Social Software verändert das Networking

18.08.2004 von Klaus Eck
Das klassische Vitamin B hat sein digitales Pendant gefunden. Neue Formen der Beziehungspflege treten an die Stelle des herkömmlichen Networkings, Business-Kontaktbörsen boomen. In Deutschland sind vor allem die Social-Software-Produkte der Anbieter Open Business Club, LinkedIn und Orkut gefragt.

Was haben Michael Dell, Anke Engelke und Jan Ullrich gemeinsam? Sie sind nach der Kleine-Welt-Theorie des Harvard-Psychologen Stanley Milgram von 1967 wie alle anderen Menschen über sechs Ecken miteinander bekannt - auf diese Weise kennt jeder letztlich jeden. So kennt A zwar G nicht, dafür jedoch B, der wiederum Kontakt zu C hat. Nutzt man solche Ketten aus, lassen sich im Prinzip Beziehungen zu jedermann herstellen.

Brauchten Networker früher ein gutes Gedächtnis für Namen und Gesichter sowie eine dicke Kartei, ist die Technik der Kontaktpflege im Online-Zeitalter viel einfacher. In kurzer Zeit kann jeder Internet-User mit wenigen Klicks ein Netzwerk mit Hunderten von Ansprechpartnern aufbauen. Die neuen sozialen Netzwerke funktionieren wie herkömmliche nach dem Schneeballsystem: Freunde laden Geschäftspartner oder Kollegen ein, die wiederum Freunde einladen. Inzwischen gibt es im Internet zahlreiche solche Netze. Zu den bekanntesten Social-Software-Anbietern im Business-Umfeld zählen Orkut, Friendster, Ryze, Open Business Club und LinkedIn. Nach Einschätzung von Experten sind bereits Millionen Menschen in derartigen Online-Netzwerken miteinander verbunden.

Netzwerke für eigene Zwecke nutzen

In Deutschland gehört der Hamburger Open Business Club zu den erfolgreichsten Anbietern. Im Oktober 2003 ging die Networking-Plattform Open BC online, die heute über 100000 zumeist deutsche Mitglieder zählt. Zahlreiche Manager und Geschäftsleute haben die Plattform für sich als professionelles Werkzeug entdeckt. Sie nutzen sie, um an neue Aufträge zu kommen, informieren sich über künftige Business-Partner oder finden darüber sogar neue Mitarbeiter.

Innerhalb von Open BC genügen wenige Klicks, um über jemanden erste Informationen zu erhalten. Zahlenden Premium-Mitgliedern bietet die Plattform viele Möglichkeiten, Kontakte zu anderen Open-BC-Teilnehmern zu knüpfen. Claudia Blume, Münchner PR-Beraterin im IT-Bereich, hat gute Erfahrungen mit Social Networking gesammelt: "Ich bin durch Zufall auf Open BC gestoßen, habe den Online-Service ausprobiert und gleich einen ehemaligen Kunden wiedergefunden. Seitdem bin ich begeisterte Anwenderin der Social Software. Sie bietet mir die Möglichkeit, zu Leuten Kontakt aufzunehmen, denen ich sonst nicht ohne weiteres begegnen würde."

Patrick von Loringhoven, Vertriebsleiter der Echion AG, ist ebenfalls vom Kontaktknüpfen über das Netz angetan. Der Augsburger hält jedoch die Reputation beim digitalen Networking für besonders wichtig: "Wer sich über seine Aktivitäten keinen guten Ruf aufgebaut hat, kann auch nicht damit rechnen, dass sich online alles von selbst zum Positiven wendet. Hat sich jemand jedoch ein vertrauenserweckendes Renommee erarbeitet, wird sich dieses über eine Social-Networking-Plattform weiterverbreiten."

Obwohl das Business Dating nicht immer mit erfolgreichen Geschäftsabschlüssen einhergeht, möchten viele Nutzer das moderne Kontaktnetz nicht mehr missen. Von Loringhoven ist schon zufrieden damit, dass er über Open BC viele alte Bekannte wiedergefunden hat: "Das alleine hat mir eine Menge Spaß bereitet und die investierte Zeit auf jeden Fall wettgemacht." Zu viel Transparenz und rein geschäftliche Motive stören manchen Netzwerker: "Was mich ziemlich nervt, sind recht plumpe Versuche der Kontaktaufnahme", kritisiert Siegfried Hirsch, Geschäftsführer des Münchner Softwareunternehmens HHS, "insbesondere, wenn sofort ersichtlich wird, dass es jemandem nur um neue Kunden geht."

"Die Gefahr des Missbrauchs in Business-Netzwerken ist sehr groß, wenn jeder sofort erkennen kann, wer welche Kontakte hat, und diese anschreiben kann", glaubt auch Konstantin Guericke, einer der Gründer des US-amerikanischen Social Networks LinkedIn, das deshalb ein anderes Konzept als Open BC verfolgt. "Wird keine Auswahl getroffen, dann kann sich jemand auf einen Geschäftskontakt berufen, ohne dass die Beziehung in Wirklichkeit in irgendeiner Weise relevant ist. Wer jedoch viele Kontakte hat, kann bei uns LinkedIn als Filter für eingehende Anfragen einsetzen. Durch das Empfehlungs-Marketing kommen hierbei nur Geschäftskontakte zustande, die wertvoll zu sein versprechen. Über gute Empfehlungen können unsere Mitglieder sogar ihre Reputation steigern. Ansonsten stellen die Empfehlenden sehr schnell ihr eigenes Ansehen in Frage."

