Robotic Process Automation (RPA) kann nicht nur von Arbeitsaufgaben entlasten, sondern auch die Prozessqualität verbessern, menschliche Fehler minimieren, die Compliance optimieren und das Dienstleistungsportfolio eines Unternehmens erweitern. Für eine erfolgreiche Implementierung müssen jedoch Technologie, Prozesse und Mitarbeiter miteinander abgestimmt werden. Das Reifegradmodell bietet einen evolutionären Pfad zur Verbesserung des Einführungsprozesses bei Automatisierungsinitiativen.
Viele Unternehmen glauben fälschlicherweise, dass sie einfach nur mit der Automatisierung starten müssen - und dann wird alles reibungslos funktionieren. Um sicherzustellen, dass die Prozessautomatisierung im Einklang mit der Digitalisierungsstrategie des Unternehmens steht und sich dort schrittweise einfügt, empfiehlt sich für eine erfolgreiche RPA-Implementierung ein konkreter Vier-Stufen-Plan.
Die vier Reifegrade stellen eine praktische Orientierungshilfe dar, um eine geeignete Grundlage für die Organisation, Infrastruktur und den Betrieb von Bots zu schaffen. Sie helfen dabei, bewährte Verfahren bei der Entwicklung und Implementierung von Bots zu definieren und einzuhalten. Außerdem unterstützen sie bei der Umsetzung eines effektiven Monitoring-, Support- und Wartungskonzepts sowie bei der Integration der Bots in die Enterprise-Architektur. Das Reifegradmodell beschreibt die einzelnen Entwicklungsstufen für eine organisationsweite Prozessautomatisierung und bietet eine Methodik für eine erfolgreiche und skalierbare Implementierung.
Reifegrad 1: RPA-Evaluierung und Bewertung
Zu Beginn der RPA-Reise sind Unternehmen gut beraten, sich mit der RPA-Technologie durch einen Alignment-Workshop vertraut zu machen. Anschließend wird ein RPA-Assessment durchgeführt, um die Möglichkeiten und Einsatzfelder von RPA auszuloten. Es wird evaluiert, ob und inwieweit RPA in der Organisation sinnvoll ist, ob ein ausreichendes Transaktionsvolumen vorhanden ist und welchen Mehrwert die Automatisierungsinitiative bietet. Die Ergebnisse werden in einem Bewertungsbericht festgehalten.
Prozessaufnahme und -dokumentation
Jede Automatisierungsinitiative startet mit der Identifikation der geeigneten RPA-Kandidaten. Anschließend erfolgt die Aufnahme und Dokumentation der Prozesse durch sogenannte Klickstrecken, die jeden einzelnen Prozessschritt abbilden. Die Sachbearbeiter sollten dabei befähigt werden, Prozesse eigenständig aufzunehmen. Nach der Bewertung der aufgenommenen Klickstrecken wird ein detaillierter Ablaufplan erstellt und ein grober Projektplan für den nächsten Reifegrad skizziert.
In dieser Phase werden auch Schlüsselkriterien und Key Performance Indicators (KPIs) erarbeitet und festgelegt, eine Business-Case-Berechnung für jeden Prozess durchgeführt, ein Process Design Document (PDD) für jeden Prozess erstellt und entsprechende Dokumentations- und Sicherheitsanforderungen definiert. Darüber hinaus erfolgt die Auswahl der Prozesse für die Pilotierung.
Anbieterauswahl
Im Rahmen der Anbieterauswahl empfiehlt es sich, eine Liste der Top-30-Kandidaten beziehungsweise RPA-Tools zu erstellen, um diese systematisch testen und bewerten zu können. Zuvor müssen jedoch die Testkriterien festgelegt, die Infrastruktur geprüft und die entsprechenden Anforderungen dokumentiert werden. Dazu gehört auch die Klärung und Festlegung der Admin-Berechtigungen für Test-VMs, des Netzwerkzugangs für Testlizenzen und der Benutzerrechte für die benötigten Systeme.
Alle Schritte sollten möglichst in einem Projektplan, einer Checkliste "RPA-Kandidaten", einer Dokumentation der Klickpfade, der Definition von Sicherheits- und Dokumentationsanforderungen sowie einem Bewertungsbericht dokumentiert werden.
Reifegrad 2: Pilotierung
Wenn der Reifegrad 2 erreicht ist, kann die Pilotierung beginnen. Am Anfang wird es in aller Regel um eine hybride Form der Prozessautomatisierung gehen, bei der die Mitarbeiter die Zusammenarbeit von Mensch und Software-Roboter aktiv steuern, um Unterstützung zu erhalten. Es hat sich als sehr erfolgreich erwiesen, anfangs ein bis drei "Quick Win"-Prozesse als Piloten aufzusetzen.
Zeit- und Budgetschätzung
Um das Projekt vorzubereiten, muss zunächst eine Zeit- und Budgetabschätzung durchgeführt werden. Softwareentwicklungsprozesse, Revisionsanforderungen und IT-Sicherheitsstandards sollten überprüft und abgestimmt werden. Darüber hinaus ist es wichtig, ein Konzept für die Ausfallsicherheit zu entwickeln.
