Praxistest mit Fritzbox LTE

Taugt LTE als DSL-Ersatz?

21.12.2010 von Jürgen Hill
Im Rahmen eines "Friendly User Tests" von O2 konnte die COMPUTERWOCHE erste Praxiserfahrungen mit dem neuen Mobilfunkstandard LTE sammeln.

Bislang wurden Landbewohner hierzulande - vor allem wenn sie in einem Gebiet ohne DSL-Versorgung wohnten - von Städtern eher bedauert. Während in den Ballungsräumen mit Glasfaser, Kabel-TV, VDSL oder DSL 18.000 Home Office, Videostreaming aus dem Internet oder schnelle Downloads kein Thema sind, war auf dem Land oft DSL Light das Höchste der Gefühle. Doch bis Mitte 2011 könnte sich dies ändern, und mancher Städter mit DSL 6000 wird neidisch auf die Landeier blicken, wenn sie mit 40 Mbit/s und mehr surfen. Möglich macht dies LTE, die Mobilfunktechnik der vierten Generation. Erste Testerfahrungen der COMPUTERWOCHE zeigten, dass LTE durchaus das Zeug hat, DSL den Schneid abzukaufen.

LTE-Router von AVM und Huawei

Die LTE-Antenne im Ebersberger Testnetz von O2 hat eine Reichweite von über zehn Kilometern.

Unsere Erfahrungen sammelten wir im bayerischen Ebersberg im Rahmen eines "Friendly User Tests" von O2. Der Mobilfunker testet dort die neue Technik im 800-Mhz-Frequenzband, um dort die bisherigen weißen Flecken ohne Breitbandanschluss mit schnellem Internet zu versorgen. Um die typische Einsatzsituation in kleinen Unternehmen, Außenstellen oder im Home Office zu simulieren, kamen keine Datensticks zum Einsatz, sondern neue LTE-Router. Im Test stellten diese Geräte AVM mit der Fritz!Box LTE und Huawei mit dem LTE Router "B390" zur Verfügung. Als Gerät der LTE-Kategorie 3 beherrscht die Fritzbox im Download via Mobilfunk bis zu 100 Mbit/s und bis zu 50 Mbit/s im Upload.

Das Testequipment

Bei der Fritzbox LTE handelt es sich um ein Vorserienmodell.

Im Rahmen des Friendly User Tests setzt O2 derzeit Endgeräte von AVM und Huawei ein. Von AVM kommt die FritzBox LTE, bei der es sich um ein Vorserienmodell handelt, das für den Pilotversuch entwickelt wurde. Deshalb ist derzeit noch offen, inwieweit Features später in ein kommerzielles Produkt übernommen werden. Die FritzBox LTE ist als Integrated Access Device (IAD) konzipiert, das LTE-Modem, LAN-Switch, WLAN Access Point, TK-Anschluss für analoges und schnurloses Telefon (DECT) sowie USB-Host-Controller mit NAS-Funktionalität in einem Gerät vereint. Der Switch verfügt dabei über vier Ports und unterstützt Gigabit Ethernet. Auf der WLAN-Seite funkt die Box mit 2,4 und 5 Gigahertz nach dem IEEE-Standard 802.11n mit bis zu 450 Mbit/s, wobei 3x3 MIMO für stabile WLAN-Performance sorgen soll. Branchenkenner gehen davon aus, dass sich eine LTE-Box preislich auf dem Niveau ihre DSL-Pendants bewegen dürfte, denn AVM spart sich zwar ein DSL-Modem, muss dafür aber die LTE-Technik in das Gerät integrieren.

Bei der stationären LTE-Anbindung setzt Huawei auf das klassische Router-Konzept.

Huawei steuert zu dem Test zwei Endgeräte bei. Für das 800-MHz-Frequenzband hat Huawei den stationären LTE Router Huawei B390 DD800 entwickelt. Im Gegensatz zur LTE-Fritzbox dient er nicht als IAD-Gerät, sondern ist als klassischer Router konzipiert. Via WLAN können sich bis zu 32 Nutzer verbinden. Ferner finden sich auf der Rückseite vier Fast-Ethernet.Ports. Eine integrierte Firewall sowie Sicherheitseinstellungen zu Ports und MAC-Adressen runden den Funktionsumfang ab.

