IT im Tourismus/Noch fehlt den digitalen Reisebegleitern der Pfiff

"Telekumpel" für Kunst und Kultur

02.03.2001
Mit 3D-Animationen, O-Tönen und packenden Geschichten könnte der Computer Stadtbesichtigungen und Museumsbesuche zum außergewöhnlichen Erlebnis machen. Doch stehen dem noch hohe Kosten, sperrige Geräte und langweilige Texte entgegen. Einige Forschungsprojekte sollen das ändern. Von Johannes Kelch*

Ausstellungen an fernen Orten ansehen zu können, ohne anreisen zu müssen - ist das nicht eine faszinierende Alternative in Zeiten astronomischer Spritpreise? Längst wird an der Realisierung dieser Vision gearbeitet, und schon ist es möglich, mit geliehenen Augen und Ohren "remote" an Führungen durch Galerien oder Museen teilzunehmen.

Von einem Markt dafür ist sogar die Bundesregierung überzeugt. Das Bundesforschungsministerium fördert mit öffentlichen Geldern wissenschaftliche Bemühungen zur "Telepräsenz" in Galerien und Museen.

Im Mittelpunkt der aktuellen Forschung steht "Telebuddy", ein künstliches Wesen mit den Augen einer Videokamera, den Ohren eines Mikrofons und der Stimme eines Lautsprechers. Der Telekumpel - so die wörtliche Übersetzung - erlebt eine Führung im Huckepack auf einem leibhaftigen Menschen, der real existierende Sehenswürdigkeiten betrachtet. Was der Homunkulus gemeinsam mit seinem Träger hört und sieht, wird über einen lokalen Server und das Internet direkt in die Wohnung des potenziellen, aber reiseabstinenten Museumsbesuchers übertragen. Und der wiederum kann sich mit der Stimme seines künstlichen Alter Ego unmittelbar in die Führung am anderen Ort einschalten, Fragen an den Guide stellen oder mit den real anwesenden Passanten klönen.

Die Vorbilder waren Atavare"Telebuddy" ist ein Gemeinschaftsprojekt des Zentrums für Grafische Datenverarbeitung ZGD in Darmstadt und des Fraunhofer-Instituts für Grafische Datenverarbeitung IGD in Rostock. Die Idee zu der Hightech-Puppe stammt von Norbert Gerfelder, Thomas Kirste und Ulrike Spierling. Vorbilder waren Atavare, die in virtuellen Welten echte Menschen repräsentieren. Ulrike Spierling über den Fortschritt durch derart smarte Puppen: "Der Internet-Chat wird zum Puppenspiel-Szenario." Auf der Expo in Hannover wurde der mobile Leihkörper erstmals der "Weltöffentlichkeit" präsentiert.

Der Telekumpel ist der letzte Schrei aus einer Forschungsszene, die sich anschickt, den Computer zum fachkundigen Messebegleiter, Reiseleiter, Stadtführer und Museumspädagogen fortzubilden. Viele Projekte werden von der EU und vom Bund großzügig alimentiert.

Wer bei einer Stadtführung zwischen realer und virtueller Realität hin- und herschalten will, muss nach Heidelberg fahren. Hier experimentieren Forscher des European Media Laboratory EML und des IGD mit 3D-Animationen, um Touristen den früheren Zustand des zerstörten Heidelberger Schlosses sichtbar zu machen. IGD-Mitarbeiter Uwe Jasnoch verspricht "augmented reality".

Altstadtbesichtigung à la carteWas der Tourist vor Ort erblickt, wird erweitert um virtuelle Bilder, die an einem kleinen Monitor vor dem Auge zu sehen sind und den Blick auf die Realität überlagern. Für dieses Erlebnis braucht der Tourist eine umfangreiche Montur, bestehend aus einem kleinen leistungsstarken Computer am Gürtel, einer an den Arm geschnallten Tastatur sowie einem Headset mit Kopfhörern, Micro, Kamera und Monitor. Über die Kamera und die Mustererkennung findet dieses System heraus, wo der Nutzer gerade hinschaut. Es liefert sodann passende 3D-Bilder sowie gesprochene Informationen.

Wer weniger auf Rekonstruktionen und mehr auf eine individuell gestaltete Stadtführung Wert legt, der kommt ab Herbst 2001 in Passau auf seine Kosten. Noch ein Jahr braucht die Startup-Firma Companion, um ihr "Coming Out" mit einer Altstadt-Besichtigung à la carte namens Vera vorzubereiten. Der Besucher erhält dann ein Headset mit Micro und Kopfhörer sowie ein Kästchen mit Empfangsgerät.

Ist der Tourist per GPS oder mittels anderer Techniken geortet, bietet ein Datenbank-Server je nach Standort über Funkverbindung Informationen an. "Darf ich Ihnen etwas über die Geschichte des Doms erzählen?", simuliert Initiator Hanjo Allinger die Stimme des Systems. Entfernt sich der Besucher vom Dom, hört der Tourist: "Wollen Sie, dass wir Neues erzählen?"

Individualisierung der InformationVolkswirt Allinger preist an seiner Idee die "völlige Individualisierung der Information". Jeder Besucher könne seine Stadtführung durch die Route, die Auswahl der Themen und die Entscheidung zwischen alternativen Texten ganz nach persönlichen Vorlieben gestalten. Als Highlight verspricht Allinger "O-Töne", so etwa Reden von Franz Joseph Strauß in der Nibelungenhalle.

