Stärkere Vertriebsorientierung, Produktstrategie rund um Business ByDesign, Netweaver und ERP 6.0 bleibt

Stühlerücken bei SAP: Das meinen die Analysten

03.04.2008 von Frank Niemann
Die personellen Veränderungen im Führungskreis und im Vorstand dürften nach Ansicht von Experten zwar kaum zu radikalen Strategiewechseln führen. Jedoch erwarten sie eine deutlich stärkere Ausrichtung des Softwarekonzerns auf den Vertrieb, da mit Léo Apotheker in Zukunft ein Vertriebsprofi die Fäden in der Hand hält, während technikorientierte Manager wie Henning Kagermann und Peter Zencke ihre Posten verlassen. Weitere Akquisitionen seien nun eher wahrscheinlich. Möglicherweise hebt SAP auch die Wartungsgebühren für Bestandskunden an, um höhere Einnahmen zu erzielen.

SAP hat den erwarteten Führungswechsel eingeläutet und Leo Apotheker, bisher stellvertretender Vorstandssprecher der SAP, zum gleichberechtigten zweiten Vorstandssprecher ernannt. Der Vertrag des bis dato allein agierenden Vorstandschefs Henning Kagermann läuft im Mai 2009 aus. Aus der Konzernleitung ausscheiden wird ferner der Forschungsvorstand Peter Zencke. Dessen Vertrag läuft Ende des Jahres aus.

Neben den personellen Veränderungen in der Konzernspitze baut SAP auch den Vorstand um. Zum Führungskreis zählen nun Erwin Gunst, Bill McDermott und Jim Hagemann Snabe. McDermott zeichnet künftig für den weltweiten Vertrieb verantwortlich, die Weiterentwicklung der Business Suite und Netweaver übernimmt Snabe und Gunst wird Chief Operating Officer (COO). Auch wenn die Anpassungen in der Führungsriege nicht überraschend kommen dürften, sie nicht ohne Folgen für SAPs Marktauftritt und letztlich auch die Kunden bleiben. Die COMPUTERWOCHE wollte von führenden Analysten wissen, was sie aufgrund der Maßnahmen an Veränderungen erwarten.

Andreas Bitterer, Vice-President Research bei Gartner: "Aggressiver im Vertrieb"

Andreas Bitterer, Vice-President Research bei Gartner, erwartet, dass SAP im Vertrieb aggressiver wird.
Foto: Andreas Bitterer

"Das zukünftige Management-Team besteht aus SAP-Veteranen, die schon lange die wichtigen Entscheidungen geprägt haben, daher sind keine abrupten oder radikalen Kursänderungen zu erwarten." Allerdings komme das neue Management, insbesondere Léo Apotheker, aus der Vertriebsfraktion und nicht von der Technik-Seite, daher sei es möglich, dass SAP einen aggressiveren Verkaufsstil entwickele. "Eventuell wird SAP künftig weitere Akquisitionen tätigen, statt wie bisher eine eher technologiegetriebene Strategien zu verfolgen und die Produkte selbst zu bauen."

Einen ersten Indikator für eine stärker vom Vertrieb getriebene Strategie hat Bitterer in den Wartungskonditionen für Neukunden ausgemacht. Unlängst hatte der Konzern die Gebühren auf 22 Prozent erhöht - auf den Satz, den auch der Erzrivale Oracle verlangt. "SAP könnte demnach besonders an Umsatzwachstum interessiert sein und weniger an Technologie und Innovation."

Helmuth Gümbel, Managing Partner bei Strategy Partners in Scuol: "Die Zuneigung der Kunden dürfte sich weiter abkühlen"

Der Vertriebsdruck wird vor allem in Deutschland steigen, erwartet Helmuth Gümbel von Strategy Partners. Auch werde SAP versuchen, bei den Bestandskunden eine höhere Wartung durchzusetzen.
Foto: Gümbel

"SAP wird sich weiter in Richtung Vertrieb entwickeln und versuchen, die Liebe der Aktionäre zu gewinnen. Die Zuneigung der Kunden dürfte sich weiter abkühlen.“ Nachdem man vor 10 Jahren die Wartung von 15 auf 17 Prozent angehoben hat, sind die nächsten fünf Jahre der Durchsetzung der 22 Prozent Enterprise-Wartung auch bei den Altkunden gewidmet. Der Akzent des Konzerns liegt nun auf Umsatz und Marge. Unter dem neuen Management werden die SAP-Techniker weiter lernen dürfen, dass sie mehr (SAP) Business-Enabler als Innovatoren sind.“
Auch Gümbel sieht den Vertriebsdruck vor allem in dem saturierten deutschen Markt. Der ERP-Experte glaubt ferner, dass sich das neue On-Demand-Produkt Business ByDesign schwer tun wird in der auf Quartalsergebnisse und Marge ausgerichteten Softwarefirma. „Hosting-Angebote versprechen im Schnitt eine eher geringe Marge von unter 15 Prozent und hohe Anfangsinvestitionen für den Anbieter.“ Der Konzern konkurriere gegen Salesforce.com, das keine Dividende ausschüttet und stattdessen vor allem in Marktausweitung investiert. „Das wird Leo Apotheker gar nicht gefallen."

