Energiewende und IT

Smart Grids fordern die Firmen-IT

20.10.2011 von Ariane Rüdiger
Laut Bundeswirtschaftsministerium verbrauchen deutsche IT- und TK-Installationen 58 Millionen Kilowattstunden pro Jahr oder zehn Prozent des erzeugten Stroms. Höchste Zeit, den Energieverbrauch vernünftig zu managen.
Foto: Zentilia, Shutterstock

Smart Grids sind intelligente, bidirektional arbeitende Stromnetze mit vielen dezentralen Erzeugern und Verbrauchern. Bei dem Begriff denken die meisten Menschen hinsichtlich der Stromerzeugung vor allem an Solar- und Windenergieanlagen, die Strom unregelmäßig produzieren. Den Verbrauchern kommt meistens die intelligente Waschmaschine in den Sinn, die dann wäscht, wenn der Strom billig ist. Sie denken auch auch an große Kühlhäuser, die bei Versorgungsenpässen auch einmal ein paar Stunden ohne Strom auskommen. Der IT wird im Smart Grid die Rolle der steuernden, messenden und informierenden Systeminstanz zugewiesen.

Doch nun rückt auch die Unternehmens-IT in den Fokus der Energiesparbemühungen. Vielen CIOs dürfte das allerdings Schauer über den Rücken jagen: Ihre Systeme herunterfahren, weil Elektrizität gerade zu viel kostet oder knapp ist? Undenkbar! Doch in diese Richtung weisen neue Trends - ohne freilich die Zuverlässigkeit wichtiger Infrastrukturen in Frage stellen zu wollen. Oberstes Ziel ist immer, die IT-Verfügbarkeit zu gewährleisten. Alles andere würde am Ende mehr Schaden anrichten als Nutzen stiften.

Derzeit beginnt und endet die Energieoptimierung in der IT-Infrastruktur, bildlich gesprochen, an der Unternehmenstür. Einwirkungen von außen, aus dem externen Energienetz, gibt es vorwiegend in Form unerwünschter, in Deutschland jedoch sehr seltener Stromausfälle oder Spannungsspitzen etwa durch Blitzeinschläge. Dagegen wappnen sich Unternehmen durch teils aufwendige Schutzmechanismen wie mehrere unabhängige Energie-Provider im Rechenzentrum, leistungsfähige und unterbrechungsfreie Stromversorgungen, Blitzschutzanlagen sowie Notstromaggregate. Darüber hinaus haben die Unternehmen sich kaum um äußere Einflüsse der Energieversorgung geschert. Doch das ändert sich gerade.

Management-Systeme optimieren den internen IT-Energiebedarf

Anbieter von infrastrukturnahen IT-Management-Lösungen haben inzwischen erkannt, dass die Energieoptimierung der IT-Infrastruktur ein möglicherweise lohnendes Geschäftsthema ist. Manche Hersteller beschränken ihre Optimierungsbemühungen bislang auf den Kernbereich IT, beispielsweise Hewlett-Packard, wo man sogar vom Smart Grid im Rechenzentrum spricht. Softwareanbieter, die in diese Richtung agieren, sind etwa Nlyte oder 1E, beide relativ neu auf dem deutschen Markt. Hier wird das gezielte Energie-Management der IT-Systeme vor allem als Teil des allgemeinen IT-Managements und seiner umfassenden Optimierung verstanden.

Andere versuchen, ihre Lösungen zu einem weitreichenden Umgebungs-Management auszubauen, indem sie Schnittstellen auch zu anderen Systemen im Gebäude integrieren, beispielsweise Heizung, Kühlung oder Lüftung. Diesen Weg gehen Anbieter wie APC by Schneider, Rittal sowie der deutsch-amerikanische Newcomer Joulex, der beispielsweise mit Cisco und der Deutschen Telekom kooperiert. Ziel ist immer ein intelligentes, sensorengespicktes Gebäude, in dem Ineffizienzen wie zu stark laufende Lüfter und unausgelastete Server schnellstmöglich entdeckt und behoben werden - zum Beispiel auch durch Lastverlagerung und Abschalten gerade nicht benötigter Komponenten.

