Update: Siemens über Aus für deutsche BenQ-Tochter "überrascht"

29.09.2006
Siemens hat sich über das bevorstehende Ende für BenQ mobile in Deutschland überrascht gezeigt.

"Wir haben bei der Veräußerung unserer Handy-Sparte an BenQ in 2005 ein Weltgeschäft abgegeben", erklärte das Unternehmen am Donnerstagabend. Nun wolle BenQ das Geschäft in Deutschland offensichtlich in die Insolvenz steuern. "Wir verstehen weder die Intention noch die Hintergründe. Über die Pressemitteilung von BenQ hinaus haben wir derzeit keinerlei Detail-Kenntnisse", hieß es.

Die Belegschaft ist stinksauer

Überraschen wird diese Aussage vermutlich wiederum die Belegschaft von BenQ mobile. Wut, Frust und Enttäuschung macht sich breit in Kamp-Lintfort und in Bocholt, wo insgesamt 1600 Menschen beim Handy-Hersteller in Lohn und Brot stehen. "Wir sehen uns beim Arbeitsamt", ruft eine Beschäftigte einem Kollegen zu. Und dann lässt sie ihren Zorn freien Lauf: "Insolvenz anzumelden war das Beste, was BenQ machen konnte. Dann müssen sie uns auch keinen Cent mehr zahlen". Erfahren haben die Beschäftigten die schlechte Nachricht erst aus dem Radio.

Bei Betriebsrat und IG Metall in Nordrhein-Westfalen herrscht schieres Unverständnis: "Wir sind entsetzt über die Entscheidung des taiwanischen Managements", sagte Oliver Burkhard, der Tarifexperte der IG Metall. Dies sei ein eklatantes Beispiel für "strategische Kurzsichtigkeit, unternehmerische Kurzatmigkeit und Willkür". Es fehle an einer soliden unternehmerischen Führung, die langfristig Produktion und Beschäftigung im Blick habe.

Dass von heute auf morgen Schluss sein soll für die Beschäftigten in Kamp-Lintfort und einem Kundenzentrum in Bocholt kann sich derzeit noch keiner so richtig vorstellen. Schließlich haben sie gestritten und gekämpft um ihre Arbeitsplätze, nachdem Siemens die defizitäre Handy-Sparte inklusive einer kräftigen Finanzspritze an BenQ verkaufte.

Und das Unternehmen hatte sich ehrgeizige Ziele gesetzt: 2006 sollte der Bereich aus der Verlustzone kommen und in zwei, drei Jahren wollte BenQ auf dem Weltmarkt mit einem Anteil von zehn Prozent glänzen. Aber von den vollmundigen Zielen ist nichts geblieben. Der BenQ-Konzern schwächelt und ist unter den Großen der Branche ein Winzling mit einer unbekannten Marke geblieben.

In der Telefonzentrale in der Südstraße 9 in Kamp-Lintfort am Niederrhein ist kaum ein Durchkommen. Hektisches Treiben, ein babylonisches Stimmengewirr und nur die knappe Auskunft: "Hier geht alles drunter und drüber, heute ist keiner mehr zu erreichen". Kein Wunder bei der Hiobsbotschaft, die gestern in den Morgenstunden aus Taiwan nach Deutschland gefunkt wurde: BenQ schickt ihre deutsche Tochter mit 3000 Beschäftigte in die Pleite.

"Es war ein langsames und systematisches Sterben", erinnert sich ein Mitarbeiter zurück an die vergangenen Monate. Und dass Siemens seine Hände in Unschuld waschen kann, das erbost sie am meisten. Schließlich hat das Werk Kamp-Lintfort eine lange Tradition. Gegründet wurde es 1963 als Zweigstelle der Niederlassung Bocholt. In den 1960er und 1970er Jahren wurde dort Zubehör für Nachrichtentechnik hergestellt. Ende der 1980er Jahre waren es dann Autotelefone für das C-Netz. Damals beschäftigte Siemens 4000 Menschen in Kamp-Lintfort.

