Unsere Innovationsförderung ist veraltet

07.09.2005 von Karin Quack
Konstruktive Vorschläge bestimmten die "Computerwoche"-Diskussion zum Thema IT-Standort Deutschland.

Hier lesen Sie ...

  • woran die deutsche IT-Szene krankt;

  • wie Bundestagsabgeordnete von SPD und FDP die Situation sehen;

  • warum Risikokapital nicht nur Vorteile bringt;

  • was Wissenschaftler und Unternehmer an der staatlichen Förderung kritisieren;

  • welche Alternativen sie vorschlagen.

Das Wagniskapital für IT-Unternehmungen in Europa und Deutschland schwindet rapide.

Nur acht Prozent der Deutschen halten die Berufgruppe der Politiker zumindest für halbwegs vertrauenswürdig. So das Ergebnis einer vor wenigen Monaten vorgenommenen Umfrage der Gesellschaft für Konsumforschung (GfK). In diesem Lichte betrachtet, hat wohl nur ein kleiner Teil der Bevölkerung die viel zitierte Kanzleransprache zum 1. Januar 2004 überhaupt ernst genommen. Dabei dürfte Gerhard Schröder nicht einmal gelogen haben, als er erklärte: "Wir wollen Deutschland bei Erfindungen, bei Innovationen in Forschung und Technik an der Weltspitze sehen - auch in Bereichen, in denen uns andere Länder inzwischen die führende Position streitig machen." Den Willen spricht dem Kanzler kaum jemand ab. Doch Viele fragen sich, ob die hierzulande etablierte Form der Wirtschafts- und Technikförderung eigentlich noch zeitgemäß ist. Die comuterwoche lud Politiker, Wissenschaftler und Unternehmer ein, um über den Innovationsstandort Deutschland zu diskutieren.

"Wir haben Grund, unzufrieden zu sein", fasste August- Wilhem Scheer, Professor für Wirtschaftsinformatik an der Universität des Saarlandes und Gründer der IDS Scheer AG, Saarbrücken, die vorherrschende Meinung in Wirtschaft und Forschung zusammen. Deutsche Unternehmen seien von vielen IT-Märkten verschwunden, auf denen sie einmal führend waren: Hardware, Computer Aided Design (CAD), Datenbanksoftware etc. In den Listen der umsatzstärksten Software- und Serviceunternehmen, wie sie das Marktforschungsunternehmen Lünendonk jährlich veröffentlicht, nähmen die Ableger ausländischer Unternehmen die Spitzenplätze ein: "Außer SAP haben wir auf dem Softwaremarkt nicht mehr viel zu bieten."

Harald Summa, Geschäftsführer des Electronic Commerce Forum e. V. (ECO), setzte noch Einen drauf: "Vieles, was wir am Markt vertreten, ist importiert", so der Sprecher der deutschen Internet-Wirtschaft. Vor allem der Telekommunikationsbereich leide hierzulande immer noch an den Folgen des zu spät de- regulierten Marktes.

Jörg Überla, Wellington Partners: "Wir versuchen, Manager aus den USA zur Rückkehr zu überreden."

In anderen Ländern sorge die Politik dafür, dass aus Ideen Konzepte würden, so einige der Diskussionsteilnehmer. Scheer verwies in diesem Zusammenhang auf Irland und besonders Finnland, wo die frühe Deregulierung den langjährigen Mobilfunk-Primus Nokia hervorgebracht habe. "Die Finnen haben gesagt, sie wollen, dass Nokia das weltweit führende TK-Unternehmen wird", stimmte Summa zu - um sogleich einzuräumen: "So etwas können wir hier nicht machen."

Technikfeindlichkeit oder nur eine gewisse Skepsis?