Bislang sehen die Lösungen noch kein Energie-Management vor, das sich an den flexiblen Tarifen der Stromerzeuger orientiert. Es ist aber absehbar, dass sich dies ändern wird, denn infolge der Energiewende wird der Verbrauch auf jeden Fall in Spitzenzeiten teurer werden. Der intelligente Bezug von Strom kann erhebliche Kosten sparen.

Foto: BT

Erste Versuche für ein aktives Energie-Management gab es schon vor drei Jahren. Damals experimentierte British Telecom (BT) damit, IT-Standorte zeitweise vom Stromnetz zu nehmen und stattdessen mit internen Dieselgeneratoren zu versorgen. Der Provider hoffte darauf, die Lastspitzen im gesamten Energienetz durch geschickte Energiesteuerung zu kappen und damit das Zuschalten ineffizienter Kraftwerke vermeiden zu können. "Damit würde man trotz des Verbrauchs von Diesel-Betriebsstoffen bis zu 40-mal weniger Kohlendioxid erzeugen", schildert Bernd Lieven, Abteilungsleiter für Energie-Management und -beschaffung bei BT, die Kalkulation des Providers.

Doch BT stellte das Vorhaben wieder ein, es brachte nicht die gewünschten Ergebnisse, und der Anbieter fürchtete um Netzverfügbarkeit und -zuverlässigkeit. Mit Hilfe verbesserter Technik startet Lieven derzeit einen zweiten Versuch. Neue Verfahren sollen einen reibungslosen Umschaltvorgang bei unveränderter Sicherheit und Zuverlässigkeit gewährleisten. Die Energiequellen betreibt BT zum Teil selbst: Auf den Dächern der US-amerikanischen Niederlassung in El Segundo bei Los Angeles wird photovoltaisch Solarenergie erzeugt und in Adastral Park in Großbritannien Kraft-Wärme-Kopplung eingesetzt.

Forscher erkunden die Rolle der IT

Die Bundesregierung kennt den enormen Energiehunger der IT- und TK-Installationen und möchte ihn bekämpfen. Daher unterstützt sie das im Frühjahr 2011 gestartete und auf drei Jahre ausgelegte Forschungsprogramm "IT2Green". Drei Projekte sind unter IT-Aspekten besonders interessant:

AC4DC: Das Vorhaben Adaptive Computing for Green Data Centers (Steigerung der Energieeffizienz durch intelligentes Rechenlast- und Infrastruktur-Management vom Anbieter bis zum Anwender) operiert unter der Leitung von Rittal. Fünf weitere Konsortialpartner machen mit: zwei Hoster, einer davon ein kommunales Rechenzentrum, Microsoft, das Borderstep-Institut aus Berlin, bekannt durch Studien über den Strombedarf der IT, das Office-Institut in Oldenburg und die Universität Paderborn. Das Projekt betrachtet IT und TK als Gesamtsystem vom Rechenzentrum bis zum Endanwender und schließt in die Betrachtungen auch die Daten- und Energienetze ein.

Intelligente Lastverteilung

Dabei untersucht das Office-Institut das dynamische Verhalten der Anwendungen im Rechenzentrum: Wann verursachen sie viel, wann wenig Last? Wann stehen die Anwendungen? Die Universität Paderborn befasst sich damit, ob auch dezentrale Ressourcen, etwa Desktops, für die Gesamtinfrastruktur genutzt werden können - zum Beispiel als Datenspeicher.

"Lässt sich Energie sparen, wenn man Lasten auf mobile Nutzer verlagert?", fragt Bernd Hanstein von Rittal.
Foto: Rittal

Rittal analysiert Möglichkeiten, Energie und Kälte beispielsweise mit Hilfe besserer Batterien flexibler anzubieten und zu speichern, Microsoft bringt sein Management-Produkt "System Center" ein. Das Borderstep-Institut soll schließlich geeignete Metriken für den Erfolg des Projekts und Geschäftsmodelle für adaptierbare ITK-Gesamtsysteme entwickeln sowie sich um rechtliche Fragen kümmern.