Auf technischer Ebene sind Zugänge und Systeme bereitzustellen, die Infrastruktur zu prüfen und entsprechende Systeme zu implementieren sowie ein technisches Prozessmodell zu erstellen. Auf der personellen Ebene muss ein Projektteam zusammengestellt und ein Projektplan erstellt werden. Im Kick-off-Meeting, dem offiziellen Start des Automatisierungsprojektes, informiert der Projektleiter über die wesentlichen Details, Rahmenbedingungen und Anforderungen des Projektes.
Go-Live des Pilotprojekts
Beim Go-Live des Pilotprojekts wird zunächst ein Diagramm des Prozesses angefertigt und der Prozess anschließend automatisiert. Testfälle werden erstellt und der Bot wird implementiert, um ihn in der Produktionsumgebung live zu schalten. In der Hypercare-Phase werden die anforderungsspezifischen Details des Dashboards definiert und installiert.
In dieser Phase werden die Prozesse auf Stabilität überwacht und die Bug Reports verfolgt. Nach der Definition der Service Levels und der Installation einer entsprechenden Infrastruktur zur Schulung der betroffenen Mitarbeiter wird diese Reifephase mit der Abnahme des Piloten abgeschlossen.
Reifegrad 3: RPA Ramp Up & Skalierung
Auf die erfolgreiche Pilotierung folgt der Reifegrad 3. In dieser Phase werden die Erkenntnisse aus der Anfangsphase systematisiert. Mit der Einrichtung eines RPA Center of Excellence (CoE) werden Automatisierungsinitiativen auf ein solides Fundament gestellt. Das CoE bildet das Bindeglied zwischen den Automatisierungsspezialisten und den Prozessownern.
Das CoE entwickelt eine für das Unternehmen am besten geeignete Vorgehensweise bei der Automatisierung, wählt die geeigneten Prozesse aus, richtet die Infrastruktur ein, organisiert den Support, etabliert ein Sicherheitsmanagement und überwacht das Application Lifecycle Management und das Lizenzmanagement.
Das Unternehmen erkennt den Wert der Automatisierung und treibt Change-Management-Initiativen voran. Die automatisierungsaffinen Mitarbeiter der Fachabteilungen sind in dieser Phase in der Lage, aufgrund ihrer bisherigen Erfahrungen mit der Prozessautomatisierung potenzielle Automatisierungskandidaten zu identifizieren.
Center of Excellence
Das CoE stärkt die RPA-Bereitschaft, indem es dediziertes internes Prozessautomatisierungs-Know-how aufbaut. Es ist verantwortlich für die Koordination des Projektvorgehens und der Projektorganisation sowie für den Aufbau von Beratungskompetenz für andere Bereiche. In den Verantwortungsbereich des CoE fallen Vertrags- und Lizenzfragen bezüglich der RPA-Software, die Erstellung von Anforderungsprofilen für jeden einzelnen Prozess (Process Design Document - PDD) sowie die Abstimmung von Dokumentationsrichtlinien, IT-Sicherheitsstandards und datenschutzrechtlichen Bestimmungen.
Darüber hinaus erstellt das CoE Dashboards, regelt das Identitäts- und Berechtigungsmanagement und kümmert sich um den Aufbau einer Servicestruktur und vor allem um das Staffing. Hier geht es insbesondere darum, das notwendige personelle Know-how im CoE aufzubauen und die Mitarbeiter in den Fachabteilungen darin zu schulen, eigenständig Kandidaten für RPA-Prozesse zu erkennen. Das CoE erstellt auch Schulungsmaterialien zur Unterstützung der Prozessidentifikation.
RPA Scaling und Ramp Up
Das RPA Scaling steht ganz im Zeichen der Standardisierung der Prozessautomation und der Ausweitung auf neue Unternehmensbereiche oder weitere Standorte. Es ist wichtig, ein Integrationsframework und Management Boards zu entwickeln, um eine reibungslose Skalierung zu ermöglichen. Zudem sollte eine Governance-Struktur implementiert werden, die die IT-Sicherheits- und Release- sowie Supportprozesse standardisiert. Die Betriebsrats-Freigabe für RPA sollte definiert werden. Z
Zusätzlich muss ein detailliertes Einführungskonzept erstellt und ein nachhaltiges Changemanagement installiert werden. In die RPA Ramp-Up-Phase fällt die Erarbeitung eines Business Cases, das Vorhalten von Consulting-Services für andere Bereiche und die Installation einer RPA-Plattform, die eine entscheidende Rolle für diese Reifegradphase der RPA-Implementierung spielt.
Reifegrad 4: RPA Rollout & Integration
Der vierte Reifegrad zeichnet sich durch die Institutionalisierung und eine nachhaltige Integration der Prozessautomatisierung in die digitale Unternehmensarchitektur aus. Einer unternehmensweiten Skalierung steht nun nichts mehr im Wege. Governance, Sicherheitsmanagement, Dashboards für Kennzahlen und Lifecycle Management für den Lebenszyklus von Anwendungen sind nun vollständig automatisiert.
Der manuelle Aufwand zur Pflege dieser Prozesse tendiert gegen Null. Das bedeutet, dass RPA als Automatisierungswerkzeug im Unternehmen anerkannt ist, in allen Phasen der Projektentwicklung von Automatisierungsinitiativen akzeptiert wird und auch in der Personalplanung berücksichtigt wird. Durch das Erreichen des vierten Reifegrades wird eine nachhaltige Weiterentwicklung des auf Fachbereichsebene erarbeiteten RPA-Portfolios sichergestellt und eine hohe Skalierbarkeit erreicht. (mb)