So gelingt die ERP-Einführung

31.05.2006 von Reiner Martin
Anwender, die eine umfassende Unternehmenssoftware einführen wollen, sollten die Methoden und Werkzeuge der Anbieter wie Projekthandbuch, Aufwandschätzung oder Customizing genau unter die Lupe nehmen.

Mit gewaltigem Aufwand führen Unternehmen integrierte Standardsoftware wie ERP-, CRM- oder BI-Systeme ein (ERP = Enterprise Resource Planning, CRM = Customer Relationship Management, BI = Business Intelligence). Die Methoden und Werkzeuge, mit denen die Anbieter die Anwender hierbei unterstützen, sind von sehr unterschiedlicher Qualität. Diese Verfahren und Tools hat eine Studie der Beratungsfirma MQ result consulting AG zusammen mit der HTWG Konstanz (Hochschule für Technik, Wirtschaft und Gestaltung) genauer untersucht.

Hier lesen Sie ...

  • welche Methoden und Werkzeuge es für die ERP-Einführung gibt;

  • auf welche davon es ankommt;

  • wie Sie die ERP-Anbieter besser beurteilen können.

Wie erzielt ein Unternehmen maximalen Nutzen mit einem ERP-System? Eigentlich ganz einfach, könnte man meinen: Indem es das für seine Bedürfnisse am besten passende System und den am besten geeigneten Einführungspartner auswählt. Indem es die Altsysteme möglichst konsequent ablöst, das heißt den Funktionsumfang des ERP-Systems für sich ausschöpft und die Zahl der Schnittstellen minimieren. Indem es zu guter Letzt das System möglichst wenig modifiziert.

Studie: Was Werkzeuge beiten und wie sie genutzt werden.

In der Praxis ist dies allerdings schwerer als gedacht. Das gilt zum Beispiel für die Softwaremodifikationen, wie das vom Autor geleitete Forschungsprojekt "BeFITT" (Benefit Focus in IT-enabled Transformation, unterstützt von Capgemini und gefördert vom Land Baden-Württemberg) zeigte: Alle 176 befragten Projektleiter, die SAP-Systeme einführten, gaben an, dass sie mehr Modifikationen vornahmen als geplant. Für die Diskrepanz zwischen Wollen und Tun erteilten sich die Anwender somit selbst ein kritisches Zeugnis: Im Nachhinein würden sie nicht mehr so viel anpassen.

Die Methoden-und-Werkzeuge-Studie 2005

Die Studie wurde wissenschaftlich vom Autor geleitet, mit UnterstŸtzung von Stefanie LŸck, Diplomandin der HTWG Konstanz. Die MQ result consulting AG realisierte die ãM&W-Studie 2005Ò aus der Sicht der Anwender. Um diesen die Orientierung zu erleichtern, wurden einerseits die wesentlichen Anbieter angesprochen, die sich mit ihrer ERP-Software vor allem an MittelstŠndler wenden, andererseits die Global Player, deren Fokus auf gro§en, internationalen Projekten liegt. Dazu kamen mehrere SAP- und Navision-Partner, um auch Aussagen Ÿber solche Partnerschaften treffen zu|kšnnen.

Von 27 angesprochenen Anbietern nahmen 16 an der Untersuchung teil. Die hohe Quote ist ein Indiz dafŸr, dass sich die Anbieter zunehmend mit dem Thema M&W beschŠftigen - demgegenŸber unterschŠtzen die meisten Anwender den Einfluss von M&W auf den Projekterfolg. Zur Datenerhebung wurden die M&W-Verantwortlichen beim Anbieter angesprochen. Erstaunlicherweise waren diese in etwas mehr als einem Drittel der FŠlle nicht im Consulting angesiedelt, sondern im Marketing- oder Presales-Bereich. Bei allem grundsŠtzlichen Interesse der Anbieter kšnnte das doch bedeuten, dass manche von ihnen M&W eher als Verkaufsargument denn als ernsthafte UnterstŸtzung im Projektalltag behandeln.

Methode kritisch prüfen

ERP-Projekte stellen hohe Anforderungen an die Projektführung. So belegt die seit 2004 jährlich erhobene "ERP-Zufriedenheitsstudie Deutschland 2005", dass Personalbedarfs- und Kostenpläne oft nicht eingehalten werden. Die Anwender sollten daher bei der Auswahl ihres Anbieters kritisch prüfen, mit welchen Methoden und Werkzeugen (M & W) der Anbieter sie unterstützt, um den Aufwand bei der Systemeinführung zu verringern, beispielsweise was Customizing, Formulare und Auswertungen anlangt.