Unterwegs können Anwender per USB-Stick surfen.
Foto: Huawei

Für den Einsatz in den 2,6-Gigahertz-Netzen - etwa in Halle und München - eignet sich der Multimode LTE-USB-Stick Huawei E398. Der Stick erlaubt im LTE-Netz Geschwindigkeiten von bis zu 100 Mbit/s im Downlink und 50 Mbit/s im Uplink. Darüber hinaus kann er auch mit HSPA+ (Down: 21 Mbit/s, Up: 5,76 Mbit/s) sowie HSPA (Down: 7,2 Mbit/s, Up: 5,76 Mbit/s) genutzt werden. Ferner beherrscht er die mobilen Übertragungstechniken GPRS und EDGE der zweiten Mobilfunkgeneration.

Mehr als nur höhere Geschwindigkeit

Selbst mit Business-Anwendungen aus der Cloud - hier das COMPUTERWOCHE-Redaktionssystem - lässt sich unter LTE flüssig und ohne Unterbrechungen arbeiten.

Doch unser erstes Testinteresse galt weniger der maximalen Transferrate als der Frage, ob sich mit LTE nun vernünftig aus der Ferne arbeiten lässt - ein Punkt, der im Cloud-Zeitalter mit Applikationen und Services aus dem Netz immer wichtiger wird. Hier bremsten in der Vergangenheit HSDPA und besonders UMTS mit Latenzzeiten im Bereich von mehreren hundert Millisekunden den mobilen Mitarbeiter immer wieder aus. Als Testanwendung diente uns das Redaktionssystem der COMPUTERWOCHE, das als Cloud-Service genutzt wird. Der Zugriff erfolgt dabei via Citrix. Die ersten Eindrücke waren über jeden Zweifel erhaben: Via LTE ließ sich mit dem Redaktionssystem schneller arbeiten als im Office - und deutlich schneller als vom Home Office mit DSL 18.000. Dabei lag die Latenzzeit meist um die 30 Millisekunden - ein Spitzenwert im Vergleich zu den bisherigen Mobilfunktechniken.

Der Testaufbau aus Rechner und LTE-Router sollte die Situation im Home Office simulieren.

Zudem lief das Redaktionssystem äußerst stabil. Unterbrechungen, wie sie etwa bei DSL in Form von sehr kurzen Pausen vorkommen, bis das System auf User-Eingaben reagiert, traten hier nicht auf. Skeptiker mögen jetzt einwenden, dass es sich hier um ein Testnetz ohne echte Last handelt und erst einmal abzuwarten bleibt, bis LTE als Shared Medium mit mehreren gleichzeitigen Nutzern seine erste richtige Bewährungsprobe besteht. Dem kann entgegengehalten werden, dass LTE durchaus seinen Stresstest bestand, denn im Rahmen des Pilotversuches surften zahlreiche andere Journalisten zeitgleich und hörten Musik, übertrugen Dateien, streamten Video oder waren live mit Videoreportern verbunden und schauten 3D-TV via LTE.

Über 12 Mbit/s im Upload

Im Speedtest überzeugte LTE mit Upload-Raten um die 12 Mbit/s.

Trotz dieser Auslastung ermittelten Internet-Speedtests wie der DSL-Speedtest Download-Raten um die 40 Mbit/s. Im Upload lag die Geschwindigkeit mit über 12 Mbit/s in Bereichen, von denen DSL-Nutzer nur träumen können. Im Schnitt erreichten wir im Test Geschwindigkeiten zwischen 35 und 58 Mbit/s, wobei gelegentlich sogar Spitzenwerte von fast 100 Mbit/s erreicht wurden. Eine rund 1 GB große Datei wurde aus dem Internet laut Firefox mit 5,7 MB/s heruntergeladen. Ein Wert, der dreimal höher ist als beim Download mit DSL 18.000.

