Plattformstrategie eingeführt

Softwarehersteller d.velop organisiert sich nach dem Wabenprinzip

24.05.2019 von Heinrich Vaske
Der digitale Wandel zwingt nicht nur Anwenderunternehmen, sondern auch Softwareanbieter, sich anders aufzustellen. Ein Beispiel ist der westfälische ECM-Spezialist d.velop, der mit seiner neuen Organisationsform den Bienen nacheifert – und ganz nebenbei eine neue Plattformstrategie einzieht.
  • Bei d.velop tritt an die Stelle einer hierarchischen Organisation ein Wabenmodell, in dem acht- bis zehnköpfigen Einheiten nah am Kunden agieren
  • d.velop setzt auf agile, sich selbstorganisierende Einheiten, versucht aber, die Risiken einzugrenzen
  • Der Weg in die Plattform-Ökonomie soll wirtschaftlich die Zukunft sichern
Mario Dönnebrink, CEO des ECM-Spezialisten d.velop AG, erklärt den rund 800 Gästen auf der Hausmesse in Berlin, warum er eine Plattformstrategie verfolgt und wie diese aussehen soll.
Foto: d.velop

Die d.velop AG aus Gescher ist ein typischer mittelständischer Softwarehersteller. Groß geworden mit Lösungen für Archivierung und Dokumenten-Management (DMS), sind die Westfalen inzwischen zu Spezialisten für Enterprise Content Management (ECM) herangewachsen - mit mehr als 600 Mitarbeitern und über 8500 Kunden. Auf dem "d.velop forum 2019", das in Berlin stattfand, erfuhren die gut 800 Teilnehmer, wie sich das Unternehmen neu aufgestellt hat und nun an einem eigenen Ecosystem arbeitet.

Partner und Kunden von d.velop können Apps entwickeln und verkaufen

Im Aufbau befindet sich demnach eine Plattform, auf der Softwarepartner und Systemhäuser, Freiberufler und auch Kunden mithilfe des dort verfügbaren "App-Builder-Programms" schnell und kollaborativ SaaS-Anwendungen rund um DMS und Prozessautomatisierung entwickeln können. Ihre Vermarktung erfolgt über den d.velop store.

Wie das funktioniert, zeigten Teilnehmer des Berliner Forums im Rahmen eines Hackathons: Verschiedene Entwicklerteams erstellten in nur zwei Tagen Apps. Den Sieg trug ein Team des KI-Spezialisten Westphalia DataLab davon: Es schuf eine lauffähige Anwendung für intelligentes, KI-gestütztes Bewerber-Management.

Wie stellt sich d.velop seine Plattformzukunft konkret vor? Zunächst sollen sich möglichst viele Interessenten für das App-Builder-Programm registrieren und dort Kontakt mit "Coaches" und "Partner Managern" aufnehmen. Mit deren Hilfe können sie sich mit der technischen Umgebung vertraut machen und eine Strategie für ein Cloud-basierendes Geschäftsmodell entwickeln.

Unterstützt von sogenannten Solution Architects können sie dann das Design ihrer Anwendung planen und sicherstellen, dass die Lösung gängigen Security-Anforderungen gerecht wird. Jetzt folgt der für d.velop entscheidende Schritt: die Unterzeichnung eines Partnership Agreements. Anschließend kann die App in den Store gestellt und angeboten werden. Der Urheber erhält 70 Prozent vom Verkaufspreis, der Rest entfällt auf den Plattformbetreiber.

Jetzt muss d.velop Partner gewinnen

Die Softwareschmiede setzt auf einen Kreislaufeffekt, der funktionierende Software-Ökosysteme für gewöhnlich antreibt: Mit der Anzahl der Apps steigt die Attraktivität für Endnutzer und deren Zahl erhöht sich. Das wiederum macht die Plattform interessanter für Softwareentwickler und -unternehmer, die sich als App-Builder anmelden. Netzwerkeffekte erhöhen die Attraktivität der Plattform, versetzen verschiedene Kundengruppen in die Lage, dort Transaktionen laufen zu lassen und locken so auch Berater und andere Supporter an. Der Erfolg steht und fällt also damit, ob eine kritische Menge an Partner- und Kunden-Apps eingestellt wird.

Auf dem d.velop forum 2019 in Berlin waren gut 800 Kunden und Partner anwesend.
Foto: d.velop

Um sich als Plattformanbieter zu positionieren und in neuen Märkten zu wachsen, hat Mario Dönnebrink, Vorstand und CEO von d.velop, schon im vergangenen Jahr damit begonnen, einen grundlegenden Wandel einzuleiten. Das Flaggschiff des Unternehmens, das monolithische ECM-System D3, wurde rundum erneuert, in Microservices zerlegt und kann heute als Cloud-Service aus der Amazon-Cloud heraus bezogen werden. Dem CEO ist es wichtig, ECM sowohl weiterhin on Premise als auch für hybride Umgebungen und Cloud Native anbieten zu können. "ECM-Systeme sind träge, die Kunden sehen oft keine Notwendigkeit, etwas zu ändern", sagt Dönnebrink. Um alle Bedürfnisse befriedigen zu können, müsse man sich als Anbieter breit aufstellen.

Mit der neuen Plattform bestehe nun die Möglichkeit, Neukunden unterschiedlicher Größenordnung mit kleinen oder größeren Lösungen aus eigenem Haus oder von Partnern zu erreichen. Archivierung und Dokumenten-Management blieben Kernanforderungen, die alle Unternehmen bewegten. Ein Gamechanger sei die digitale Signatur, die dokumentenbasierende Workflows beschleunige und insbesondere durch den Wettbewerber Docusign große Verbreitung gefunden habe. Das könnten d.velop und andere Wettbewerber aber auch - und zwar gemäß der EU-weit gültigen Signaturrichtlinie "Electronic Identification And Trust Services" (eIDAS).