Dem Anwender muss klar sein, dass ihm der Anbieter in der Regel nur bei solchen Tätigkeiten helfen kann, die zu seiner Rolle als Softwarelieferant beziehungsweise Einführungspartner zählen. Beispielsweise müssen das Kosten-Management des Projekts sowie alles, was vor dem Vertragsabschluss geschieht, vom Kunden vorangetrieben werden.

Dazu gehören das Aufsetzen des Projektes, die Anforderungsanalyse sowie die Auswahl der Software und des Einführungspartners. Diesen Part hat der Kunde selbst zu übernehmen, gegebenenfalls unterstützt durch eine Beratungsfirma die vom Hersteller der in Betracht gezogenen ERP-Software unabhängig ist. Das belegt auch die von MQ result consulting erarbeitete M & W-Studie zur Zielkostenplanung und -steuerung (siehe Punkt 1 der Ergebnistabelle): Die Hälfte der befragten Anbieter teilte mit, ihr Werkzeug zum Kosten-Management nur für die eigene Projektkostenplanung und -steuerung einzusetzen.

Methoden und Werkzeuge zur ERP-Einführung

M&W der Projektführung

ERP-System-nahe M&W

Meilensteine

Ist-Analyse

Projekt-Ablauf

Geschäftsprozess-Optimierung

Einzelaufgaben

Qualifizierung

Offene Punkte

Aufwandsschätzung

Projektkosten

Customizing

Wirtschaftlichkeit

Datenübernahme

Chance Management

Formulare & Auswertungen

Qualifizierung

Endbenutzer-Dokumentation

Projekthandbuch

Tests und Abnahmen

Projekt-Dokumentenverwaltung

Tool-gestützte Datenpflege

Im Umfang unterscheiden sich die verfügbaren M & W stark. Tendenziell fällt er umso größer aus, je größere ERP-Projekte die Anbieter realisieren. Marktführer SAP beispielsweise hält unter dem Dach des "Solution Managers" eine Vielzahl von M & W für die Implementierung bereit und darüber hinaus auch für den laufenden Betrieb. Wenn das Projektteam einer ERP-Einführung aus mehreren hundert Personen besteht, kommt es auf Methodik und diese unterstützende Werkzeuge mehr an als bei einem fünfköpfigen Kernteam, bei dem noch vieles auf Zuruf funktioniert.

Die Skalierbarkeit der M & W ist also ein wesentlicher Erfolgsfaktor. Die Anwender sollten kritisch prüfen, wie gut die M & W der Anbieter zur Projektgröße passen.

Zwei Schwerpunkte

Die M & W zur ERP-Einführung lassen sich zwei Segmenten zuordnen: M & W mit dem Schwerpunkt der Führungsunterstützung, die also dem Projektleiter und allen Projektbeteiligten besonders bei der operativen Umsetzung helfen, und solche mit dem Schwerpunkt der inhaltlichen Einführungsgestaltung, wo es beispielsweise um die Geschäftsprozess-Optimierung, das Customizing des ERP-Systems oder um Systemtests geht. Naturgemäß weisen die letzteren M & W einen wesentlich engeren Bezug zum ERP-System auf oder gehören zu ihm.

Methoden und Werkzeuge: worauf Sie achten sollten

  1. M&W haben skalierbar zu sein.

  2. Sie müssen auch dem Anwender zur Verfügung stehen.

  3. M&W sollten helfen, Kosten zu sparen.

  4. Detaillierte Referenzprojektpläne der Anbieter demonstrieren, dass diese aus abgeschlossenen Projekten gelernt haben.

  5. Die Tool-Unterstützung (etwa für die Datenpflege oder Geschäftsprozess-Optimierung) sollte mit dem ERP-System verzahnt sein.

  6. M&W sollten Anwender nach dem Going Live unterstützen.

Die Führungsunterstützung der Anbieter ist primär darauf ausgelegt, die funktionalen Ziele zu erreichen. Die Einhaltung der Kosten oder sogar die Erfüllung betriebswirtschaftlicher Ziele stehen weniger im Mittelpunkt. Die M & W der Anbieter sind eher dafür konzipiert, die eigenen Projektaktivitäten zu unterstützen, als für die Nutzung durch den Kunden und weitere Projektbeteiligte. Leider ist der Wissenstransfer aus abgeschlossenen in neue Projekte kaum systematisiert.

