Eignung für bandbreitenintensive Business-Anwendungen

Symbiose von ADSL und ATM erschließt Video und Sprache

08.08.1997

Die weite Verbreitung von ISDN kennzeichnet den deutschen Markt. Weil die Telekom ISDN vermarktet, ihr aber auch bei der Einführung von ADSL eine Schlüsselrolle zukommt (siehe Seite 23), stellt sich die Frage, inwieweit beide Technologien konkurrieren. Obwohl sie teilweise den gleichen Markt ansprechen, nämlich Internet-Zugang und Anbindung von Telearbeitern, bestreiten Experten der Gartner Group und des ADSL-Forums eine Konkurrenz. Es handle sich vielmehr im wesentlichen um ergänzende Technologien.

Siemens und Alcatel entwickeln bereits Geräte, die ADSL und ISDN integrieren. "Beide Technologien einzusetzen sichert die Investitionen, die Unternehmen bereits in ISDN gesteckt haben. Außerdem bietet ein zweigleisiges Vorgehen Benutzern die Möglichkeit, auf eine höhere Bandbreite aufzustocken", beschreibt Nigel Deighton, Analyst bei der Gartner Group, die Motivation der Hersteller.

ISDN und ADSL unterscheiden sich vor allem hinsichtlich der Übertragungsrate. Während ADSL downstream zum Anwender Bandbreiten bis zu 9 Mbit/s und bis zu 640 Kbit/s upstream zum Provider transportiert, hat ISDN mit zwei B-Kanälen (je 64 Kbit/s) und einem D-Kanal (16 Kbit/s) insgesamt nur eine Kapazität von 144 Kbit/s. Im Gegensatz zu ISDN verfügt ADSL also über unterschiedliche Datenraten für Hin- und Rückkanal, es handelt sich um ein asymmetrisches Verfahren.

Neben der höheren Bandbreite gilt die Fähigkeit von ADSL, sich automatisch an die vorhandene Leitungsqualität anzupassen, als weiterer Vorteil gegenüber ISDN. ADSL drosselt die Datenrate so lange, bis die Übertragung funktioniert. ISDN dagegen arbeitet entweder mit voller Geschwindigkeit oder gar nicht.

Diesen Pluspunkten steht eine Reihe von Nachteilen gegenüber. So wird moniert, daß für ADSL noch keine Techniken zur Reichweitenerhöhung kommerziell verfügbar sind. Dieses Argument betrifft allerdings eher die Vereinigten Staaten, weil in Deutschland die zu überbrückenden Distanzen zwischen dem Telearbeiter und dem jeweils nächsten Telekom-Knoten geringer sind. In ländlichen Gegenden lassen sich aber auch hierzulande Probleme mit der Reichweite nicht ausschließen, wenn die Bandbreite ausgeschöpft werden soll.

Ähnlich sieht es mit den maximalen Verzögerungszeiten aus, einem wichtigen Kriterium für die Sprach- und Videokommunikation. Diese beträgt bei ISDN 40 Millisekunden, bei ADSL hingegen ist sie nicht spezifiziert und größer, weil der Verarbeitungsaufwand für die Codierung des Signals höher ist. Trotzdem sei die Verzögerung immer noch gering genug, um Anwendungen nicht zu beeinträchtigen, relativiert Hans-Erhard Reiter, Präsident des ADSL-Forums, die Einschränkung gegenüber ISDN. Selbst für Videokonferenzen lasse sich ADSL einsetzen. Dazu kann laut Siemens eine symmetrische Einstellung benutzt werden, die 640 Kbit/s in beide Richtungen überträgt.

Über die Komplexität der Installation besteht Uneinigkeit. Brett Azuma, Autor der Dataquest-Studie "xDSL: Must History Repeat Itself?", befürchtet, ähnlich wie in der Anfangsphase von ISDN müsse der Anwender exakte Kenntnisse über Service-Provider, Geräte und Spezifikationen besitzen, um die richtige Ausrüstung zusammenzustellen. Reiter dagegen bestreitet, daß die Installation komplizierter sei als derzeit bei ISDN. Zu der Einrichtung des ADSL-Modems gesellt sich lediglich die des vorgeschalteten Plain-Old-Telephone-Service-(POTS-)Splitters (siehe Abbildung), einer Frequenzweiche, die den Telefonverkehr vom sonstigen Datenverkehr trennt. (Der POTS-Splitter kann auch im Modem integriert sein.)

