Rohr will auf allen Unternehmensebenen ansetzen.
Foto: Jo Wendler

Diaz Rohr warnte aber davor, die Stellenbeschreibungen zu detailliert zu gestalten: "Wenn wir uns in Richtung Flexibilität und Agilität entwickeln wollen, dann muss die gesamte Mannschaft dahinterstehen." Festgeschriebene Profile sind da eher hinderlich.

Letztlich nützt es aber wenig, wenn nur die Indianer flexibel werden, während die Häuptlinge starr bleiben. "Man muss auf verschiedenen Ebenen ansetzen", so Diaz Rohr", auf der Führungsebene, bei den Messinstrumenten, in den Prozessen und in den Strukturen." Auch den Führungskräften fehle heute zum Teil noch das Instrumentarium, um die Veränderungen zu treiben.

Das Richtige flexibel machen

Hans-Joachim Popp, CIO des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt (DLR), hat sich ein paar Gedanken darüber gemacht, wo die IT flexibler werden sollte:

  • Jede Firma hat ein mittelfristiges Muster, nach dem sich die Serviceanforderungen verändern. Die IT muss das gezielt in ihre Produktentscheidungen einbeziehen. Bisher schaut sie häufig nur auf die Features und die Betriebsparameter.

  • Am schwierigsten ist es, die Veränderungen in den Geschäftsprozessen rechtzeitig und genau genug vorauszusagen. Wenn sich eine Wertschöpfungskette völlig ändert, ist es für die IT schwer, schnell genug hinterherzukommen. Deshalb braucht der CIO einen gewissen Riecher.

  • Die Hersteller der geschäftskritischen Systeme sind genau zu beobachten. So kann flexibel reagiert werden, falls beispielsweise eine Produktlinie zu sterben droht. Denn das oft jahrelanges Chaos zur Folge. Die bessere Funktionalität spielt überhaupt keine Rolle mehr, wenn das Produkt nicht weiterentwickelt wird.

  • Eine vorausschauende Produktplanung ist umso wichtiger, je enger die Systemkomponenten miteinander verzahnt sind. Denn am Ende zieht die IT eventuell wir an einer Stelle - und reißt damit an einer ganz anderen Stelle etwas um.

  • Wenn SOA erst einmal richtig gelebt wird, also wenn sich wirklich umfassende Standards für die Schnittstellen etabliert haben, ist die IT ein ganzes Stück unabhängiger. Aber noch sind die Verstrickungen zu komplex, weshalb viele CIOS bei Migrationen zu Recht sehr vorsichtig sind.