Master Data Management

Stammdaten - ungeliebt und nützlich

27.10.2010 von Ariane Rüdiger
Stammdaten-Management ist eine ermüdende Daueraufgabe für Detailverliebte und zugleich unverzichtbar für das Informations-Management. Vier Anwender schildern ihre Erfahrungen.
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Wenn ein Kunde dreimal die gleiche Hochglanzbroschüre von der gleichen Firma bekommt, jedes Mal mit einem anderen Schreibfehler in seinem Namen, hebt das sicher nicht seine Meinung über den Absender. Zudem kosten solche nutzlosen Aktionen Geld. Auch Unternehmen, die mangels Pflege ihrer Materialdatenbank ihre Vorprodukte zu teuer einkaufen, weil sie die Bezugspreise früherer Lieferungen nicht sorgfältig im Materialstamm festhalten, verschenken Mittel. Dagegen hilft nur ein sorgfältiges Master-Data-Management.

RWE ordnet Einkaufspreise und spart in der Beschaffung

Die Entwicklung IT-gestützter, weitgehend automatisierter Stammdaten-Management-Prozesse als Teil des Informations-Managements gehört zu den Aufgaben, die viele Unternehmen erst langsam strukturiert angehen. Wichtige Treiber sind Compliance und Risiko-Management, Geschäftsprozessintegration, das auf Kunden maßgeschneiderte Design neuer Produkte und Services oder eine optimierte Beschaffung.

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Den Nutzen zeigt das Beispiel von RWE, präsentiert anlässlich einer aktuellen IIR-Tagung zum Thema Stammdaten-Management in Frankfurt am Main. Für den Energieriesen steht das Thema aus Compliance-Gründen schon seit 40 Jahren weit oben auf der Prioritätenliste. Bei der Beschaffung sparte RWE beispielsweise allein dadurch mehrere hunderttausend Euro, dass die bisherigen Einkaufspreise von Produkten hinterlegt waren und somit in die Preisverhandlungen mit neuen Anbietern eingebracht werden konnten.

Aufbau und Pflege von Stammdatenstrukturen werden dennoch oft als lästige, komplexe Daueraufgaben ohne sofort sichtbaren Gewinnbeitrag betrachtet: Ständig kommen neue Kunden, Artikel, Vorprodukte, Lieferanten und Materialien dazu oder müssen gestrichen werden. Änderungen können weitere Änderungen erforderlich machen, die sich nicht immer automatisch fortpflanzen und händischer Eingriffe bedürfen.

Bei Zukäufen oder Fusionen bringt jede Seite ihre eigenen Stammdaten mit. Das erfordert Entscheidungen: Sollen die Daten zusammengeführt oder separat gehalten werden? In ersterem Fall beginnt die Suche nach einem sinnvollen Integrationskonzept. Im zweiten muss dennoch versucht werden, den Aufwand gering zu halten.

Paul Hartmann vereinheitlicht Daten in 35 Ländern

Alfred Ullmann, Paul Hartmann AG: "Die Mitarbeiter stehen in der Verantwortung."
Foto: Paul Hartmann AG

Weil die Stammdaten- von der Unternehmensstruktur abhängt, gibt es keine Patentrezepte: Ein produzierendes Unternehmen braucht andere Stammdaten und -verwaltungsmechanismen als ein Dienstleister, eine Firma mit vielen selbständigen, unterschiedlichen Bereichen andere als eine mit relativ einheitlicher Struktur.

Der Medizintechnik-Hersteller Paul Hartmann AG beispielsweise ist durch Zukäufe und Auslandsexpansion seit 1980 rasant gewachsen. Deshalb musste das ehemals von der Zentrale in Heidenheim kontrollierte Stammdaten-Management durch eine andere Struktur ersetzt werden. Seit rund fünf Jahren arbeitet das Unternehmen nun im Rahmen eines IT-Projekts an einem Stammdatenprozess, der für alle Unternehmensbereiche einheitlich gelten soll. Ziel ist es, dass Produkte in allen 35 Landesgesellschaften gleichzeitig eingeführt werden können, wobei das lokale Marketing jeweils entscheidet, ob eine solche Einführung sinnvoll ist.

Das globale System vererbt Stammdaten an lokale Datenbasen

Ausgangspunkt sind deshalb bei Hartmann die Artikelstammdaten, weitere Bereiche folgen später. Der Stammdatenprozess beginnt beim Marketing, dem Eigner des gesamten Vorgangs. Es entwickelt neue Produktideen und legt für sie die ersten Stammdaten an, beispielsweise Artikelnummern. Die Daten werden im Verlauf der Produktentwicklungen nach einem festgelegten Prozessschema an die nachfolgenden Abteilungen weitergereicht und ergänzt. "Wenn die richtigen Personen die Daten ergänzen, dann stimmen sie auch", so Alfred Ullmann, der bei Hartmann seit 2005 für das Master-Data-Management verantwortlich ist.

