Ein Recht auf Arbeit gibt es in Deutschland nicht. Der Anspruch des Individuums gegen den Staat auf die Gewähr der puren Möglichkeit, sich den Lebensunterhalt durch den Einsatz seiner Arbeitskraft zu sichern, ist in unserem System nicht vorgesehen. Im Grundgesetz gibt es keine solche Regelung. Zwar gibt es in einigen Landesverfassungen einzelne Ausführungen hierzu. Diesen kommt jedoch nicht die Rolle unmittelbaren Rechts zu, sondern sie signalisieren nur die Richtung, in welcher der Staat tätig werden beziehungsweise die Gesellschaft sich entwickeln soll.
Wird bedacht, dass es in Deutschland gegenwärtig nach Metrik der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO-Arbeitsmarktstatistik) über 2,3 Millionen Erwerbslose gibt und nach dem Berechnungsmodell der Bundesagentur für Arbeit drei Millionen Arbeitslose gezählt werden, ist das wahrscheinlich ein Versäumnis. Wird gleichzeitig bedacht, dass ein ungenutztes Arbeitskräftepotenzial in der stillen Reserve vorhanden ist und es in Deutschland über zwei Millionen Nichterwerbspersonen mit Wunsch nach Arbeit gibt, handelt es sich ganz bestimmt um ein Versäumnis.
Es zeigt sich aber auch immer mehr, dass die Erwerbstätigen in Deutschland nicht optimal eingesetzt werden. Nicht mehr zukunftsfähige Arbeitsmodelle, überholte oder fehlende gesetzliche Regelungen sorgen dafür, dass der Produktionsfaktor Mensch nicht produktiv und zukunftsfähig genutzt werden kann. Ganz davon zu schweigen, dass der Mensch - das Individuum - sich nicht wohlfühlt. Grundsätzlich definieren und identifizieren sich viele Menschen über ihre Arbeit.
Rolle, Bedeutung und Relevanz der Arbeit
Die Erwerbsarbeit stellt für den Menschen im Zeitalter der Wissens- und Resonanzgesellschaft eine nicht zu unterschätzende Quelle der Selbstidentifizierung dar. Sowohl die eigene als auch die fremde Anerkennung "unserer" Arbeit ist von enormer Relevanz für soziale Wahrnehmungsprozesse der Individuen. Doch immer öfter ist eine solche Identifikation bedingt durch die von den Arbeitsstrukturen beziehungsweise Arbeitsmodellen abweichende gesellschaftliche Entwicklung.
Durch mehrheitsgeteilte Vorstellungen von Bedeutung und Relevanz gewisser Berufsgruppen ist es dem Arbeitnehmer möglich, sich in bestimmte Muster der Anerkennung einzuordnen und sich somit auch selbst zu reflektieren und zu behaupten. Doch die Arbeitswelt ist von einem anhaltenden Wandel geprägt und dieser bedingt auch immer eine Anpassung an künftige Veränderungen und Visionen. Globalisierung und Technisierung tragen tagtäglich dazu bei, gewohnte Strukturen der Arbeitswelt zu modifizieren. Transformationen innerhalb der Bereiche der Arbeitswelt, der Gesellschaft und der Technik unterliegen wachsendem Interesse und bieten vielfältige Möglichkeiten, um den sich wandelnden Anforderungen gerecht zu werden und zu effizienteren Arbeitsweisen zu gelangen.
Dabei ist die Bedeutung der Arbeit für die Menschen seit jeher ein wechselseitiges Konstrukt. Grundlage einer funktionierenden Gesellschaft ist die menschliche Arbeit; zugleich ist diese Arbeit aber, wird sie über die bloße Bedürfnisbefriedigung hinaus - also Mehrwert erzielend - betrieben, von gesellschaftlicher Organisation abhängig. Durch die Entwicklungen der industriellen Revolution im 19. Jahrhundert hin zu einer Industriegesellschaft trat der Konsum der produzierten Güter stärker in den Vordergrund denn je. Im Zuge dessen verschwamm auch erstmalig die klassische Trennung von Privat- und Arbeitswelt; gegenwärtig sehen wir bei der unkontrollierten Vernetzung ähnliche Entwicklungen. Arbeiter wurden in Fabriknähe untergebracht und versorgt. Der (Fabrik-)Arbeiter wurde fortan stellenweise als bloßer Teil einer Maschine gesehen, als Produktionsfaktor, wie Taylor es zynisch formulierte. Eben jener Ökonom war es auch, der mit seinem Prinzip des Taylorismus die Rationalisierung der Arbeitskraft auf den Höhepunkt trieb.
