Verhaltener Optimismus stellt sich ein

29.01.2003 von Riem Sarsam
MÜNCHEN (COMPUTERWOCHE) - Zwar nehmen sich die zuletzt gemeldeten Ergebnisse für das vierte Quartal noch relativ bescheiden aus, doch verzeichnen nur noch wenige Unternehmen einen Rückgang des Geschäfts. Für eine Reihe von Firmen gestaltete sich der Abschluss des vergangenen Jahres sogar positiv. Das Ende der Talfahrt scheint in Sicht.

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Bezeichnend für die Telco-Industrie waren unter anderem die Quartalsergebnisse von Netzausrüster Lucent. Patricia Russo, Chefin des Konzerns, hält den Markt nach wie vor für unberechenbar. Was die künftige Entwicklung betrifft, übte sie sich in Zurückhaltung: „Es könnte sein, dass wir uns näher auf eine stabile Situation zubewegen“, sagte sie der „New York Times“. Ziel der krisengeschüttelten Company wird weiterhin die Festigung der finanziellen Situation sein, denn das Unternehmen schreibt bei für die IT- und TK-Branche beispiellosen Massenentlassungen noch immer tiefrote Zahlen. Immerhin scheint die oft beschworene Bodenbildung erreicht zu sein. Lucent konnte den Nettoverlust auf 264 Millionen Dollar im Vergleich zu 423 Millionen Dollar im Vorjahresquartal verringern.

Lucent auf dem Weg zum Comeback

Allerdings ging auch der Umsatz erneut stark zurück. Er sank von 3,58 Milliarden Dollar im Berichtszeitraum 2001 um 42 Prozent auf aktuell 2,08 Milliarden Dollar. Für das laufende Quartal erwartet das Unternehmen rund 2,5 Milliarden Dollar Umsatz (Vorjahreszeitraum: 3,52 Milliarden Dollar) und erneuerte sein Versprechen, im laufenden Geschäftsjahr in die Gewinnzone zurückzukehren. Die liquiden Mittel reichten allemal aus, so Russo; das Fiskaljahr 2003 wolle man mit mehr als zwei Milliarden Dollar Cash abschließen.

Auch Lucent-Wettbewerber Nortel wächst wieder - zumindest im Vergleich zum vorhergehenden dritten Quartal. Den Kanadiern gelang es, im letzten Viertel des vergangenen Jahres den Nettoverlust mit 248 Millionen Dollar oder sechs Cent pro Aktie deutlich zu senken. Im vergleichbaren Vorjahreszeitraum hatte der TK-Ausrüster aufgrund von Restrukturierungskosten und hohen Abschreibungen noch einen Fehlbetrag von 1,83 Milliarden Dollar ausweisen müssen. Auch im aktuellen Berichtszeitraum belasteten Sonderaufwendungen die Bilanz mit 214 Millionen Dollar. Gleichzeitig profitierte Nortel mit 60 Millionen Dollar von dem Rückkauf von Schuldverschreibungen, weitere 26 Millionen Dollar brachte der Verkauf eines Geschäftsbereichs ein. Abzüglich dieser Posten sowie Akquisitionskosten in Höhe von 58

Millionen Dollar hätten die Kanadier nur noch einen Verlust von 62 Millionen Dollar verbucht. Im Vergleichsquartal 2001 hatte das Pro-forma-Defizit noch 506 Millionen Dollar betragen.

Damit hat sich das Unternehmen zumindest in puncto Kostenstruktur weitgehend erholt. Nach eigenen Angaben hat Nortel inzwischen den größten Teil des angekündigten Stellenabbaus abgeschlossen. Für Ende März rechnet der Konzern mit 36000 Beschäftigten - 1000 Mitarbeiter mehr als bislang geplant. Der TK-Ausrüster hat in den vergangenen Jahren rund 65.000 Angestellte entlassen.

Auf der Einkommensseite leidet Nortel nach wie vor unter dem zögerlichen Investitionsverhalten der großen Telefongesellschaften. Der Umsatz sank im vierten Quartal um 27 Prozent von 3,46 Milliarden auf 2,52 Milliarden Dollar. Verglichen mit dem vorangegangenen dritten Quartal gelang es dem TK-Ausrüster immerhin, seine Einnahmen um fast sieben Prozent zu steigern. Für das laufende erste Quartal erwartet Nortel-CEO Frank Dunn einen sequenziellen, aber vorwiegend saisonbedingten Umsatzrückgang. Gleichzeitig bestätigte der Konzernchef seine Prognose, im zweiten Quartal wieder auf Pro-forma-Basis die Gewinnzone zu erreichen.

Agere Systems, ein auf Telekommunikationshalbleiter spezialisiertes Spinoff von Lucent, hält sich mit genauen Aussagen in puncto Geschäftsbelebung lieber zurück. Agere-Chef John Dickson meinte, dass ein positives Pro-forma-Ergebnis im letzten Viertel des Fiskaljahres (Ende: 30. September 20003) „nicht unrealistisch“ sei. Für das Ende Dezember 2002 abgeschlossene erste Fiskalquartal meldete sein Unternehmen ein Nettodefizit von 146 Millionen Dollar, nach einem Verlust von mehr als 234 Millionen Dollar im Vorjahreszeitraum. Der Umsatz verringerte sich nur leicht von 445 auf 436 Millionen Dollar. Um wieder in die schwarzen Zahlen zu kommen, hatte Agere unter anderem seine Sparte für optoelektronische Komponenten verkauft.

