Web-Content-Management

SharePoint 2010 als WCM-Plattform entdeckt

26.09.2011 von Wolfgang Miedl
Als Content-Management-System für Unternehmens-Websites ist SharePoint bislang noch wenig bekannt. Inzwischen aber erste Beispiele für das Integrations-Potenzial der Microsoft-Plattform in Bezug auf Web- und Geschäftsanwendungen.

Zehn Jahre hat SharePoint inzwischen auf dem Buckel - und in dieser Zeit unzählige Neupositionierungen erfahren. Kaum hat sich die grobe Einordnung als Collaboration- und Dokumenten-Management-Portal herumgesprochen, rücken die Redmonder mit Version 2010 nun das Web-Content-Management (WCM) in den Vordergrund. In der WCM-Branche dürfte bislang kaum jemand SharePoint als ernstzunehmenden Konkurrenten auf dem Schirm gehabt haben, was Forrester-Analyst Stephen Powers in der Aussage zuspitzte: "Sharepoint, die unerwartete WCM-Lösung". Powers hält Microsofts Schwenk für folgerichtig, weil der gesamte Markt derzeit in Bewegung sei:

SharePoint 2010 als WCM-Plattform entdeckt
SharePoint 2010
Migration auf SharePoint als Web-Content-Management-System: Der schwäbische Hersteller von Profiwerkzeugen, TTS Tooltechnic, konsolidierte alle internationalen Sites und Webshops auf .NET in einer SharePoint-Umgebung.
SharePoint 2010
Komfortable Editoren zum Erstellen von Inhaltsseiten: Den Redakteuren bei TTS Tooltechnic steht beim Erstellen von Inhalten in der SharePoint-Umgebung ein WYSIWYG-Editor mit integrierten HTML-Vorlagen zur Verfügung.
SharePoint 2010
Inhaltsmodule und redaktionelle Prozesse: Alle Vorlagen bei TTS Tooltechnic sind modular aufgebaut, verschiedene Teaser-Typen lassen sich im Editor per Drag-and-Drop einbauen.
SharePoint 2010
Beim Evonik-Konzern basiert das weltweite Intranet für 39.000 Mitarbeiter auf SharePoint. An 100 Standorten in 31 Ländern stehen lokalisierte Sites im identischen Design bereit - hier die deutsche Variante.
SharePoint 2010
Komplettes Redaktionssystem in SharePoint: 400 Redakteure arbeiten bei Evonik am weltweiten Intranet. Bei der Entwicklung der Arbeitsumgebung wurde auf Usability geachtet - hier ein Beispiel für Bildauswahl-Dialoge.
SharePoint 2010
Intuitive Bedienung der Editoren und Konfiguratoren im Evonik-Intranet: Die Redakteure können Seitenlayouts visuell anpassen, Module werden per Drag-and-Drop in die entsprechenden Seitenbereiche platziert.
SharePoint 2010
Das Gasag-Intranet bietet einfach zu bedienendes Workflow-Funktionen. Abteilungsleitern steht darüber hinaus ein Management-Cockpit zur Verfügung.

SharePoint-WCM als Basis für EAI

Microsoft sieht die WCM-Fokussierung inzwischen in einem strategischen Kontext. Web-Content-Management gewinnt nämlich in den Unternehmen an Bedeutung und so könnte SharePoint künftig die Rolle einer neuen Integrationsplattform einnehmen. Mit dem Gedanken einer universellen WCM-Plattform beschäftigen sich inzwischen auch viele IT-Verantwortliche, wie Powers im vergangenen Jahr im Rahmen einer WCM-Studie herausfand: "Die Zeiten von Web-Content-Management als isoliertes System sind vorbei. WCM ist zu einem zentralen Element geworden das die meisten Unternehmen mit ihren Geschäftsanwendungen verknüpfen wollen." Auf die Frage nach den verbesserungswürdigen Bereichen ihrer bestehenden WCM-Systeme nannten 38 Prozent der teilnehmenden Entscheider Enterprise Application Integration (EAI) als Top-Priorität, 29 Prozent wünschen sich bessere Workflows und 20 Prozent der Befragten möchten eine Weiterentwicklung in den Bereichen Kollaboration sowie Social Networking.

Auch der organisatorische Aspekt sei hierbei nicht unwichtig. So habe sich in den letzten Jahren die Verantwortung für Web-Plattformen vielfach in nichttechnische Geschäftsbereiche wie Marketing oder E-Business verlagert. Dennoch sieht der Analyst die IT auch künftig in der unverzichtbaren Rolle des Technologie-Anbieters, der die grundlegenden Fertigkeiten für die erfolgreiche Umsetzung von WCM-Projekten besitzt.