Doch Scheer hat in Deutschland nicht nur mangelnde Initiative für, sondern auch latente Ablehnung gegen neue Technologien beobachtet: "Hier stehen bei Innovationen immer die Risiken im Vordergrund", schimpfte der unternehmerisch tätige Hochschullehrer. Das wollte Jörg Tauss, bildungs- und forschungspolitischer Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion, nicht auf sich und dem Land sitzen lassen: "Deutschland ist nicht technikfeindlich, es gibt nur eine gewisse Skepsis."

Manfred Broy, TU München: "Die Inhalte stimmen nicht. Wir fördern immer noch mehr die Physik als die IT."

Der Abgeordnete verwies auf die seit 1998 um ein Drittel gestiegenen Studentenzahlen, die Position Deutschlands als "Forschungsstandort Nummer zwei" sowie diverse staatliche Initiativen wie das jetzt auslaufende Programm "IT-Forschung 2006". "Wir haben Vieles erreicht", warf er sich in die Brust. Allerdings sei das keineswegs genug. Die amtierende Regierung verfolge das Ziel, drei Prozent des Brutto- inlandprodukts in Forschung und Entwicklung zu investieren. Derzeit seien es etwa zweieinhalb Prozent.

Die forschungspolitische Sprecherin der FDP-Fraktion, Ulrike Flach, ließ diese Chance zum parteipolitischen Schlagabtausch nicht ungenutzt. Im Einklang mit der liberalen Tradition konzedierte sie zwar, dass der Staat gegen die Technikfeindlichkeit seiner Bürger nichts tun könne. Gleichzeitig warf sie jedoch den Regierungsparteien vor, sie hätten das Positive an den neuen Techniken nicht genügend herausgestellt. Und hinsichtlich der Unterstützung von Forschung und Entwicklung erscheint ihr das von Tauss formulierte Drei-Prozent-Ziel zu schematisch: "Wir halten mehr von durchgängiger und wettbewerbsorientierter Förderung als davon, stur drei Prozent an die großen Institute zu verteilen".

August-Wilhelm Scheer, IDS: "Was nutzen Elite-Universitäten, wenn es keine Arbeitsplätze für die Absolventen gibt?"

Auch Scheer übte Kritik an den staatlichen Initiativen. Seiner Ansicht nach ist die Technikförderung zu stark auf das Hervorbringen von Ideen fokussiert. Er definiere Innovation im Sinne des österreichischen Ökonomen Joseph Schumpeter, der darunter nicht die bloße Erfindung, sondern die Durchsetzung einer Neuerung verstand: "Was nutzen Elite-Universitäten, wenn es keine Arbeitsplätze für die Absolventen gibt? - Dann haben wir doch nur andere Volkswirtschaften subventioniert."

Gegen den Vorwurf des Hochschullehrers setzte sich der SPD-Abgeordnete Tauss sofort zur Wehr: "Ist es der Job der Politik, Ergebnisse umzusetzen?" fragte er. Zumindest müsse sie den Erfolg der Förderprogramme einer kritischen Prüfung unterziehen, entgegnete Scheer. "Wir geben noch immer viel Geld für die Forschung aus, aber es gibt kein Controlling", schimpfte der deutsche Vorzeigeprofessor, "es ist nichts damit getan, wenn man statt zweieinhalb drei Prozent des Bruttoinlandprodukts aus dem Fenster wirft."

Die Bedeutung der IT wird unterschätzt

Harald Summa, ECO: "Viele Unternehmen gehen gezielt auf die Fördertöpfe los."

Schützenhilfe erhielt Scheer von seinem Professorenkollegen Manfred Broy. "Die Inhalte stimmen nicht", kritisierte der Lehrstuhlinhaber für Software und Software-Engineering an der Technischen Universität München (TUM): "Wir fördern immer noch mehr die Physik als die IT." Die Bedeutung der IT als eine Querschnittstechnik werde unterschätzt.

Als Ursache für solche Fehlentwicklungen hat Broy vor allem den Lobbyismus ausgemacht. Auch ECO-Geschäftsführer Summa bemängelt die Art und Weise der Mittelvergabe: "Viele Unternehmen gehen gezielt auf die Fördertöpfe los. Das ist kontraproduktiv."

