Digitalisierung als Daueraufgabe

So schafft Merck den Change

20.12.2016 von Christiane Pütter
Aus einem IT-Projekt ist bei Merck eine eigene Abteilung samt Change Management-Team geworden. Teamleiterin Melanie Kalski führte nicht nur neue Tools an den Arbeitsplätzen ein, sondern etabliert auch eine digitale Kultur.
  • Merck will die Arbeitskultur insgesamt auf künftige Anforderungen ausrichten
  • Melanie Kalski ist keine Informatikerin und hat von Anfang an nachgefragt, wenn sie etwas nicht verstanden hat
  • Einer der wichtisten Sponsoren des Wandels ist ein Direct-Report von CIO James Stewart
Der Chemiekonzern Merck aus Darmstadt befindet sich im Wandel.
Foto: Merck

"Jeder weiß, dass wir im Rahmen der Digitalisierung vorankommen müssen." Das sagt Melanie Kalski, 32 Jahre jung und Teamleiterin Change Management Digital Workplace bei Merck. Die lebhafte junge Frau verantwortet bei dem Wissenschafts- und Technologieunternehmen Merck, dessen Gründung auf eine Darmstädter Apotheke im Jahr 1668 zurückgeht, den Bereich Change Management und Training sowie Marketing und Kommunikation für den Bereich Digital Workplace. Ihre Funktion entstand im Rahmen eines großangelegten Projekts zur Umgestaltung des Arbeitens.

2014 startete das Projektteam mit der Einführung neuer Tools wie Office 2013, SharePoint, Skype for Business und Outlook. Inzwischen ist aus dem Projekt eine ganze Abteilung mit insgesamt 50 internen und externen Kollegen geworden, je nach Projekt können es auch mehr sein. Kalskis Change Management-Team ist mit neun Mitarbeitern Teil davon. Sie kümmern sich darum, dass Merck in Sachen Workplace die Nase vorn hat.

Kalski stieg vor rund acht Jahren bei Merck ein. Studiert hat sie Berufspädagogik, Psychologie und Rechtswissenschaften, und so war ihr erster Arbeitsplatz denn auch in der HR-Abteilung. Damals sei der traditionsreiche Konzern aus Darmstadt noch "ein sehr deutsches Unternehmen" gewesen, erinnert sie sich. Inzwischen hat Merck die Unternehmen Millipore Corp (USA), AZ Electronic Materials (UK) und Sigma-Aldrich (USA) gekauft. Insgesamt beschäftigt das Unternehmen heute knapp 50.000 Menschen in 66 Ländern. "Mit den Akquisitionen sind neue Firmenkulturen ins Haus gekommen und wir arbeiten sehr global", sagt Kalski.

Die Firmenspitze setzte sich ein Ziel: Integration. Und von da ausgehend Digitalisierung. Das heißt konkret: An den Arbeitsplätzen sollten neue, moderne Tools integriert werden, und die Arbeitskultur insgesamt soll zu künftigen Anforderungen passen.

Anfangs wurde der Aufwand unterschätzt

2014 startete "Connect 15", der Projektname bezieht sich auf das Jahr, in dem Merck das erste große Ziel erreicht hat. Zunächst organsierte das Projektteam die Einführung neuer Werkzeuge wie SharePoint, Skype und Outlook statt Lotus Notes. "Wir haben vorher mit vielen kleinen isolierten Lösungen gearbeitet", berichtet die Change Managerin, "jetzt haben wir integrierte Anwendungen." Diese sind kein Selbstzweck: An "Connect 15" schließt sich "Connect Me" an. Und dabei geht es um den Teil des Changes, den die junge Frau "wirklich cool" findet: den Wandel der Arbeitsweisen. Merck will mobiles, vernetztes und kollaboratives Arbeiten rund um den Globus ermöglichen.

Merck kommunizierte den Change aktiv.
Foto: Christa Weidner

Auf dem Weg vom IT-Projekt zum dauerhaften Team ist viel passiert, berichtet Kalski. Anfangs habe man die Bedeutung und den Aufwand von Change Management unterschätzt. "Wir dachten, es geht nur um die kommunikative Begleitung des Software-Rollouts", erklärt Kalski. Heute gebe es ein ganz anderes Bewusstsein: "Wir haben verstanden, dass es um tiefgreifende Veränderungen im ganzen Unternehmen geht."

Dass die Technologie-Einführung vom Start weg den Nutzer in den Mittelpunkt stellte, liegt an Kalski selbst. "Ich bin ja keine Informatikerin", erzählt sie, "und habe nicht immer gleich alles verstanden, was mir die Kollegen aus der IT erklärt haben. Also habe ich nachgefragt." Ihr Leitgedanke: "Wenn ich es schon nicht verstehe, begreifen es die anderen auch nicht."

