"Stiletto" schafft 64 MIPS und kostet 100 000 Mark

Stardent präsentiert Workstation mit Mainframeleistung

21.09.1990

MÜNCHEN - Die Entwicklung bei den Workstations geht Schlag auf Schlag weitere, immer mehr Leistung in MIPS zu weniger Dollars oder Mark. Da überrascht es nichts daß der auf grafische Superrechner spezialisierte US-Hersteller Stardent jetzt eine Desktop-Workstation mit Mainframe-Leistung herausbringt.

Die neue "Stiletto", eine Desktop-Superworkstation, soll "alles bisherige zu diesem Preis in den Schatten stellen", meinte Stardent Vice-President Wallace Smith kürzlich auf einem Besuch in Deutschland. Mit maximal 64 MIPS und 64 Megaflops (zwei

CPUs) soll der Stardent-Rechner nur rund 50 000 Dollar kosten, in Deutschland etwa 100 000 Mark. Das entspäche einem verbesserten Preis-/Leistungsverhältnis bei Grafikrechnern dieser Klasse um rund das Vierfache in den letzten eineinhalb Jahren.

Die wahlweise ein bis zwei CPUs der Maschine sollen mit Standard-Risc-Prozessoren von Mips (R3000/3010) und jeweils einem Intel i860-Chip für das Vektorprocessing ausgerüstet sein, während zwei weitere i860-Chips allein für die Grafik zuständig sein werden. Das interne Bus-System soll einen Durchsatz von 128 Megabyte/s aufweisen, enorm viel für ein Tischgerät von der Größe eines PC. Damit hätte Stardent eine durchgängige Produktpalette seiner grafischen Superrechner ab 32 MIPS/32 Mflops bis zu 128 MIPS/192 Mflops, alles mit einer einzigen Compilertechnologie des Herstellers Mips Computer.

Für Smith spielt die neue Stiletto in zweierlei Hinsicht eine Schlüsselrolle: Zum einen wolle Stardent über international operierende Distributoren damit erstmals in das OEM-Geschäft einsteigen, "um den weltweiten Vertrieb unserer Rechner voranzubringen". Zum anderen eröffne das enorme Preis-/Leistungsvermögen "vielen Unternehmen einen günstigen Start ins eigene Numbercrunching".

Nicht zuletzt mache die Stardent-eigene Visualisierungs-Software AVS (Application Visualization System) das neue Kraftpaket interessant. Auf einfache Weise könnten mit AVS und seiner grafischen Benutzeroberfläche Produktentwicklungen auf der Stiletto animiert werden: Als eine Art "Spreadsheets für die grafische Welt der Wissenschaftler", wie der heutige Stardent-Chef Bill Produska die neuen Möglichkeiten damit umreißt. Nach Digital Equipment und Apple zeigte kürzlich auch der Supercomputer-Hersteller Convex sein starkes Interesse an AVS durch ein entsprechendes Lizenzabkommen mit Stardent. Der Überzeugung sind offenbar auch andere. Beispielsweise Cray, wo die erste Installation auf einer Y-MP in Großbritannien läufig mit einer Stardent als grafischer Frontend-Maschine. Um rund den Faktor zehn, schätzt Smith, ließen sich durch AVS große Numbercruncher besser nutzen. Grund: Der Berechnungsverlauf kann auf dem Monitor in Echtzeit verfolgt und abgebrochen werden wenn das Ergebnis sich nicht zufriedenstellend entwickelt. Bisher mußte man auf das fertige Ergebnis warten.

Auch Hewlett-Packard zeige nach Aussage seines Böblinger Vertriebsleiters Hartmut Stilp an AVS "gewisses Interesse". Insgesamt, ließ Wallace Smith Durchblicken, stünde Stardent derzeit mit rund zehn Rechnerherstellern "in einer heißen Verhandlungsphase".

Das Interesse auf beiden Seiten kommt nicht von ungefähr. Denn AVS als Benutzeroberfläche wirke wie eine Shell und mache Anwendungsprogramme erstmals unabhängig von der Hardware Gleichzeitig verspricht sich Stardent einen "enormen Kapitalrücklauf" durch die Lizenzeinnahmen. Schon im nächsten Jahr soll allein das Software-Geschäft rund 20 Prozent am Gesamtumsatz ausmachen. Für 1990 rechnet Smith mit einem Umsatzergebnis von insgesamt rund 95 bis 100 Millionen Dollar, das Doppelte gegenüber dem Vorjahr nach nur zwei Jahren seit Vertriebsbeginn mit grafischen Supercomputern ein bemerkenswertes Ergebnis,

Verschärfte Einfuhrbestimmungen in die USA hätten Stardent das US-Geschäft mit seiner neuen Stiletto allerdings beinahe vermiest. Denn seit letztem Jahr gilt für sämtliche Desktop-Computer aus japanischer Produktion ein Schutzzoll von 100 Prozent des Verkaufspreises. Um die Auflagen zu umgehen, wird Venture-Partner und Lohn-Produzent Kubota, der für Stardent die gesamte Fertigung abwickelt, spätestens ab diesem September eine eigene Montagelinie in Sunnyvale in Betrieb nehmen, Insgesamt wolle Stardent in den beiden Märkten USA und Europa im nächsten Jahr "mehrere tausend" seiner Stilettos absetzen. Nicht erreichen wird Stardent in diesem Jahr das Ziel, schwarze Zahlen zu schreiben. Wallace Smith begründet das mit einer derzeit laufenden organisatorischen Umstrukturierung, nach dem Merger von Stellar und Ardent die bestehenden beiden Hauptquartiere in Boston zusammenzulegen.