IT-Jobs in der Umweltbranche

Viel Spielraum für kreative Informatiker

14.01.2010 von Peter Ilg
Mit dem Klimawandel gedeiht der Markt für Umwelttechnik - und der Bedarf an kreativen Informatikern in diesem Segment.

Als André Schade sein Studium 2007 abgeschlossen hatte, ging es der Wirtschaft noch gut, und es gab genügend Stellen für Informatiker. Leider galt das nicht für Rostock, der Heimatstadt des 28-Jährigen. So musste er in den sauren Apfel beißen und wegziehen. Schade unterschrieb einen Arbeitsvertrag bei einem Personaldienstleister, und der vermittelte ihn an ein großes IT-Unternehmen. Von dem wurde er unter anderem in einem Automobilkonzern eingesetzt, um Diagnosesysteme für Autowerkstätten zu entwickeln. Schade wurde zum Berufsnomaden und begann, Kontinuität zu vermissen.

Andre Schade, Drehpunkt: "Es macht Spaß, in einer jungen und dynamischen Branche zu arbeiten."

Bei einem Besuch in seiner Heimatstadt lernte er Stephan Thiemann kennen. Der hatte mit seinem Partner 2003 das Unternehmen Drehpunkt gegründet, das Software zum Auslesen von Betriebs- und Messdaten von Windenergieanlagen entwickelt. Thiemann sagte, er suche einen Informatiker, und Schade überlegte nicht lange. "In der Automobilbranche spürte ich deutlich die Auswirkungen der Krise, zudem ist Drehpunkt in einer jungen und dynamischen Branche tätig, die Zukunft hat, und der Firmensitz ist in Rostock", zählt Schade als Gründe auf, warum er seinen Job kündigte und im Juli 2009 als Entwickler bei Thiemann anfing. Zurzeit arbeitet er an einer Leitwarte für einen Kunden: "Die Windparks stehen oft weit weg vom Betreiber, und der möchte wissen, ob sich alle Rotoren in der Anlage drehen oder nicht." Diese Daten erhält der Betreiber über das Drehpunkt-System und kann rasch reagieren, wenn ein Windrad auch bei Wind stillsteht.

Die maximale Energieausbeute ist das Ziel

Selbstverständlich geht es um eine maximale Energieausbeute. Die Windräder sind teuer, und sie müssen sich drehen, sobald der Wind bläst. "Durch die Wetterabhängigkeit von Wind- und Solaranlagen wird es schwerer werden, Energie genau dann zu erzeugen, wenn sie benötigt wird", kommentiert Martin Borst. Der Leiter erneuerbare Energieträger der Euro-Engineering-Niederlassung in Stuttgart sieht die Zukunft in intelligenter Vernetzung und Steuerung dezentraler Anlagen. "Durch ein ausgeklügeltes System-Management und mittels modernster Kommunikationstechnologien können mehrere kleine Wind-, Solar- und Biomasseanlagen zu einem virtuellen Großkraftwerk verknüpft werden, um eine Grundversorgung zu gewährleisten."

Borst ist davon überzeugt, dass Informations- und Kommunikationstechniken künftig die optimale Steuerung von Energieverbrauchern ermöglichen, so dass sich Strom- oder Wärmeüberschuss genau dann verwenden lässt, wenn er anfällt. Geoinformationssysteme könnten helfen, geeignete Standorte für Geothermie und Fotovoltaik zu finden. "Und am Ende werden für all diese Anwendungen Informatiker gebraucht - wesentlich mehr als bislang", so seine Prognose. Dieter Oesterwind, Professor und Leiter des Zentrums für innovative Energiesysteme an der Fachhochschule Düsseldorf, teilt seine Meinung.

Marcus Band, IBC Solar: "Es ist hilfreich, wenn neue Mitarbeiter die Branche kennen."

Es ist aber nicht die regenerative Energieerzeugung allein, die zu einer wachsenden Nachfrage nach Informatikern führt. Es ist auch die Branche selbst, die wächst, und schon deshalb laufend Informatiker einstellen wird, wie Marcus Band, Director IT-Services beim Fotovoltaik-Spezialisten IBC Solar in Bad Staffelstein, meint. Mit der Konsequenz, dass "Implementierungszeiten kürzer und Änderungsprojekte spannender sind", ist der IT-Manager überzeugt. "Noch vor einigen Jahren gab es keine branchenspezifische ERP-Lösung für die Fotovoltaik. Da mussten wir erfinderisch werden", erzählt Band.

80 neue Arbeitsplätze pro Tag

Die erneuerbaren Energien sind ein zuverlässiger Jobmotor. Zahlen dazu liefert ein unabhängiges Fachgremium, das das Bundesumweltministerium eingerichtet hat: Nach Angaben der Arbeitsgemeinschaft Erneuerbare Energien-Statistik haben Anlagenhersteller, Zulieferer und Planer derzeit rund 280.000 Beschäftigte. Allein im vergangenen Jahr sei die Zahl der Arbeitsplätze um 30.000 gestiegen - das sind etwa 80 neue Arbeitsplätze pro Tag.

Seit 1998 hat sich die Zahl der Beschäftigten in der Branche vervierfacht. Im Vergleich dazu ist das Personalwachstum im Automobilbau mit rund fünf Prozent bescheiden. Solarthermische Großkraftwerke und Windenergie sind nach Oesterwinds Meinung die "voraussichtlichen zukünftigen Leittechniken". Er prognostiziert für die nächsten zehn Jahre einen kräftigen Beschäftigungsanstieg um 200.000 bis 300.000 Mitarbeitern beispielsweise um die Anlagen zu beobachten und technisch zu überwachen.