Doch wie trägt man den Change für so ein Projekt in ein 50.000-Mann-Unternehmen? Merck schrieb über eine Projektbörse einen Auftrag für einen Trainingsexperten aus und kam so auf Christa Weidner aus Aschheim (bei München), Unternehmerin und Projektleiterin mit Spezialgebiet Software-Einführung. Weidner sollte mit Kalski dafür sorgen, dass die Anwender mit den neuen Werkzeugen nicht nur arbeiten können, sondern auch wollen.

Gemeinsam setzten die beiden Managerinnen auf Change Agents im Unternehmen. Merck formulierte Aufgabe und Anforderungen an diese Change Agents und ließ sie durch die jeweiligen Länderverantwortlichen des Unternehmens bestimmen. So kam eine internationale Gruppe von rund 80 Kollegen zusammen, die ins Headquarter eingeladen wurden. Kalski und ihr Team stellten ihnen die neuen Tools vor und diskutierten Vision und Strategie.

Auf dem Rückweg hatten die Change Agents einen Trainer-Leitfaden im Gepäck, der sie dafür rüsten sollte, die Veränderungen in ihrem jeweiligen Land voranzutreiben. Bis heute ist das Team alle zwei Wochen über Skype mit diesen Multiplikatoren verbunden. Kalski erkundigt sich, wie die Dinge vor Ort laufen und stellt Neuerungen vor. Zusätzlich liefern anonyme Zufriedenheitsumfragen unter den Endnutzern eine quantitative Einschätzung.

Ein Direct-Report vom CIO als Sponsor

Soweit der Change "nach unten". Kalski wollte auch ein starkes Commitment "von oben". Ihr wichtigster Partner dabei war der Projektsponsor, ein Direct-Report von CIO James Stewart. Über die Technologie allein wollte das Change-Team nicht argumentieren. "Wir wollten den Nutzen zeigen anstelle von Funktionalitäten", berichtet Kalski, "also entschieden wir uns für Story-Telling, um den Mehrwert des digitalen Arbeitsplatzes im täglichen Arbeitsalltag aufzuzeigen." Der Held der ersten Story heißt Thomas Targetti, eine Analogie auf den italienisch-stämmigen Projektleiter, Giulio Vannini, der Kalski und ihr Team immer sehr unterstützt hat. Visualisierte Prozesse zeigten, wie Herr Targetti die neuen Werkzeuge in seinem Arbeitsalltag nutzt.

160 Entscheider bei Merck ließen sich von der Figur begeistern. Kalski sagt: "Bei so einer Veränderung ist man auf Unterstützung von oben angewiesen. Es muss auch verstanden werden, dass die Veränderung des täglichen Arbeitens als ein Prozess oder eine Reise zu verstehen ist." Schließlich änderten Menschen ihre jahrelang gelebten Arbeitsweisen nicht von einen Tag auf den anderen. Sie müssten erst die Vorteile verstehen und dann das Wissen zur Nutzung erlangen, so die Erfahrung der Teamleiterin.

Die Skills der Digitale Native

Was sonst braucht eine gute Change Managerin? Melanie Kalskis Ressourcen sind ihre Offenheit und ihr Interesse an Neuem. Angst vor neuen Tools hat die "Digitale Native" sowieso nicht. Ergänzend brachte Christa Weidner als externe Unterstützerin neben langjähriger Erfahrung in diesem Umfeld eine Ausbildung als Business-Trainer, Coach und Facilitator (Begleiter von Veränderungsprozessen) mit. Hilfreich für weitere Veränderungsprozesse im Unternehmen dürfte auch der Gewinn des Europäischen Trainingspreises in Silber mit dem Change Management- und Trainingskonzept für das "Connect 15"-Projekt sein. Der Berufsverband für Trainer, Berater und Coachs (BDVT) vergibt diese Auszeichnung seit 1992.

Auf Kalski warten nun die nächsten Aufgaben, und diese drehen sich vor allem um die Cloud. Hier hält die Change-Verantwortliche engen Kontakt zu Microsoft. Doch wiederum ist es mit der technologischen Seite nicht getan: "Entscheidungen, die den Arbeitsplatz betreffen, können mitbestimmungspflichtig sein oder gesetzlichen Vorgaben unterliegen", weiß sie. Da Kalski ja auch Rechtswissenschaften studiert hat, rollt sie bei diesem Thema nicht mit den Augen, sondern setzt "auch hier auf gute Zusammenarbeit mit den Verantwortlichen", wie sie sagt. Und die Erkenntnis, dass eine Rezeptur für Veränderungen mehrere Ingredienzien hat, passt ja auch gut zu einem Wissenschaft- und Technologie-Unternehmen.