Transparenter Bebauungsplan

24.11.2005 von Karin Quack
Für die IT-Planung brauchen Großunternehmen wie die BMW Group mehr als Powerpoint-Folien.

Die IT-Landschaft vieler Konzerne ähnelt einem Flickenteppich. In den meisten Fällen haben die Unternehmensbereiche neben eigenen Systemen auch individuelle Prozesse, Methoden und Standards für die Dokumentation und das Management ihrer Architekturen, Anwendungs- und Programm- portfolios entwickelt. Ein einheitlicher Bebauungsplan ist eher die Ausnahme als die Regel.

Hier lesen Sie …

  • wofür Enterprise-Architecture-Management wichtig ist;

  • woran es Powerpoint-Folien, Excel-Tabellen und Access-Datenbanken mangelt;

  • welche Schwerpunkte unterschiedliche Anwenderunternehmen setzen;

  • warum Transparenz nicht immer erwünscht ist.

Die Folgen der mangelhaften Transparenz sind erhöhter Aufwand bei der unternehmensweiten IT-Planung sowie die Gefahr von Überschneidungen, Redundanzen und schließlich verpassten Möglichkeiten. "Mit einer fragmentierten Landschaft vergeben wir Chancen", konstatiert Andreas Lentrodt, General Manager IT Strategy, Planning und Control bei der BMW Group.

Ein unternehmensweiters Architektur-Management-System ermöglicht es den Unternehmen, IT- und Business-Planung besser miteinander zu verzahnen.

Deshalb hat der Münchner Automobilhersteller vor etwa anderthalb Jahren das Projekt "Connect IT" aufgesetzt. Ziel war zunächst eine Plattform für das "Enterprise Architecture Management" oder kurz: EAM. Dieses Bebauungsplan-Management-System soll allen für die IT-Planung zuständigen Mitarbeitern einen detaillierten Überblick über die logischen Bestandteile der IT-Landschaft vermitteln (siehe Kasten "Konzernweite Architekturplanung").

Einheitliche Dokumentation

BMW hat dafür drei "Rollen" konfiguriert - vom unternehmensweiten "Master Planner" über den "Architektur-Manager" bis zum Verantwortlichen für Strategie- und Ziel-Management. Hinzu kommen 2000 "Gelegenheitsnutzer", die lediglich für eine Applikation zuständig sind und deshalb auch nur einen oberflächlichen Einblick in das "Inventory" erhalten. Oder wie Lentrodt es formuliert: "Für sie haben wir das System entrümpelt."

Das Inventory, bisweilen auch Repository genannt, soll sicherstellen, dass alle Elemente der Architektur in einer einheitlichen Sprache beschrieben werden - beileibe keine Selbstverständlichkeit, wie die Strategieverantwortlichen großer Unternehmen bestätigen werden. Schnittstellen zu anderen IT-Management-Systemen, beispielsweise einer Konfigurations-Management-Datenbank (CMDB) oder zum "SAP Solution Manager", verbinden das Planungssystem mit dem operativen Bereich. Für die zweite Projektphase hat sich BMW die Anbindung des Anforderungs-Managements sowie des Programm-Portfolio-Managements aufgehoben.

Die Softwarebasis für Connect IT hat der Automobilkonzern gemeinsam mit dem Berliner Softwareunternehmen Alfabet AG errichtet. Dessen Produkt "Planning IT" liefert die Inventory-Struktur und die Algorithmen für die Planungsmaschine. In Zusammenarbeit mit den Strategie- und Architekturspezialisten bei BMW hat Alfabet das Softwarewerkzeug um die für ein EAM-System notwendigen Funktionen ergänzt. Wie Erik Masing, Vorstandsvorsitzender des Softwarehauses, beteuert, ist das Ergebnis aber keine Individualentwicklung, sondern ein Standard-Tool, das sich ohne Modifikationen auch in anderen Unternehmen nutzen lässt.

