Siemens wirft die Handys raus

03.05.2005
Klaus Kleinfeld, seit 100 Tagen als Siemens-Vorstand im Amt, hat sich seinen Einstand sicher anders vorgestellt. Die Krise im Handy-Geschäft und die Verluste von Siemens Business Services setzen ihm sichtlich zu.

Fast schicksalhaft erscheinen die Parallelen zwischen der Handy-Sparte Siemens Mobile und ihrem prominenten Werbepartner Ronaldo, dem brasilianischen Mittelstürmer von Real Madrid: Beide sind ins Abseits geraten. Ronaldo, der bei Real umstritten ist, droht der Rauswurf aus der Nationalmannschaft, und Siemens Mobile kämpft im Handy-Markt erfolglos gegen den Abstieg.

Siemens wurde in der Liga mittlerweile vom dritten auf den sechsten Rang durchgereicht - ohne Aussicht auf einen Anstieg der Formkurve. Im Gegensatz zu den vor Siemens rangierenden Herstellern Nokia, Motorola, Samsung, LG Electronics und Sony Ericsson konnten sich die Münchner im ersten Quartal 2005 gegenüber der vergleichbaren Vorjahresperiode nicht verbessern. Im Gegenteil: In der Handy-Statistik stürzten sie von 12,8 auf 9,3 Millionen verkaufte Mobiltelefone ab. Der Marktanteil fiel laut Strategy Analytics von 8,2 auf 5,4 Prozent. Unter den Top-Playern der Branche bedeutet das den letzten Platz hinter den Aufsteigern LG Electronics und Sony Ericsson - sehr zum Ärger von Konzern-Chef Kleinfeld.

Von ihm, dem der Ruf des Sanierers vorauseilt, wurde erwartet, dass er das Problem mit dem Handy-Geschäft nach seinem Amtsantritt Ende Januar rasch in den Griff bekommt, zumal der Konzern schon seit Oktober letzten Jahres eine zügige Lösung verspricht. Doch derzeit erweckt Kleinfeld eher den Anschein eines ratlosen Trainers. Außer der Ankündigung eines milliardenschweren Sparprogramms gibt es bislang keinen konkreten Maßnahmenkatalog. Immerhin stellte der Siemens-Chef bei der Präsentation der Halbjahresergebnisse Aktivismus zur Schau, als er die Ausgliederung von Siemens Mobile ankündigte. Als rechtlich eigenständige Gesellschaft soll der marode Mobiltelefonbereich für Partner oder Käufer interessanter werden.

Nach Ansicht von Martin Gutberlet, Analyst des Marktforschungsunternehmens Gartner, spielt der Siemens-Vorstand damit nur auf Zeit. "Die Handy-Sparte ist nicht sehr attraktiv und kaum zu verkaufen", sagte er gegenüber der computerwoche. "Mit einer Ausgründung allein löst Siemens das Handy-Problem nicht", fürchtet der Gartner-Mann. "Durch die Hängepartie werden der Ruf von Siemens und die Marke unglaublich beschädigt, auch wenn das Mobilfunkgeschäft nur einen Bruchteil des Konzernumsatzes ausmacht."

Ähnlich kritisch äußert sich auch Rainer Lindenau, Geschäftsführer der auf TK-Beratung spezialisierten mm1 Consulting & Management GmbH in Stuttgart. "Die Ausgliederung ändert überhaupt nichts an der bedrohlichen Situation des Handy-Bereichs. Dadurch werden die Produkte nicht besser und die Netzbetreiber als wichtigste Kunden von Siemens nicht beruhigt", mahnt der Consultant schnelle und strategisch richtungsweisende Entscheidungen an.

Gegen eine erfolgreiche Aufholjagd spricht aber, dass der Münchner Konzern bei keiner der relevanten Endgeräte-Technologien an der Spitze zu finden ist. Laut Lindenau hat das Unternehmen große Schwierigkeiten, mit der rasanten Entwicklung neuer Applikationen, immer leistungsfähiger Kameras und Displays sowie neuer Funktechnik mitzuhalten. Darüber hinaus habe die Company Designtrends zu Klapp-Handys versäumt.

UMTS-Entwicklung verschlafen

"Das Management hat in den letzten Jahren auf die wesentlichen Veränderungen am Markt viel zu spät reagiert und etwa UMTS komplett verschlafen", geht der Berater mit den Verantwortlichen ins Gericht: "Es ist keineswegs gottgegeben, dass aus dem koreanischen Newcomer LG Electronics, der vor wenigen Jahren im Handy-Geschäft nur Insidern bekannt war, plötzlich ein Weltmarktführer bei der dritten Mobilfunkgeneration UMTS wurde." Auch für Siemens seien die Veränderungen am Markt sowie neue Technologien absehbar gewesen. Bei UMTS hinke der Konzern im Endgerätebereich zwei Jahre hinterher.

Wie groß für Siemens die Gefahr ist, seinen guten Ruf als Endgerätelieferant zu verlieren, zeigt auch die Verunsicherung unter den Netzbetreibern. Weil die Mobilfunker nicht wissen, wohin die Reise der Handy-Sparte geht, wird der deutsche Hersteller in Sachen Planungssicherheit zum Risikofaktor. Deshalb, aber auch wegen der als wenig chic geltenden Handys, die vorwiegend das Lowend- und Medium-Segment bedienen, taucht der Anbieter immer seltener in der Aufstellung der Netzbetreiber auf.