LinkedIn zeigt in der Grundeinstellung nur die Zahl der Netzkontakte an, nicht aber, wer mit wem direkt in Beziehung steht. Wer eine bestimmte Person ansprechen will, muss dazu zunächst einige Hürden nehmen. Bei einer Anfrage ist eine Begründung für das Kontaktersuchen notwendig. Nur wenn sie die Kontaktmittler überzeugt, wird der Bittsteller an die gewünschte Person weitergereicht. Auf diese Weise soll das Empfehlungs-Marketing eine gewisse Qualität der Online-Beziehungen gewährleisten. Außerdem werden attraktive Geschäftspartner wie beispielsweise bekannte Manager großer Unternehmen dadurch vor einer Flut von Anfragen geschützt.

Geschäftskontakte sind die Grundlage

Guericke glaubt nicht, dass jemand in der Lage ist, nur online ein Netzwerk aufzubauen. Seiner Ansicht nach steht eine reale Geschäftsbeziehung im Berufsleben am Anfang der Kette. Jeder kann seine ehemaligen Kollegen und Geschäftspartner im Internet aktivieren. Dabei gilt die Regel: "Je länger man im Arbeitsleben steht, desto mehr Kontakte hat man in seinem Berufsleben geknüpft. Deshalb profitieren von LinkedIn vor allem diejenigen, die bereits fünf bis zehn Jahre Berufserfahrung haben. Sie können jetzt online ihre Kontakte pflegen und weiterentwickeln."

LinkedIn ist mit rund 875 000 Nutzern weltweit das größte Business-Netzwerk. Darunter sind 30000 Business-Mitglieder in Deutschland und 180000 Mitglieder europaweit. "Bis Ende 2004 werden wir auch eine deutsche Version launchen", kündigt Guericke an. Bislang ist LinkedIn noch nicht kostenpflichtig, doch bis Anfang 2005 ist die Einführung einer Bezahlvariante geplant.

Große Konzerne wie Google, Yahoo, AOL oder Microsoft haben den Trend für sich entdeckt. Einige Google-Mitarbeiter entwickelten in ihrer Freizeit das Social Network Orkut, dessen Mitgliederzahl bald die Millionengrenze überschreiten dürfte. In Deutschland verfügt es bereits über 10000 Nutzer; davon geben rund die Hälfte an, auch an Business Networking interessiert zu sein.

Einen großen Vorteil haben die Konzerne gegenüber kleinen Netzwerken: Ihre Netze beeindrucken durch die Zahl ihrer Mitglieder. So können nur wenige mit den hohen Nutzerzahlen von Google oder ICQ (AOL) mithalten. ICQ Universe heißt das im Aufbau befindliche Angebot von AOL, das sich allerdings wie Orkut noch im Betatest befindet. Der US-amerikanische Online-Dienst erweitert seine Instant-Messenger-Plattform ICQ damit um einen Social-Networking-Service. ICQ will hierbei vor allem von seiner eigenen Verbreitung profitieren: Immerhin sind weltweit mehr als 175 Millionen Nutzer registriert.

Open-BC-Gründer Lars Hinrichs sieht allerdings weder Orkut noch ICQ Universe als Konkurrenz. Er glaubt nicht, dass das Mischkonzept der großen Internet-Konzerne wirklich funktioniert: "Dank Googles Unterstützung ist Orkut zwar ein sensationeller Erfolg für das Social Networking. Dennoch wird eine Mischung zwischen Business und Private Dating langfristig nicht funktionieren, weil Business-Anwender auf das richtige Umfeld Wert legen." Vor dem Markteintritt großer Konzerne fürchtet sich auch Guericke von LinkedIn nicht: "AOL, Yahoo, MSN oder Google sind eigentlich keine Business-Brands." Der LinkedIn-Marketing-Chef ist davon überzeugt, dass die Konzerne mit ihren Social-Software-Angeboten mehr im privaten Umfeld eine Rolle spielen, wenn es beispielsweise um Verabredungen geht.

Eher als Konkurrenten betrachtet er Jobbörsen wie Monster. Schließlich hat der US-amerikanische Internet-Stellenmarkt nach dem Zukauf einer Social Software vor kurzem Network.Monster.com gestartet, das in erster Linie auf Jobsuchende ausgerichtet ist. Mit strategischen Fragen beschäftigen sich die aktiven Netzwerker weniger.

Susanne Westphal, Gründerin des exklusiven Frauen-Business-Netzwerks Femmes Géniales und selbständige Kommunikationsberaterin, sieht viele Gemeinsamkeiten der unterschiedlichen Plattformen und Netzwerke: "Entscheidend ist, was ich selbst daraus mache. Wenn ich keine konkreten Ziele verfolge und andere nicht konkret anspreche, bekomme ich auch kein Ergebnis. Drücken Sie fünf Verkäufern dieselben Telefonbücher in die Hand - jeder wird dieses Potenzial anders nutzen." Die Netzwerkerin Westphal empfiehlt: "Um sich online nicht zu verzetteln und irgendwann nur noch nette Kaffeebekanntschaften zu haben, empfehle ich, eine ganz persönliche Top-100-Liste aufzustellen mit den wichtigsten Kontakten und ihren Themen. Wenn ich diese 100 Verbindungen gut pflege, kann ich die Leute auch jederzeit ansprechen. Kennt von denen jeder wieder 100 andere, erreiche ich 10 000 potenzielle Ansprechpartner auf kürzestem Wege. Das funktioniert besser, als selbst 10 000 Adressen zu verwalten." (iw)

*Klaus Eck ist Geschäftsführer der Content Business Agentur Econcon in München.