Assessment-Center

Trainee und Manager im Test

26.10.2015 von Bernhard Kuntz
Bewerber, die es im Auswahlverfahren zur Einladung in ein Assessment-Center schaffen, sind heiße Stellenkandidaten. Wer diesen Test meistert, hat nicht nur fachliche Kompetenz, sondern auch das Zeug zur Führungskraft.
  • Das Assessment-Center ist nur ein Instrumenten in der Testbatterie.
  • Die "Postkorbübung" hat an Relevanz verloren.
  • Kandidaten müssen Geschäftsprozesse realitätsnah abbilden.

Assessment-Center zählen heute zu den Standardinstrumenten der Personalauswahl - zumindest in Großunternehmen. "Dort kann man einer Vielzahl von Bewerbern objektiver als in Einzelinterviews gegenübertreten", nennt Bernadette Imkamp, Leiterin Personalbetreuung und -marketing bei der Schwäbisch Hall-Unternehmensgruppe, einen Vorteil. Entsprechend breit setzt die Bausparkasse dieses Personalauswahlverfahren von der Selektion der Azubis bis hin zur Auswahl der Teilnehmer für Programme zur Entwicklung von Führungskräften ein.

Im Assessment-Center wird die soziale und emotionale Intelligenz der Kandidaten unter die Lupe genommen.
Foto: Jirsak-shutterstock.com

Damit agiert Schwäbisch Hall laut Harald Müller, Leiter Trainee-Programme beim Frankfurter Bildungsdienstleister Provadis, eher gegen den Trend: "In der Regel kommen Assessment-Center primär zum Einsatz, wenn es um die Auswahl hochqualifizierter Bewerber geht." Also zum Beispiel, wenn Unternehmen Trainees auswählen. Dann werden die heißen Kandidaten oft in ein Assessment-Center eingeladen.

Assessment-Center sind ein Testinstrument

Übereinstimmend betonen die befragten Unternehmen aber, dass Assessment-Center nur eines von mehreren Instrumenten in ihrer "Testbatterie" sind. Wer aber eine Einladung erhält, ist ein heißer Stellenkandidat. Als Beispiel für dieses Vorgehen kann die Allianz Deutschland dienen. Der Versicherungskonzern nutzt Assessment-Center, um aus den Top-Bewerbern für sein Trainee- und Vorstandsassistenten-Programm die für das Unternehmen passendsten Kandidaten herauszufiltern, erklärt Personalreferentin Maike Unger. Das heißt im Klartext: Wer eine Nominierung erhält, dessen Lebenslauf und Bewerbungsunterlagen erfüllen die Anforderungen der Allianz. Außerdem hinterließ der Bewerber in einem Telefoninterview, das meist auf das Sichten der Unterlagen folgt, bereits einen guten Eindruck. Und damit nicht genug, muss der Kandidat auch bei den anschließenden persönlichen Vorstellungsgesprächen bei den Personalverantwortlichen überzeugen. Ansonsten, so Unger, erfolge keine Assessment-Center-Einladung.

Ähnlich ist das Vorgehen bei Merck in Darmstadt - zum Beispiel, wenn der Pharma- und Chemiekonzern aus den rund 300 Bewerbungen für sein Inhouse-Consulting-Trainee-Programm fünf oder sechs Top-Kandidaten herausfiltern möchte, wie Martin Baltes, Gruppenleiter Recruiting, betont.

Kandidaten unter Stressbedingungen testen

Assessment-Center ziehen sich heute nicht mehr so lange hin wie früher. "Zumeist dauert es einen Tag", erklärt der auf Personal- und Organisationsentwicklung spezialisierte Berater Albrecht Müllerschön. Auch ihr Design wurde geändert. Zum Beispiel spielt die sogenannte Postkorbübung eine geringere Rolle als früher. Sie gilt als der Klassiker unter den Assessment-Center-Tests. Bei der Übung erhalten die Teilnehmer einen "Postkorb" mit ein oder zwei Dutzend mehr oder weniger dringlichen Aufgaben. Diese sollen die Kandidaten unter Stressbedingungen bearbeiten. Das heißt, mal wird eine Information nachgereicht, mal ruft ein Kunde an, mal kommt ein Meeting dazwischen. Diese Übung, mit der die Unternehmen die Entscheidungsfreude und Selbstorganisation der Kandidaten testen wollten, spielt im Assessment-Center heute "eine deutlich geringere Rolle als früher", erklärt Provadis-Manager Müller. Die modernen Assessment-Center seien "dynamischer"; zudem branchenspezifischer und stärker auf das Unternehmen bezogen.

