Transparenz und Beschleunigung

So klappt BPM in der Praxis

21.04.2011 von Daniela Hoffmann
Vier Praxisbeispiele zeigen: Investitionen in das Business-Process-Management (BPM) sind nicht vergeblich.
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Die Zahl der Unternehmen, die BPM-Tools nutzen, hält sich in Grenzen. Einer Marktstudie von Trovarit und Pentadoc Radar von Anfang 2010 zufolge verzichten drei Viertel von knapp 160 Befragten auf entsprechende Hilfsmittel, vor allem weil ihnen Ressourcen und Kompetenz für die Einführung fehlen. Doch die Praxis zeigt, dass sich der Einsatz lohnt: Mit BPM lassen sich komplexe Vorgänge in den Griff bekommen, Wachstum ohne die Einstellung neuer Mitarbeiter bewältigen, Papier und Postwege sparen und Veränderungen deutlich flexibler abfangen. BPM-Lösungen haben heute den nötigen Reifegrad, doch in der Verzahnung von IT- und Business-Ebene liegt der Schlüssel zum Erfolg.

Ayelt Komus vom BPM-Labor an der Fachhochschule Koblenz: Es gibt keine vollständige Umsetzung von Prozessen in die IT auf Knopfdruck.
Foto: Joachim Hackmann

"Die beiden Welten IT und Business sind faktisch nirgendwo nahtlos zusammengewachsen", beobachtet Ayelt Komus vom BPM-Labor an der Fachhochschule Koblenz, doch genau auf diese Zusammenarbeit komme es bei BPM an. "Es gibt keine vollständige Umsetzung von Prozessen in die IT auf Knopfdruck", warnt Komus - auch wenn viele Hersteller dies gerne suggerierten. Wichtig sei, sich mit der Tatsache anzufreunden, dass die Modelle aus der Business-Welt nur Vorlagen sind, die es durch IT nachzubereiten und anzureichern gilt. Dennoch sieht der BPM-Experte die Zukunft optimistisch: "Zum einen haben die BPM-Systeme deutliche Fortschritte gemacht, zum anderen ist die Nachfrage da. Eine Best-Practice-Anwenderstudie hat gezeigt, dass Unternehmen, die gezielt BPM betreiben, in der Regel eine bessere Umsatzrendite und ein Ebit-Ergebnis über dem Branchendurchschnitt erreichen."

Auf den folgenden Seiten finden Sie vier Praxisberichte darüber, wie Lufthansa Passage, HanseMerkur, Finanz Informatik Technologie Services und die Kneipp-Werke BPM nutzen.

Lufthansa Miles & More

"Wir haben uns bei Miles & More für ein BPM-System entschieden, um weltweit alle Standorte, alle Kundenprozesse und Kommunikationskanäle in einem System zusammenzuführen - sozusagen alle Fliegen mit einer Klappe zu schlagen", sagt Thomas Gesing, Director Customer Service Management bei Lufthansa Passage. Allein in den letzten fünf Jahren hat sich die Zahl der Miles & More-Mitglieder weltweit auf fast 20 Millionen verdoppelt. Die Wahl fiel auf die BPM-Software des Herstellers Metastorm, mit der die Prozesse modelliert, abgebildet und dokumentiert werden. Das System gehört der Lufthansa, Umsetzung und Betrieb wurden jedoch komplett an die Gütersloher Bertelsmann-Tochter Arvato ausgelagert.

Thomas Gesing, Director Customer Service Management bei Lufthansa Passage:"BPM hilft dabei sehr komplexe Aufgaben zu bewältigen."
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"BPM hilft dabei sehr komplexe Aufgaben zu bewältigen", erklärt Thorsten Hanisch, Bereichsleiter Projekte und Prozesse bei Arvato. Seit 2004 wurde das BPM-System, das auf einer Service-orientierten Architektur aufsetzt, in mehreren Stufen für sämtliche papierbasierenden Prozesse des Miles & More-Kundenservice ausgerollt und zuletzt um eine Reihe von Self-Service-Prozessen erweitert. Eine Regel-Engine sorgt dafür, dass Prozesse schnell angepasst werden: Kundenanfragetypen und Serviceabläufe etwa verändern sich häufig, weil sich neue Partner und Airlines dem Angebot anschließen. Unter anderem nutzen auch Swiss und Austrian Airlines Miles & More als ihr Vielfliegerprogramm. "Es gibt keinen Bruch zwischen Modellierung und Umsetzung", so Hanisch. Nur selten nehmen sich die Gütersloher bei größeren Änderungen den vollständigen Prozess aus Modellierungssicht vor.