In dieser Situation wäre es Kleinfeld sicher recht, wenn er den formschwachen Mitläufer der Konzernsparte Communications loswerden könnte. Angesichts der großen Defizite ist aber kaum mit einem Transfer zu rechnen. Vieles spricht stattdessen für ein Joint Venture der Münchner mit einem oder mehreren Partnern. Kleinfeld versicherte, dass es auch künftig Mobiltelefone der Marke Siemens geben werde. Eine Minderheitsbeteiligung an einem Gemeinschaftsunternehmen schloss er nicht aus.

Vorbild Sony Ericsson

Für ein Joint Venture im Stile von Sony Ericsson und gegen einen Verkauf sprechen aus Sicht eines Siemens-Insiders die komplizierten Patentverträge in der Branche. Obwohl der Mobilfunk standardisiert sei, gebe es unter den führenden Anbietern von Endgeräten und Netztechnik eine Vielzahl von Patenten, deren gegenseitige Nutzung vertraglich streng geregelt sei. Eine Veräußerung der Handy-Sparte sei für Siemens deshalb rechtlich sehr problematisch und ein Gemeinschaftsunternehmen wahrscheinlicher. Diese Problematik, so der Siemens-Kenner, habe auch zu der Konstellation eines Joint Ventures zwischen Sony und Ericsson geführt.

Als potenzielle Partner wurden in den vergangenen Wochen Motorola, LG Electronics, NEC, Acer und Huawei gehandelt. Besonders der Name Motorola taucht immer wieder auf. Trotzdem kann sich Gartner-Analyst Gutberlet ein Engagement des US-Konzerns nicht vorstellen: "Nach unserer Einschätzung hätte Motorola nichts von einem Einstieg bei Siemens."

Marke und Vertrieb sind stark

Interesse dürfte höchstens ein Player haben, der in Europa Fuß fassen möchte oder nicht über Mobiltelefone verfügt, wie zum Beispiel der chinesische Ausrüster Huawei. Siemens kann bei einem Deal nach Ansicht Gutberlets seinen gewichtigen Markennamen in Europa und Lateinamerika sowie seine Vertriebskanäle zu Netzbetreibern in die Waagschale werfen. "Hiervon könnte ein Partner noch profitieren, obwohl die Marke angeschlagen ist", glaubt der Analyst, weist aber auch auf das Handicap der "maroden Produktplattform und den massiven Sanierungsbedarf" hin.

Auch wenn sich ein Partner für Siemens Mobile findet, ist eine rasche Trendwende nicht in Sicht. Kleinfeld ist sich darüber im Klaren, dass die Mobiltelefonsparte bis auf weiteres rote Zahlen fabrizieren wird, und greift mit der Ausgliederung zumindest bilanztechnisch in die Trickkiste. Durch die Herausnahme des Verlustbringers aus der Konzerneinheit Communications will er verhindern, dass die übrigen Mannschaftsteile demotiviert und das Spartenergebnis weiter verhagelt werden. Mit einem Quartalsdefizit von 138 Millionen Euro wies das Handy-Business nämlich zum dritten Mal in Folge einen Verlust aus und riss den mit vier Milliarden Euro umsatzstärksten Unternehmensbereich in der abgeschlossenen Dreimonatsperiode mit 19 Millionen Euro ins Minus.

General Electric im Visier

Die Tatsache, dass einer der acht Geschäftsfelder die Kommunikationssparte derart in Bedrängnis bringt, beweist aber auch die schwierige Marktlage insgesamt. "Es hätte besser laufen können", räumte eine Sprecherin lakonisch ein, ohne jedoch die Resultate der sieben anderen Com-Bereiche preiszugeben. In massiven Schwierigkeiten steckt neben dem Handy-Business auch die Festnetzeinheit. "Der Markt war von Überkapazitäten geprägt und hat sich nicht so entwickelt, wie wir hofften", verlautete es aus der Unternehmenszentrale.

Mit Siemens Communications muss Kleinfeld also noch eine gewaltige Aufgabe schultern, zumal die anvisierten Zielmargen weit entfernt sind. Nicht minder groß ist der Problemfall Siemens Business Services, weil das Minus des IT-Dienstleisters chronisch zu werden droht (siehe Kasten "Verlustbringer SBS"). Um den gesamten Konzern auf das Gewinnniveau des Konkurrenten General Electric zu hieven, muss der Siemens-Vorstand die Krisenherde Communications und SBS zwingend sanieren.

Der Erfolgsdruck ist enorm. "Ich stehe persönlich dafür ein, dass alle Unternehmensteile innerhalb der nächsten 18 bis 24 Monate auf Linie sind. Alle zwölf Konzernsparten sollen bis dahin auch ihre Gewinnvorgaben erreichen", lehnt sich Kleinfeld weit aus dem Fenster. Damit hat er die Messlatte selbst sehr hoch gelegt. Das Beispiel Sony Ericsson könnte ihm Mut machen. Es zeigt, dass bei Mobiltelefonen die Rückkehr in die Erfolgsspur nicht unmöglich ist. Und Ronaldo war nach langer Verletzung vor der Fußball-WM 2002 auch schon abgeschrieben. Dann wurde er Torschützenkönig und schoss Brasilien zum Titel.