Es liegt nahe, dass die M & W der Anbieter auf die Erfüllung der ERP-funktionalen Projektziele ausgelegt sind: Denn diese ist der elementare Gegenstand der Leistungserbringung und werden vom Anwender auch explizit abgenommen. Verfolgt der Anwender darüber hinaus betriebswirtschaftliche Ziele wie beispielsweise die Beschleunigung seiner Geschäftsprozesse, sind die Instrumentarien der Anbieter dafür selten ausgelegt, wie die Studie ergab (siehe Punkt 2 der Ergebnistabelle). Nur einer der befragten Anbieter, IDS Scheer, ist bereit, einen Teil seines Honorars von erreichten Geschäftsprozess-Verbesserungen abhängig zu machen. Offenbar wird sich der Anwender um die betriebswirtschaftlichen Zielorientierung seines ERP-Projekts noch längere Zeit alleine kümmern müssen.

Werkzeug auch für Kunden?

Dass die Anbieter zuerst an sich selbst denken, wird auch beim Thema Projekthandbuch (Punkt 3 der Ergebnistabelle) deutlich: Alle befragten ERP-Spezialisten verfügen über Projekthandbücher, aber nur 56 Prozent wollen sie auch dem Kunden überlassen. Ebenso beim Tool zur zentralen Verwaltung von Projektdokumenten (Punkt 4 der Ergebnistabelle), bei dem sogar ein Viertel der befragten Anbieter gar kein entsprechendes Tool verwendet. Anwender sollten daher unbedingt überprüfen, ob die Werkzeuge der Anbieter auch ihnen zur Verfügung stehen und wie gut sie für das Projekt geeignet sind. Insbesondere sollten sie technologisch so ausgelegt sein, dass sie mit geringem Aufwand installiert werden können, mit geringem Aufwand weitere Projektbeteiligte einbezogen werden können und dabei die Sicherheitsstandards des Anwenderunternehmens gewahrt bleiben.

Ein ERP-Projekt lässt sich nur dann richtig steuern, wenn es zuvor konsequent durchgeplant wird. Projektorganisation, Projektziele und Meilensteine müssen festgelegt, Ablauf, Kosten und Nutzen detailliert geplant werden. Die ERP-Anbieter können dazu mit ihrer Erfahrung aus einer Vielzahl von durchgeführten Projekten beitragen. Doch aus ihren abgeschlossenen Projekten leiten sie im Wesentlichen Kostenaussagen und Projektphasen-Konzepte ab. Das reicht nicht aus.

Konsequente Planung muss sein

Ein Anbieter, der ERP-Systeme mittels M & W plant und realisiert, sollte auch die Dienstleistungen in neuen Projekten verlässlich kalkulieren können. Anwender sollten daher nicht nur für Hardware und Softwarelizenzen, sondern auch für den Dienstleistungsvertrag verbindliche Preise anstreben. Der Anbieter sollte an der Kostenverantwortung beteiligt werden, auch wenn die Gesamtverantwortung beim Auftraggeber bleibt.

Zudem lassen die Anbieter das Know-how, das sie im Bereich der M & W zur Projektführung in früheren Projekten erworben haben, in Phasenkonzepte für die ERP-Einführung einfließen. Diese liegen häufig als Präsentationsfolien und in der weiteren Detaillierung als Projektablaufpläne vor, meist in "MS-Project". Allerdings verfügt nur knapp ein Drittel der in der Studie Befragten beispielsweise über nach Projektgröße oder funktionalen Schwerpunkten differenzierte Ablaufpläne, ansonsten herrscht der "Einheitsablaufplan" vor (Punkt 5 der Ergebnistabelle).

Diese Projektpläne können die Kalkulation der gesamten Projektdauer unterstützen. Für die Planung aller Einzelaufgaben und vor allem für deren Durchführungsüberwachung sind sie dagegen meist nicht detailliert genug und sie erzeugen eine zu geringe Ergebnisorientierung. Projektleiter wissen, dass der Projektalltag viel mehr durch eine "offene Punkteliste" geprägt ist als durch Netzpläne oder Gantt-Diagramme zum Projektablauf.

Projektführung unterstützen

Diesen Anforderungen wird eine traditionelle Projekt-Management-Software nicht gerecht, die eigentlich entwickelt wurde, um Projekte mit komplexen Abhängigkeitsbeziehungen durchzuplanen. In ERP-Projekten sind weniger die Abhängigkeiten das Problem als vielmehr die Tatsache, dass Aufgaben gar nicht oder zu spät erledigt werden. Hier hilft nur ein Werkzeug, das konsequent die Projektführung unterstützt, alle Projektbeteiligten aktiv einbezieht, jede Aufgabe klar benennt und einem Verantwortlichen zuordnet sowie einen Fertigstellungstermin festlegt.