Zu den Service-Standorten gehören Los Angeles, Neu Delhi, Gütersloh und Wilhelmshaven, den Kundenservice betreibt die Lufthansa in sieben Sprachen. Früher wurde die Post sortiert und teils per Luftfracht an die anderen Standorte verschickt - ein zeitaufwendiges und teures Vorgehen. Heute wird gescannt und aus elektronischen Eingangskanälen importiert, die Post per optische Zeichenerkennung (Optical Character Recognition, OCR) gecheckt und dann mit dynamischem Routing elektronisch verteilt. Wenn mehrere Anliegen in einem Brief stehen, wird auch dies berücksichtigt. Die Antwortzeiten ließen sich gerade für komplexe Fälle teils um mehrere Wochen reduzieren, auch die Frage, wo etwas archiviert wurde, ist heute binnen Sekunden zu beantworten.

Besonders hilfreich ist das System bei nachträglich angemeldeten Meilen, weil automatisiert geprüft wird, ob der Karteninhaber wirklich an Bord war. Aus Lufthansa-Sicht liegt der Charme vor allem in der Agilität, die das BPM-System verleiht. "Als ein Buschfeuer 2008 immer näher an Los Angeles heranrückte, hätten wir im Ernstfall ohne Eingriff in die IT alle Anfragen in andere Niederlassungen umleiten können", erinnert sich Gesing.

HanseMerkur

HanseMerkur-Zentrale: Mit BPM-Tools das schnelle Wachstum auffangen.
Foto: Joachim Hackmann

Beim Versicherungsunternehmen HanseMerkur ist über die Jahre in den verschiedenen Sparten eine komplexe Systemlandschaft mit einem Host-basierenden Krankenleistungssystem gewachsen, die das Unternehmen mit Hilfe von BPM gründlich konsolidieren will. "Die Prozesse in den verschiedenen Bereichen sind sehr heterogen abgebildet, Synergiepotenziale werden nicht genutzt. Unser Ziel war es, Prozesse schneller zu durchblicken und einfacher zu optimieren. Dafür sollte eine einheitliche Plattform geschaffen werden, auch um den Wartungsaufwand möglichst gering zu halten", schildert Horst Karaschewski, Leiter Anwendungsentwicklung, das Vorhaben.

2008 machte sich die IT-Abteilung, die rund 1000 Mitarbeiter betreut, an die Arbeit und baute für einen Beispielprozess einen BPM-Stack auf. Grundlage bildete eine Service-orientierte Architektur auf Basis der Open-Source-Software jBoss. Hinzu kam eine Process Engine. Für die Auswahl entwickelte HanseMerkur ein Proof of Concept und ließ sich anhand einer konkreten Aufgabenstellung die Performance der Systeme inubit, jBPM, Cordys, PegaSystems und Intalio zeigen. Die Wahl fiel auf den Berliner Hersteller inubit. Als weitere Teile der BPM-Architektur kamen Visual Rules von Innovations als Regel-Engine und das quelloffene Riena-Framework auf Basis von Eclipse RPC für die Oberflächenentwicklung hinzu, da es sich nicht um eine reine Web-Anwendung handelte.

Horst Karaschewski, Leiter Anwendungsentwicklung bei HanseMerkur: "Die enge Zusammenarbeit zwischen IT und Fachbereichen ist erfolgsentscheidend."
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"Es ging uns um flexiblere Prozesse, ein hohes Maß an Automatisierung und letztlich darum, das starke Wachstum im Krankenversicherungsbereich aufzufangen", erinnert sich Karaschewski. Der gewählte Beispielprozess für die BPM-Einführung bestand darin, Unterlagen im Zahnzusatzleistungs-Bereich automatisiert zu prüfen und den damit verbundenen manuellen Aufwand zu reduzieren. Die seit 2005 angebotene Zusatzversicherung wurde mit einer Kostendeckelung für die ersten fünf Jahre vertrieben. Daher musste sich HanseMerkur darauf einstellen, dass die Kunden ab 2010 deutlich mehr Versicherungsleistungen in Anspruch nehmen würden.