Wabenstruktur soll Hierarchien ersetzen

Organisatorisch hat Dönnebrink das Softwarehaus komplett neu aufgestellt. Dabei hat er sich vom Organisationsberater und Bestseller-Autor Andreas Lange beraten lassen. Gemeinsam wurde die Ausgangssituation wie folgt beschrieben:

Also galt es, ein flexibles Modell zu finden, das auf Veränderungen schnell reagiert oder diese sogar antizipiert. Für d.velop bedeutete das einen Abschied von der linearen, hierarchischen Aufstellung und die Ausrichtung auf eine crossfunktionale, adaptive und sich selbst entwickelnde Organisationsform. Nach dem LeanStartup-Prinzip sollen neue Märkte schnell adressiert und Produkte kundennah entwickelt und bereitgestellt werden. Gearbeitet wird in eigenverantwortlichen markt- und kundenzentrischen Teams mit nicht mehr als acht bis zehn Mitarbeitern.

Aufgaben ersetzen Rollen

Unterstützt von Berater Lange wurde eine "Wabenorganisation" erarbeitet, die d.velop zusammen mit den Mitarbeitern definierte und ausgestaltete. Sie ist dadurch gekennzeichnet, dass Beschäftigte aus unterschiedlichen Unternehmensbereichen zu Teams zusammengeführt werden und dort "Aufgaben" übernehmen. Festgeschriebene Rollen gibt es nicht mehr. In jeder Wabe gibt es bis zu drei "Leader" mit besonderer Verantwortung, aber keine klassische Hierarchie, sondern eine "geführte Selbstorganisation". Feste Regeln werden durch Prinzipien ersetzt, und es wird dafür gesorgt, dass sich die Strategien - mehrere sind möglich - in den Wabenstrukturen widerspiegeln.

Die in den Waben notwendigen Aufgaben betreffen Kompetenz zum Kerngeschäft, Organisation und Prozesse sowie Mitarbeiter-Coaching und Strategieentwicklung. Diese Eigenschaften sind in jeder Zelle vorhanden, gemeinsam bilden die dafür zuständigen Leader die Leitungsverantwortung. Auch das Management versteht sich als Zelle mit einem direkten Draht zu den Leadern.

Mit entsprechenden Tools und einem regelmäßigen Strategieabgleich wird dafür gesorgt, dass sich die Waben nicht verselbständigen. Außerdem hat jede Zelle neben ihren individuellen Aufgaben, die in den "Gründungs-Workshops" erarbeitet werden, auch sogenannte Sternaufgaben. Sie sollen dafür sorgen, dass Prozesse, Standards und Vorgehensweise in allen Zellen mit hoher Qualität laufen beziehungsweise eingehalten werden.

"In extrem dynamischen Märkten sind Hierarchien und das Denken in Geschäftsbereichen kontraproduktiv", bilanziert Dönnebrink. Die Entscheidungswege seien zu lang, Informationsstau sei die Folge. Andererseits könne d.velop, das manche Mitarbeiter seit nunmehr 25 Jahren beschäftige, nicht einfach einem radikalen "Holocracy"-Ansatz folgen - man sei nun mal nicht Spotify oder Netflix. Deshalb gebe es auch weiter in einigen Bereichen Hierarchien und die Kernstrategie werde weiter zentral vorgegeben. Beispielsweise arbeitet das D3-Team wie bisher zusammen an den Kernmodulen, wenngleich einige Positionen neu besetzt wurden und zudem neue "Aufgaben" hineingegeben wurden.

Benachbarte Waben reden miteinander

In einem Hackathon zeigten Entwickler, wie schnell sie Apps auf der neuen d.velop-Plattform schreiben können.
Foto: d.velop

Aber der Anteil der sich selbst organisierenden Teams mit hoher Entscheidungsbefugnis sei inzwischen groß, sagt der CEO. Wichtig war es für d.velop, die adressierten Branchen sowie die eigenen Fachlösungen in der Zellenstruktur abzubilden und dafür zu sorgen, dass dort nicht nur Entwickler, sondern auch Vertriebs- und Marketing-Kompetenz sowie professionelle Services zusammenarbeiteten. Die Kommunikation zwischen den Waben ist so organisiert, dass die benachbarten Zellen in regelmäßigen Meetings kommunizieren, so dass sich Informationen schnell im Unternehmen verbreiten.

Kommt es dennoch zu Redundanzen in der Entwicklung und der Kundenansprache? "Das kann passieren, sportlichen Wettbewerb lassen wir auch zu", so Dönnebrink. Wichtiger sei ihm, dass die Wabenstruktur sein Unternehmen viel näher an die Kunden heranbringe. Seit Januar 2019 ist die neue Organisationsform, an der alle Beschäftigten mitgearbeitet haben, nun live - wenngleich immer noch daran gearbeitet wird. Viele Beschäftigte arbeiten heute in Waben, klassische hierarchische Vorgesetzter gibt es für sie nicht mehr.

Ins kalte Wasser gesprungen ist d.velop dabei nicht: "Wir haben das ganze letzte Jahr hier am Standort Gescher, mit den 450 Mitarbeitern vor Ort, geübt", blickt Dönnebrink zurück. Lean Startup, Minimum Viable Products, Design Thinking - diese Dinge seien den Mitarbeitern in Fleisch und Blut übergegangen. "Wir haben dabei so viel dezentralisiert, wie es unsere Organisation verträgt", so der CEO.