CeBIT

Smart Grid Summit - Dem Internet der Energie fehlt noch Spannkraft

03.03.2011 von Rochus Rademacher
Die Vision des Smart Grid teilen alle, die Umsetzung der IT-gestützen Energielogistik aber stockt. Der Smart Grid Summit auf der Cebit 2011 zeigt: Es fehlt an Normen, Regularien und Unternehmergeist.

Das Wirtschaftsministerium hat es durchgerechnet: Die Umsätze im Bereich Smart Grids werden in Deutschland jährlich um 21 Prozent wachsen, für 2020 beträgt die Summe dann zehn Milliarden Euro. Die Politik treibt die Idee des intelligenten Energiesystems mit digitalen Stromzählern, klugen Haushaltsgeräten und stabil ausbalancierten Netzen voran, wie David McAllister, Ministerpräsident von Niedersachsen, als Keynote-Speaker des Smart Grid Summit auf der Cebit 2011 betont: "Nach dem Willen der Regierung sollen 2020 bereits 35 Prozent des erzeugten Stroms in Deutschland erneuerbare Energie sein." Die Aufgabe der IT: Den Strom besser an die Nachfrage anpassen.

Eine vorgegebene Verdoppelung des Anteils der erneuerbaren Energie wird kritisch für die Netze, denn die Produktion ist von Sonne und Wind abhängig und entsprechend fluktuierend. "Schon heute sind unsere Stromnetze komplett ausgelastet", warnt Friedhelm Loh, Präsident des Industrieverbands ZVEI, auf der Veranstaltung unter der Medienpartnerschaft der "COMPUTERWOCHE". "Software muss also für Wirtschaftlichkeit, Versorgungssicherheit und Umweltverträglichkeit sorgen." Von der dezentralen Steuerung des Energiesystems hängt noch mehr ab: "Ohne intelligentes Netz ist Elektromobilität nicht realisierbar - und 2020 sollen schon eine Million Autos auf deutschen Straßen fahren."

Länder wie die USA, Japan oder Korea fördern Smart Grid und Metering massiv, so Loh. "Unsere Industrie hat nicht einmal eine Meinung, um eine Normierung aufzubauen - und wir brauchen ja sogar eine europäische und weltweite Normierung für offene Märkte." Im entstehenden globalen Markt müsse die deutsche Industrie deutlich an Geschwindigkeit aufnehmen, eine Sprache sprechen, Kompetenzen zusammenführen und Netze ausbauen.

Energiesparintelligenz im Büro

Ansätze des intelligenten Energiesparens erreichen auch Informationsarbeiter: Das Fraunhofer-Institut für Angewandte Informationstechnik (FIT) analysiert über Sensorik die aktuelle Energiesituation im Büroraum und gibt unaufdringlich Spartipps. „Läuft etwa die Heizung bei offenem Fenster, schlägt das System Stoßlüften vor“, erklärt FIT-Mitarbeiter Markus Eisenhauer. Gleichzeitig werde der Energieverbrauch im Raum dezent visualisiert. „Per Handy kann der Nutzer den Verbrauch einzelner Geräte detailliert ermitteln, sich gezielt Spartipps geben lassen und auch von unterwegs unnötigerweise laufende Geräte abschalten.“

Noch fehlen Standards

Foto: Deutsche Telekom

Ziel ist der Aufbau eines Internets der Energie, über das Erzeugungsanlagen, Stromnetzverwaltung und die Abermillionen von stromfressenden Endgeräten kommunizieren. Dierk Paskert, Vorstandsmitglied E.ON, erwartet aber keine schnelle Standardisierung: "Wir kreisen schon seit Jahren um diesen Markt - die Politik lässt die Normierung liegen und überlässt es dem Markt, der aber aus sehr vielen Spielern besteht." Immerhin habe das große Leuchtturmprojekt E-Energy des Wirtschaftsministeriums die Aufgabe, Normen abzuleiten, erinnert Ulrich Hueck, Mitgründer von Destertec, bei der Podiumsdiskussion des Grid-Gipfels. Ungeklärt ist auch noch, wer über die ungeheuren Massen an Daten verfügen darf. "Auf Regulierung können wir noch lange warten", winkt dagegen Werner Brinker, Vorstandschef des Regionalversorgers EWE AG, ab. "Wo sind die Markttreiber aus der Industrie? Steve Jobs hat auch nicht auf einen Regulierer gewartet." Dem stimmt Richard Hausmann, CEO Smart Grids bei der Siemens AG, zu: "Wir brauchen Business-Modelle, bei denen alle Beteiligten etwas davon haben."