Mit dem neuen Prozess wollten die Verantwortlichen den erheblichen Mehraufwand abfangen und zugleich die Anwender entlasten. In enger Zusammenarbeit mit den Fachbereichen startete die IT ein agiles Softwareentwicklungsprojekt nach Scrum und konnte die Arbeiten im Herbst 2009 fristgerecht fertigstellen. Seit Ende letzten Jahres läuft der Prozess produktiv, zunächst mit einer Automatisierungsquote von 15 Prozent. "Wir tunen den Prozess weiter und rechnen mit einer Automatisierung von rund 30 Prozent bis Ende 2010", so der IT-Entwicklungsleiter.

Die Fachbereiche modellieren die Prozesse mit der Spezifikationssprache BPMN. Unterstützung kommt von einem externen Berater und einem BPM-Architekten aus der eigenen IT. "Die enge Zusammenarbeit zwischen IT und Fachbereichen ist erfolgsentscheidend, deshalb sitzen sie auch zusammen", erläutert Karaschewski die Arbeitsweise. Die Idee, BPMN-Modelle direkt in Software umzusetzen, hält er trotz der Versprechungen vieler Anbieter für unrealistisch, sobald es sich um etwas komplexere Prozesse handelt. "Der Informationsgehalt muss auf der technischen Ebene weitaus höher sein als auf der Geschäftsebene. Schon deshalb ist eine zweite, technische Modellierung notwendig", so Karaschewski.

Im nächsten Schritt sollen ähnlich funktionierende Prozesse aus anderen Bereichen in die BPM-Plattform einbezogen werden. Der neue Ansatz soll auch helfen, die häufigen Änderungen durch den Gesetzgeber leichter umzusetzen, schon weil sich der Testaufwand nach Softwareänderungen erheblich verringert. Die Risiken des Projekts schildert Karaschewski folgendermaßen: "Bei einem solchen Konzept ist ein systematisches Vorgehen sehr wichtig, denn mehr Komponenten bergen auch mehr Komplexität. Auch die Mitarbeiter müssen entsprechend eingebunden werden: Durch die neuen Abläufe und Vorgehensweisen ändern sich Prozesse und damit Aufgaben oft gravierend, das erzeugt natürlich Ängste. Hier ist eine klare und frühzeitige Kommunikation entscheidend, bei der vor allem auch die neuen Möglichkeiten aufgezeigt werden".

Finanz Informatik Technologie Service

Manfred Heckmeier, Geschäftsführer von FI-TS: "Oft ist erst bei der Abwicklung klar, wie der konkrete Ablauf aussehen muss."
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Der IT-Dienstleister Finanz Informatik Technologie Service (FI-TS) entschied sich 2008 dafür, unter anderem BPM für die Steuerung und den Betrieb von Rechenzentren zu nutzen. "Die Herausforderung besteht darin, auf die sehr unterschiedlichen Kundenanforderungen einzugehen und zugleich sehr schnell und kosteneffizient individuell konfigurierte Server-Umgebungen aufzubauen. Dabei bewegen wir uns zwischen Technik und kaufmännischen Prozessen", erklärt Manfred Heckmeier, Geschäftsführer von FI-TS. Der 480 Mitarbeiter zählende IT-Dienstleister aus Haar bei München hat sich bereits im Rahmen der ISO-9001-Zertifizierung mit den internen Prozessen beschäftigt.

Das ging dem Unternehmen jedoch nicht weit genug: Vom Angebot über das Ordern, Bereitstellen und Bestücken der Hardware bis hin zur Inbetriebnahme, Abnahme und Abrechnung sollten alle Abläufe nicht nur auf dem Papier nachzulesen sein, sondern auch durch ein Tool automatisiert und unterstützt werden. Gefragt war ein möglichst einfaches System ohne große Brüche. Die Entscheidung fiel dann auf das Modellierungswerkzeug jpass. Mit der Umsetzung führte das Unternehmen die damit verbundene subjektorientierte Methode zur Prozessbeschreibung ein. Dazu wurden die Workflows aus Sicht der zum Prozess gehörigen Rollen beziehungsweise Subjekte definiert. Zudem haben die IT-Experten die SAP-ERP-Installation und das Betriebsauftrags-Management-System angebunden und alles in die vorhandene Prozesswelt eingeklinkt.