Frank Naujoks, Research Manager Software bei IDC: "Keine großen Abweichungen in der Produktstrategie"

"Von großen Strategieänderungen ist nicht auszugehen, da Apotheker und Kagermann ja schon einige Zeit im Vorstand die Geschicke des Konzerns lenken. Allerdings dürfte SAP den eingeschlagenen Weg der Internationalisierung vorantreiben." SAP werde immer weniger ein deutsches Unternehmen sein, was sich beispielsweise bei Neueinstellungen, Vertriebsaktivitäten und höheren Umsatzvorgaben niederschlage. Dies habe sich schon in den letzten Jahren abgezeichnet und setzt sich nun fort, um die Marktposition zu halten und auszubauen.

Laut Frank Naujoks, Research Manager Software bei IDC, ändert sich für Kunden zunächst einmal nicht viel.
Foto: Frank Naujoks

Naujoks erwartet keine großen Veränderungen für die Kunden. SAP wird versuchen, die Nutzerbasis sowohl im Mittelstand als auch bei den Bestandskunden auszudehnen. Schwerpunktthemen wie beispielsweise CRM seien im Vertrieb definiert und die erforderlichen Mitarbeiter befänden sich größtenteils schon an Bord. "Technologisch hat sich SAP auf ERP 6.0 für die nächsten Jahre festgelegt, da wird es schon aus Investitionsschutzgründen keine großen Abweichungen geben." Der Heimatmarkt Deutschland dürfte Naujoks zufolge an Bedeutung verlieren, weil dessen Umsatzanteil an den Gesamteinnahmen sinkt. Dennoch wird auch von Deutschland erwartet, zweistellig zu wachsen. "Für deutsche Kunden besteht aber zunächst einmal keinen Grund zur Besorgnis."

Rüdiger Spies, Independent Vice President Enterprise Applications bei IDC: "Der Unterschied von SAPs Marktauftritt im Vergleich zu Oracle könnte abnehmen"

Die Änderung hatte sich schon über die letzten Tage und Wochen angedeutet. "Apotheker verfügt nicht über das technische Vokabular der bisherigen CEOs von SAP." Zu erwarten sei in diesem Zusammenhang eine noch stärkere Marketing- und Sales-Orientierung des Unternehmens. Verstärkt werde dies durch das neue Führungsmitglied Bill McDermott, der wie Apotheker eher Verkäufer als Techniker ist. Eine Ausnahme sei hier der Däne Hagemann-Snabe, der über einen soliden technischen Hintergrund verfüge.

In Sachen Strategie könnten sich SAP und Oracle ähnlicher werden, meint Rüdiger Spies, Independent Vice President Enterprise Applications bei IDC.
Foto: IDC

"Ich erwarte, dass SAP nach den Innovationsschüben nun mehr Anstrengungen darauf verwenden wird, diese in bare Münze umzuwandeln." Die klare technische Grundlage jeder Argumentation der Geschäftsleitung könne einer überwiegend kommerziell orientierten Argumentation weichen. "Dadurch könnte der Unterschied zu Oracle im Marktauftritt geringer werden."

Andreas Zilch, Vorstand der Experton Group: "Kontinuität in den Personalentscheidungen"

"Der Schritt von SAP kommt erwartungsgemäß und war auch notwendig, um die SAP Führungsspitze internationaler zu machen." Nachdem SAP die technischen Grundlagen mit Netweaver und Business ByDesign geschaffen habe, gehe es nun darum, diese Lösungen erfolgreich zu vermarkten.

Der Schritt war notwendig, um SAP internationaler zu machen. Andreas Zilch, Vorstand der Experton Group.
Foto: Experton Group

Obwohl es auf den ersten Blick nach einer Internationalisierung ohne deutsche Beteiligung aussieht, zeige die Vita der Personen durch ihre langjährige SAP-Zugehörigkeit die Kontinuität der Personalentscheidungen.

Lynn-Kristin Thorenz, Consultant bei Pierre Audoin Consultants (PAC): "Internationale Vereinheitlichung und Kontinuität in der Strategie"

"Aus unserer Sicht sind die Veränderungen nicht überraschend. Die Nachfolgeregelung für Henning Kagermann ist gut und sinnvoll. Entsprechend rücken neue Leute weiter auf." Auch die PAC-Expertin erwartet für die Kunden, insbesondere für die deutschen, keine Veränderungen.

Für Lynn-Kristin Thorenz von PAC ist die Personalentscheidung gut und sinnvoll. Möglicherweise strebt SAP nun eine internationale Vereinheitlichung, die auf europäischer Ebene schon exisitert.

SAP werde die eingeschlagene Strategie konsequent weiterverfolgen. "Vermutlich wird Erwin Gunst, der die neu geschaffene Position des COO bekleidet, die vereinheitlichenden Maßnahmen, die er zuvor auf europäischer Ebene durchgesetzt hat, nun weltweit umsetzen."