Internet der Dinge

Siemens-Vorstand: Industrie 4.0 braucht Semantik

24.02.2016 von Christoph Lixenfeld
Siemens-Vorstand Siegfried Russwurm wandte sich in seinem Vortrag der spannenden Frage zu, worauf es heute bei B2B und bei Industrie 4.0 WIRKLICH ankommt.
Siegfried Russwurm, Mitglied des Vorstands der Siemens AG, sprach auf den Hamburger IT-Strategietagen.
Foto: Foto Vogt

Wer für ein so traditionsreiches Unternehmen wie Siemens arbeitet, der muss vielleicht einfach große Vorbilder zitieren, um eine gewisse Fallhöhe herzustellen. Siegfried Russwurm berief sich auf den großen Makroökonomen Joseph Schumpeter und dessen berühmtestes Zitat, nämlich dass die Kraft des Kapitalismus darin besteht, dass er unaufhörlich Strukturen zerstört und ebenso unaufhörlich neue schafft.

In der Rezeption, sagt Russwurm, sei dem Aspekt der kreativen Zerstörung viel zu viel Aufmerksamkeit gewidmet worden im Vergleich zur kreativen Neuerschaffung und zur kreativen Kraft.

Russwurm präsentiert sich auf den Hamburger IT-Strategietagen seinen Zuhörern sehr ausdrücklich als Maschinenbauer, als Fertigungstechniker, und Kern seiner Ausführungen war die Frage, was Daten und ihre kreative Nutzung in der Industrie heute bedeuten, und warum es dabei auf ganz andere Dinge ankommt als in der B2C-Welt.

Größe, Größe und Größe

In dieser, so Russwurm, gehe es immer darum, möglichst viele Daten einzusammeln und sie anschließend auszuwerten. Das heißt - und dieser Aspekt wird noch wichtig - die benötigten Daten sind noch nicht alle in den Händen derer, die sie nutzen möchten, aber sie sollen dorthin gelangen. Unternehmen, die im Datenbasierten B2C-Geschäft Geld verdienen wollen, brauchen also in erster Linie drei Dinge: Größe, Größe und Größe.

Startups zu Beispiel scheiterten oft daran, dass sie das ScaleUp nicht schafften, das sei der Grund, warum 80 Prozent von ihnen das erste Jahr nicht überleben.

Scale is Beautiful, findet Siegfried Russwurm, aber das sei in Europa ein schwieriges Thema. "Erstens gibt es hier natürlich nicht so einen großen einheitlichen Markt wie in den USA, und zweitens haben wir viel zu häufig eine Small-is-Beautiful-Denke. Wer aber nicht groß denkt, der wird auch nicht groß werden."

Datennutzung in der B2B-Welt dagegen funktioniere anders, habe andere Voraussetzungen und andere Ziele. Auch sei es häufig irreführend, von Big Data zu sprechen, weil es gar nicht unbedingt um maximal Größe gehe. Eine Anlage zur Kraftwerkssteuerung müsse nicht - anders als Amazon zum Beispiel - ständig zusätzliche, neue Daten einsammeln.

Time to Market ist der Flaschenhals

Eine Ölplattform verfüge über ca. 50.000 Sensoren, die alle 5 Millisekunden Daten an den Rechner senden. Es komme darauf an, diese Daten optimal auszuwerten, Siemens-Vorstand Russwurm spricht von Smart Data. Gemeint ist die optimale Nutzung von Daten, die bereits vorhanden sind.

Auf diesem Gebiet passiere viel Spannendes, was wenig Öffentlichkeit bekomme. In der Industrie kommt es dabei nach Ansicht von Siegfried Russwurm oft gar nicht darauf an, Produktionsprozesse noch schneller zu machen. Weil diese Prozesse nicht der Flaschenhals sind. Sondern es hapere an der Time to Market: "Wenn ich auf der Website eines Autobauers ein neues Fahrzeug konfiguriere, dann dauert es etwa ein halbes Jahr, bis es bei mir zuhause in der Garage steht. Obwohl die eigentliche Produktion nur 18 Stunden braucht."

Stellt sich die Frage, findet Russwurm, was in den übrigen fünf Monaten und 29 Tagen geschieht. Bei Produktionsprozessen komme es also heute in erster Linie auf die Integration der verschiedenen Schritte an, auf ganzheitliche Optimierung.

Industrie 4.0 braucht Semantik

Das gelte für das Internet der Dinge grundsätzlich. "Irgendwann kommunizieren alle Geräte auf der Welt miteinander. Stellt sich die Frage: Was sagen die sich? Industrie 4.0 braucht vor allem Semantik. Nur mit einheitlicher Semantik lassen sich Schnittstellen, Sollbruchstellen überwinden."

An dieser Stelle führt der Siemens-Vorstand einen neuen Betriff ein, er spricht vom Web of Systems. "Jede Maschine muss wissen, wie die Supply Chain insgesamt aussieht. Notwendig ist verteilte Intelligenz über verschiedene Geräte, nur damit ist funktionierende Kommunikation in zwei Richtungen möglich."

Funktioniert diese Art von Intelligenz, dann entstehen mit ansonsten überschaubarem Aufwand spannende Lösungen. Natürlich auch bei Siemens. Russwurm nennt zwei Beispiele.

Erstens: Ortsnetztransformatoren (die grauen Kästen, die zwischen Bürgersteig und Straße stehen) sind heute insofern intelligent, als sie Strombedarfe von Haushalten erlernen und die Lastverteilung entsprechend steuern können.

Zweitens: Signalytics. Dabei handelt es sich um eine Masterplattform, die unterschiedliche Signale verarbeiten kann. Zum Einsatz kommt sie in der Ferndiagnose von Zügen und der Korrektur von Zuglaufplänen wenn notwendig. Die spanische Staatsbahn RENFE nutzt so ein System, ihre Züge sind auch dadurch pünktlicher als andere.

B2B: Es braucht Universalität, nicht Größe

Auch in der Windenergieproduktion wird Sinalytics eingesetzt mit dem Ziel, 50 Windräder so zu betreiben und zu steuern, dass sie sich nicht gegenseitig den Wind rauben und alle mit optimalem Wirkungsgrad arbeiten. Effizienzgewinn: drei Prozent, in Anbetracht der absoluten Größen, um die es dabei geht, ein enormer Wert.

Die wichtigsten beiden Learnings aus seinem Vortrag fasst Siegfried Russwurm anschließend als Antwort auf eine Nachfrage zusammen.

Erstens: Wir brauchen dringend "mehr Europa", um auch auf dem Alten Kontinent Größenvorteile wie in den USA nutzen zu können.

Zweitens: Bei Thema Industrie 4.0 brauchen wir nicht möglichst perfekte Plattformen, sondern möglichst universelle, damit Alle mit Allen kommunizieren können.