Wer an einer computergeführten Tour durch ein Museum teilnehmen will, hat schon heute die Qual der Wahl: So sind das MozartMuseum in Salzburg, das BMW-Museum in München sowie eine Galerie in Schloss Birlinghofen in St. Augustin mit einem "positionssensitiven Führungssystem" ausgestattet. Infrarot-Baken orten das Leihgerät des Besuchers, erkennen seine Orientierung, und schon spielt ein kleines Gerät die passenden Texte oder auch Musikstücke in den Kopfhörer ein.

Die einfachste Variante einer Computer-Führungshilfe ist eine Art Messekatalog. In diesem Jahr kann sich der Computerfreund auch auf der Systems (wie schon im Vorjahr auf der CeBIT) mit einem katalogorientierten Besucherinformationssystem des IGD auf dem Messegelände orientieren. Er benötigt einen tragbaren Palm-Computer und lädt eine kleine Datenbank mit digitalen Karten der Messehallen Informationen über die Aussteller in sein Gerät. Der neue Messeführer ist sowohl via Internet als auch auf dem Gelände an "Datentankstellen" zu beziehen.

Typisch für alle Führungs-Computer sind hohe Entwicklungskosten. Rund 2,5 Millionen Euro gibt die EU aus, um die "Hyper-Interaktion" in physischen Räumen zu testen. Versuchskaninchen ist die Stadt Siena. Hanjo Allinger rechnet mit Kosten von einer halben Million Mark für das Passauer Führungssystem, wobei die Recherche, die museumspädagogische Aufarbeitung der Inhalte und das Aufsprechen der Inhalte den Löwenanteil ausmachen.

Bessere Technik, denn die Kosten müssen drastisch sinken1999 stattete das IGD den BMW-Stand auf der IAA - rund 16 000 Quadratmeter - mit einem Führungssystem aus. Die Hardware - Wireless LAN, Infrarot-Baken, tragbare Leihcomputer - schlug mit 50 000 Mark zu Buche. Noch einmal so viel kosteten Bemühungen um die Inhalte und die Aufnahmen in einem Tonstudio - bei rund 200 Contents.

Der Psychologe Marcus Specht vom Institut für Angewandte Informationstechnik FIT der Gesellschaft für Mathematik und Datenverarbeitung GMD berichtet, das Forschungsprojekt zur positionssensitiven Führung in der Gemäldegalerie von Schloss Birlinghofen habe bei 70 Bildern rund eine halbe Million Mark gekostet. 5000 Mark für ein Bild hält Specht für "günstig kalkuliert".

Sogar ein einfacher Messeführer ist nicht billig. Die Software und ein Generator, der digital vorliegende Inhalte automatisch in eine Datenbank einspielt, verursachen nach Angaben von "Telebuddy"-Geburtshelfer Thomas Kirste bei einem größeren Messeplatz pro Jahr Kosten in der Größenordnung von rund 15 bis 30000 Mark.

Doch ein Durchbruch des Computers als Touristenführer wird nach dem Auslaufen der geförderten Projekte nur zu erzielen sein, wenn die Kosten drastisch sinken. Deshalb richten sich viele Hoffnungen auf eine bessere Technik. Uwe Jasnoch vom IGD hofft auf "eine Art Fernglas", das einmal das lästige Headset bei der Betrachtung von 3D-Animationen ablösen könnte. Marcus Specht vom FIT und Hanjo Allinger aus Passau freuen sich auf die nächste Mobilfunkgeneration. Nach ihrer Vorstellung könnten die Touristen eines Tages schlicht und einfach ein Handy nutzen, um sich von einem in Kunst und Kultur beschlagenen Computer führen zu lassen. Damit entfielen Infrastrukturkosten, etwa für Infrarot-Baken.

Wie aber kommen die ersten aufwändig produzierten Prototypen bei den Touristen und Besuchern an? Hat sich der Aufwand überhaupt gelohnt? Studien sind noch Mangelware. Marcus Specht untersucht derzeit die Akzeptanz des Computers in der Galerie auf Schloss Birlinghofen. Noch ist die Auswertung nicht abgeschlossen.

Laut Specht hat sich aber bei manchen Besuchern gezeigt, "dass die komplizierten Gerätschaften schwierig zu benutzen sind". Bei jüngeren Leuten sei die Experimentierfreude stark ausgeprägt und die "Schwelle viel geringer". Sehr kritisch beurteilen die Besucher die Qualität der mündlichen Erklärungen. Die häufig noch mangelhafte Tonqualität provoziert schnell eine schlechte Bewertung der Inhalte, weiß Specht. Der Psychologe betont, "dass es nicht damit getan ist, Texte einfach nur vorlesen zu lassen".

Schon ziehen die Forscher Konsequenzen aus solchen ernüchternden Erkenntnissen. Man arbeite jetzt mehr "in Richtung Hörspiel" und versuche, die Führungen mit "Dramaturgie" spannend zu machen, berichtet Marcus Specht. Ähnliche Anstrengungen laufen in Passau. Auch das Comp@nion-Team müht sich inzwischen nach Kräften, den Informationen "Erlebnischarakter" zu verleihen, so Hanjo Allinger. Beim IGD in Rostock ist das "Digital Storytelling" nach Darstellung von Thomas Kirste eine attraktive Alternative zur abgelesenen Information.

*Johannes Kelch ist freier Journalist in München

Abb: Positionssensitives Führungssystem

Beispiel Museum: Je nach Standort erhält der Besucher Informationen, die er individuell aussuchen kann. Quelle: Companion