"Kann man erheblich Energie sparen, indem man Lasten intelligent in oder zwischen Rechenzentren, bis in die Peripherie oder an mobile Nutzer verlagert und mit der Stromerzeugung abstimmt?", fragt Bernd Hanstein, Leiter Product Management System Solutions bei Rittal. Ziel ist es, die Forschungsergebnisse bei den beteiligten Hostern umzusetzen.

Die Konzentration von Computing-Last im Rechenzentrum kann bis zu 40 Prozent Energie sparen", meint Lars Kemper von Unilab
Foto: Unilab

Greenpad: Projekt-Manager und Spiritus Rector des Vorhabens Greenpad ist Lars Kemper, Geschäftsführer des mittelständischen Systemhauses Unilab. Weitere Konsortialpartner sind Fujitsu, Eon als Lieferant von Energie und Wetterprognosen sowie die Universität Paderborn. Im Rechenzentrum der Universität liegen Kapazitäten brach, die Kemper ausschöpfen möchte, indem sie Startups und Kleinunternehmen in einem benachbarten Inkubationszentrum zur Verfügung gestellt werden.

Ziel des Vorhabens ist eine Cloud für gewerbliche Nutzer beziehungsweise für die finanziell knapp ausgestatteten Neugründungen. "In dem Inkubator arbeiten rund 80 Firmen mit zirka 40 Server-Räumen, 30 bis 35 Klimageräten und rund 1500 Anwendungen", sagt Kemper. "Durch Verlagerung in ein Rechenzentrum könnte man den Energiebedarf um bis zu 40 Prozent senken." Die Anbindung mit sehr hoher Bandbreite sei aufgrund der Nähe zum Uni-Rechenzentrum weder ein technisches noch ein finanzielles Problem.

Allerdings betritt das Projekt rechtliches Neuland: Wie kann das ehemals reine Uni-Rechenzentrum im Rahmen einer Private-Public-Partnership in freier Trägerschaft rechtlich einwandfrei aufgestellt werden? "Für den Bildungsbereich gedachte staatliche Investitionen dürfen auf gar keinen Fall privaten Rechenzentrumskunden zugute kommen", umschreibt Kemper das Problem.

Das Rechenzentrum könnte künftig vorwiegend mit in der Nähe erzeugter Windenergie betrieben werden, schwebt Kemper vor: "Die Region Paderborn steht beim Windaufkommen an dritter Stelle in Deutschland." Fraglich ist indes, ob sich die Rechenzentrumslasten so verlagern lassen, dass der Betrieb des Data Center ohne übermäßigen Energiezukauf aus Quellen außerhalb der Region möglich ist. "Batches oder Downloads lassen sich problemlos verschieben", sagt Kemper dazu.

Verfügbare Leistung und Rechenaktivitäten sollen über einen noch zu entwickelnden "grünen Leitstand" aufeinander abgestimmt werden, der bei der Planung die Wind- und Wetterprognosen der nächsten fünf Tage berücksichtigen soll. Anreize, Computing-Anforderungen an der Energieversorgung auszurichten, soll eine Balanced Scorecard geben. Kunden, die sich mit reduzierter Zuverlässigkeit oder Verfügbarkeit bescheiden, werden mit günstigen Strompreisen belohnt.

Energiehunger der TK-Netze drosseln

Desi ist ein Projekt, das den Betrieb des TK-Netzes verbessern soll. Die Deutsche Telekom ist in diesem Vorhaben der Lead-Partner - kein Wunder, verbraucht die Infrastruktur des Carriers doch jährlich zwei Terawattstunden Strom. Damit ließen sich knapp 380.000 Vier-Personen-Haushalte mit 5300 Kilowattstunden pro Jahr versorgen.

"Wir betrachten mögliche Einsparungen in der gesamten Lieferkette", sagt Heiko Lehmann von Telekom.
Foto: Deutsche Telekom

Auch in diesem Projekt geht es um Lastadaption und Anpassung. "Heute fährt unser Netzwerk 24 Stunden täglich das ganze Jahr über mit voller Leistung", schildert Heiko Lehmann, Direktor Research und Innovation Energie, die aktuelle Praxis. Das müsse nicht so sein, beispielsweise ließe sich der Verbrauch nachts, wenn wenig Nachfrage nach Bandbreite bestehe, deutlich reduzieren.

