DVB-H mit Durchhänger

Vier Gründe, warum Handy-TV auch zur EM 2008 nicht startet

05.06.2008 von Jürgen Liebherr
Schon zur Fußball-Weltmeisterschaft 2006 scheiterte der Versuch, Handy-TV zu etablieren. Jetzt, zur Europameisterschaft 2008, hatten die Anbieter gehofft, das Mäusekino endlich kommerziell etablieren zu können. Doch daraus wurde wieder nichts.

"Das Runde muss in das Eckige" - dieses Sepp Herberger zugesprochene Zitat gewinnt in heutiger Zeit eine völlig neue Bedeutung. Hatte der ehemalige Nationaltrainer bereits geahnt, wie kompliziert es werden würde, Fußballübertragungen aufs Handy-Display zu bekommen? Wir wissen es nicht, hier sind jedenfalls die vier wichtigsten Faktoren, die einen erfolgreichen Start des kommerziellen Handy-TVs in Deutschland behindern.

1. Mobile 3.0 gegen Landesmedienanstalten - zähe Verhandlungen

Seit Januar 2008 hat das Joint Venture Mobile 3.0 grünes Licht für den Aufbau von Mobile-TV in Deutschland. Nach zähem Ringen hatten die Landesmedienanstalten beschlossen, das Gemeinschaftsunternehmen von MFD Mobiles Fernsehen Deutschland GmbH und Neva Media GmbH (Burda, Holtzbrinck) als Plattformbetreiber für mobiles Fernsehen im Standard DVB-H einzusetzen. Die Konkurrenz aus dem Mobilfunklager war ausgestochen.

Innerhalb eines halben Jahres sollten also bis zum Start der EM 2008 die Infrastruktur aufgebaut und alle Verträge unter Dach und Fach gebracht werden. Ein neues Sendezentrum sowie Antennen und Sender wurden auch planmäßig errichtet. Doch aufgrund der föderalistischen Struktur ist es Mobile 3.0 bis heute nicht gelungen, alle für den Sendebetrieb notwendigen Lizenzverträge mit den einzelnen Landesmedienanstalten einzuholen.

Kurz vor der Fußball-EM versucht Mobile 3.0 das knappe Scheitern schönzureden: Man werde "planmäßig den Sendebetrieb via DVB-H pünktlich zur EM 2008 im Juni in einzelnen Städten starten." In einem aktuellen Statement des Unternehmens heißt es nun, dass "die kommerzielle Vermarktung eines Dienstes für Mobile-TV auf Basis von DVB-H zur EM 2008 auf Grund des noch nicht abgeschlossenen Lizenzierungverfahrens jedoch nicht möglich ist." Will heißen: Keine EM-Übertragung für Endkunden!

2. Mobilfunk-Provider zwischen Taktik und Frustration

Die großen Mobilfunkbetreiber wollen und können keinen kommerziellen Betrieb starten, solange nicht alle Lizenzvereinbarungen zwischen Mobile 3.0 und den Landesmedienanstalten geschlossen sind. Darauf sind die Carrier angewiesen, erst dann können sie wegen Übertragungsrechten in Verhandlungen mit Mobile 3.0 treten. Endkunden werden dann voraussichtlich Monatspauschalen zwischen 4,99 und zehn Euro fürs Handy-TV berappen müssen.

Genau hierin sehen die Mobilfunker das größte Risiko. Vodafones Deutschlandchef Friedrich Joussen sagte jüngst der Financial Times Deutschland: "Ich werde kein Bezahl-TV auf dem Handy unterstützen, solange die Gefahr besteht, dass Kunden dann weniger Geld für andere Dienste ausgeben" - ein Indiz dafür, dass die Mobilfunker wohl nicht unbedingt diejenigen sind, die Handy-TV zum Durchbruch verhelfen werden. Unklar ist jedoch, ob solche Aussagen nicht eher kalkuliertes Säbelrasseln sind, um die eigene Verhandlungsposition zu verbessern. Und diese wird ohnehin rasant besser, da sich derzeit DVB-T auf einer neuen Handy-Generation ausbreitet - als Feature der Geräte und ohne Gebühren.