Was die ERP-System-nahen Aspekte mit ihrem Schwerpunkt auf der inhaltlichen Einführungsgestaltung anbelangt, so lassen sich hierfür die Studienergebnisse wie folgt zusammenfassen:

Sind die Verträge mit dem Softwarelieferanten und dem Einführungspartner geschlossen, läuft ein ERP-Projekt grob wie folgt ab: Zunächst werden die Anforderungen des Anwenderunternehmens im Feinkonzept herausgearbeitet; diese werden dann durch entsprechende Einstellungen im ERP-System abgebildet; mit diesem Prototypen werden anschließend begonnen die Anwender zu qualifizieren, die Datenübernahme vorbereitet und vollzogen; nach den erfolgreichen Funktions- und Integrationstests erfolgt das Going Live; zuletzt wird der Echtbetrieb stabilisiert und später auf bestmöglichen Nutzen getrimmt.

Manche Anbieter unterstützen Funktions- und Integrationstests nur lückenhaft: 37,5 Prozent der antwortenden Anbieter besitzen keine Tools zur Unterstützung beziehungsweise Automation von Tests sowie zu deren Wiederholung und Dokumentation (Punkt 6 der Ergebnistabelle). Die größte Lücke besteht jedoch hinsichtlich der Datenpflege, die auch nach dem Going Live dauerhaft wichtig ist. Nur 12,5 Prozent der Befragten bieten ein Werkzeug für die Qualitätskontrolle der Daten an, das beispielsweise Olap-basierende Auswertungsmöglichkeiten bereits für die Stammdaten vorsieht (Punkt 7 der Ergebnistabelle). Hält man sich die Bedeutung der Stammdaten eines ERP-Systems vor Augen, überrascht dieser Befund, denn der Nutzen eines ERP-Systems wird maßgeblich durch die Qualität der Stammdaten bestimmt.

Insgesamt ist die M & W-Unterstützung der Anbieter nach der Inbetriebnahme wenig ausgeprägt. Das lassen bereits die Phasenmodelle der Anbieter erahnen, die meist mit dem Going Live enden. Danach wird der Anwender sich selbst überlassen.

Eine weitere Schwäche vieler M & W ist ihre teils zu schwache Verzahnung mit dem ERP-System. Ein Großteil der Anbieter verfügt zwar über Business-Intelligence-Tools, diese Lösungen sind aber nicht so weit integriert und vorkonfiguriert, dass der Anwender sie sofort zur Unterstützung der Datenpflege einsetzen könnte.

Vorhandenes nutzen

Ähnlich verhält es sich mit den Tools zur Geschäftsprozess-Modellierung. Es gibt wenig Sinn, mit der Modellierung bei null zu beginnen. Der Anbieter verfügt schließlich bereits über Standardlösungen für die Geschäftsprozesse des neuen Kunden. Diese Lösungen sollten dem Anwender als Referenz-Geschäftsprozesse vorgelegt werden. Ferner können IT-Verantwortliche des Kunden auf dieser Grundlage individuelle Schulungsunterlagen für die Anwender erstellen. Zwar setzen fast alle befragten Anbieter ein Tool zur Geschäftsprozessanalyse ein, aber nur 37,5 Prozent halten auch Referenz-Geschäftsprozesse vor (Punkt 8 der Ergebnistabelle).

Die Anwender müssen demzufolge in der Auswahl nicht nur das ERP-System auf seine Eignung untersuchen, sondern auch die angesprochenen systemnahen Einführungswerkzeuge. Deren Tauglichkeit für den Projektalltag genauso wie die der M & W zur Führungsunterstützung können sie klären, indem sie bei den Referenzen der Anbieter nachfragen.

Fazit: M & W sind für derart komplexe Projekte wie ERP-Einführungen unerlässlich, nach wie vor wird der Projekterfolg aber primär durch die handelnden Personen und Organisationen bestimmt. Sind beispielsweise die Projektverantwortlichen nicht in der Lage, Entscheidungen zügig herbeizuführen, helfen die besten M & W wenig. Umgekehrt gilt aber: In erfolgreichen Projekten werden eher die richtigen M & W eingesetzt. (ka)

* Reiner Martin ist Professor für Wirtschaftsinformatik an der HWTG Konstanz und Mitbegründer und Aufsichtsratsvorsitzender der MQ Result Consulting AG in Tübingen.