Der Einsatz von ERP-Software zur Unterstützung der Geschäftsprozesse ist heute in der Regel Standard. Allerdings tun sich mittelständische Unternehmen mit der Auswahl einer geeigneten Lösung schwer, weil dieser Prozess nicht zum Tagesgeschäft zählt und Nachfolgesysteme inzwischen im Mittel erst nach knapp 15 Jahren angeschafft werden. Daher verwundert es nicht, dass viele Betriebe mit dem ERP-Auswahlverfahren und den damit verbundenen Entscheidungen Schwierigkeiten haben.
ERP-Anbieter wecken falsche Hoffnungen
Neben der Komplexität, der Tragweite der Aufgabenstellung sowie dem sehr unübersichtlichen ERP-Marktangebot sowie den ERP-Trends, macht vor allem ein Umstand den Suchenden das Leben schwer: Alles auf einmal gibt es nicht, auch wenn die Hersteller in die Marketing-Trickkiste greifen, um anderes zu suggerieren. Die berühmte "eierlegende Wollmilchsau", die alle Anforderungen erfüllt, ist nicht in Sicht.
Tatsächlich sind bei ERP-Software Eigenschaften und Ausprägungen, die sich gegenseitig zum Teil ausschließen, nicht immer auf den ersten Blick erkennbar. Daher kommt es vor, dass Anwenderunternehmen ihre Erwartungen mitten im ERP-Auswahlprozess nach unten korrigieren oder das Anforderungsprofil komplett neu definiert werden müssen. Abgesehen von den Verzögerungen, die in einem solchen Fall entstehen, kann auch die Ernüchterung im Team den weiteren Projektverlauf nachhaltig beeinträchtigen.
Schwere Entscheidungen für das Projektteam
In welchem Ausmaß muss ein Unternehmen auf der Suche nach einer geeigneten Business-Software also mit weitreichenden Trade-Off-Entscheidungen rechnen? Neben den Bereichen Technik, Architektur und Betreibermodell sind es insbesondere die Themen Software- und Anbietereigenschaften, die weitreichende Abwägungsentscheidungen vom Projektteam verlangen. Hier lassen sich unter anderem die folgenden Zusammenhänge aufzeigen:
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Flexibilität/Anpassbarkeit vs. Funktionsumfang
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Ergonomie/Benutzerführung vs. Funktionsumfang
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Typ der Standardsoftware: Generalist vs. Spezialist
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Anbieter: Globaler Player vs. Nischenanbieter
In den genannten Dimensionen lassen sich die Ausprägungen nicht immer beliebig kombinieren. Betrachtet man beispielsweise die wichtigen Anforderungen nach funktionaler Eignung (im Standard) und Flexibilität der Software. Beide gehören laut aktuellen Studien zu den bedeutendsten Gründen für die Auswahl einer neuen ERP-Lösung.
Je älter die Technik, desto reifer die Funktionen
Ein umfangreiches und ausgefeiltes Funktionsangebot basiert auf langjähriger Erfahrung. Die Ausgestaltung und Optimierung der Funktionen, auf welcher technologischen Grundlage auch immer, kosten jedoch Aufwand. Die Anbieter benötigen also Zeit, um entsprechende funktionale Unterstützung in den zahlreichen ERP-Produkten am Markt umzusetzen. Es überrascht also nicht, dass viele ERP-Systeme, die ein besonders umfangreiches und ausgereiftes Funktionsangebot im Standard aufweisen, im Kern auf einer älteren Softwaretechnologie basieren.
Die wenigsten Hersteller versuchen und schaffen es, ein reifes ERP-System auf einen Schlag neu zu erschaffen und vom Kern bis zur Oberfläche auf eine moderne, technologische Grundlage zu stellen. In vielen Fällen wäre ein solcher Versuch vor dem Hintergrund des zu erwartenden Aufwands sowie der Risiken weder verantwortlich noch wirtschaftlich. Ausgereifte Funktionen finden sich also bei "reiferen" Systemen. Ein Testvergleich von ERP-Systemen kann daher auch sehr hilfreich sein.
Flexibilität geht zulasten der Funktionalität
Aber welchen Einfluss hat dieser Umstand auf die Flexibilität? Die Flexibilität der jeweiligen Systeme hängt im Wesentlichen von den ERP-Konzepten, also den zugrunde liegenden Techniken sowie Systemarchitekturen ab. Darüber hinaus spielen Betreibermodelle und die Verfügbarkeit geeigneter Anpassungswerkzeuge für Administratoren und Anwender eine Rolle.
