Oberstes Finanzgericht zieht Grenzen neu

Sind IT-Selbständige steuerlich Freiberufler?

07.01.2011 von Renate Oettinger
Dr. Benno Grunewald berichtet über die Erfahrungen mit den Urteilen zum Tätigkeitsbereich von Informatik-Ingeieuren.

Durch seine drei Urteile vom 22.09.2009 hat der BFH (Bundesfinanzhof) die Grenzen freiberuflicher Tätigkeiten im IT-Bereich neu gezogen. Mittlerweile habe ich in zahlreichen laufenden Verfahren Erfahrungen sammeln können, wie Finanzämter und Finanzgerichte mit diesen Entscheidungen umgehen.

Foto: Fotolia, St. Rajewski

Dabei wird deutlich, dass die Anerkennung als Freiberufler bezüglich der ausgeübten Tätigkeiten zwar leichter geworden, nach wie vor kein Automatismus ist.

Die Urteile

Zunächst möchte ich eingangs die wesentlichen Aspekte der drei Urteile kurz zusammenfassend darstellen. Zwei Fälle betrafen IT-Selbständige ohne akademischen Abschluss. Die Vergleichbarkeit ihres Wissens hatten diese Selbstständigen bereits im Verfahren vor dem Finanzgericht belegt. Im dritten Fall ging es um einen Diplom-Ingenieur, bei dem sich die Frage des vergleichbaren Wissens daher nicht stellte.

Somit hatte der BFH ausschließlich darüber zu befinden, ob die Tätigkeiten dieser drei Selbstständigen auf dem Gebiet der IT als ingenieurmäßig zu qualifizieren sind, nicht aber darüber, ob das Wissen einem Ingenieur vergleichbar ist. Der BFH hat in allen drei Fällen die jeweiligen Tätigkeiten als ingenieurvergleichbar und damit als freiberuflich eingestuft. Dabei schuf er zudem en passant in diesem Zusammenhang einen neuen Begriff: "Informatik-Ingenieur".

Als auch freiberufliche Tätigkeiten nennt der BFH die Entwicklung von Betriebssystemen und ihre Anpassung an die Bedürfnisse des Kunden, die rechnergestützte Steuerung, Überwachung und Optimierung industrieller Abläufe, den Aufbau, die Betreuung und Verwaltung von Firmennetzwerken und -servern, die Anpassung vorhandener Systeme an spezielle Produktionsbedingungen und Organisationsstrukturen sowie die Bereitstellung qualifizierter Dienstleistungen, wie etwa Benutzerservice und Schulung.

Weiterhin gelten nunmehr die Netz- und Systemadministration, die Beurteilung der Leistungsfähigkeit von Rechnernetzen und die Bewertung der Energieeffizienz bestehender Systeme sowie die Anpassung von Software, die Fehleranalyse und -beseitigung sowie die Projektleitung als freiberuflich.

Umsetzung in der Praxis - Finanzämter

Finanzämter die mit Verfahren dieser Art und damit auch mit diesen Urteilen zu tun haben, setzen diese aus meiner bisherigen Erfahrung sehr unterschiedlich um. Manche Finanzämter lassen sich durchaus von den oben genannten Urteilen beeindrucken. Sofern die Tätigkeit des Selbständigen detailliert und plausibel dargelegt und gegebenenfalls mit entsprechenden Dokumenten belegt ist, steigen sie nicht mehr sehr intensiv in die Prüfung des vergleichbaren Wissens ein, vorausgesetzt, auch hierzu wurde vom Selbstständigen oder seinem Rechtsbeistand entsprechend ausführlich und nachvollziehbar vorgetragen.

Andere Finanzämter hingegen prüfen die Tätigkeit nur noch sehr oberflächlich, konzentrieren sich aber umso mehr auf den Aspekt der Kenntnisse des Selbständigen. Da hier - wie oben bereits dargelegt - die neuen Urteile keine Änderung mit sich bringen, gilt die bisherige Rechtsprechung, nach der der Selbstständige das einem Diplom-Ingenieur bzw. Diplom-Informatiker (FH) vergleichbare Wissen nachweisen muss. Hier kommt es durch die neuen Urteile sogar insofern zu einer Verschlechterung der Situation, da das Finanzamt den Wissensnachweis intensiver als bislang prüft.

Einige Finanzämter versuchen sich zudem in einer ausgesprochen individuellen Interpretation der Urteile, um diese auf den Einzelfall nicht anwenden zu müssen. So versuchte beispielsweise ein Finanzamt aus den Urteilen einzelne Aspekte der Tätigkeit für entscheidungserheblich zu definieren. Es machte die Freiberuflichkeit u.a. davon abhängig, dass selbstentwickelte Hilfs- und Dienstprogramme eingesetzt werden und dass der Selbstständige die der Softwareanpassung auf Eigenentwicklungen zurückgreifen muss. Hier handelt es ich eindeutig um absolute Überinterpretationen der Urteile des BFH, die am eigentlichen Gehalt der Entscheidungen vorbeigehen.

Umsetzung in der Praxis - Finanzgerichte

Ähnlich gestaltet sich die Situation bei den Finanzgerichten. Auch hier gibt es unterschiedliche Handhabungen. Allerdings erlebe ich häufiger, dass die Richter versuchen, die Verfahren mittels der neuen BFH-Urteile schneller "vom Tisch zu bekommen", indem sie gegenüber dem Finanzamt auf die nunmehr eindeutig besseren Chancen der klagenden Selbstständigen hinweisen und so das Finanzamt zum Nach- bzw. Aufgeben verleiten möchten - sofern die Klage ansonsten entsprechend substantiiert begründet ist.

Allerdings haben die Finanzgerichte - gegenüber den ordentlichen Gerichten wie Amts- oder Landgericht - (auch) einen Aufklärungsauftrag. Dies bedeutet, dass die Finanzgerichte entscheidungserhebliche Tatsachen teilweise selbst aufklären müssen. Und da die Tätigkeiten hierfür keinen großen Spielraum mehr bieten, kommt es manchmal zu einer für den Selbstständigen ungünstigen Situation, in der das Finanzgericht der Vergleichbarkeit des Wissens intensiver nachforscht als sonst.

Die ist aber nach meiner Erfahrung bislang eher die Ausnahme.

Fazit

Die drei neuen BFH-Urteile weiten den Begriff der ingenieurmäßigen ergo freiberuflichen qualifizierten Tätigkeiten erheblich aus. Dies bietet IT-Selbstständigen deutlich bessere Chancen auf die Anerkennung als Freiberufler, was die bisherige Praxis auch belegt. Jedoch: Die Entscheidungen sind kein grundsätzlicher Freibrief; nach wie vor müssen Tätigkeit und Wissen plausibel dargelegt und begründet werden. Diese Aufgaben nimmt der BFH den Selbstständigen mit seinen Urteilen nicht ab. (oe)

Kontakt:

Der Autor Dr. Benno Grunewald ist Rechtsanwalt, Fachanwalt für Steuerrecht, Mediator (DAA) und Justitiar des Berufsverbands Selbstständige in der Informatik (BVSI) e. V. Tel.: 04124 605087, E-Mail: rechtsanwalt@dr-grunewald.de, Internet: www.dr-grunewald.de