Employer Branding

So findet der Mittelstand IT-Fachkräfte

03.11.2008 von Alexander Freimark
Ungeachtet der Wirtschaftskrise ist der IT-Fachkräftemangel im Mittelstand weiter ein akutes Problem. Bekanntheit und Professionalität sind die Schlüssel zum Markt der Top-Talente und erfahrenen Experten.

Neben der Kreditklemme, der bleiernen Bürokratie sowie der ungewissen Erbschaftssteuer lastet vor allem der IT-Fachkräftemangel auf dem Mittelstand. Daran haben auch die Finanzmarktkrise und die sich eintrübende Konjunktur bislang nicht viel geändert, sagt Stephan Pfisterer, Arbeitsmarktexperte von Branchenverband Bitkom. Von derzeit laut Verband rund 45.000 offenen Stellen im deutschen TK- und IT-Bereich entfallen 19.000 auf die Hightech-Industrie und 26.000 auf Anwenderunternehmen. Und: "Der Fachkräftemangel ist in erster Linie ein Thema für den Mittelstand und weniger für die Großunternehmen", berichtet Pfisterer.

Der Mittelstand hat ein Imageproblem

Da sie lediglich in der Region beziehungsweise in ihrem Industriesegment einen bekannten Namen haben, tun sich die kleineren Unternehmen naturgemäß schwer, Top-Talente an sich zu binden. Hinzu kommen der demographische Wandel mit sinkenden Geburtenraten und ein erlahmendes Interesse der Jugend an technischen und mathematischen Studiengängen beziehungsweise hohen Raten von Studienabbrechern. Zudem hat der Mittelstand bei Berufseinsteigern und erfahrenen Fachkräften ein Imageproblem (Provinzpatriarchen) und zahlt durchschnittlich niedrigere Gehälter als die großen Konzerne.

Auch ist das Renommee der Firma gegenüber Freunden und Familienmitgliedern als Kriterium für die Wahl des Arbeitgebers nicht zu unterschätzen: Man ist lieber ein kleines Rad im großen Getriebe als ein großes Rad im kleinen Getriebe. Schließlich lockt auch die Aussicht auf einen steilen Karrierepfad in einem Dax-Unternehmen, während man sich im Mittelstand nach spätestens zwei Beförderungen im ungünstigsten Fall mit der fachlich und menschlich fragwürdigen Erbengeneration herumschlagen muss. Der Mittelstand, so scheint es, wird in erster Linie durch Vorurteile definiert.

Schlechte Bezahlung ist ein Vorurteil

Allerdings tut der Mittelstand nicht allzu viel, um diese Vorurteile öffentlich zu widerlegen - oder ist zumindest nicht erfolgreich darin, die eigenen Vorteile herauszustellen. Eine Arbeit als Generalist in flachen Hierarchien mit relativ viel Verantwortung müsste für viele Studiumsabsolventen verlockend klingen. Zudem ist es beileibe kein "ungeschriebenes Gesetz" des Arbeitsmarktes, dass alle Mittelständler schlechter zahlen als Konzerne. Dennoch klagen gerade die kleinen und mittleren Unternehmen am nachdrücklichsten, dass sie nicht die Mitarbeiter bekommen, die sie benötigen.

Auch Jörg Martin, Teamleiter für das Prozess-Management der Baader Bank AG, führender Spezialist im Wertpapierhandel und Deutschlands größte Börsenmaklergesellschaft mit Sitz in Unterschleißheim bei München, kennt die schwierige Suche nach geeigneten Kandidaten. Für ein Projekt im Vorjahr hatte er fünf offene Stellen zu besetzen, drei blieben letztlich vakant. "Für ein Spezialinstitut", so sein Fazit, "sind die Kandidaten, die für uns in Frage kommen, naturgemäß dünn gesät."

Weiterbildung ist ein Schlüssel zum Erfolg

Um in diesem schwierigen Umfeld dennoch erfolgreich agieren zu können, schafft die Baader Bank optimale Arbeitsbedingungen, setzt auf Teamwork und fördert die Eigeninitiative und Weiterentwicklung der Mitarbeiter: "Jeder neue Kollege muss ohnehin die Spezialitäten des Unternehmens lernen - egal, wie viel er bereits mitbringt", sagt Martin. Allerdings gibt es einige Mindestvoraussetzungen hierfür, etwa ein "gestandenes Team, das die Aufgabe der Fortbildung auch leisten kann". Entscheidend seien zudem die Fähigkeit des Kandidaten zum strukturierten Arbeiten, analytischen Denken sowie ein vorhandenes Grundverständnis für die Anforderungen an der Schnittstelle zwischen Bankgeschäft und IT. Die Gretchenfrage lautet Martin zufolge: "Wo liegen die besonderen Stärken des Einstellungskadidaten - welche Defizite können wir am leichtesten ausgleichen?"

Jörg Martin: 'Jeder neue Kollege muss die Spezialitäten des Unternehmens lernen.'

