Jedes Wochenende stehen Trainer am Spielfeldrand und weisen ihre Mannschaft an, das Runde in das Eckige zu transportieren. Sind das nun Trainer oder Coaches? In aktuellen Musik-Casting-Shows tummeln sich Coaches auf bequemen Sofas und coachen ihre Sänger. Oder die Profis aus dem Musikgeschäft sagen ihren Schützlingen, wie sich die neuen Superstars am besten auf der Bühne präsentieren sollen. Sind sie Mentoren oder Coaches?
Die Begrifflichkeiten sind unklar und gehen wild durcheinander. Das gilt auch für den IT-Bereich. Befragt man IT-Abteilungen zum Thema Coaching im Projekt-Management, ist die Antwort häufig: "Das machen wir schon lange". Bei genauem Nachfragen stellt sich jedoch oft heraus, dass die durchgeführten Prozesse eher in den Bereichen Training oder Mentoring angesiedelt sind.
Trainer oder Coach?
Welche Unterschiede zwischen den Konzepten "Training", "Mentoring" und "Coaching" bestehen, wird anhand eines Beispiels aus der IT klar:
Herr C. ist ein 30-jähriger Informatiker mit einer akademischen Ausbildung im Bereich der technischen Informationstechnologie. Nach seinem erfolgreichen Abschluss arbeitet er seit fünf Jahren in einem Softwareunternehmen als ERP-Consultant. Nach anfänglicher Tätigkeit als Entwickler passt er Softwareinstallationen direkt beim Kunden an. Er bekommt seine Aufträge direkt von der Projektleitung und kann somit passive Projekterfahrung in den Bereichen Projektsteuerung vorweisen. Er berichtet seine Arbeitsergebnisse auf Anforderung oder situationsbedingt an die Projektleitung. Nachdem das Unternehmen und die Kunden mit seiner Arbeitsleistung sehr zufrieden sind, soll er künftig als Projektleiter eingesetzt werden.
Zur Unterstützung von Herrn C. bei der Wahrnehmung dieser neuen Aufgabe hat das Unternehmen mehrere Möglichkeiten.
Training
Das Unternehmen entscheidet sich, Herrn C. auf ein Projekt-Management-Seminar zu schicken. In diesem mehrtägigen Seminar lernt der künftige Projektmanager die theoretischen Grundlagen des Projekt-Managements (PM). Neben den klassischen Phasen eines Projektes werden der Sinn und die Bedeutung einzelner PM-Elemente vorgestellt. Je nach Internationalität des Unternehmens von Herrn C. orientieren sich die Trainings an den Standards der internationalen Verbände und finden in deutscher oder englischer Sprache statt.
Der Vorteil dieser Trainings ist, dass die Teilnehmer in wenigen Tagen einen kompletten Überblick über die Projekt-Management-Arbeit erhalten. Problematisch ist jedoch, dass der Überblick allein dem Schulungsteilnehmer meist nicht hilft, künftige Projekte alleine zu managen. Der notwendige Praxistransfer findet kaum statt. Zudem werden diese Trainings oft für Teilnehmer aus verschiedenen Branchen angeboten, so dass konkrete IT-relevante Fragen kaum gestellt werden können.
Mentoring
In Fall von "Mentoring" stellt das Unternehmen Herrn C. einen erfahren Projektleiter zur Seite, der sein fachliches Wissen und seine Erfahrungen als Projektmanager an Herrn C. weitergibt. Ziel des Mentoring ist, das Nachwuchstalent in seiner beruflichen und fachlichen Entwicklung zu unterstützen. Hierbei gibt der Mentor Herrn C. konkrete Anweisungen und Tipps für die tägliche Projektarbeit.
Will Herr C. zum Projektstart beispielsweise eine Risikoliste erstellen, könnte der Mentor ein Muster aus dem Projekt-Management-Handbuch oder eine Risikoliste aus einem ähnlich gelagerten Projekt holen. Anhand dieser Vorlagen erklärt der Mentor Herrn C., welche Bedeutung diese Risikoliste hat, welche Art von Risiken es in dem Projekt geben könnte und welche Maßnahmen Herr C. ergreifen sollte, um die Risiken zu vermeiden und die Eintrittswahrscheinlichkeit oder das Ausmaß zu verringern. Herr C. kann den Mentor auch direkt um dessen Meinung bei einzelnen Situationen bitten.
Das Mentoring wird heute sehr erfolgreich als Personalentwicklungsinstrument in deutschen IT-Unternehmen eingesetzt. Die Betreuung der Nachwuchskräfte geht über eine längere Zeit. Im Projekt-Management empfiehlt sich, Mentoring über die gesamte Projektlaufzeit einzusetzen. Im Fall von Herrn C. würde ihm in allen Phasen des Projekts ein erfahrener Projektmanager zur Seite stehen.
Ein Kennzeichen des Mentoring ist zudem, dass der Mentor im Hintergrund arbeitet und nicht die operative Projektleitung beim Kunden übernimmt. Bei der richtigen Anwendung stellt das Mentoring eine ideale Ergänzung zu Grundlagen-Trainings dar, um den Praxistransfer im Unternehmen herzustellen und den neuen Projektleiter nicht alleine zu lassen.
