Online-Shop als Umsatztreiber

Tomaten im Pulverschnee

30.01.2006
Eine fast unglaubliche Erfolgsgeschichte schreibt die Snowboard Dachstein Tauern GmbH: Den Löwenanteil ihres Umsatzes erwirtschaftet das österreichische Unternehmen mit ihrem Online-Shop.

Einen ganz normalen Laden zu betreiben und gleichzeitig übers Internet zu verkaufen, diese Kombination betrachten Experten schon seit längerem als Königsweg für den erfolgreichen Online-Handel. "Wer ein Geschäft hat, der hat zum Beispiel schon mal ein Lager und eine Warenwirtschaft", stellt Alexander Zezula lapidar fest. Der 31-Jährige ist einer der Inhaber der Snowboard Dachstein Tauern GmbH und für den gesamten Online-Bereich verantwortlich. Mit der richtigen Verzahnung von Old und New Economy ist es dem österreichischen Unternehmen gelungen, ein kleines Geschäft in den Bergen in kürzester Zeit zu Europas erfolgreichstem Versandhändler für Snowboard-Produkte zu machen.

Unter dem Namen "Blue Tomato" betrieben die Wintersport-Freaks ursprünglich einen Snowboard-Laden in Schladming, das in der Steiermark inmitten eines der besten Reviere für diesen Sport der gesamten Alpenregion liegt. Und schon 1997, in Zeiten, in denen die meisten Mittelständler das Internet höchstens vom Hörensagen kannten, hatte Blue Tomato auch eine Website. Ein Jahr später konnte die Kundschaft über ein Formular Bestellungen aufgeben, und 1999 gab es den ersten Online-Shop. Der wurde im Jahr darauf gründlich renoviert, seitdem wächst das Online-Geschäft in atemberaubendem Tempo: Im vergangenen Jahr konnte ein Plus von 30 Prozent verzeichnet werden.

Kompakt

Wie Old und New Economy richtig verzahnt werden

Welche Kriterien für einen erfolgreichen Online-Shop wichtig sind

Warum die Anbindung an die Warenwirtschaft ausschlaggebend ist

Was für die Kundenbindung getan wird

Erfolg hat meist mehrere Väter, und einer davon heißt Glück. Konkret bedeutet das im Falle von Blue Tomato: Die Klientel ist enorm Internet-affin, sie besteht fast ausschließlich aus jungen, gut ausgebildeten Menschen, die ein Faible für Technik und für Marken haben. Außerdem eignet sich das Produkt besonders gut für den Online-Handel: "Die Snowboard-Bindung zum Beispiel ist einfacher als eine konventionelle Skibindung", so Zezula. "Da können die Kunden viel selber machen und brauchen weniger Vor-Ort-Service."

Know-how war vorhanden

Doch auch eine so günstige Ausgangslage führt keineswegs automatisch zum Erfolg, sondern will genutzt werden. Dazu braucht es nach Ansicht von Zezula erstens den richtigen Umsetzungspartner und zweitens eine möglichst große eigene Affinität zum Medium bei den Machern. "Wer einen Shop aufsetzen will, muss sich um Suchmaschinen-Optimierung ebenso kümmern wie um Katalogsysteme oder die Anbindung an die vorhandenen IT-Systeme. Wenn aber all das Know-how extern eingekauft werden muss, wird es unbezahlbar. Schließlich startet jeder Online-Shop ja mit bescheidenen Umsätzen. Außerdem: Wer überhaupt nicht einschätzen kann, was möglich ist und was nicht, dem kann ein Dienstleister sehr leicht irgendwelche Märchen erzählen."

"Unsere Kunden sind sehr Internet-affin." Alexander Zezula, Inhaber der Dachstein Tauern GmbH

Bei Zezula besteht diese Gefahr beileibe nicht. Der Betriebswirt hatte sich schon lange vor seinem Einstieg bei dem Snowboard-Unternehmen 1999 mit der neuen Technik auseinander gesetzt und sich dabei auch einem Thema zugewandt, mit dem sich Betriebswirtschaftler sonst eher nicht beschäftigen: der Modulation von Daten. Zezula absolvierte als Student Mitte der 90er-Jahre ein Praxissemester bei EvoBus, der Bus-Sparte des DaimlerChrysler-Konzerns. "Damals lief dort das meiste noch auf Großrechnern. Mein Job war es, bestimmte Daten herauszuziehen und diese in Form einer Access-Datenbank für einzelne Arbeitsplätze aufzubereiten."

