Business-Process-Management

Siemens BKK integriert IT-Inseln

04.12.2008 von Ludger Schmitz
Über ein Open-Source-Framework für das Business-Process-Management verbindet die Siemens Betriebskrankenkasse (SBK) Insellösungen und verbessert ihre Kundenbetreuung.

Im Jahr 1998 öffnete sich die SBK für den gesamten Gesundheitsmarkt. Seither setzt sie nicht auf den Preis, sondern auf die Qualität der Kundenberatung und -betreuung. Die Konsequenzen für die IT der Krankenkasse waren zunächst noch überschaubar. Einer der ersten Schritte bestand darin, Mitte 2005 mit Hilfe des Open-Source-Spezialisten Tarent ein CRM-System für die Kundenbetreuung zu installieren. Dessen Fundament waren Web-Services, die über einen Enterprise Service Bus (ESB) zusammengefasst wurden.

Die SBK-Geschäftsführung wollte aber mehr, und ihre Neuorientierung war delikat: in der Vergangenheit standen in der Beziehung zum Kunden der Krankenkasse die fachlichen Aspekte der Leistungserbringung und des Beitragsmanagements im Vordergrund, deren Beherrschung eine insgesamt fünfjährige Ausbildung der Mitarbeiter erfordert. Nun sollten diese Spezialisten die Kunden umfassend betreuen und beraten. Das lässt sich ohne zusätzliche Personalressourcen nur durchführen, wenn die Kundenberater so weit wie möglich von administrativen Tätigkeiten befreit werden und eine optimale Informationsbasis erhalten.

Projektsteckbrief

  • Projektart: Business Process Management zur IT-Integration mit BPEL

  • Branche: Krankenversicherung

  • Projektstart: Januar 2007

  • Stand heute: Framework und zwei Workflow-Anwendungen seit Sommer 2008 fertig

  • Kosten bisher: 170 000 Euro

  • Dienstleister: Tarent GmbH, Bonn

  • Ergebnis: Flexibles BPM-Framework nach Standards und auf Open-Source-Basis, heterogene Insellösungen integriert, Prozesse unabhängig von technischer Implementierung

  • Nächste Schritte: Weitere Lösungen zur Vorgangssteuerung sind in Arbeit oder geplant, darunter Erweiterung der Cluster-Fähigkeiten der BPEL-Umgebung.

Einheitliche Sicht auf die Daten

Richtig ernst wurde es Anfang 2006, als die Krankenkasse das Projekt "Integrierte Kundenbetreuung" aufsetzte. Die mehr als 600 Mitarbeiter in der Beratung sollten im persönlichen Kontakt umfassend und aktuell über die rund 720 000 bei der SBK versicherten Personen informiert sein. Das Management wollte zudem die Aufgabenverteilung besser steuern und damit das Personal effektiver einsetzen. Um diesem Anspruch gerecht zu werden, musste die IT-Abteilung die bislang in unterschiedlichen Systemen gehaltenen Daten zu einer Sicht zusammenführen. "Bis dahin gab es nur Insellösungen mit Import- und Export-Schnittstellen", erinnert sich IT-Leiter Ralf Bayer. "Es war bald klar, dass nur Web-Services uns in die Lage versetzen würden, eine integrierende Schicht über die heterogene Landschaft zu legen."

In der ersten Stufe fasste die SBK den Zugriff auf die unterschiedlichen Backend-Systeme in einer Integrationsschicht zusammen. Im nächsten Schritt wurde eine Orchestrierungsebene hinzugefügt.

Für das ambitionierte Vorhaben holte die SBK den Bonner Dienstleister Tarent ins Boot. Im Januar 2007 begann das Projekt "Vorgangssteuerung". Mit Hilfe der Business Process Execution Language (BPEL) sollten sich Web-Services zu kompletten Verwaltungsprozessen verknüpfen lassen. In einem Pilotprojekt für ein umfassendes Business Process Management (BPM) startete das Team zunächst mit der Modellierung von Prozessen. Immerhin hatte die SBK-IT schon Erfahrungen mit ereignisgesteuerten Prozessketten (EPKs), aus dem BPM-System "Aris" von IDS Scheer. Deren Notationen ließen sich später in BPEL übersetzen.

Gleichwohl lief das BPM-Vorhaben ganz anders als bisherige Softwareprojekte. "Nie zuvor wurde im Unternehmen so viel in die Prozessmodellierung investiert, um zu allgemeinen Funktionsgruppen zu kommen", erinnert sich SBK-Projektleiter Christian Ullrich. Zwar glaube jede Unternehmensabteilung, völlig eigene Prozesse zu haben. Doch auch diese ließen sich bei genauerer Analyse in Abschnitte zerlegen, die wiederum in Prozessen anderer Bereiche wiederverwendet werden könnten. "Die Kunst besteht darin, einen Moderator zwischen den Fachabteilungen und der IT zu finden", ergänzt IT-Chef Bayer: "Er muss aus der Perspektive der Fachabteilungen die Prozesse und ihre Business-Logik kennen. Gleichzeitig sollte er die technische Sicht mitbringen, um herauszuarbeiten, wo die Prozesse funktionale Elemente haben, die sich andernorts wiederfinden. Genau die sind die Ansätze für Services."

