Umstrittene Eignungstests für IT-Studenten

04.04.2002 von Bettina Wirth
Unzufrieden mit dem Niveau der Abiturienten, wollen erste Informatik-Fakultäten an den Universitäten einen Eignungstest einführen. Allerdings sind Zweifel angebracht, ob dies der Weg ist, die "richtigen" Studenten zu finden.

„Die Informatik ist in den vergangenen Jahren zum Modefach avanciert“, so die Einschätzung von François Bry, Professor für Informatik an der Universität München. „Zu viele Studenten beginnen ihr Studium mit den falschen Erwartungen.“ Die Abiturienten seien zwar in der Lage, die Werkzeuge zu benutzen, doch konfigurieren könnten sie sie nicht.

Im Klartext: MP3-Files aus dem Internet herunterzuladen befähigt noch nicht zum Informatikstudium. Rund die Hälfte der deutschen Informatikstudenten ist mit dem Studium überfordert und bringt es nicht zu Ende. An den Universitäten beträgt die Abbrecherquote knapp 60 Prozent, während an den Fachhochschulen und Berufsakademien 40 Prozent der Informatikstudenten vorzeitig aufgeben. An den Unis rechnen die Professoren sogar mit einer weiteren Steigerung der Abbrecherquote.

Bundesweiter Numerus Clausus abgelehnt

Trotzdem lassen sich Studienanfänger zunächst nicht vom Informatik-Studium abhalten - wohl auch, weil die Bundesregierung in Kampagnen für diese Ausbildung wirbt und Experten den Nachwuchsbedarf sowie die guten Berufsaussichten betonen. In München leidet der Fachbereich deshalb unter einer 200-prozentigen Auslastung. Entsprechend haben sich die Studienbedingungen verschlechtert.

Doch wie sollen die Abbrecherzahlen verringert und der starke Zustrom von Studienanfängern kanalisiert werden? In der Vergangenheit diskutierten Bildungsexperten den Numerus clausus als Regulierungsmechanismus. Diese Form der Zulassungsbeschränkung grenzt Interessenten aufgrund ihres Abiturdurchschnitts aus. Einseitig begabte Schüler haben somit keine Chance, ihre Fähigkeiten in fachbezogenen Tests unter Beweis zu stellen. Deshalb lehnten die zuständigen Gremien im vergangenen Jahr eine bundesweite Zulassungsbeschränkung ab. Einige stark überlastete Universitäten wie Karlsruhe und Stuttgart führten daraufhin einen lokalen Numerus clausus ein.

Um die Studierfähigkeit der Abiturienten zu ermitteln, entwickelte Informatikprofessor Bry mit Kollegen einen Eignungstest, mit dem Interessenten auf freiwilliger Basis feststellen können, ob sie die Art des Denkens beherrschen, die ein erfolgreiches Informatikstudium erfordert.

Bry entwarf Aufgaben, die Logik, Abstraktionsvermögen sowie algorithmisches und analytisches Denken testen. Außerdem können die Selbsttester ihr Verständnis deutscher und englischer Texte erproben und eine Mathematikaufgabe lösen. Zwölf Fragen und gute drei Stunden später darf sich der Tester zur Auswertung durchklicken. Zwei Drittel der Aufgaben sollten korrekt beantwortet sein. Wer nur auf wenigen Themengebieten brillierte, ist eher ungeeignet.

Logik und Sprache auf dem Prüfstand

Die freiwillige Prüfung schloss offensichtlich eine Informationslücke bei vielen Ratsuchenden: Über 38 000 Mal wurde der Test von der Homepage der Münchner Informatik aufgerufen. Bry und seine Kollegen erhielten Dutzende E-Mails mit Reaktionen. Informatikstudenten bestätigten den Erfindern, dass der Test zwar schwer sei, dafür aber künftige Anforderungen genau abbilde.

Andreas Nill etwa studiert im dritten Semester Informatik. Er stieß im Internet auf die Aufgaben und absolvierte sie aus Neugier: „Der Test ist sehr gut, und ich empfehle ihn jedem, der vorhat, das Fach zu studieren. Er prüft die Informatik-typischen Denkmuster und ob man sich für derartige Fragen begeistern kann.“ Bry betont, dass „keine Informatikkenntnisse abgefragt werden, denn die sollen die Studenten ja bei uns lernen“. Ermittelt wird stattdessen das intuitive Verständnis von Themen wie Laufzeitkomplexität, Rekursion und Korrektheit, Logik und Sprache. Dafür seien keine Vorkenntnisse erforderlich.

Eignungstests werden Pflicht

Auch Manuela Fuchs, Gymnasiastin der 13. Klasse, versuchte sich an dem Test. Sie beurteilt ihn als schwer: „An einigen Aufgaben haben unsere so genannten Genies aus dem Mathematikleistungskurs herumgerechnet. Aber sogar die haben versagt“, berichtet sie. Die Abiturientin beschäftigte sich mit den Aufgaben, weil sie gern Informatik oder Physik studieren würde, doch der Test nahm ihr ein wenig den Mut, wie sie zugibt: „Ich hatte wirklich vor, dieses Fach zu studieren. Mittlerweile bin ich mir aber nicht mehr sicher. Besonders die Logikaufgaben haben mir Kopfzerbrechen bereitet.“

Auch die Schüler von Oberstufenlehrer Karl-Heinz Kern, der den Test in der Schule angeboten hatte, beurteilten den Test als sehr anspruchsvoll. Trotzdem scheint ihm die Zielrichtung sinnvoll, denn Kern berichtet auch: „Die am Informatikstudium interessierten Schüler fühlten sich bestätigt, nicht abgeschreckt.“

Trotz der Schwierigkeiten, die viele Probanden bei den Aufgaben hatten, sind sich doch alle einig, dass der Test sehr gelungen ist. Selbst ein Diplominformatiker gestand ein: „Die Fragen hatten auch für mich einen hohen Schwierigkeitsgrad.“ Als sehr gut empfand er, dass sich der Test nicht darauf bezieht, was viele Leute fälschlicherweise von einem Informatikstudium erwarten, nämlich Programmieren und Installieren von Software. Vielmehr erprobe er logisches Denken und Abstraktionsvermögen. Deshalb vermittle der Test, worauf es beim Studium ankommt.