"Der Auftragssteuerungsprozess ist sehr komplex. Letztlich lässt er sich jedoch immer auf das gleiche Prinzip zurückführen, auch sich wenn Tätigkeiten und Personen stark unterscheiden. Oft ist erst bei der Abwicklung klar, wie der konkrete Ablauf aussehen muss", beschreibt Heckmeier die Herausforderung. Grundsätzlich sollten Mitarbeiter, die in die Abläufe eingebunden sind und über großes Wissen darüber verfügen, auch den Prozess im Tool modellieren und testen.

Durch das BPM-Werkzeug hat sich einiges verändert. Die Arbeit mit einem Tool setzt laut Heckmeier eine wesentlich höhere Präzision voraus, als die Prozesse nur auf dem Papier zu beschreiben. "Im BPM-Tool müssen Rollen und Aktionen klar festgelegt werden, sonst gibt es keinen Nutzen. Das führt in der Praxis zu vielen Diskussionen, denn der tatsächliche Ablauf ist den Mitarbeitern oft gar nicht bewusst ", warnt Heckmeier. "Die Steuerungsmöglichkeiten und die Transparenz über die Prozesse sind deutlich gewachsen, insbesondere wenn sich Abläufe verändern. Im nächsten Schritt wollen wir Lieferanten und später auch Kunden in das BPM einbeziehen."

Kneipp-Werke

Christian Schulze, Head of Information Management bei Kneipp: " Ziel ist, eines Tages die gesamte Prozesswelt des Unternehmens darstellen und bewerten zu können."
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Die Kneipp-Werke aus Würzburg haben ihre Prozesse in Logistik und Warenversorgung mit BPM optimiert. Der 350 Mitarbeiter starke Hersteller von Arzneimittel- und Pflegeprodukten, der zur Paul Hartmann Gruppe gehört, wollte seine Prozesse nicht nur niederschreiben. Deshalb wurde bereits 2006 Aris von IDS Scheer (jetzt Software AG) eingeführt. Doch die Visualisierung allein reichte der konsequent vorgehenden IT-Abteilung nicht. "Es gab eine Reihe von Prozessen, die nicht ohne weiteres im ERP abzubilden waren. Um hier Aufwand zu sparen, haben wir uns nach einem Prozessportal umgeschaut", erinnert sich Christian Schulze, Head of Information Management bei Kneipp.

Das Unternehmen entschied sich für Webmethods von der Software AG als SOA-Repository. Im BPM-Portal wurden der pharmaspezifische Prozess zur Produkteinführung und der komplexe Eliminierungsprozess für abgelaufene Produkte umgesetzt. Derzeit arbeiten die Würzburger an der Integration zwischen dem Prozessportal und der neuen ERP-Software von SAP, um eine Verbindung mit Kunden- und Logistikprozessen, EDI und Workflows zu schaffen.

"Ein wichtiges Thema ist für uns auch das Messen von Prozessen - zum Beispiel hinsichtlich der Qualität oder der Lieferquote im Warenausgang. Die entscheidende Vorarbeit lag darin, die eigenen Prozesse genau zu kennen und zu dokumentieren. Ziel ist, eines Tages die gesamte Prozesswelt des Unternehmens darstellen und bewerten zu können", wünscht sich Schulze. Im als reiner Standard eingeführten SAP-System bringen die BPM-Spezialisten dazu Konnektoren als Messpunkte an, die Betrachtung erfolgt über Webmethods Business Activity Monitoring.

"Die IT versucht, bei der Prozessoptimierung den Helikopterblick auf die Prozesslandschaft zu wahren - das ist kein einzelnes Projekt, sondern eine Linienaufgabe. Die Fachbereiche bleiben in der Verantwortung und sind über Process Owner und SAP-Key-User eingebunden", so Schulze. Eine wesentliche Herausforderung bestehe darin, die Schnittstellen zwischen den Unternehmensbereichen möglichst klar herauszuarbeiten. "Fachabteilungen sind praktisch wie ‚Closed Shops‘, in die schwer hineinzuschauen ist. Klare Strukturen sorgen hier dafür, dass im Fehler- oder Problemfall schneller deutlich wird, wo angesetzt werden muss", so der IT-Manager. (jha)