Die Produktivität und die Effizienz der Arbeiter sollten durch die Splittung der Arbeitsschritte in kleinste Prozesse mit jeweils geringen Denkvorgängen erheblich gesteigert werden. Kritisiert wurden hauptsächlich die inhumane Gestaltung der Arbeit, der Verlust beruflicher Autonomie und die anhaltende Unterforderung der Arbeiter. Ausprägungen und eine Weiterentwicklung dieser Modelle und Denkmuster sind heute noch in vielen Unternehmen zu erkennen, die für die IT-Industrie assemblieren.
Bedingt durch steigende Bildungsbemühungen, den Wandel hin zum Dienstleistungssektor und die Informatisierung diverser Arbeitsabläufe, dienten in unseren Breiten solche Vorstellungen jedoch (überwiegend) bald aus.
Obgleich diese Entwicklungen nun fast ein Jahrhundert zurückliegen, erscheint der Bezug zur Idee des vernetzten Unternehmens, welche eben auch auf Arbeitsteilung, Produktivitäts- und Effizienzsteigerung abzielt, zunächst vermeintlich plausibel. Stellt das "Unternehmen als Netzwerk" also einen Rückschritt im Sinne des Taylorismus dar? Sind die gegenwärtigen Entwicklungen, mit all ihren vermeintlichen Vorteilen, bloß wieder ein Versuch, die menschliche Arbeitskraft möglichst effizient auszubeuten?
Rolle, Bedeutung und Relevanz des Arbeitsplatzes
Der Arbeitsplatz unterliegt in den letzten drei, fünf, zehn beziehungsweise eigentlich schon in den letzten 100 Jahren einem drastischen Wandel, ob gesellschaftlich, individuell oder technologieseitig. Im 19. Jahrhundert waren es zum Beispiel Telegrafie und Telefonie. Im 20. Jahrhundert waren es moderne Schreibmaschinen, die Gestaltung von Arbeitsplätzen oder das papierfreie Büro. Vor etwas mehr als einem Jahrzehnt waren die E-Mail oder "der Heimarbeitsplatz" das Leitbild der neuen Arbeitswelt. Im neuen Jahrtausend kamen die Themen Kollaboration und gemeinschaftliches Arbeiten (Social Business) hinzu - auch über Unternehmensgrenzen hinweg. Gegenwärtig sind es vernetzte Unternehmen - oder sogar Marketing-Phrasen wie das "Unternehmen als Netzwerk".
Einige Konzepte konnten sich nachhaltig durchsetzen, andere hatten eine kurze Hochzeit, und wieder andere Organisationsansätze konnten die Erwartungen nie erfüllen. Was jedoch bleibt, ist die Erkenntnis, dass der Fortschritt der Arbeitswelt permanent und andauernd stattfindet. Eine weitere zentrale Erfahrung ist, dass jeder Wandel, jede Entwicklung und jede Umstrukturierung offen in ihrer Grundkonzeption gestaltet werden muss. Das bedeutet unter anderem, dass technologische Offenheit und Agilität grundlegend für die Leistungsfähigkeit einer Strategie sind. Nur so können zukünftige Entwicklungen antizipiert und umgesetzt werden. Und nur so können operative Korrekturen an der Strategie vorgenommen werden.
So galten bis vor kurzem noch fest installierte Desktop-PCs als optimale Ausstattung von Büro- und Wissensarbeitern. Doch innerhalb von wenigen Jahren haben sich durch neue Endgeräte wie Smartphones und Tablets auf der einen Seite und neue Services auf der anderen Seite die Anforderungen an die IT-Ausstattung maßgeblich geändert. Die gesamte Arbeitswelt wurde quasi mit einem Wimpernschlag auf Mobilität und Flexibilität gedreht. Hieraus entstanden nicht nur Chancen für die Unternehmen. Vielmehr ergeben sich auch Herausforderungen für die Gestaltung der Arbeitsumwelt, die Einhaltung rechtlicher Rahmenparameter (zum Beispiel Datenschutz) und an die gesamte Ausrichtung der Organisation.
Dabei darf nicht vergessen werden: Werte bedingen einander, brauchen einander und begrenzen einander. Entscheidet sich ein Unternehmen dafür, die Arbeitswelt und die Interaktion zwischen einzelnen Personen, Teams und Unternehmen flexibler und offener zu gestalten, entsteht auch der Bedarf an einer Diskussion über Werte. Ein solcher Wert ist Vertrauen. Grundlage für Vertrauen ist Transparenz. Organisationsform und IT-Technik können Transparenz schaffen. Es werden Freiräume benötigt. Es geht darum, die Möglichkeiten, die das einzelne Individuum oder das Team (oder der Kunde oder der Lieferant etc.) hat, in eine Idee zu gießen. Hierfür werden Freiräume benötigt. Das Fundament von Freiräumen ist Vertrauen. Die Blaupause von Vertrauen ist Transparenz.