Aus den oben diskutierten Vor- und Nachteilen ergibt sich, daß ADSL besonders für bandbreitenintensive Applikationen geeignet ist, die mehr Informationen zum Benutzer transportieren als zurück. Als Beispiele nennt Reiter High-speed-Internet-Abfragen sowie grafikintensive Anwendungen. Nadine Berezak-Lazarus, Senior Consultant bei Eutelis in Ratingen, verweist besonders auf Video on demand, Electronic Shopping sowie Business-TV.

Endgültige Klarheit darüber, welche Anwendungen außerdem geeignet sind und welche nicht, scheint allerdings zum gegenwärtigen Zeitpunkt noch nicht zu bestehen. Die Deutsche Telekom zumindest erprobt noch potentielle Anwendungen für ADSL in einem Projekt gemeinsam mit dem Land Nordrhein-Westfalen. Zu genaueren Auskünften war der Carrier nicht bereit.

Einen zusätzlichen Nutzen verspricht der Transfer von ATM-Zellen über ADSL. Reiter sieht darin eine ideale Kombination für eine Vielzahl der genannten Anwendungen. "ATM transportiert Sprache und Video zuverlässig, während ADSL aus existierenden Kupferleitungen die maximale Leistung herausholt", begründet er seine Meinung. Das ADSL-Forum hat bereits eine technische Empfehlung für die Übertragung von ATM-Verkehr über ADSL-Modems verabschiedet.

Die Symbiose von ADSL mit Protokollen wie ATM oder Ethernet ist möglich, weil ADSL lediglich eine physikalische Transportmöglichkeit darstellt (das entspricht dem "physical layer" im üblichen Schichtenmodell). An eine Kombination mit Token Ring ist nicht gedacht. In der zwischen Protokollschicht und Physical Layer liegenden Transmission-Convergence-Schicht findet die Verknüpfung zwischen ATM und ADSL statt. Die ATM- beziehungsweise Ethernet-Pakete bleiben dabei unverändert.

Die Geschwindigkeit der Übertragung wird von ADSL bestimmt, nicht von dem Protokoll darauf. Für ATM über ADSL kommt deshalb ATM mit bis zu 25 Mbit/s in Frage. Nach Auskunft von Berezak-Lazarus ist ATM über ADSL technisch schon einsatzfähig, aber die Interfaces sind noch nicht standardisiert. Außerdem sind die Bit-Fehler- raten bei ATM anders definiert als bei ADSL, so daß man bei heute verfügbaren Geräten noch auf Quality of Service (QoS) von ATM verzichten muß. Bis sich allerdings ein Service-Provider findet, der ADSL anbietet, könnten diese Probleme schon behoben sein.

Komponenten für ADSL

Um ADSL nutzen zu können, benötigen Anwender ein ADSL-Modem, das kompatibel zu dem vom Service-Provider vorgehaltenen Gegenstück ist. Außerdem ist ein POTS-Splitter erforderlich, der die Sprach- und Datenübertragung trennt. Das gilt sowohl für die Anbindung einzelner Telearbeiter wie auch von Filialen mit mehreren Mitarbeitern (siehe Grafik).

Im Fall eines Unternehmens läßt sich die ADSL-Verbindung über eine Ethernet- oder ATM-Schnittstelle an einen Server anschließen. Die Rechner der Endanwender, die mit dem Server verbunden sind, können über diesen auf die ADSL-Strecke zugreifen. Das Edge-Device der Firma (zum Beispiel ein Router) muß ATM oder Ethernet unterstützen (Richtung Netz). Am Unternehmensnetz werden keine weiteren Modifikationen notwendig.

Provider von ADSL-Diensten benötigen folgende Komponenten:

-Modems und POTS-Splitter in ihrem Digital Subscriber Line Access Multiplexer (DSLAM) als Endpunkt und Sammelstelle einlaufender ADSL-Verbindungen. Diese Multiplexer leiten den Sprachverkehr an das Public Switched Telephone Network (PSTN) und Daten an eine digitale High-speed-Verbindung weiter.

-Abrechnungssysteme, Test- und Diagnosefunktionen sowie Netzwerk-Management-Fähigkeiten.