Multimedia-Anwendungen wie HDTV oder 3D.TV sind unter LTE kein Problem, wie wir in der Praxis testen konnten.
Foto: Nokia Siemens Networks

Welches Potenzial die neue Technik noch hat, demonstrierte der O2-Netzpartner Nokia Siemens Networks: In Halle, einem weiteren LTE-Testnetz, fuhr ein zum Kamerawagen umgebauter Segway über den Weihnachtsmarkt und lieferte TV-Bilder via LTE in Echtzeit. Der Clou dabei: Es handelte sich nicht um einfache HDTV-Fernsehbilder, sondern um 3D-Fernsehen, das live per Mobilfunk übertragen wurde. Angesichts dieser Kür, erscheint VoIP bei LTE nur noch zum Pflichtprogramm zu zählen, über das man nicht mehr viele Worte verlieren muss.

Noch ist unklar, in welcher Form die Fritzbox LTE später kommerziell auf den Markt kommt.

Unbeantwortet bleiben indes Fragen zur künftigen kommerziellen Vermarktung von LTE. Hierzu waren von O2 keine konkreten Aussagen zu erhalten. So blieb auch die für Business-Kunden interessante Frage, ob es künftig ein Consumer-LTE und ein Geschäftskunden-LTE mit Quality of Services (QoS) und garantierten Bandbreiten gibt, leider offen. Lediglich die vor Ort anwesenden Techniker bestätigten, dass dies mit LTE grundsätzlich realisierbar sei. Ebenso wie sich mit LTE aus technischer Sicht ein analoger Telefonanschluss durch VoIP ersetzen lasse. Das letzte Wort scheinen hier die Marketiers zu haben, die derzeit entsprechende Tarifmodelle kalkulieren.

Auf VDSL-Niveau lagen die Download-Raten bei unseren Versuchen.

Die Skalierbarkeit von LTE ist nach Aussagen der Techniker ebenfalls kein Thema. Falls die Nutzerzahl in einer Zelle schnell wachse, könne man mit einer Verkleinerung der Sektoren schnell auf den Ansturm reagieren, zumal man die Auslastung der Zellen ständig überwache. An das Backbone war die Ebersberger LTE-Zelle über Richtfunk angebunden. Befürchtungen, dass hier die Leistung bei widrigen Wetterumständen wie etwa dichtem Schneetreiben massiv einbrechen können, erteilte Netzausrüster Huawei eine klare Absage: Die auf 100 Mbit/s ausgelegte Verbindung werde zwar gestört, doch 80 Mbit/s seien immer noch realisierbar.

Noch im Testbetrieb

Als neue Internet-Generation bewirbt Mobilfunker O2 sein LTE-Netz.
Foto: O2

Derzeit betreibt O2 in Ebersberg drei Basisstationen. Auch am zweiten LTE800- Standort in Teutschentahl sind drei Stationen in Betrieb. Neben LTE800, das mit Reichweiten von zehn Kilometern besonders für den ländlichen Raum geeignet ist, betreibt O2 noch zwei LTE-Piloten im Frequenzbereich 2600 Mhz in Halle und München. Hier sind derzeit 17 beziehungsweise 15 Basisstationen aktiv. An diesen Standorten können die Teilnehmer am Friendly User Test LTE sechs Monate kostenlos auf Herz und Nieren prüfen. Der kommerzielle Start von LTE ist bei O2 dann in ländlichen Gegenden wie Klein Wanzleben und Alsleben in Sachsen-Anhalt geplant.Im Süden setzt der Mobilfunker dabei auf Netztechnik von Huawei, während im Norden Nokia Siemens Networks (NSN) zum Zuge kommt.

LTE - Plus Minus

Plus:

+ Transferraten auf VDSL50-Niveau;

+ hoher Upstream von über 10 Mbit/s;

+ niedrige Latenzzeiten;

+ stabile Technik im Pilotversuch;

+ erste Mobilfunktechnik, die sich wirklich für Echtzeit-Anwendungen eignet;

+ Arbeiten in der Cloud möglich

Minus:

  • Shared Medium;

  • keine endgültigen Erfahrungen über Verhalten mit vielen Nutzern;

  • noch keine konkreten Preismodelle;

  • offen, ob Geschäftskunden QoS erhalten.