Zeichnen ist kein Managment

Wenn BMW ein neues Fahrzeug auf den Markt bringt, sind die zugehörigen Prozesse bereits modelliert. Dazu wird der Automobilproduzent auch weiterhin das Produkt "Aris" von IDS Scheer nutzen.

Bei der IT-Planung behelfen sich viele Unternehmen mit Excel-Tabellen und Access-Dateien - oder mit Powerpoint-Folien. "Aber Powerpoint ist kein Bebauungs-Management, sondern Bebauungs-Zeichnen", spottet Thorsten Hallermeier, verantwortlich für das IT Enterprise Architecture Management bei der BMW Group.

Um die IT-Landschaft beherrschbar zu machen, hat das Unternehmen sie in Cluster aufgeteilt, die auf einer Metaebene wieder zusammengeführt werden müssen: "Das funktioniert nicht mit Powerpoint, dazu braucht man ein zentrales Repository", stellt Hallermeier fest.

Analyse und zeitliche Dimension

Zudem fehlen den Personal Productivity Tools, wie Microsoft seine Office-Produkte nennt, einige Aspekte und Funktionen, die das EAM-System der BMW Group auszeichnen. Dazu zählen vor allem die Analysefähigkeit und die zeitliche Dimension. Die Planungsexperten des Unternehmens erfassen für jedes Ressort den Ist-Zustand der IT-Bebauung im Inventory. Dazu definieren sie verschiedene Stadien des Soll-Zustands - beispielsweise "übermorgen", in fünf oder in 20 Jahren. Jedes abgeschlossene Projekt zieht ein Update des Bebauungsplans nach sich. "Ein Master-Plan ist kein Bild, das in einer Schublade verschwindet", mahnt Hallermeier.

Mit einem solchen zentral gepflegten System lassen sich nicht nur unterschiedliche Sichten auf den Gesamtplan erzeugen, beispielsweise eine Übersicht über alle SAP-Systeme oder alle Anwendungen im US-Werk Spartanburg; vielmehr ist mit seiner Hilfe auch überprüfbar, wo und warum für dieselben Prozesse unterschiedliche Applikationen verwendet werden.

Darüber hinaus liefert das System einen Bezugsrahmen, um neue Projekte in Einklang zu bringen. Und selbstredend lässt es sich auch für das Lifecycle-Management nutzen, also für die Identifikation veralteter Systeme oder Geschäftsobjekte.

Brücke zur ausgelagerten IT

Die Präsentation des BMW-Projekts durch die beiden Planungsverantwortlichen war das Highlight einer Veranstaltung mit Namen "Planning IT Exchange", zu der Alfabet kürzlich etwa 100 Kunden und Interessenten in Berlin begrüßte. Aber auch die anderen Referenten hatten interessante Anwendungen auf der Grundlage von Planning IT vorzustellen.

So beschrieb Christoph Maier, IT-Stratege bei der Bayerischen Landesbank, wie der halböffentliche Finanzdienstleister mit Hilfe des Alfabet-Produkts eine IT-Welt planen will, die er größtenteils - bis hin zur Anwendungsentwicklung - unterschiedlichen Outsourcing-Partnern anvertraut hat. Eine tragende Rolle spielt dabei das Anforderungs-Management. Das EAM-System soll hier die Brücke zwischen der fachlichen Sicht und der ausgelagerten Technik schlagen.

So simpel wie anspruchsvoll

Wie sich Enterprise-Architecture- und Business-Process-Management verbinden lassen, demonstrierte Helge Erbe, IT-Management-Spezialist bei der Daimler-Chrysler Financial Services AG (DCFS). Der Finanzdienstleister des Automobilkonzerns richtet die IT-Planung strikt an einem konzernweit einheitlichen Prozessmodell aus; die Ergebnisse der Prozessmodellierung fließen als XML-Code direkt in das Planungs-Tool ein. Erbes Vision ist so simpel wie anspruchsvoll: "Wir wollen alle Informationen über Anwendungen, Schnittstellen, Services und Plattformen in einem einzigen System verfügbar machen, auf das von überall mit Hilfe eines intuitiven User Interface zugegriffen werden kann."