Doch schon bei den Smart Meter ist Not am Mann. "Wir warten seit 15 Jahren auf einen vernünftigen digital auslesbaren Zähler", kritisiert EWE-Manager Brinker. Und Siemens-Topmanager Hausmann mahnt eine "bidirektionale Kommunikation für das Auslesen und für Aktionen an wie die Schaltbarkeit von Verbrauchen". Gabriele Riedmann de Trinidas, Senior Vice President Strategischer Markt Energie bei der Deutschen Telekom, schließlich weist darauf hin, dass "die Intelligenz ja nicht im Gerät, sondern im Backend sitzt, wo die Tarife gemacht werden". Smart Meter verhelfen zu Stromeinsparungen von nur zehn Prozent, sekundiert Rada Rodriguez, Schneider Electric GmbH. "Maßgeblich ist das Energiemanagement."

Keine Alternative zu Smart Grid

Foto: Deutsche Telekom

Die Kakophonie der Smart-Grid-Akteure ist dem Zeitdruck geschuldet: Sie haben keine Alternative. "Wir stellen in rasender Geschwindigkeit von einer zentralen auf die dezentrale Versorgung um", so E.ON-Vorstand Paskert. "Machen wir das nicht, bekommen wir Probleme mit der Stabilität." Mussten 2002 die Übertragungsnetz-Betreiber wegen Schwankungen an zwei Tagen eingreifen, so geschah dies 2009 an 150 Tagen. Die gewünschte Stabilität wird, so versichert Siemens-Grid-CEO Hausmann, durch Intelligenz im System erreicht: "Wir erreichen eine Balance von Erzeugung und Verbrauch über IT-basierende Anwendungen und schnelle Datennetze, die Lasten verschieben." Laut Harald Schrimpf, CEO der PSI AG, sind ja auch heutige Netze bereits intelligent: "Wir haben eine Balance auf Höchstspannungsebene, aber noch nicht auf Nieder- und Mittelspannungsebene."

Übertragungsprotokolle für das Smart Metering liegen vor, um sicher zu gehen, hält etwa die Deutsche Telekom rund 70 Stück vor. Telekom-Grid-Expertin Trinidas geht denn auch von Partnerschaften mit Energieunternehmen aus: "Die Telekom verarbeitet 100 Millionen Datensätze pro Tag - wir haben die Kompetenz, Massendaten aus dem Smart Metering ins Backend zu schaffen." Auch habe die Telekom Prozesse aufgebaut, um detaillierte monatliche Rechnungen billig zu machen: "Die bisher einjährige Stromrechnung muss nicht 20 Euro kosten."

Schwierig wird es, die Bürgerschaft zum Mitmachen zu bewegen: Einer monatlichen Einsparung bei den Stromkosten durch Smart Metering von 50 Euro stehen Investitionen von 100 bis 500 Euro entgegen. "Die eigentliche Herausforderung ist der Klimaschutz", hofft Brinker auf Bewusstsein. Die nachfolgende Generation gelte als versierter im Umgang mit IT und mache sich schon Gedanken um die Energieproblematik. Außerdem werden sich Anreizsysteme finden, glaubt Siemens-Manager Hausmann: "Wir schicken bei Überangebot momentan Strom billigst zum Speichern nach Österreich und kaufen ihn dann teuer wieder zurück - über einen digitalen Spotmarkt lässt sich künftig Strom in den Batterien von Autos zwischenspeichern." (mb)