Um die genauen Zusammenhänge zu erforschen, wurden einige Haushalte in Friedrichshafen mit einer speziellen Schnittstelle zum TK-Netz ausgestattet. In der Stadt betreibt die Telekom vielfältige Forschungsarbeiten im Rahmen ihres T-City-Projekts. Im Rahmen des Desi-Projekts möchte sie herausfinden, wann Anwender wie viel Bandbreite benötigen. Ist die Nachfrage deutlich geringer als das Angebot, will die Telekom die Leistung des Netzes reduzieren, um Energie zu sparen.

Batteriedepot als Energiespeicher

"Wir betrachten mögliche Einsparungen bezogen auf die gesamte Lieferkette und sehen, welche Freiheitsgrade sich eröffnen, wenn wir beispielsweise andere Verkehrswege wählen", schildert Lehmann das Vorhaben. Um hier mehr Einblick zu gewinnen, erforscht das Berliner Konrad-Zuse-Institut, ebenfalls Konsortialpartner, solche Lieferketten nun statistisch.

Foto: Deutsche Telekom

Noch ein anderes Spar- und Flexibilitätspotenzial hat Lehmann im Auge: Eine Tochterfirma der Deutschen Telekom, die PASM Power and Air Condition Solution Management GmbH & Co. KG aus München, ist im Konzern für die Energiebeschaffung zuständig. "Dazu gehört auch der Betrieb von 18.000 Batteriestandorten mit insgesamt 22 Millionen Amperestunden Kapazität", sagt Lehmann.

Nun werde erforscht, inwieweit sich diese Batterien als disponible Energiespeicher nutzen lassen: Weht der Wind kräftig, werden sie vollgeladen, ist Flaute bei bewölktem Himmel, speisen sie das Telekom-Netz. Im Gespräch sind auch neue Geschäftsmodelle, die Kunden für ihre Bereitschaft, Lasten zu verlagern, mit günstigeren Tarifen belohnen. Energie ins offene Stromnetz speisen möchte die Telekom allerdings auch bei überlaufenden Batterien eher nicht: "Dann sind wir Energie-Provider mit allen damit einhergehenden regulatorischen Anforderungen", sagt Lehmann.

Energie wird zum Standortfaktor

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Die Projekte von IT2Green und experimentierfreudigen Firmen zeigen: Die Energieversorgung schlägt auf den IT-Betrieb durch. Möglicherweise ändert sich auch die Wirtschaftsgeografie. Schon während der ersten industriellen Revolution siedelten sich Industrien in der Nähe der Energiequellen an: im Ruhrgebiet. Das könnte den Bau einiger der heiß diskutierten neuen Stromtrassen quer durchs Land obsolet machen.

Gut möglich, dass die Energiewende stromhungrige Rechenzentren an die windigen Küsten der Nord- und Ostsee treibt, wo Offshore-Windparks die erzeugte Energie über kurze und damit günstige Leitungen bereitstellen können. Erste Beispiele gibt es: "Wir bauen derzeit zwei Rechenzentren auf den Nordseeinseln", sagt Rittal-Manager Hanstein.

IT2Green im Detail

Das Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie (BMWi) fördert mit dem Programm IT2Green den energieeffizienten IKT-Einsatz im Mittelstand sowie in der Verwaltung und in Haushalten. Im Rahmen von innovativen Modellprojekten sollen Lösungen entstehen, die den Energiebedarf von IT- und TK-Installationen in Rechenzentren, TK-Netzen und Büros senken können.

Es gibt insgesamt neun Teilprojekte, jeweils drei aus den Bereichen

Partner: Jedes Projekt wurde von einem Konsortium mit bis zu acht Teilnehmern vorgeschlagen.

Förderdauer: drei Jahre.

Fördervolumen: insgesamt 60 Millionen Euro.

Ergebnisse: Erste Lösungen werden auf einem Kongress im Jahr 2013 präsentiert.

Website: http://www.it2green.org.