Was als freiwillige Prüfung entwickelt wurde, wird zumindest an der Ludwig-Maximilians-Universität (LMU) Pflicht. Wie ein Sprecher des Bayerischen Wissenschaftsministeriums mitteilte, trat die Verordnung für das Eignungsfeststellungsverfahren, wie der Informatikertest im Amtsdeutsch heißt, am 15. März in Kraft. Für alle bayerischen Universitäten gilt dies als Startschuss, verbindliche Tests zu entwickeln und durchzuführen. Die LMU wird ab dem nächsten Wintersemester mithilfe des Pflichttests ihre Kandidaten aussieben.

Unis müssen Studenten besser betreuen

Aber ist dies die richtige Maßnahme, um die hohe Abbrecherquote von rund 50 Prozent zu senken? Begeistert man so die „richtigen“ Studenten für ein Informatikstudium? Bundesbildungsministerin Edelgard Bulmahn hat sich im CW-Interview (siehe CW13/02, Seite 10) gegen Eignungstests für Informatikstudenten ausgesprochen. Angesichts der nach wie vor zu niedrigen Absolventenzahlen müssten Hochschulen die Studenten besser beraten und betreuen und den Praxisbezug im Studium erhöhen, um die Abbrecherzahlen zu senken: „Hochschulen sollten ihren Studierenden die Möglichkeit geben, Schwächen im mathematischen Bereich zu beseitigen.

Nur wenige Hochschulen bieten ihnen Kurse an, um die Lücken zu schließen. Es wäre auch sinnvoll, wenn Prüfungen in den Semesterferien nachgeholt werden könnten, damit die Studenten nicht wieder ein ganzes Semester anhängen müssen.“ Auch im nordrhein-westfälischen Bildungsministerium lehnt man Eignungstests ab. Dazu Pressereferentin Christiane Vielhaber: „Eignungstests halten wir für das falsche Signal. Wir wollen das Studium grundsätzlich offen halten.“

Die Hochschulen sollten ihre Klientel lieber besser beraten anstatt auszusieben. Wichtig sei zum Beispiel, die angehenden Studenten auf weniger ausgelastete Studienstandorte hinzuweisen. Außerdem müssten die Interessenten besser darüber informiert werden, was sie im Studium wirklich erwartet.

Eignungstest ist "sinnvoller und mutiger Schritt"

Der Vorsitzende der Gesellschaft für Informatik e. V. (GI) Heinrich Mayr sieht die Bewerber durch Eingangstests abgeschreckt. Er betont: „Wir brauchen qualifizierten Nachwuchs.“ Mayr plädiert dafür, dass die Professoren ihre Studenten über Eingangsgespräche auswählen sollten. Den Umstand, dass viele Studenten vor dem Abschluss abspringen, sieht er entspannt: „Ein Studium dauert eben eine gewisse Zeit. Eine anfängliche Orientierungsphase von ein oder zwei Semestern sollten die Studenten zum Umschauen erhalten.“

Die Autonomie der Universitäten bei der Auswahl ihrer Studenten unterstützt auch der Bundesverband Informationswirtschaft, Telekommunikation und neue Medien (Bitkom). Stephan Pfisterer, Bildungsreferent des Branchenverbandes, meint jedoch, dass Eignungsprüfungen durchaus ein weiteres Auswahlkriterium sein sollten: „Das Ziel ist, die Abbrecherquote zu senken und damit die Betreuung der Studenten sowie die Studiermöglichkeiten zu verbessern.“ Vor diesem Hintergrund bezeichnet Pfisterer die Einführung von Eignungstests für angehende Informatikstudenten als „sinnvollen und mutigen Schritt“.

Auswahlverfahren zu zeitintensiv

Der Erfinder des Tests betrachtet die Entwicklung hin zu einer verpflichtenden Eignungsfeststellung durchaus mit gemischten Gefühlen. „Einerseits verhindert der Test, dass Studenten bei der Fächerwahl Fehlentscheidungen treffen.“ Andererseits sei das Personal an den Universitäten bereits jetzt überlastet. Ein Auswahlverfahren mit Gesprächen und Tests würde noch mehr Kapazitäten binden.

Für Pflichttests spreche wiederum, dass sich eine Gesellschaft zu lange Studienzeiten nicht leisten könne. Ein weiteres Gegenargument ist jedoch, dass die freie Wahl des Studienplatzes nicht beeinträchtigt werden darf. Laut Bry wird eine obligatorische Eignungsprüfung zumindest einfacher sein als der von ihm entwickelte Selbsttest - auch wenn noch offen ist, wie die Aufgaben im Einzelnen aussehen werden.

Der vollständige Test ist abrufbar unter http://www.informatik.uni-muenchen.de/  und lässt sich offline bearbeiten.