BenQ schaffte es nicht, aus dem behäbigen Laden ein schwungvolles, dynamisches Unternehmen zu formen. Und immer wieder mussten sich die Beschäftigten Beschwichtigungen aus dem Management anhören. "Wir haben die letzten Monate schon gemerkt, dass die Auftragslage schlecht war", sagt Samil Krupic (33). Aber "uns wurde gesagt, wir sollen den Kopf nicht in den Sand stecken".

Chronologie der Ereignisse

Nur ein Jahr nach der Übernahme durch dentaiwanesischen BenQ-Konzern steht das ehemals zu Siemens gehörende Handy-Geschäft vor dem Aus. Dpa dokumentiert den Weg der Sparte von den ersten Verkaufsspekulationen bis zum nun bevorstehenden Ende:

6. Januar 2005 - Der frühere Siemens-Chef und jetzige Aufsichtsratsvorsitzende des Unternehmens, Heinrich von Pierer, kündigt in Peking einschneidende Veränderungen im defizitären Handy-Geschäft des Konzerns an. "Ändern, schließen, verkaufen oder einen Partner für eine Zusammenarbeit finden" beschreibt Pierer vor Journalisten die Optionen.

27. Januar 2005 - Die Krise der Sparte hat sich verschärft. Für das erste Quartal 2004/05 (30. September) meldet der Elektrokonzern für die Mobiltelefon-Sparte einen Verlust von 143 Millionen Euro und einen Absatzeinbruch.

5. Februar 2005 - Der neue Siemens-Chef Klaus Kleinfeld räumt Probleme in der schwächelnden Handy-Sparte ein. Man habe in der Sparte "in den letzten Monaten mehr als eine Million Euro pro Tag versenkt", sagt er in einem Interview.

27. April 2005 - Nach erneut hohen Verlusten im Handygeschäft will Siemens die Mobilfunk-Sparte ausgliedern. Schon in Kürze sei mit Entscheidungen zu rechnen, sagte Siemens-Chef Klaus Kleinfeld in Lissabon. Damit scheint zunächst ein Verkauf oder eine Schließung vorerst vom Tisch zu sein.

5. Mai 2005 - Siemens bestätigt weitere Verhandlungen über einen Verkauf der verlustreichen Handysparte.

7. Juni 2005 - Siemens gibt die Trennung von seinem Mobiltelefon-Geschäft mit damals 6000 Beschäftigten bekannt. Der taiwanische BenQ-Konzern übernimmt die Sparte komplett und darf die Marke Siemens fünf Jahre lang nutzen. Die Trennung kostet Siemens 350 Millionen Euro vor Steuern.

1. Oktober 2005 - BenQ-mobile-Chef Clemens Joos kündigt an, die Siemens-Handysparte bereits im ersten Geschäftsjahr aus den roten Zahlen bringen zu wollen.

11. Juli 2006 - BenQ will mehr als 500 Arbeitsplätzen in Deutschland streichen. Betroffen seien 277 eigene Mitarbeiter in der Zentrale in München, zudem solle die Zusammenarbeit mit 250 externen Mitarbeitern in München und Kamp-Lintfort beendet werden.

24. August 2006 - Wegen der verspäteten Einführung neuer Produkte und Belastungen durch die Bereinigung der Modellpalette soll nun erst Mitte 2007 die Ertragswende möglich sein.

20. September 2006 - Das "manager magazin" berichtet, BenQ wolle seine Produktion von Mobiltelefonen an einen Auftragsfertiger verkaufen.

28. September 2006 - Die einstige Siemens-Handyproduktion mit derzeit noch 3000 Beschäftigten in Deutschland steht nur ein Jahr nach Übernahme durch BenQ vor dem Aus. Die deutsche Tochter werde voraussichtlich in den nächsten Tagen Insolvenzantrag stellen, kündigt ein Sprecher in München an. (dpa/tc)