Altsysteme ablösen

So modernisieren Sie Ihr ERP

21.04.2009 von Daniela Hoffmann
Für mittelständische Unternehmen lassen sich ERP-Vorhaben aufgrund knapper Ressourcen meist als Kraftakt an. Nicht zuletzt deshalb werden bestehende ERP-Systeme gern bis zum letzten Atemzug genutzt. Vier ERP-Projekte zeigen, wie Unternehmen aufwändige Einführungen stemmen.

"ERP-Einführungen sind für Mittelständler auch deshalb aufwendiger, weil sie meist keine dezidierte Organisationsabteilung haben. Die Fachabteilungen verfolgen unterschiedliche Insel-Zielsetzungen, die sich nicht selten konträr zueinander verhalten", sagt Bernhard Orth, verantwortlich für den Bereich Mittelstand bei der Unternehmensberatung IBM Global Business Services, aus seiner langjährigen Erfahrung im Projektumfeld. Dabei fehle es an der übergeordneten Ebene, die fachliche und technische Sichten zusammenbringt. Skurriler Nebeneffekt bei der Suche nach dem passenden ERP-System ist laut Orth der Umstand, dass je kleiner ein Unternehmen, das Produktangebot umso vielfältiger ist. Dabei liege der Auswahl-Fokus stark auf der Funktionalität aus Sicht von Subbereichen, während der strategische Blick anhand übergeordneter Unternehmensziele zu kurz komme. "Eine kritische Instanz zwischen Fachbereichen und IT hat Sinn - im Zweifel in Form von externer Beratung oder Coaching", so Orth.

Halbwertszeit der ERP-Software beachten

Auch wenn es keine "Katastrophen-Software" mehr gibt, an der Einführungen scheitern, sollten die Anwender stark auf die Überlebensfähigkeit des Anbieters achten, empfiehlt Orth: Schließlich liegt die Laufzeit von ERP-Software bei mindestens fünf bis zehn Jahren. Auch die Idee, neben dem Tagesgeschäft alle Aufgaben selbst übernehmen zu können, sollte Orth zufolge kritisch überprüft werden: "Die Arbeitslast im Projekt wächst den Beteiligten häufig über den Kopf." Grundsätzlich gilt für Orth die Faustregel, sich rechtzeitig zu informieren, wenn ein Umstieg in Sichtweite rückt. "Zeitdruck nimmt die Chance, sich sachlich und objektiv mit den Alternativen auseinanderzusetzen", so Orth. Die Möglichkeiten, sich zu informieren und pragmatische Vorgehensweisen zu finden, sind dank Recherchemöglichkeiten über ERP-Spezialisten wie Trovarit oder Online-Ressourcen wie www.erp-doktor.com zunehmend vielfältig.

Hohage sucht Ersatz für Insellösung EBO

Es ist eine der grundlegenden Tugenden des Mittelstands, Kraft aus sich selbst zu schöpfen. Der in Altena bei Dortmund angesiedelte Metallverarbeiter Hohage hatte seit Mitte der Achtziger als ERP-Software EBO im Einsatz. Hohage konnte mit dem Entwicklungsstand von etwa 1995 auch ohne Softwarepartner eine Zeitlang ganz gut weiterleben. Mit Insellösungen wurden nicht vorhandene Funktionen umschifft, beispielsweise mit einem Etikettierungssystem und Anwendungen zur Steuerung der Maschinenauslastung. Als dann 2007 der Hardwarelieferant Fujitsu Siemens ankündigte, die eingesetzte Unix-Maschine SR2000 nicht mehr weiterzuwarten, wurde der schon gefasste Entschluss bekräftigt, nach einer neuen Lösung auszuschauen.