Genau das läuft aber unter Umständen den Interessen der IT-Planer zuwider, die ihre kleinen Königreiche behalten möchten. "Transparenz ist nicht immer gewünscht", gab Rainer Scheibehenne, Projektverantwortlicher bei der West LB, zu bedenken. Auch in der Westdeutschen Landesbank hätten IT-Management und Anwender auf die Einführung von Planning IT zunächst mit Ablehnung reagiert. Das ist umso verständlicher, als die Bank zuvor schon zweimal versucht hatte, ihre IT-Planung zu vereinheitlichen - mit jeweils anderen Methoden und Werkzeugen.

Prozess-Redesign aufgeschoben


Um das aktuelle Projekt nicht zu überfrachten, hat Scheibehenne zunächst auf ein Redesign der Prozesse verzichtet. Stattdessen wurde das Alfabet-Tool auf Grundlage der existierenden Abläufe implementiert. Darüber hinaus bemühte sich Scheibehenne, durch Überzeugungsarbeit und Schulungen das IT-Management und die skeptischen Anwender ins Boot zu holen. Als günstig habe es sich dabei erwiesen, dass die zentrale IT zwar für die Governance verantwortlich zeichne, die inhaltlichen Details aber den dezentralen Einheiten überlassen blieben.

Softwarewerkzeuge für das Enterprise Architecture Management im Test

Im Auftrag einer Handvoll Anwenderunternehmen hat die Technische Universität München kürzlich neun Softwarewerkzeuge für das Enterprise Architecture Management (EAM) miteinander verglichen. Im Einzelnen untersuchte die Hochschule:

  • "Adaptive EAM" von Adaptive,

  • "Planning IT" von Alfabet,

  • "Adoit" von BOC,

  • "Corporate Modeler Suite & IT Architecture Accelerator" von Casewise,

  • "Aris Toolset" von IDS Scheer AG,

  • "Mega" von Mega International,

  • "Process4.biz" von Process4.biz,

  • "System Architect" von Telelogic und

  • "Metis" von Troux Technologies.

Wie die Wissenschaftler herausfanden, weisen alle diese Produkte spezielle Stärken und Schwächen auf. Nur "Planning IT" habe in jeder Kategorie gleich gut abgeschnitten.

Laut Anbieter ermöglicht der Werkzeugkasten der IT-Organisation, ihre Planung abzubilden, zu analysieren und zu kontrollieren sowie an der Planung der Geschäftsstrategie auszurichten. Dabei unterstütze er alle Aktivitäten des IT-Planungsprozesses.

Im IT-Inventory ist die Architektur erfasst

Der Ist-Zustand der Unternehmensarchitektur wird detailliert im produkteigenen "Logical IT Inventory" erfasst. Um dieses Repository herum gruppiert sich eine Handvoll Module, die jeweils gemeinsam mit einem Kundenunternehmen entwickelt wurden: für das Anforderungs-Management und die Verwaltung von Anwendungsarchitekturen, für Programm-Portfolio- und Werte-Management sowie - last, but not least at all - für das Enterprise Achitecture Management. Die letztgenannte Softwarekomponente lässt sich nutzen, um Unternehmensstandards und Richtlinien zu definieren, das Anwendungsportfolio im Hinblick auf Redundanzen, Kosten und Nutzungsgrade zu bewerten sowie unternehmensweite Bebauungspläne zu erstellen.

Die "physische" IT Umgebung zu katalogisieren gehört hingegen nicht zu den Aufgaben von Planning IT. Auch die Modellierung der Prozesse überlässt es anderen Softwarewerkzeugen wie Aris. Man könnte das Alfabet-Produkt als IT-Governance-Tool bezeichnen, aber davon nimmt der Anbieter lieber Abstand; schließlich soll die Software länger leben als das Schlagwort.