Recruiting: Die 10 Schritte des optimalen Auswahlprozesses
1. Bedarfserkennung und Formulierung
Der gesamte Prozess startet, wenn das Unternehmen eine Vakanz erkennt und formulieren kann, wen es sucht. Dabei sollte gegebenenfalls der Betriebsrat hinzugezogen werden.
2. Profilbestimmung
Soll die Belegschaft homogen gehalten werden, was das Führen einfacher macht, oder heterogen sein, um durch neue Blickwinkel und Perspektiven die Innovationsfähigkeit des Unternehmens zu steigern - solche Fragen sind zu klären.
3. Marktbearbeitung
Ob die Personalsuche über digitale und mobile Kanäle erfolgt oder als ganz klassische Stellenanzeige - sie muss zu potenziellen Bewerbern passen. Grundsätzlich sagen Stellenausschreibungen immer auch etwas über das Unternehmensimage aus.
4. Kandidateninformation
Busold rät von schwammigen Formulierungen wie "managementerfahren" ab. Besser seien konkrete Anforderungen wie "nachweisbare Erfahrung in der Führung von Teams mit fünf bis sieben Mitarbeitern".
5. Kandidatenauswahl zum Gespräch
Bei Vorstellungsgesprächen sollten Entscheider bedenken, dass Bewerber Multiplikatoren sind. Sie können Kunden oder Konsumenten sein - und jetzt abgelehnte Bewerber zu einem späteren Zeitpunkt eben doch "der Richtige".
6. Zweites Gespräch/Assessment Center
Im Rahmen eines Assessment Centers testet das Unternehmen das Verhalten der Kandidaten in verschiedenen Situationen. Hier sollen Verhaltensweisen und Sozialkompetenzen deutlich werden.
7. Einstellungsprozess/Vertragsverhandlung
Mit der Einstellung und dem unterschriebenen Vertrag ist der Prozess noch nicht zu Ende. Der Vertrag stellt lediglich einen Zwischenschritt dar.
8. Onboarding-Prozess
Im Onboarding-Prozess geht es darum, neue Mitarbeiter so gut wie möglich in das Team zu integrieren. Ziel ist immer die Bindung guter Mitarbeiter.
9. Tag des Starts
Kommt der neue Mitarbeiter an seinem ersten Tag ins Unternehmen, müssen folgende Dinge geregelt sein: Schreibtisch, Laptop, Handy, Visitenkarten und Passwörter. Die anderen Mitarbeiter sollten informiert sein. Der Vorgesetzte nimmt den Neuen unter seine Fittiche und führt ihn durch die Firma.
10. Die ersten sechs Monate
Das Unternehmen sollte einen Fahrplan für die ersten sechs Monate des neuen Mitarbeiters erstellen. Dem Neuen sollte ein erfahrener Kollege als Mentor zur Seite stehen.
Tipps von Matthias Busold, Kienbaum
Matthias Busold ist Principal beim Personalberater Kienbaum. Den optimalen Auswahlprozess eines Bewerbers unterteilt er in zehn Schritte.

Geschäftsprozesse realitätsnah abbilden

Wie Assessment-Center heute häufig ablaufen, schildert Müllerschön. Die gesamte Veranstaltung steht unter einem Dachthema. Dieses kann lauten: "Unser Geschäftsbereich x stellt sich dem Wettbewerb." Zu Beginn des Assessment-Centers erhalten alle Kandidaten repräsentative Kennzahlen des (fiktiven) Geschäftsbereichs. In der ersten Übung soll jeder Teilnehmer dessen Schwachstellen ermitteln und seine Erkenntnisse den Beobachtern präsentieren. Danach folgt eine Diskussionsrunde. Die Teilnehmer erörtern gemeinsam, was Priorität hat und welche Probleme angegangen werden. Dann werden Arbeitsgruppen gebildet. Jede erstellt einen Maßnahmenplan. In den nächsten Übungsrunden setzen die Kandidaten die beschlossenen Aktionen um. Sie führen zum Beispiel Zielvereinbarungsgespräche mit Mitarbeitern und leiten Projektsitzungen.

In modernen Assessment-Centern wird versucht, betriebliche Prozesse und Herausforderungen realitätsnah abzubilden. Außerdem sind, laut Allianz-Personalerin Unger, mehr Rollenspiele integriert. Anhand ihres Verlaufs wollen sich die Beobachter ein Urteil über die soziale und emotionale Intelligenz der Kandidaten bilden. Denn dass sie fachlich die Voraussetzungen für die vakante Position erfüllen, daran bestehen bei ihnen kaum noch Zweifel. Anders sieht es aber hinsichtlich der Frage aus, ob sie das Potenzial zur Führungskraft haben. Das soll im Assessment-Center ermittelt werden. (pg)