ERP-Software Navision von Microsoft fiel durch

Die Marktsondierung gestaltete sich jedoch nicht ganz einfach. "Zunächst war geplant, die Auswahl mit einem externen Partner durchzuführen. Das sollte jedoch 150.000 Euro kosten. Wir sind ein mittelständisches Unternehmen mit 50 Mitarbeitern und sechs Millionen Jahresumsatz - da wir für das komplette Projekt nur 100.000 Euro investieren wollten, passten hier die Dimensionen überhaupt nicht", erinnert sich Johannes Kleinschnittger, Mitglied der Geschäftsführung und Projektleiter. Stattdessen besuchten die Altenaer die Aachener ERP-Tage und besorgten sich Literatur zum Thema. Neben der Funktionalität ging es vor allem auch um Investitionssicherheit. Da intern kein Raum für die Erstellung eines Soll-Konzeptes war, wurde diese Aufgabe zunächst einmal für einen überschaubaren Betrag gemeinsam mit einem Microsoft-Partner (Navision) angegangen. Allerdings zeigte sich, dass einige der Anforderungen sich nicht in der Software abbilden ließen.

Infor macht das Rennen

Johannes Kleinschnittger: Hohage hat das Budget für das ERP-Projekt nicht überzogen.

Im Herbst 2007 wurde auf Basis des bestehenden dann doch noch einmal ein eigenes Soll-Konzept entwickelt. "Wir wollten die Gefahr ausschließen, dass nach dem Kauf eine Vielzahl von Anpassungen notwendig wird", sagt Kleinschnittger. Für das Konzept habe er einen Monat Arbeit benötigt - kein Kinderspiel bei laufendem Betrieb. Anhand von Testdaten sollte anschließend zunächst infor die Umsetzung zeigen. Die Präsentation überzeugte laut Kleinschnittger, weil nicht nur die Grundfunktionen abgedeckt, sondern auch alle Inseln aufgelöst werden konnten. Da sich die gewünschte Übernahme historischer Daten schwieriger gestaltete als gedacht, verzögerte sich das Projekt, das inhouse von zwei Mann gestemmt wurde, dann um einige Monate. Im Oktober 2008 ging Hohage an einem Wochenende in Livebetrieb: "Problemlos", aus Sicht von Johannes Kleinschnittger. Beim geplanten Budget blieb es, inklusive Schulungen, Datenübernahme und Integration.

Movex als Teil einer heterogenen IT-Landschaft

Auch bei der Gardinia Home Decor GmbH zählten Zeit und Ressourcen zu den kritischen Punkten. "Es gibt fünf bis zehn Key-Player, die an allen Projekten beteiligt sind, das ist sicher ein typisch mittelständischer ‚Bottleneck‘", meint Wolfgang Kardinal, Leitung IT Central and Eastern Europe bei Gardinia. Die bisherige IT-Landschaft des Herstellers von Gardinentechnik, Sicht- und Sonnenschutzsystemen, ist historisch bedingt eher heterogen. Als ERP-Lösung war Movex von Lawson im Einsatz, über Schnittstellen mit zahlreichen Einzellösungen verwoben. Die zwölf osteuropäischen Niederlassungen waren weder untereinander noch mit der Zentrale verbunden, die Niederlassungen fuhren unterschiedliche Systeme, "von Navision, Axapta bis hin zu Galaktika und hier ganz unbekannten Lösungen", so Kardinal. Die Geschäftsführung legte nun verstärkt Wert auf redundanzfreie Datenhaltung, vereinheitlichtes Berichtswesen und eine konsolidierte Betrachtung: Ohne IT als wichtigstes Hilfsmittel war das unmöglich.

SAP bekommt den Zuschlag

Wolfgang Kardinal: Gardinia setzt auf das ERP-System ECC 6.0 von SAP.

Die Sonnenschutzspezialisten hatten im Auswahlprozess unter anderem auch Navision angeschaut, sich angesichts benötigter Unicode-Fähigkeit und einer gewünschten Zentralinstallation jedoch anderweitig orientiert. "Wenn es darum geht, sämtliche legalen nationalen Anforderungen abzudecken und unterschiedlichste Schriftzeichen darzustellen, bleiben nicht viele Lösungen zur Auswahl übrig", so Kardinal. Im März 2009 begann das Unternehmen die Implementierung mit SAP ECC 6.0 - und einem Projektteam aus rund 20 Teilnehmern, die überwiegend aus den Fachabteilungen kommen. In der IT-Abteilung sind insgesamt acht Mitarbeiter beschäftigt. Geplant ist eine zweistufige ERP-Einführung. Zunächst wird die Lösung in Deutschland und einer ausländischen Niederlassung gestartet - mit dem Ziel, Prozesse zu vereinheitlichen. Ostern 2010 soll der Live-Betrieb starten, die zweite Stufe des anschließenden Rollouts mit Templates soll bis Ende 2011 abgeschlossen sein. Der interne Aufwand liegt laut Kardinal im unteren siebenstelligen Bereich, inklusive Lizenzen für die in der Endausbaustufe geplanten 400 bis 450 User.