Die technologischen und architektonischen Grundlagen für eine hohe Flexibilität der ERP-Software basieren auf jüngeren Gestaltungskonzepten (u.a. Plattformunabhängigkeit, Collaboration, Prozess- und Serviceorientierung). Welche Freiheiten bei der Anpassung an individuelle Anforderungen und Prozesse bestehen, ergibt sich also in besonderem Maße aus der zugrunde liegenden Technologie und damit Alter eines Systems. Dies gilt insbesondere, wenn auch der Folgeaufwand von Anpassungen bei Updates und Release-Wechseln berücksichtigt wird.
Heutzutage müssen Anwenderunternehmen also noch mit der Tatsache leben, dass sehr flexible Systeme in der Regel kein so umfassendes Funktionsspektrum anbieten und Systeme mit sehr ausgereiftem Funktionskatalog zu einer geringeren Flexibilität neigen.
Grundlegende Entscheidungen in der ERP-Auswahl
Ähnliche Zusammenhänge wie bei den Themen Flexibilität und Funktionsumfang finden sich in den anderen aufgezählten Entscheidungsdimensionen.
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Ergonomie/Benutzerführung vs. Funktionsumfang: Neueste ergonomische Konzepte zur Benutzerführung sind in älteren Systemen gegebenenfalls noch nicht umgesetzt.
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Typ der Standardsoftware: Generalist vs. Spezialist. Spezialisierte Software ist meist schlanker und zeichnet sich in der Regel durch geringere inhärente Komplexität aus. Sie bietet damit die Möglichkeit, Aufwand und Kosten der Implementierung gering zu halten. Die Ausbaufähigkeit der Lösung über zusätzliche Module, wie bei den größeren Softwarepaketen ist aber deutlich eingeschränkt.
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Globaler Player vs. Nischenanbieter: Hoch spezialisierte Anbieter können aufgrund des kleineren zu betreuenden Kundenstamms eine persönlichere Betreuung anbieten und glänzen darüber hinaus nicht selten mit umfangreicher Kenntnis der speziellen Anforderungen einer Branche oder eines Fachbereichs. Auf der anderen Seite sind ihre Möglichkeiten eingeschränkt, internationale Projekte zu bedienen. Oder sie bieten nicht dieselbe Sicherheit gegen einen Herstellerausfall wie die großen, globalen Softwarekonzerne.
Wie aber sollen die Entscheider in mittelständischen Unternehmen mit der Erkenntnis umgehen, dass sie mit dem Risiko von Trade-Offs leben müssen, die abzuwägenden Anforderungskriterien nicht immer gut zu operationalisieren sind, und sich der Markt ausgesprochen unübersichtlich darstellt?
Im Wesentlichen müssen sie den bewährten Ansatz einer systematischen, stufenweisen Vorgehensweise zur Auswahl eines geeigneten ERP-Systems mit flankierenden Maßnahmen begleiten. Dazu zählen:
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Frühzeitiges Ausloten der Auswirkung von strategischen Vorgaben auf die beschriebenen Entscheidungsdimensionen. (Ziel: Wesentliche Entscheidungsträger informieren und für Trade-Off-Entscheidungen sensibilisieren.)
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Prüfen der erarbeiteten Zielsetzungen und K.o.-Kriterien auf Unverträglichkeit und Abstimmen der Prioritäten.
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Marktrecherche auf möglichst breiter Basis starten, damit der vorhandene Angebots- und Auswahlspielraum auch genutzt werden kann.
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Abstimmen einer Vorgehensweise zur Bewertung von schwer operationalisierbaren Ausprägungen (z.B. Demonstration und Test oder Gespräche mit Referenzkunden)
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Erhalten von Rückfalloptionen (zum Beispiel nachträgliches Erweitern des Favoritenkreises)
In Summe fordern die Maßnahmen der Projektleitung einiges ab, da viel Überzeugungsarbeit zu leisten ist und zusätzliche Planungs- und Abstimmungsumfänge einbezogen und abgearbeitet werden müssen. Vor dem Hintergrund des beträchtlichen Investitionsrisikos und der Tragweite der Auswahlentscheidung lohnen sich aber eine gezielte Vorgehensweise sowie der Aufwand. (pg)