Als Leiter des Fraunhofer-Instituts für experimentelles Software-Engineering (IESE) gehört Dieter Rombach zu den Nutznießern der staatlichen Förderung. Dennoch hatte auch er Kritik anzumelden - insbesondere an der Zusammensetzung der Fördergremien: "Bei uns bestehen die Gremien aus Leuten, die lebenslang darin sitzen. In den USA machen aktive Forscher für ein paar Jahre mit."

Fehlendes Marketing-Know-how bremst gut Ideen aus

Joe Weineck, Epoq Knowledgeware: "Die Vergabe von Mitteln ist an den Nachweis von Inkompetenz gebunden."

Den Umsetzungsaspekt brachte Jörg Überla, General Partner des Venture-Capital-Unternehmens Wellington Partners GmbH aus München, wieder ins Spiel. Seiner Ansicht nach gehe es nicht so sehr darum, wieder und wieder die Forschung zu stärken, sondern das Marketing-Know-how der Unternehmen. Hier liege bei Startups Einiges im Argen.

Eine "Marketing-Schwäche in Deutschland" hat auch Joe Weineck, Geschäftsführer des Startup-Unternehmens Epoq Knowledgeware GmbH in Karlsruhe, festgestellt: "Das, womit man im Rest der Welt Geld verdient, kommt aus Deutschland", stellte der Softwareunternehmer fest.

Mehr Unterstützung beim Erobern ausländischer Märkte wünscht Scheer den jungen deutschen Firmen. "Wir haben nicht genug große Untenehmen, die die kleineren mit in die Internationalisierung ziehen", bedauert er. Stattdessen würden viel versprechende Newcomer meist von ausländischen Firmen aufgekauft. Daran änderten auch Initiativen wie der kürzlich installierte "High-Tech-Gründerfond" nichts.

"Naives" Outsourcing heißt oft Know-how-Verlust

"Den Studenten, die sich selbständig machen wollen, fehlen ältere Business Angels, die ihnen so Einiges abnehmen", bestätigte TUM-Professor Broy. Er sehe viele Leute mit Ideen, aber wenige, die ihnen bei der Umsetzung helfen. Der Risikokapitaleber Wellington Partners hat Ähnliches beobachtet. Deshalb arbeitet er an einer Rückrufaktion für ausgewanderte Business-Experten. "Wir versuchen, Manager aus den USA zur Rückkehr zu überreden", berichtete Überla.

Die USA gelten nach wie vor als das Mekka des "Unternehmergeistes". Aber innovative Ideen entstehen auch in anderen Teilen der Welt. "Wir brauchen Innovationsketten auch zu den Ländern der dritten Welt", erinnert Broy an das Potenzial, das beispielsweise in Asien schlummert. Ein Fehler sei es jedoch, die Softwareentwicklung "naiv" auszulagern: "Damit geben wir das Beste weg, das wir haben."

Ulrike Flach, FDP: "Wir halten viel von durchgängiger und wettbewerbsorientierter Förderung."

Als Alternative zur staatlichen Förderung gilt das sogenannte Risikokapital, englisch: Venture Capital oder kurz VC. Hier sieht es aber für deutsche IT-Startups gar nicht gut aus: Den aktuellen Zahlen der Wirtschaftsprüfungsgesellschaft Ernst & Young zufolge flossen im ersten Halbjahr 2005 nur 75 Millionen Dollar in aufstrebende Kommunikations-, Elektronik-, IT-Service- und Softwareunternehmen aus heimischen Gefilden. Im vergangenen Jahr waren es knapp 90 Millionen - ganz zu schweigen vom ersten Halbjahr 2000, als die VC-Mittel für hiesige IT-Firmen bei einer runden Milliarde Euro lagen (siehe Grafik).