Mit der Entscheidung, die Persönlichkeit - neudeutsch: Soft Skills - der Kandidaten stärker mit zu berücksichtigen, wachsen auch die Optionen des Unternehmens auf dem Personalmarkt. Der Prozess-Manager hat in seiner Karriere schon Informatiker, Betriebswirte und Physiker eingestellt, mal als Absolventen, mal als berufserfahrene Quereinsteiger. "Was wirklich zählt", so der Prozess-Manager, "sind der persönliche Eindruck, die Probleme, die der Kandidat bereits gelöst hat und unsere Einschätzung, welches Potenzial für unser Unternehmen in ihm schlummert."

IT-Lieferanten leiden an Fachkräftemangel

Der Mangel an Spezialisten bleibt laut einer Bitkom-Umfrage nicht nur für die Anwenderunternehmen, sondern auch für die ITK-Branche ein gravierendes Problem. Knapp die Hälfte der 1.500 befragten IT-Lieferanten gab an, dass sie einen Fachkräftemangel spüren. Ein Drittel sagt, dass offene Stellen nur schwer zu besetzen waren, und ein Viertel konnte für freie Arbeitsplätze gar keinen geeigneten Bewerber finden. Auch amerikanische Konzerne sind hierzulande vom Fachkräftemangel betroffen, und ihre deutschen Niederlassungen weisen häufig mittelständische Strukturen auf. So arbeiten beispielsweise rund 250 Menschen für den US-Softwarehersteller Adobe an den deutschen Standorten München, Frankfurt am Main, Köln und Hamburg. Allerdings handelt es sich nicht um ein reines Sales- und Marketingteam, denn in Norddeutschland verfügt das Unternehmen über einen großen Entwicklungsstandort.

IT-Talente an den Universitäten jagen

Für Adobe stellt sich daher die Aufgabe, sich bei Entwicklern und IT-Fachleuten nicht nur als Lieferant innovativer Programme, sondern auch als Arbeitgeber bekannt zu machen. Auf der Jagd nach Top-Talenten "müssen wir einen Dialog mit den Experten aufbauen", formuliert Recruiterin Mila Wilson die Anforderung. Dies geschieht nicht in Form traditioneller Stellenanzeigen, sondern als Konsequenz einer Öffnung und aktiven Vermarktung des Unternehmens: "Vor allem Universitäten bieten sich an, um für technische Nachwuchskräfte zu werben." So hält das Unternehmen einen "Tag der offenen Tür" ab, engagiert sich an Uni-Veranstaltungen und plant, eigene Experten als technische Koryphäen an die Hochschulen zu schicken.

Die alten IT-Hasen haben noch Lust

Neben den jungen Nachwuchskräften verweist die Adobe-Recruiterin auch noch auf die Gruppe der erfahrenen IT-Profis ("50plus"), die ein großes Reservoir an Fachkräften bilden. "Durch ihre andere Perspektive sehen erfahrene Mitarbeiter Probleme, bevor sie sich zu ernsten Herausforderungen entwickeln", berichtet Wilson. Zudem sei es in relativ jungen Teams empfehlenswert, einen Ruhepol in der Mannschaft zu installieren - was aber nicht bedeutet, dass sich der erfahrene Mitarbeiter auf seinen vermeintlichen Meriten ausruht, während die jüngeren Experten dem Zeitplan hinterherhetzen. Fehlender Ehrgeiz der Älteren sei aber häufig nur eine Unterstellung, sagt Wilson: "Viele Mittfünfziger können und wollen noch zehn Jahre etwas voranbringen."

Wirtschaftskrise löst das Personalproblem nicht

Indirekte Entlastung könnte die aktuelle Wirtschaftskrise bringen, wenn Konzerne Stellen abbauen und die Nachfrage nach IT-Experten sowie deren Kosten sinken. Allerdings will Bitkom-Arbeitsmarktexperte Pfisterer noch keine generelle Entwarnung geben, denn es handelt sich um ein strukturelles Problem aus mehreren Dimensionen. Einerseits bewegen sich die ersten - und vor allem die geburtenstarken - Informatik-Jahrgänge auf den Ruhestand zu, wodurch der Ersatzbedarf drastisch ansteigen wird. Andererseits kommen die geburtenschwachen Jahrgänge auf den Arbeitsmarkt, und deren Interesse an technischen Studiengängen ist zurzeit nur gering. "Mittelfristig bleibt die Lücke zwischen Angebot und Nachfrage bestehen", so Pfisterer. Es könnte sich für Mittelständler daher als Fehler erweisen, in puncto IT-Expertise allein auf die lindernden Nebenwirkungen der Wirtschaftskrise zu vertrauen. Experten, soviel ist sicher, haben immer Konjunktur.