3. Handy-Hersteller - passiv in den Startlöchern

So richtig offiziell bekommt man in Deutschland noch kein DVB-H-fähiges Gerät zu Gesicht. Haben die Hersteller den Trend verschlafen? Nein, wahrscheinlich kann man ihnen sogar den geringsten Vorwurf in Richtung Handy-TV-Bremser machen. Sie handeln lediglich nach dem Motto: Solange es keine konkreten Dienste (siehe Mobilfunk-Provider) gibt, werden passende Modelle auch nicht auf den Markt gebracht.

Aber im Prinzip haben fast alle großen Hersteller ein DVB-H-Gerät in der Pipeline. Zumal mobiles Digital-Fernsehen auch schon in anderen Ländern läuft (Italien, Südkorea und seit neuestem auch Österreich). Definitiv bekannt ist, dass sowohl Nokia (N77 und N96) als auch Samsung (P910 und SGH-P960) geeignete Geräte für den deutschen Markt in der Hinterhand haben. Von LG gibt es in Italien schon länger das Model U900 im Handel.

Darüber hinaus bietet der koreanische Elektronik-Konzern eingefleischten Fußballfans seit kurzem eine Alternativlösung: Das HB620T, hierzulande mit einem Mobilfunkvertrag mit T-Mobile seit neuestem "kostenlos" zu haben, ist das erste Mobiltelefon mit eingebautem Mini-DVB-T-Empfänger, ähnlich wie man ihn vom heimischen Fernseher her kennt. Nachteile: Es empfängt die in Deutschland genutzten DVB-T-Frequenzen nur zum Teil. Außerdem hält das energiehungrige Gerät nur zwei bis zweieinhalb Stunden durch. Beim Elfmeterschießen könnte es knapp werden.

4. Technik - mehrere Übertragungsstandards zur Auswahl

Vor zwei Jahren wusste noch niemand so genau, in welche Richtung Handy-TV gehen wird. Die Platzhirsche Vodafone, T-Mobile und O2 priesen damals ihre (mäßig gut funktionierenden) UMTS-Netze an - wollten quasi auch das Fernsehen gleich auf dieser Welle mitreiten lassen. Die Ergebnisse waren dürftig (Sport- Schnipsel oder "Verliebt-in-Berlin"-Folgen) und im engeren Sinne kein Fernsehen. Denn die "Sendungen" waren eigentlich nur aufgezeichnet, also Streams.

Nur der unabhängige Provider Debitel schaffte es, zumindest einen einigermaßen funktionierenden Testbetrieb via DMB-Standard auf die Beine zu stellen. Das so genannte Digital Multimedia Broadcast war bereits im Jahr zuvor (2005) in Südkorea und China erfolgreich als digitaler Übertragungsstandard etabliert worden. In Deutschland konnten zahlungswillige Kunden zur WM 2006 vier TV-Programme in fünf Großstädten empfangen, heute gibt es in 16 Ballungsräumen auch nur fünf empfangbare Programme. Ein echter Sargnagel für DMB war 2007 der Beschluss der Europäischen Kommission, DVB-H als einheitliches europäisches System für Mobile TV zu empfehlen.

DVB-T kennt man vom terrestrischen TV-Empfang beziehungsweise. als PC-USB-Empfänger. Dass dieser Standard auch für Handy-TV praktikabel ist, hat kaum jemand glauben wollen - bis jüngst LG das DVB-T-Modell HB620T erfolgreich einführte. Nachteil bleibt jedoch der (zu) hohe Energieverbrauch, eine gewisse Störanfälligkeit (des Signals) sowie die eingeschränkte Programm-/Bandwahl.

DVB-H (Digital Video Broadcasting-Handheld) gilt als technische Weiterentwicklung des DVB-T-Standards. In Deutschland wurde zur IFA 2005 ein erster DVB-H Testlauf in Berlin durchgeführt. Eine offizielle Einführung des Übertragungsstandards sollte dann zur Fußball-WM 2006 erfolgen; letztendlich blieb es jedoch bei einem zeitlich befristeter Pilotversuch, an dem auch die vier deutschen Mobilfunk-Netzbetreiber beteiligt waren. Seit Januar 2008 belegt DVB-H die Pole-Position im Rennen um den zukunftsträchtigsten Standard, kommt aber wie gesehen nicht aus den Startlöchern - schade! (hv)