Zezula hatte eigenen Angaben zufolge "keine Ahnung von Großrechnern und dem hier üblichen Unix-Betriebssystem", aber dafür vom Datenbankprogramm Access. Die perfekte Aufbereitung von Daten und die Kommunikation der einzelnen Teile des Systems untereinander - das sind seiner Meinung nach auch die entscheidenden Erfolgsfaktoren, wenn es darum geht, einen Online-Shop zu betreiben.

Anbindung funktionierte nicht

Und genau in diesen Bereichen gab es Probleme im ersten, 1999 geschaffenen Internetladen von Blue Tomato. "Die Anbindung an die Warenwirtschaft ist das A und O, das war uns schnell klar, und genau das funktionierte beim ersten Shop nicht richtig."

Deshalb suchten Zezula und seine Kollegen noch im selben Jahr auf der Messe "exponet" in Düsseldorf nach einer individuellen, ganz auf ihre Wünsche zugeschnittenen Lösung. Schon damals kamen sie mit dem Münchner Softwarehersteller Hybris in Kontakt, der sofort einen guten Eindruck auf die Österreicher machte. Das hinderte die Snowboard-Freaks aber nicht daran, sich den Anbietermarkt ausgiebig anzusehen. "Wir haben ein 20-seitiges Pflichtenheft geschrieben und uns auf der CeBIT im Jahr 2000 ungefähr 18 Firmen intensiv angeschaut", erzählt Zezula. Und fügt hinzu: "Die meisten davon gibt es heute nicht mehr."

Die Chemie muss stimmen

Das gilt indes nicht für die Firma Hybris, die auch nach intensiverer Prüfung erste Wahl blieb. "Wir hatten das Gefühl, dass man uns dort versteht. Die Chemie stimmte einfach, und das Preis-Leistungs-Verhältnis auch." Gleiches gilt für die Projektplaner, die bis heute die Hybris-Lösung umsetzen und den Service sicherstellen. Dabei handelt es sich um den Münchner E-Commerce- Dienstleister Xoanon, der eine ganze Reihe von erfolgreichen E-Shop-Betreibern betreut (www.xoanon.de).

Die Xoanon-Macher haben für den Snowboard-Shop die Hybris-Software exakt auf die Bedürfnisse dieses Business und der Zielgruppe zugeschnitten.

Software als Service

Der Münchner E-Commerce-Dienstleister Xoanon gehört derzeit zu den Anbietern, die die viel besungenen Web-Services Wirklichkeit werden lassen. Kunden können hier in Zukunft eine Shop-Lösung mieten, deren Betrieb, Wartung und Weiterentwicklung komplett in den Händen des Anbieters bleibt. Vorteil für den Shop-Betreiber: Es fallen keine Lizenzgebühren für die Software an. Stattdessen muss er lediglich am Anfang die Einrichtung und das Design bezahlen. Während des Betriebs lässt sich Xoanon quasi am Geschäft beteiligen, pro Bestellung kassiert der Serviceanbieter dann zwischen 1 und 1,50 Euro. Heißen wird diese Lösung „Commercetools“. Die Konsequenz daraus: Auch der Anbieter wird sich umbenennen und künftig Commercetools heißen.

"Zum Beispiel braucht der Katalog zwei Kategoriebäume", erläutert Xoanon-Geschäftsführer Denis Werner, "einen Markenbaum und einen Produktgruppenbaum. Der Kunde muss alle Produkte einer Marke ebenso sofort finden können wie alle Snowboard-Hosen, die im Angebot sind."

Außerdem wünschte sich Blue Tomato eine Funktion, mit der Bundle-Bestellungen rabattierbar sind: Kauft der Kunde zur Jacke auch sofort eine Hose, dann bekommt er diese um 20 Prozent billiger. Und der Surfer muss sich über die eventuell unterschiedlichen Lieferzeiten für Jacke und Hose informieren können.

Zentrale Datenbasis muss sein

Über das Projekt

Verhandlungs- und Planungsphase: zwei Monate

Entwicklungsphase: fünf bis sechs Monate, laufende Weiterentwicklung

Involvierte Systeme: Hybris Webshop, Quenta Paymentsolutions, Deniba Warenwirtschaftssystem

Der Hauptaufwand galt der Weiterentwicklung des Warenwirtschaftssystems

Die Hauptkosten des Shops resultieren aus dem Hosting, weil die Anwendung vor allem im Winter hohen Traffic produziert

Wichtigste Voraussetzung dafür, dass auch solche - vergleichsweise komplizierten - Ansprüche erfüllt werden, ist die schon erwähnte optimale Einbindung des Online-Shops in die vorhandenen IT-Lösungen.