Ratgeber Employer Branding - die Firma als Marke

Laut Mila Wilson, Recruiterin bei Adobe in Deutschland, sollten Unternehmen in erster Linie die Standards einer professionellen Personalarbeit erfüllen. Das ist in den seltensten Fällen gegeben. Verschiedene Faktoren beeinflussen das Ergebnis:

Rundes Gehaltspaket

Die Vergütung muss angemessen sein. Top-Talente kommen nicht an Bord, wenn sie sich unter Wert verkaufen müssen - schon gar nicht im Mittelstand und weit ab vom Schuss. Sollte das Unternehmen nicht bereit oder in der Lage sein, eine adäquate Kompensation zu zahlen, müssen andere Zuwendungen die Lücke ausfüllen. Dazu zählen beispielsweise kostenloses Obst und Getränke, Lebensversicherungen durch den Arbeitgeber, Einrichtungen für die Kinderbetreuung, Zuschüsse zum öffentlichen Nahverkehr oder für Fitness-Center sowie moderne Arbeitsmittel. Wer als IT-Experte den drei Jahre alten PC und das Handy seines Vorgängers aufarbeiten muss, fühlt sich kaum angemessen respektiert.

Durch die verschiedenen Zuwendungen und weiche Faktoren wird die Gesamtkompensation intransparent, womit sich ein relativ niedriges IT-Gehalt gegebenenfalls ausgleichen lässt. Letztlich zählt nicht nur die finanzielle Summe, sondern auch die Qualität des Arbeitsplatzes, die durch solche Zuwendungen gesteigert werden kann. Und dabei ist der Nutzwert für den Angestellten oft höher als die Kosten, die dafür beim Arbeitgeber anfallen. Doch Vorsicht: Wenn eines dieser Benefits ersatzlos gestrichen wird, hinterlässt dies einen äußerst negativen Eindruck in der Belegschaft, der den finanziellen Einspareffekt kaum rechtfertigt.

Bewusstsein schaffen

Das Unternehmen muss den Arbeitsmarkt davon unterrichten, dass es überhaupt existiert und darüber hinaus Bedarf an hochklassigen Mitarbeitern hat. Dies kann über gelegentliche Print-Anzeigen, regelmäßige Online-Anzeigen sowie über die Präsenz auf Recruiting-Websites wie Monster etc. geschehen. Weitere Bausteine sind die Nutzung sozialer Netzwerke wie Xing beziehungsweise ein Alumni-Management. Letzteres ist zwar aufwändig, doch können ehemalige Mitarbeiter dabei helfen, das Bild des Unternehmens nach außen zu transportieren. Dies gilt im Umkehrschluss natürlich auch für eine negative Einstellung zum Ex-Arbeitgeber. Ein lukrativer Bonus an die eigenen Mitarbeiter für die Vermittlung von Fachkräften rundet das Paket ab.

Es kann sich zudem für Firmen auszahlen, an speziellen Wettbewerben für Arbeitgeber teilzunehmen. Beispiele hierfür sind "Great Place to Work", "Top Job" und "BestPersAward". Selbst wenn man sich hinterher nicht mit dem Siegel des Siegers schmücken darf, erhalten Teilnehmer oft wertvolle Hinweise darauf, wie sie ihre Personalarbeit verbessern können.

Recruiting stärken

Die Bereiche Personalwesen und Recruiting müssen kompetent besetzt sein. Gerade bei kleineren Unternehmen werden die Funktionen "nebenher" oder durch externe Berater erledigt. Dabei kommt es besonders auf die Schnelligkeit und die Verbindlichkeit der Reaktion an. Wer Kandidaten drei Monat auf die Antwort zu einer Initiativbewerbung warten lässt und hinterher vertröstet, darf sich über den Fachkräftemangel nicht beklagen. Indes betrifft dieser Punkt nicht nur Mittelständler - auch Konzerne tun sich hier schwer, speziell mit Online-Bewerbungen und -Anfragen.

Gegebenenfalls kann es sich lohnen, einen eigenen Recruiter einzustellen, der sich um die Prozesse und die Abwicklung der Kandidatenauswahl sowie die Organisation der nötigen Interviews kümmert. Damit erhalten Bewerber einen einzigen Ansprechpartner im Unternehmen, und auch die Firma bündelt die Mitarbeitersuche an einer Stelle. Als Folge läuft der Prozess schneller ab, die Außenwirkung verbessert sich, und letztlich können Ausgaben für Agenturen und Headhunter gesenkt werden.

Realität abbilden

Wer seinen Kandidaten das Blaue vom Himmel verspricht und das Unternehmen geschickt "verkauft", muss die geweckten Begehrlichkeiten auch erfüllen können. Wenn die Personalabteilung im Interview mit flexiblen Arbeitsmodellen und regelmäßigen Weiterbildungsmaßnahmen wirbt, sollten Fachabteilungen davon auch unterrichtet werden (und zwar nicht erst vom neuen Mitarbeiter). Die Probezeit gilt für beide Seiten, und es ist aufwändig, eine eben erst besetzte Stelle nach einigen Monaten erneut ausschreiben zu müssen. Zumindest sollten Firmen wissen, was sie wirklich suchen, statt lediglich das zu suchen, was sie finden können.