Bei Produktionsbeginn müssen die Daten vollständig vorliegen. Alle Artikelstämme werden zentral gesammelt, auf Konformität mit den unternehmensweit gültigen Standards geprüft und dann in ein SAP-System eingestellt.

Gleichzeitig gibt es lokale Stammdaten. Das globale System arbeitet auf Produktebene und vererbt die Stammdaten an die lokalen Datenbasen, die nicht Produkte, sondern Artikel speichern, also auch lokalspezifische Packungsgrößen etc. enthalten. Bei der Umsetzung des Konzepts stützt sich Ullmann auf ein Tool auf PHP/MySQL-Basis, inzwischen wurde zudem Tibco eingeführt.

ThyssenKrupp: Individuelle Produkte, individueller Materialstamm

Während die Produkte von Hartmann relativ stark standardisiert sind, gilt das für den Schiffsbaubereich des Thyssen-Krupp-Konzerns, Thyssen Krupp Marine Systems, gerade nicht. Hier ist fast jedes Produkt eine Einzelfertigung. Die drei Standorte sind auf unterschiedliche Bereiche spezialisiert. Blohm + Voss Naval agiert in Hamburg als Systemhaus ohne eigene Fertigung im Schiffsbau. Howaldtswerke Deutsche Werft in Kiel baut Unterseeboote. B+V Shipyards & Services betreibt in Emden Dienstleistungen und baut Yachten.

Demgemäß haben alle drei Standorte stark differenzierte Stammdaten. Dennoch strebt das Unternehmen eine übergeordnete Stammdatenstruktur an. Arbeits- und Materialpakete sollen in Zukunft leichter von einem Standort an den anderen verlagert werden können, um Nachfrageschwankungen besser abzufangen. Doch das war so gut wie unmöglich, solange es keinerlei Verbindung zwischen den Materialstammdaten der Standorte gab. Der eine verstand schlicht nicht, was der andere mit einer bestimmten Materialbezeichnung meinte. Zudem erzeugte das komplett getrennte Stammdaten-Management der drei Bereiche jährlich Kosten in Millionenhöhe.

Es stellte sich als sinnlos heraus, das jeweils Tausende von Klassen umfassende System der lokalen Materialstämme zu ändern, weil das eine Migration der lokalen SAP-Systeme und damit einen unzumutbaren Aufwand bedeutet hätte. Die Lösung bestand darin, die Stammdaten aus den zahlreichen lokalen Klassen mit Hilfe des Werkzeugs "Part Explorer" von Cadbas in nur rund 80 Produktklassen des zentralen Materialstamms mit wenigen, grundlegenden Merkmalen einzuordnen.

Lokale Anfragen an die zentrale Materialdatenbank greifen auf diese Daten zu und verzweigen dann auf die differenzierteren Klassen der lokalen Datenbasen. Die nötigen Mappings herzustellen war aufwendig. "Das hat trotz des Werkzeugs viel händische Arbeit erfordert", erinnert sich Hans-Hagen Bartsch, der bei Blohm + Voss Naval für das Thema zuständig ist.

Unicredit: Konditionen statt Materialien

Walter Kosak, Unicredit Bank Austria AG: "Stammdaten werden gleichzeitig auf mehreren Systemen benötigt."
Foto: UniCredit Bank Austria AG

Ganz anders sieht wiederum das Master-Data-Management eines Finanzdienstleisters aus. "Wir haben kaum Material und Produkte, dafür aber permanent neue Kunden, Konditionen und Ereignisse, die wir sehr schnell anlegen, ändern und einpflegen müssen", erklärt Walter Kosak, Chief Architect der Unicredit Bank Austria AG. Zudem werden die Stammdaten oft von mehreren Systemen gleichzeitig benötigt. Diese Struktur gilt es im Stammdaten-Management abzubilden.

Es entstand eine SAP-basierende Systemarchitektur mit zwei Ebenen: Auf der systemnäheren Ebene der Datenservices werden Metadaten nach strengen Integritäts- und Konformitätsregeln angelegt, gelöscht, aktualisiert oder gelesen. Dem Anwender bietet sich, logisch getrennt davon, die Sicht auf Business-Services. Diese erledigen Aufgaben wie die Herausgabe von Kundendaten, die Darstellung des Finanzstatus eines bestimmten Kunden und so weiter. Das System koordiniert regelgesteuert zwischen den Ebenen. So können Nutzer stets auf die Daten zugreifen. Die Aktualität und Integrität des Datenpools bleiben aber trotzdem erhalten. (jha)