Damit war es aber nicht getan. Das BPM-Projekt war auch als Fundament für eine Service-orientierte Architektur (SOA) bei der SBK angelegt. Es sollte damit zum integralen Teil der Unternehmens-IT werden. Daher musste das entstehende System für Änderungen der Business-Orientierung ebenso offen sein wie für völlig neue Prozesse. Dafür bedurfte es eines flexiblen Service-Frameworks. Dabei galt es, nicht nur die Granularität der Prozesse richtig zu definieren, sondern diese auch mit Hilfe von Web-Services technisch zu implementieren. Zu diesem Zweck nutzt die SBK die quelloffene Prozess-Engine "Active BPEL Community Edition Engine" von Active VOS. Das Kürzel steht für Visual Orchestration System. "Proprietäre Fallen und Hersteller-Lock-ins können in allen Softwareprodukten versteckt sein", erläutert Dirk Renneberg, Projektleiter auf Seiten von Tarent. "Nur in einer Open-Source-Lösung haben Anwenderunternehmen die Chance, diese zu identifizieren und zu umgehen."

Prozessdefinition und Implementierung

Um Investitionssicherheit zu gewinnen, wollte die SBK die Prozessdefinitionen unabhängig von der technischen Implementierung halten. Entsprechend wurden alle Schnittstellen gekapselt, so dass sich jetzt von der Hardware bis zur BPEL-Engine alle Komponenten mit relativ geringem Aufwand austauschen lassen. Wie wichtig das ist, zeigte sich alsbald: Die Prozesssteuerung arbeitet mit dem Dokumenten-Management-System "Saperion" und mehreren Datenbanken zusammen. Letztere verursachten Performance-Probleme, die sich durch Erweiterungen an den Schnittstellen beheben ließen. Außerdem arbeitet die SBK mit dem "Informationssystem Krankenversicherung" (ISKV), einer bei Betriebskrankenkassen gebräuchlichen Fachanwendung, die gerade erneuert wird. Auch gegenüber diesem hilft die Kapselung der Außenbeziehungen.

Zunächst schien sich das Projekt hinzuziehen. "Man unterschätzt generell bei SOA- und BPM-Projekten die Ramp-up-Phase", berichtet IT-Leiter Bayer. "Diese braucht man, um die notwendige Zahl von Grundfunktionen zu definieren und diese fehlerfrei umzusetzen." Ein derartiges Projekt arbeite länger als normale Softwareprojekte im Verborgenen; Ergebnisse seien für Außenstehende kaum erkennbar. Bayer: "Das kann auf allen Ebenen zu leichter Ungeduld führen." Bei der SBK hatten die Projektverantwortlichen das Glück, Rückendeckung von der Geschäftsleitung zu haben.

So dauerte es zehn Monate, bis im Oktober 2007 das erste Projekt für die Vorgangssteuerung stand. Das nächste Projekt auf BPEL-Basis nahm hingegen nur einen Monat in Anspruch. Unter dem Titel "Zentrales Abrechnungsmanagement" umfasste es alle Vorgänge, die im Rahmen der Kostenerstattung (Zahnerstatz, Rehamaßnahmen etc.) anfallen. Inzwischen haben bereits die Arbeiten am nächsten BPM-Projekt "Kundentelefonate" begonnen. Darauf folgt ein weiteres Vorhaben mit dem Namen "Ad-hoc-Workflows".

Auch das wird nicht die letzte Initiative in Sachen Vorgangssteuerung mit Hilfe von Web-Services sein. "Auf allen Ebenen ist erkannt worden, dass unsere Herangehensweise von Verwaltungsarbeiten befreit, Vorgänge beschleunigt und neue Möglichkeiten eröffnet", erläutert BPM-Projektleiter Ullrich. "Glücklicherweise können wir jetzt in einer Zeit Anwendungen ausliefern, die mit einer traditionellen Herangehensweise per Einzellösungen nicht möglich gewesen wäre." Das hat der Bedeutung der IT innerhalb der SBK gut getan. Ihr Beitrag als "Business Enabler" sei jetzt deutlich sichtbarer, freut sich IT-Chef Bayer: "Letztendlich sind damit auch die andernorts leidigen Diskussionen über Ressourcen zielgerichteter und einfacher zu führen." (wh)

Mehr zum Thema SOA und Business-Process-Management im CW-Experten-Blog SOA meets BPM.