Wird Transparenz gewollt, sind offene Räume notwendig. Und dies kommt dem Charakter von Menschen entgegen, da Menschen von Natur aus nicht dafür geschaffen sind, in geschlossenen Räumen zu leben. Dies betrifft auch die Arbeitswelt. "Geschlossene Räume" sind hier nicht im Sinne der Architektur zu verstehen, sondern vielmehr im Sinne von Denkmustern, Arbeitsweisen, Verhaltensmustern. Deshalb muss bei der "Architektur" der Arbeitswelt dafür Sorge getragen werden, dass der Einzelne am Tagesverlauf der Masse teilhaben kann - und umgekehrt. Jedoch ist hiermit nicht der gläserne Mensch gemeint und darf auch nicht als Ziel verstanden werden.
Was zu tun ist
Versetzen Sie sich zurück in das Jahr 2000. Eventuell in den März 2000. Also an den Zeitpunkt, wo die weltweite Spekulationsblase platzte, die auch unter dem Begriff "Dotcom-Blase" bekannt wurde. Einem Zeitpunkt also, ab dem nicht nur große Skepsis gegenüber Spekulanten herrschte, sondern auch neue Technologien und Geschäftsmodelle argwöhnisch betrachtet wurden. Hätte eben gerade zu diesem Zeitpunkt jemand behauptet, dass bereits zehn oder 12 Jahre später eine größere Zahl von Menschen mit einem handlichen Gerät per Messaging oder E-Mail von unterwegs bei Unternehmen verschiedenste Dienstleistungen nachfragt, sich mit Freunden und Bekannten jederzeit austauscht oder sich sogar über diese oder ähnliche Geräte mit dem eigenen Arbeitsplatz vernetzt, hätte man ihn wahrscheinlich ausgelacht. Heute sind wir schlauer: Mobile Geräte und die damit verbundenen Anwendungen und Datendienste haben die Art und Weise verändert, wie die Welt sich dreht. Aber auch die klassische stationäre Arbeit hat sich weiterentwickelt. Die Digitalisierung der Arbeitswelt führte - und führt - zu einer Neuordnung formaler und informeller Prozesse in Unternehmen. Der Arbeitsraum hat sich für viele Menschen ausgedehnt und ist nicht mehr durch Raum, Ort oder Zeit limitiert.
Hierdurch kann die Vereinbarkeit von Beruf und Familie für Frauen und Männer in vielen Berufen tatsächlich erreicht werden. Familienfreundliche flexiblere Arbeitszeiten werden Voraussetzung und sind geeignete Rahmenparameter, die einerseits etablierte Werte erhalten, andererseits jedoch einen wettbewerbskonformen Fortschritt ermöglichen. Auch deshalb wird gefordert: Anstatt sich mit einer Frauenquote zu beschäftigen, müsste die EU-Kommission eine Diskussion darüber anstoßen, wie Europa im 21. Jahrhundert auf den globalen Märkten wettbewerbsfähig bleibt und welche Rahmenparameter notwendig sind. Statt sich über die sinkenden Geburtenraten auszulassen, sollte die Bundesregierung Gesetze schaffen, die für unterschiedliche Qualifikationsprofile und Lebenssituationen mobile, ortsungebundene und wettbewerbsfähige Arbeitsplätze ermöglichen.
Das vernetzte Unternehmen - respektive das "Unternehmen als Netzwerk" - wird als Teil einer Organisationsform in Unternehmen, als Geschäftsmodell und in der Gesellschaft nur funktionieren, wenn die jeweils beteiligten Parteien ihre Interessen nicht optimieren. Mit anderen Worten: Es gilt, sich vom Modell des Homo oeconomicus - und der in den letzten Jahren gelebten Form der Marktwirtschaft und des Kapitalismus - zu trennen. Das Reduzieren einer komplexen Welt und unserer Vernunft auf nur zwei mathematische Funktionen - einer Nutzenfunktion und einer Wahrscheinlichkeitsfunktion - führt uns zu einer falschen Systemeinschätzung. Benötigt wird eine Anpassung der Rahmenparameter, die eine soziale Marktwirtschaft im 21. Jahrhundert ermöglichen, Wettbewerbsvorteile bieten und in globale Wertschöpfungssysteme passen.
Unternehmen müssen eine Strategie verfolgen, bei der immer mehr Mitarbeiter mit immer mehr - respektive immer besseren - Kommunikationsmitteln versorgt werden, die eigene Organisation zu vernetzen, um damit den Austausch von Informationen und Wissen zu forcieren. Sollen die Vorteile bei uns - in Deutschland - gehoben werden, so benötigen wir eine neue Wirtschaftspolitik und einen erweiterten Begriff der Wohlstandsproduktion. Ein solches Modell - eine solche Politik - muss für umfassende Verfügbarkeit von Technik, Prävention und Schadensvorsorge sorgen sowie eine demokratische Mitbestimmung ermöglichen.