Darum geht es bei Drehpunkt. "Inhaltlich sind wir nahe am Maschinenbau. Deshalb müssen unsere Mitarbeiter wissen, wie die Stromerzeugung durch Windräder funktioniert", sagt Stephan Thiemann. 15 Mitarbeiter hat sein Unternehmen, davon zwei Informatiker. Von denen erwartet er, dass sie sich rasch in neue Technologien einarbeiten können. Sein neuer Mitarbeiter Schade hat regelmäßig mit Ingenieuren bei Kunden zu tun, und von denen hat er einiges über Windräder gelernt. "Jetzt weiß ich so viel über Windkraftanlagen, dass ich verstehe, wie durch die Flügel Strom erzeugt wird, und kann die Prozesse in Software abbilden. Im Übrigen musste ich mich auch im Automobilbereich erst einarbeiten."

Beide Branchen vergleicht er so: In der Automobilindustrie seien die Aufgaben klar und eindeutig spezifiziert, der persönliche Spielraum deshalb gering. Die erneuerbaren Energien befinden sich im Aufbau, deshalb kenne man zwar die Richtung, aber nicht den Weg zur Lösung. "Es gibt hier unheimlich viel zu tun, und man kann völlig kreativ sein. Umweltbewusstsein reicht dafür allerdings nicht aus." Auch wenn eine entsprechende Spezialisierung im Studium nicht erwartet wird, hält es IBC-Solar-Mann Band doch für einen Vorteil, "wenn neue Mitarbeiter die Branche bereits kennen", sei es über das Studium, durch Praktika oder vorherige Arbeitgeber.

Arbeitsmarkt für erneuerbare Energien

Der Bedarf an Fachkräften ist in den erneuerbaren Energien auch in der Wirtschaftskrise weiterhin hoch. Einer Untersuchung des Wissenschaftsladens Bonn zufolge ist die Zahl der Stellenangebote im ersten Quartal 2009 im Vergleich zum Vorjahr um ein Viertel gestiegen. Gesucht werden vor allem Ingenieure. Aber: "Es ist deutlich erkennbar, dass der Anteil an Informatikern im Bereich erneuerbare Energien zwar leicht, aber stetig steigt", sagt Theo Bühler, Geschäftsführer vom Wissenschaftsladen Bonn. Außer in den IT-Abteilungen würden nach seinen Erkenntnissen Informatiker schwerpunktmäßig in der Planung, Projektentwicklung und im Monitoring eingesetzt. Der Wissenschaftsladen untersucht den Arbeitsmarkt Erneuerbare Energien regelmäßig im Auftrag des Bundesumweltministeriums.

Erneuerbare Energien brauchen IT

Dieter Oesterwind, FH Düsseldorf: "Sowohl bei Herstellern als auch bei Anwendern entstehen neue Jobs."

Der Markt der erneuerbaren Energien wächst. Schon deshalb werden mehr Informatiker in diesem jungen Wirtschaftszweig gebraucht. Es ist aber auch die Technik der regenerativen Energieerzeugung, die neue Stellen in der jungen Branche mit Zukunft schafft, ist Dieter Oesterwind, Professor an der Fachhochschule Düsseldorf, überzeugt.

CW: Warum sollten Informatiker sich für erneuerbare Energien interessieren?

OESTERWIND: Ganz einfach: In den erneuerbaren Energien werden wesentlich mehr Informatiker zur Energiegewinnung gebraucht als in klassischen Kraftwerken. In den Kraftwerken lässt sich Strom oder Wärme kontrolliert herstellen. Dagegen bläst der Wind nicht jeden Tag gleich stark, ähnlich ist es mit der Sonne. Um mit der volatilen Energie richtig umgehen zu können, wird für Windkrafträder und Fotovoltaikanlagen mehr Mess-, Regel- und Steuerungstechnik gebraucht als etwa in einem Kohlekraftwerk.

CW: Messen, Regeln, Steuern: Das sind doch eher Aufgaben für Ingenieure.

OESTERWIND: Eigentlich schon, aber diese Techniken nutzen IT, etwa für die Datenübertragung in Echtzeit vom Windrad in die Steuerzentrale zur Überwachung. Informatiker entwickeln Software bei spezialisierten Unternehmen, passen die Anwendungen unternehmensintern an und betreiben die Systeme. So entstehen sowohl bei den Herstellern der Programme neue Arbeitsplätze als auch in den Anwenderunternehmen, also zum Beispiel den Betreibern von Wind- und Solarparks. Weitere IT-Jobs wird es in der Bioenergie und der Geothermie geben.

CW: Was haben Bioenergie und Geothermie mit Informatik zu tun?

OESTERWIND: Bei den Biogasanlagen ist es ähnlich wie bei den Windparks: Viele kleine, dezentrale Kraftwerke müssen gesteuert an das Hauptnetz gelangen. Dafür sorgen Informatiker, und um die Tiefenwärme zu nutzen, werden Geoinformationssysteme eingesetzt.

CW: Muss man die Energiegewinnung technisch verstehen, um sie in Software abbilden zu können?

OESTERWIND: Ja, hier gibt es keine Unterschiede zu anderen Wirtschaftszweigen. Wenn ein Informatiker in der Branche einsteigen will, sollte er zumindest eine Ahnung davon haben, wie mit einer Windkraftanlage Strom produziert wird und was in einer Fotovoltaik-Anlage vor sich geht. Das notwendige Detailwissen lernt er in der Praxis.