Coaching
Die Vorgehensweise beim Coaching unterscheidet sich im Wesentlichen von den bisherigen Methoden in der Form, dass der Coach keine operativen Handlungsanweisungen gibt. Coaching ist gemäß dem Deutschen Verband für Neurolinguistisches Programmieren (DVNLP) - eines der größten Coaching-Verbände in Deutschland - "die individuelle Begleitung eines Menschen in beruflichen oder persönlichen Reflexions- und Veränderungsprozessen". Die Zielsetzung von Coaching ist die Ausrichtung auf Zielorientierung, Aktivierung von Ressourcen, Erweiterung der Wahrnehmung sowie die Erweiterung der Handlungsoptionen.
Zurück zu Herrn C., der eine berufliche Veränderung erfahren wird. Er wurde wahrscheinlich von seinem Vorgesetzten gefragt, ob er die neue Herausforderung im Projekt-Management annehmen möchte. Bereits zu diesem Zeitpunkt kann Coaching unterstützen und dem Betroffenen bei der Zieldefinition helfen. In der Realität ist es jedoch oft so, dass Mitarbeiter zwangsbefördert werden, weil sie in ihrer alten Position gute Arbeit geleistet haben. Angenommen, Herr C. möchte aus eigener Motivation gern Projektmanager werden und das Unternehmen stellt ihm für diesen Karriereschritt einen Coach zur Seite. Dieser würde ihm seine Rolle als Coach darlegen und die Erwartungshaltung von Herrn C. abklären.
Voraussetzung für ein erfolgreiches Coaching ist, dass beide Parteien sich vertrauen. So erklärt Herr C. sein Anliegen und sagt, er freue sich auf die Herausforderung, habe jedoch auch sehr viel Respekt vor den neuen Aufgaben und dem Umfeld: Schließlich sitzen bei den Kunden oft sehr erfahrene und kompetente Projektmanager, die das auch ausstrahlen. Gemeinsam erarbeiten Herr C. und der Coach daher die Ziele Sicherheit und Selbstvertrauen und wollen darüber bei den folgenden Treffen sprechen.
Dem Coach steht eine Sammlung von Methoden und Techniken zur Verfügung, um gemeinsam mit Herrn C. an diesen Zielen zu arbeiten und sie zu erreichen. Hilfreich ist es beispielsweise, auf bereits Erfahrenes oder Erlebtes zurückzugreifen. Coaches sprechen in diesem Fall von "Ressourcen" und meinen die Dinge, die der Erreichung gewünschter Ziele dienen (etwa die persönlichen und vorhanden Eigenschaften eines Menschen).
Herr C. hatte bereits unmittelbar nach dem Studium den Sprung in ein großes Softwareunternehmen geschafft und wurde wegen seiner guten Leistung vom Entwickler zum Consultant gemacht. Diesen Vorgang und der damit verbundene Karriereschritt macht der Coach ihm wieder bewusst und transparent. Mittels Fragetechnik könnte weiter ermittelt werden, was er zu jenem Karrieresprung gebraucht hat, um die neue Herausforderung erfolgreich zu meistern. Diese Maßnahme kann analog in die Zukunft gespiegelt werden, und Herr C. wird erkennen, dass er zum Beispiel ein Mentoring in seinen ersten Projekten benötigt.
Coaching bis zum Projektende
Coaching-Maßnahmen erfolgen wiederkehrend, bis das vereinbarte Ziel erreicht ist und der Coaching-Nehmer die Veränderung erfolgreich gemeistert hat. Auch bietet sich an, Coachings parallel zum Mentoring laufen zu lassen, da der Mentor die fachlichen Fragen dann beantworten könnte.
Coaching im Projektmanagement wird zwar sehr oft in Deutschland erwähnt, aber erfahrungsgemäß sehr selten eingesetzt. Coaching sollte auch nicht direkt vom Vorgesetzten durchgeführt werden, da hier Abhängigkeiten in der Linie bestehen und die geistige Entfaltung des Coaching-Nehmers eingeschränkt wird. In einigen Personalabteilungen gibt es bereits so genannte Coaching Pools, aus dem Kollegen und auch externe Coaches ausgesucht werden können. (kf)
Michael Schiedermeier, Projex GmbH
Der Diplomkaufmann Michael Schiedermeier leitet Großprojekte in der IT und führt große Projektteams. Seit 2001 beschäftigt er sich intensiv mit den bekannten Standards in der Projektmanagementwelt (GPM, PMI und Prince2). Aktuell ist er nach den Standards von GPM als Senior Projektmanager (Level B) und von Prince2 als PRINCE2 Foundation (APMG) zertifiziert. Im Jahre 2011 nahm er erfolgreich an dem Assessoren-Training der GPM teil und war aktiv als Assessor für den deutschen Project Excellence Award 2011 der GPM tätig. Um seine Social Skills weiter zu entwickeln, begann er 2009 eine Coaching-Ausbildung, die er im Sommer 2010 als Master-Coach nach dem Standard von DVNLP abgeschlossen hat. Seit Januar 2012 begleitet er am Institut für Kommunikation und Gesundheit in Wiesbaden als Co-Trainer die NLP-Master-Ausbildung.