Diesem Thema wendeten sich alle Beteiligen besonders intensiv zu, als Blue Tomato, Hybris und Xoanon im Jahr 2000 den Snowboard-Shop schufen. "Es ging vor allem darum, eine zentrale Datenbasis zu schaffen und jede Information nur einmal abzulegen", beschreibt Werner die Herausforderung. "Diese Daten dienen dann ganz unterschiedlichen Zwecken innerhalb der Geschäftprozesse."

Diese Art der Umsetzung verschafft den Betreibern von www.blue-tomato.at enorme Effizienzvorteile und Einsparmöglichkeiten, die mit dem weiteren Ausbau der Plattform immer konsequenter genutzt werden.

So diente ein Relaunch im Sommer 2005 zwar vor allem dazu, das Design der Site auf den neuesten Stand zu bringen, gleichzeitig wurden aber auch zwei Innovationen eingeführt, die verdeutlichen, was mit der beschriebenen Datenintegration in der Praxis gemeint ist.

- Erstens kann Blue Tomato jetzt die Produktdaten, die der Kunde auf der Website sieht, eins zu eins zur Produktion und zum Druck seines Papier-Katalogs nutzen.

- Und zweitens ist das Blue-Tomato-Magazin jetzt optimal so in die Site integriert, dass der Leser, also der Kunde, den Kosmos der Blauen Tomaten nicht verlässt: Liest er im Magazin einen Artikel über Marc Frank Montoya, einen der Helden der Snowboard-Szene, dann kann er darunter auf das Logo des Brillenherstellers Spy clicken, der in dem Artikel erwähnt wurde. Anders als bei den meisten Online-Shops landet er dann aber nicht auf der Website von Spy, sondern er sieht auf einen Blick alle Produkte von Spy, die Blue Tomato im Angebot hat - und kann sofort bestellen.

Großer Konkurrent: Ebay

Die Technik des Ganzen basiert auf Java, die Schnittstellen auf XML. Um sicherzustellen, dass der Shop immer stabil läuft, lässt Blue Tomato ihn live überwachen. Funktioniert irgendetwas nicht, bekommen drei Mitarbeiten im Unternehmen zeitgleich eine SMS auf das Handy geschickt.

Natürlich versuchen auch viele andere Anbieter, Snowboards übers Web zu verkaufen. "Die meisten davon bleiben One-Season-Shops, weil sie die Komplexität des Ganzen nicht in den Griff bekommen", so Zezula. Zwei ernsthafte Wettbewerber habe man aber. "Der eine kopiert uns hundertprozentig und hat damit auch Erfolg. Und der andere ist natürlich eBay." Am liebsten würden viele Hersteller ihre Produkte von der Auktionsplattform fernhalten, erzählt Zezula, aber es sei eben unmöglich, die Händler wirklich zu kontrollieren. Blue Tomato selber verkauft nicht über eBay, weil die eigene Plattform stark genug ist und für sich schon genug Traffic generiert.

Snowboarder im Call-Center

Der florierende Webshop ist nicht der einzige Grund für den Erfolg von Blue Tomato. Wichtig ist auch, wie der Anbieter mit seinen Kunden umgeht. Blue Tomato betreibt ein eigenes Call-Center, in dem Snowboarder sitzen. "Wir wollen den Leuten das verkaufen, was wirklich zu ihnen passt", so Zezula. "Außerdem sind wir kulant, Reklamationen werden bei uns schnell und problemlos abgewickelt."

Das Unternehmen zieht aus dem Online-Erfolg keineswegs die Konsequenz, das stationäre Geschäft runterzufahren oder gar aufzugeben. Im Gegenteil: Seit 1999 gibt es drei Blue-Tomato-Läden, ein vierter wird in diesem Jahr hinzukommen. Und auch stationär stieg der Umsatz, im vergangenen Jahr um 20 Prozent. Zu den Zukunftsaufgaben für die nächste Zeit gehört es, die Online- und die Offline-Welt noch besser miteinander zu verzahnen. Ein Ziel dabei ist, dass die Kunden ohne großen Verwaltungsaufwand eine online gekaufte Hose in einem der Geschäfte umtauschen können und umgekehrt.

Auch wenn es natürlich weiterhin immer was zu tun gibt: Die Erfolgsgeschichte von Blue Tomato ist in Österreich so bekannt, dass Zezula andere Unternehmen in Sachen Online-Handel berät.

Christoph Lixenfeld ist freier Journalist in Hamburg.