"Das VC-Problem kann der Staat nicht lösen", gab FDP-Specherin Flach zu bedenken: "Wir sehen mit Sorge den Rückschritt, aber das Kapital geht dahin, wo es am sichersten ist." Unternehmensgründer Weineck gab zurück, der Neue Markt habe das Gegenteil bewiesen. Und für den Venture-Capital-Experten Überla kann die Gesetzgebung durchaus zu einem investitionsfreundlichen Klima beitragen. Das Fundraising habe in den vergangenen zwei Jahren darunter gelitten, dass die steuerliche Einstufung als "nicht gewerblich" unzureichend geregelt sei.

Jörg Tauss, SPD: "Wir haben viel erreicht, aber es ist noch nicht genug."

Aus Weinecks Sicht hapert es am Sachverstand der Kapitalgeber. "Die Vergabe von Mitteln ist an den Nachweis von Inkompetenz gebunden", spottete er, "von der Bank bekommen Sie nur Geld, wenn Sie glaubhaft machen können, dass Sie es nicht brauchen." Um das zu ändern, benötige Deutschland eine "Innovationskultur". In den USA beispielsweise bekämen Unternehmer auch Geld, "wenn sie zweimal auf die Schnauze gefallen sind".

Wagniskapital hat auch negative Auswirkungen

Venture Capital allein könne aber nicht die Lösung aller Innovationsprobleme sein, wandte TUM-Professor Broy ein - im Gegenteil: "Manche Firmen leiden sogar darunter." Fraunhofer-Manager Rombach teilte Broys Einwand: Das Wagniskapital erlaube es den geförderten Unternehmen häufig nicht, ihr Produkt wirlich fertig zu stellen, sie müssten vielmehr gleich Gewinne machen.

Dieter Rombach, Fraunhofer IESE: "In unseren Schulen unterrichten Geistes- und Naturwissenschaftler, nicht Ingenieure."

Umso wichtiger ist eine vernünftige staatliche Förderungspolitik. Allerdings muss sich nach Ansicht der Wissenschaftler und Unternehmer die derzeitige Praxis ändern: "Die jetzige Förderung unterstützt das Vertikaldenken", konstatierte Rombach. Sinnvoller wäre es seiner Ansicht nach, staatliche Gelder an eine übergreifende Zusammenarbeit zwischen Industrie und Wissenschaft zu koppeln. Das bedeute gleichzeitig, nicht Firmen, sondern Projekte zu unterstützen.

Mit diesem Vorschlag stieß der Fraunhofer-Professor auf die Zustimmung seines Standeskollegen Broy. Die Verantwortlichen für die Fördermittel sollten sich vor allem eine Frage stellen: Aus welchen Gebieten wollen wir in fünf oder zehn Jahren einen wesentlichen Teil unserer Wirtschaft ziehen? "Das würde auch den Schülern helfen, sich für eine Ausbildung zu entscheiden." Im Gegensatz zu den Politikern klagen die IT-Professoren über schwindende Absolventenzahlen in ihrem Fach. Rombach macht auch Versäumnisse in der vorakademischen Ausbildung dafür verantwortlich: "In unseren Schulen unterrichten Geistes- und Naturwissenschaftler, nicht Ingenieure."

Einen viel beachteten Vorschlag brachte schließlich der IDS-Gründer Scheer ins Spiel. Er nannte es das "Hundert-mal-hundert-Programm" (siehe Kasten). Dessen Ziel sollte es sein, 100 Hightech-Unternehmen auf einen Umsatz von 100 Millionen Euro im Jahr zu bringen. Wie Scheer erläuterte, müssten beispielsweise Fördergelder für größere Unternehmen an die Einbindung kleiner Startups gebunden sein. Auch zum internationalen Marketing könnte der Staat beitragen: "Warum nimmt der Kanzler nicht die Geschäftsführer von Kleinunternehmen mit nach China - statt immer die Vertreter von Siemens?"