Siemens-Affäre: Zwei weitere Beschuldigte in U-Haft

23.11.2006
Die Affäre um schwarze Kassen bei Siemens ist mit einem mutmaßlichen Schaden von mindestens 200 Millionen Euro weitaus größer als bislang bekannt.

Am Mittwoch wurden zwei weitere Mitarbeiter des Elektrokonzerns in Untersuchungshaft genommen. Insgesamt seien damit sechs Beschuldigte in U-Haft, teilte die Staatsanwaltschaft München I mit. Sie hätten sich zu einer Bande zusammengeschlossen haben, um "Untreuehandlungen" zu begehen. Konkrete Erkenntnisse über den Verbleib des Geldes gebe es nach wie vor nicht. Die Gesamtsumme in den schwarzen Kassen könnte Ermittlern zufolge auch die nun genannten 200 Millionen Euro noch deutlich übertreffen, berichtet die "Süddeutsche Zeitung". Am Anfang war von 20 Millionen Euro Schaden die Rede gewesen.

Bei den Ermittlungen geht es im Kern um die Frage, ob Mitarbeiter der Siemens-Sparte Com Geld unterschlagen und für Schmiergeldzahlungen eingesetzt haben. Bei einer groß angelegten Razzia waren in der vergangenen Woche einem Zeitungsbericht zufolge auch die Büros von Siemens-Chef Klaus Kleinfeld sowie weiterer Vorstände durchsucht worden. Siemens hatte aber betont, Kleinfeld werde von der Staatsanwaltschaft nur als Zeuge gesehen.

Der "Süddeutschen" zufolge seien allein 70 Millionen Euro über drei Konten bei der Raiffeisenlandesbank Tirol in Innsbruck geflossen. Von dort sei das Geld in der zweiten Hälfte der 90er Jahre in zahlreiche Länder weitergereicht worden. Fast fünf Millionen Euro seien ausweislich von Kontoauszügen, die Ermittlern bekannt seien, für ranghohe Persönlichkeiten in Nigeria bestimmt gewesen. Eine kleinere Summe sei den Unterlagen zufolge nach Syrien gegangen.

Wegen der Konten in Innsbruck ermittle die Staatsanwaltschaft in Bozen in Norditalien schon seit mehreren Jahren. Sie habe den Verdacht, dass Siemens sich in den 90er Jahren den Einstieg in den italienischen Telekommunikationsmarkt mit einer Schmiergeldzahlung in Höhe von fünf Millionen Euro erkauft haben könnte, schreibt die "Süddeutsche Zeitung". Über Konten in Salzburg seien mehr als 100 Millionen Euro geflossen und weitere 35 bis 40 Millionen seien über Konten in der Schweiz verschoben worden, heißt es.

Bei den beiden neuen Inhaftierten handele es sich um Mitarbeiter aus den Abteilungen Interne Revision und Rechnungswesen aus der Festnetzsparte Com, teilte die Staatsanwaltschaft mit. Ein weiterer Beschuldigter, der in der vergangenen Woche in Haft genommen worden war, befinde sich mittlerweile gegen Auflagen wieder auf freiem Fuß. Zudem habe sich ein in Österreich bereits in der vergangenen Woche festgenommener Verdächtiger mit der vereinfachten Auslieferung einverstanden erklärt; er sei am Mittwoch den deutschen Behörden überstellt worden. Zu weiteren Einzelheiten wollte sich der Leitende Oberstaatsanwalt Christian Schmidt-Sommerfeld am Mittwoch nicht äußern. Voraussichtlich frühestens Anfang Dezember könnten nähere Angaben gemacht werden.

Ein Siemens-Sprecher bestätigte lediglich, dass man von den weiteren Verhaftungen Kenntnis bekommen habe und wollte sich mit Blick auf das laufende Verfahren nicht äußern. "Siemens ist weiter an der Aufklärung interessiert und unterstützt die Staatsanwaltschaft", sagte er.

Die in der vergangenen Woche angelaufenen Durchsuchungsaktionen in der Konzernzentrale in München und an weiteren 30 Standorten in Deutschland und Österreich sind laut Staatsanwaltschaft mittlerweile beendet. Dabei seien 200 bis 300 Ordner laufende Geschäftsunterlagen sowie 36.000 Ordner mit Archivunterlagen und weitere umfangreiche Daten gesichert und beschlagnahmt worden. Sie müssten nun vom bayerischen Landeskriminalamt ausgewertet werden.

Unterdessen ist im Zuge der Affäre auch die Auftragsvergabe bei den Olympischen Spielen 2004 in Griechenland ins Zwielicht geraten. Die Staatsanwaltschaft in Athen ermittele wegen des Verdachts möglicher Unregelmäßigkeiten beim Auftrag für das Sicherheitssystem der Olympischen Sommerspiele, berichtete das "Handelsblatt" am Mittwoch. (dpa/tc)