Comet und Siemens-Nixdorf haben ausgedient

Der in Remchingen ansässige Verbund der Firmen Kaufmann, Stanztronic und Mega Umformtechnik hatte seit den Siebzigern Comet im Einsatz. Insgesamt knapp 250 Mitarbeiter sind für den Mikromechanik-Spezialisten tätig, 180 davon bei Kaufmann. Nachdem die ERP-Software nicht mehr weiterentwickelt und gewartet wurde, verließ sich das Unternehmen für Korrekturen und beim Jahresabschluss auf einen externen Dienstleister. Auch die Siemens-Nixdorf-Serverlandschaft war in die Jahre gekommen und sollte ab 2009 nicht mehr gewartet werden. Nach dem Motto, dass es sich schlecht auf einem Pferd reiten lässt, das nicht mehr gefüttert wird, sahen sich die Remchinger 2004 nach einem neuen ERP-System um. Beim Auswahlprozess wurde das Unternehmen von einem studentischen Projekt der Hochschule Pforzheim unter Leitung von Professor Schuler unterstützt. "Für eine so breite Evaluation hätten intern keine Ressourcen zur Verfügung gestanden", sagt Kai Höpfinger, Mitglied der Geschäftsleitung von Kaufmann.

ERP-Lösung Abas setzt sich durch

Rund fünf Systeme kamen in die nähere Auswahl und wurden im Haus präsentiert. Für das weitere Ausschlussverfahren wurde ein Projektteam gegründet, das ein kleines Pflichtenheft mit einigen der spezifischeren Anforderungen erstellte. Am Ende fiel die Wahl auf die Abas Projektierung als Partner. Ab Anfang 2005 erarbeitete ein Key-User-Team aus sieben Mitarbeitern und einem Abas-Projektleiter ein ausführliches Pflichtenheft und zeichnete für die Einführung verantwortlich. Um eine möglichst hohe Effizienz zu erzielen, besuchte jeweils ein Key-User die Schulungen für seinen Fachbereich und gab noch am selben Tag sein Wissen an die Kollegen weiter - laut Höpfinger eine Ausnutzung des Effekts "Lernen durch Lehren", die sich bewährt hat. "Für die interne Schulung wurden Freiräume am Nachmittag geschaffen, das war sehr viel besser, als mehrere Mitarbeiter über mehrere Tage für Schulungen zu entbehren", sagt Höpfinger.

Schrittweise Umsetzung des ERP-Projektes

Mit der "Big-Bang"-Methode wurden Ende 2005 zunächst die zwei kleinen Tochterunternehmen in Budget und nahezu in Time umgestellt. Für Kai Höpfinger war insbesondere die gute Zusammenarbeit mit dem Softwarepartner wichtig. "Das Bauchgefühl sollte bei einer solchen strategischen Entscheidung unbedingt stimmen, damit die Zusammenarbeit allen Beteiligten Spaß macht", so der Geschäftsführer. Seitdem hat sich das Projektteam in Eigenleistung mit geringfügiger Hilfe der Abas Projektierung kontinuierlich durch die Umstellung der Ewald Kaufmann GmbH gearbeitet. 2006 startete die Fibu, 2007 folgte der technische Einkauf, 2008 die Materialbeschaffung und bis 2009 zudem der Verkauf. In den "guten" Jahren 2007 und Anfang 2008 wurden die Kapazitäten weniger stark für IT gebunden, sondern dort eingesetzt, wo sie für das wirtschaftliche Wachstum benötigt wurden. Die konjunkturelle Situation hatte im vierten Quartal 2008 Kapazitäten freigesetzt, um den größten Part, den Verkauf, auf Abas umzustellen. Seit Januar 2009 sind nun alle Bereiche umgestellt.