Rote Zahlen schreibt nach wie vor auch Glasfaser-Hersteller Corning: Für das vierte Quartal meldet der Konzern trotz rigider Sparmaßnahmen einen Verlust von mehr als 700 Millionen Dollar bei einem Umsatz von 736 Millionen Dollar. Insgesamt 44 Prozent seiner Belegschaft oder 18 800 Mitarbeiter hatte Corning seit dem Jahr 2000 entlassen, Fabriken mussten unter anderem in Deutschland und Australien schließen.

Corning sucht neue Einnahmequellen

Laut Corning-Chef James Houghton ist die Krise noch keineswegs überstanden, weitere Kündigungen schloss er nicht aus. An Geld mangelt es dem Konzern nicht - mit dem Verkauf des Geschäftzweigs optische Linsen seien die Barmittel auf gut zwei Milliarden Dollar gestiegen. Um wieder auf den Wachstumspfad zurückzukehren, bleibt Corning nicht anderes, als nach neuen Einnahmequellen zu suchen. James Flaw, Chairman und Chief Financial Officer (CFO), sieht diese unter anderem in der Entwicklung von Displays oder von Equipment für die chemische Prozessindustrie.

*Angaben in Dollar ** Angabe in Euro  Quelle: Unternehmensangaben

Nur wegen des Verkaufs der Breitbandsparte AT&T Broadband gelang es Tom Horton, CEO von AT&T, einen Quartalsüberschuss zu melden. Er verschreckte die Anleger mit seiner Ankündigung, künftig keine Gewinnprognosen mehr zu geben. Statt dessen versprach er mehr Einblick in die betrieblichen Prozesse des US-amerikanischen Telefonriesen. Dies sei Teil eines Planes, die langfristigen Ziele stärker ins Auge zu fassen. Die Telefongesellschaft meldete für das letzte Jahresviertel 2002 einen Nettogewinn von 516 Millionen Dollar, der allerdings aus einem außergewöhnlichen Zugewinn von 1,32 Milliarden Dollar aus dem Verkauf der Unternehmenssparte resultierte. Ein Jahr zuvor hatte AT&T einen Nettoverlust von 1,39 Milliarden Dollar ausgewiesen. Der operative Verlust betrug seinerzeit 216 Millionen Dollar, er stieg im aktuell abgeschlossenen Vierteljahr wieder auf 611 Millionen Dollar. Gleichzeitig ging der Quartalumsatz im

Jahresvergleich von 12,59 Milliarden Dollar im Berichtszeitraum des Vorjahres auf 9,3 Milliarden Dollar zurück.

Die Sorgen, die den TK-Konzern plagen, dürften auch mit Beginn eines neuen Geschäftsjahres nicht vorbei sein. Der größte Anbieter von Festnetzverbindungen in den USA leidet unter der wachsende Nutzung von E-Mail und Mobilfunk. Auch die Konsequenzen aus der Pleite von Wettbewerber Worldcom sind noch spürbar. Zwar laufen die Worldcom-Kunden angeblich in Scharen zur Konkurrenz über und bescheren dieser zusätzliche Einnahmen. Doch das unter Gläubigerschutz stehende Unternehmen operiert Branchenkennern zufolge mit regelrechten Dumping-Preisen, um die verbliebene Kundschaft zu halten - und bringt damit den Wettbewerb in Bedrängnis.

Europäische Telcos stehen besser da

In Europa scheint sich die Lage der Telcos unterdessen schneller zu erholen. Ein Analystenteam von Merrill Lynch kommt zu dem Ergebnis, dass der TK-Sektor auf dem alten Kontinent wieder vor einem Aufwärtstrend steht. Im Gegensatz zu früheren Wachstumsphasen gibt es allerdings einen Unterschied: das Wachstumstempo wird auf einem geringeren Niveau liegen. Getrieben werden soll die Entwicklung in Europa wie den USA vor allem durch Geschäfte aus dem Mobilfunkbereich.

Davon profitieren könnte auch der Chiphersteller ST Microelectronics, der sich frühzeitig auf das Geschäft mit Telekommunikationschips festgelegt hat. Doch obwohl der französisch-italienische Konzern im vierten Quartal mit Umsatz- und Gewinnsteigerungen ein erfolgreiches viertes Quartal abschließen konnte, will auch hier noch niemand einen nachhaltigen Aufschwung sehen. Im ersten Halbjahr bleiben die Marktbedingungen „schwierig“, hieß es beim Chiphersteller.

Etwas selbstbewusster als die Telecom-Branche präsentierten sich die Speicheranbieter. Storage Tek und McData meldeten im Vergleich zum Vorjahr Umsatz- sowie Gewinnwachstum im vierten Quartal. Marktführer EMC musste einen leicht schwächeren Umsatz hinnehmen, konnte jedoch seinen Nettoverlust von rund 70 Millionen Dollar im Vorjahreszeitraum auf 63,9 Millionen Dollar senken. Darin ist unter anderem eine Sonderbelastung von 117 Millionen Dollar für Entlassungen enthalten. Die Quartalseinnahmen gingen nach 1,51 Milliarden Dollar im Berichtszeitraum des Vorjahres geringfügig auf 1,49 Milliarden Dollar zurück.