Kein Schiffbruch durch einheitliches ERP-System

Beim führenden Schiffmanager Columbia Ship Management, einem Unternehmen der Schoeller Holdings Ltd., das sich mit der Bereederung von Schiffen befasst, stand das Thema Integration der drei Niederlassungen in Limassol (Zypern), Hamburg und Singapur sowie acht Crewing-Agenturen auf dem Plan. Die drei zu unterschiedlichen Zeiten entstandenen Hauptniederlassungen hatten ihre IT-Infrastruktur ausgehend von jeweiligen Business-Zielen aufgebaut, was zu einem gewissen Maß an Heterogenität in der IT-Landschaft geführt hatte. Bei gemeinsamen Prozessen habe das "kleinste gemeinsame Vielfache" letztlich zu wenig Flexibilität zugelassen, sagt Timothy Scheller, Business Development Manager bei Schoeller Holdings Ltd./CSM. "Wir sind prozesstechnisch sehr gut aufgestellt, wollten auf lange Sicht jedoch ein System, das den gemeinsamen Zugriff auf homogene Daten ermöglicht, Medienbrüche vermeidet und die re- und proaktive Analysefähigkeit unserer Prozesse erhöht", erklärt Scheller die Ausgangssituation.

Lösung auf Basis von Microsofts Dynamics AX

Mit einer Gruppe von Abgesandten aus den einzelnen Departments sondierte Scheller zunächst den überschaubaren Markt von Software-Anbietern für den maritimen Bereich. Mit Hilfe einer GAP-Analyse wurden einige Hersteller bezüglich der definierten Anforderungen verglichen - eine Vorgehensweise, die angesichts der engen Ressourcen zu raschen Ergebnissen verhelfen sollte. "Unser Ziel war jedoch, einen Anbieter zu finden, der nicht einfach in einer Talsohle der Konjunktur vom Markt verschwindet - und das gesamte Spektrum der Anforderungen unserer acht sehr unterschiedlichen Abteilungen abdeckt", so Scheller. Daher habe man sich auch bei den großen Standardsoftware-Herstellern umgeschaut. Schließlich wurde Columbia 2008 bei KiBlue Ltd., einem Microsoft-Partner in Limassol fündig, der bereits eine Branchenlösung für Crewing auf Basis von Dynamics AX im Angebot hatte und nun anhand der Anforderungen eine maßgeschneiderte Ship-Management-Lösung erarbeitet.

Projekterfolg hängt mit von der Partnerwahl ab

Als überraschend große Herausforderung erwies sich Scheller zufolge, im konkreten Projektkontext klare Informationen in den Bereichen Hardware oder Netzwerk zu recherchieren. "Bei der Frage nach der Bandbreite einer Citrix-Session haben wir beispielsweise Antworten erhalten, die zwischen 30 und 200 Kbit pro Session variierten - im Einzelfall ein marginaler Unterschied, wenn man den Faktor 200 für die Anzahl der Benutzer berücksichtigt, jedoch von signifikanter Wichtigkeit. Dies zeigte uns früh, dass auch bei der Auswahl der externen Partner und Berater höchste Qualitätsansprüche anzusetzen waren", erinnert sich Scheller. Darüber hinaus sei für den Projekterfolg neben einem interessanten Geschäftsmodell für alle Partner und hoher Qualität der Produkte und Dienste jedoch auch die menschliche Komponente entscheidend. "Nur wenn eine Vertrauensbasis mit kurzen, unbürokratischen Entscheidungswegen und flachen Hierarchien gegeben ist, können kurzfristig identifizierte Änderungen in einem so komplexen, dynamischen und internationalen Projekt rasch umgesetzt werden", sagt Timothy Scheller. Bis Ende 2009 soll das Customizing voraussichtlich abgeschlossen sein und im nächsten Jahr die Implementierung folgen. (pg)