TTS schafft zentrales Masterportal

Migration auf SharePoint als Web-Content-Management-System: Der schwäbische Hersteller von Profiwerkzeugen, TTS Tooltechnic, konsolidierte alle internationalen Sites und Webshops auf .NET in einer SharePoint-Umgebung.

Zu den "Pionieren", die bereits mit dem Vorgänger von SharePoint 2010 WCM-Szenarien getestet haben, zählt beispielsweise die TTS Tooltechnic Systems AG & Co. KG aus dem schwäbischen Wendlingen. Der Hersteller von Elektrowerkzeugen ist in Handwerkerkreisen mit Marken wie Festool bekannt und bietet Geräte wie Akkuschrauber oder Schleifsysteme an. Weltweit bringt es der mittelständische Mischkonzern inzwischen auf 27 Vertriebsgesellschaften mit insgesamt 2400 Mitarbeitern. TTS stand dabei vor dem typischen Problem international aufgestellter Unternehmen, das Markus Moser, verantwortlich für WCM, wie folgt beschreibt: "Wir sind zwar Mittelständler, verfügen aber über eine komplexe Organisationsstruktur, für die wir ein geeignetes Content-Management-System anbieten möchten. Statt einer zentralen Website benötigen wir eine multinationale Portalstruktur, die unsere verschiedenen Marken unterstützt."

Komfortable Editoren zum Erstellen von Inhaltsseiten: Den Redakteuren bei TTS Tooltechnic steht beim Erstellen von Inhalten in der SharePoint-Umgebung ein WYSIWYG-Editor mit integrierten HTML-Vorlagen zur Verfügung.

Hinzu kam bei TTS ein heterogenes Anwendungsportfolio, verteilt über diverse Websites. So entstanden unzählige Vertriebsportale, die einerseits als Markenauftritt aber auch als Web-Shops fungierten. Darüber hinaus gab es Fortbildungs- und Themenportale, Kursangebote für Handwerker oder auch für interne Kundenclub-Anwendungen.

Inhaltsmodule und redaktionelle Prozesse: Alle Vorlagen bei TTS Tooltechnic sind modular aufgebaut, verschiedene Teaser-Typen lassen sich im Editor per Drag-and-Drop einbauen.

Nachdem die alte Web-Plattform aus dem Jahr 2000 an ihre Grenzen stieß, erkannten die Verantwortlichen 2006 akuten Handlungsbedarf, so Moser: "Mit über hundert Anwendungen auf PHP- und Cold-Fusion-Basis war ein sehr hoher Grad an Komplexität erreicht. Sowohl die Menge als auch die Systemunterschiede führten zu einem extrem hohen Wartungs- und Weiterentwicklungsaufwand." Zudem wünschten sich die Fachabteilungen Web-2.0-Funktionen und eine bessere Integration in die Backend-Systeme. Nach einer etwa einjährigen Evaluation entschied sich TTS im Jahr 2007 für Microsoft SharePoint, was zunächst einmal einen drastischen technischen Kurswechsel von PHP und Cold-Fusion auf .NET bedeutete. Dies erforderte einen kompletten Neuaufbau der Entwicklungsressourcen.

Anders als bisher sollte das neue Internet-Portal von TTS zentralistisch strukturiert sein, um die Entwicklung und Wartung an einer Stelle zu konzentrieren: "Ausgangspunkt für all unsere internationalen Markenportale sollte ein Masterportal sein. Individuelle Anforderungen der einzelnen Marken und Länder lassen sich so einfach per Konfigurationen realisieren - ohne Programmierung", so Moser. Zwar habe dieses Konzept den Initialaufwand erhöht, doch die Kosten amortisieren sich mit wachsender Zahl der angeschlossenen Länder. Inzwischen kümmern sich überwiegend interne Mitarbeiter um den Betrieb und die Weiterentwicklung der Portallandschaft. Bis Ende 2010 wurden 14 Länderportale live geschaltet, in diesem Jahr sollen zwölf weitere folgen.

Evonik migriert zunächst 40 Intranets

Beim Evonik-Konzern basiert das weltweite Intranet für 39.000 Mitarbeiter auf SharePoint. An 100 Standorten in 31 Ländern stehen lokalisierte Sites im identischen Design bereit - hier die deutsche Variante.

Vor einer ähnlichen Aufgabenstellung wie TTS stand auch Evonik Industries AG, allerdings mit einer stärkeren Gewichtung auf der Intranet-Seite. Der Konzern für Spezialchemie und Energieerzeugung hatte sich zur Aufgabe gesetzt, seine 40 weltweit verteilten Intranets auf einer zentralen WCM-Plattform zu konsolidieren. Ziel war es, allen 39.000 Nutzern an hundert Standorten in 31 Ländern die gleiche Oberfläche zu bieten. Auslöser für das Projekt war im Jahr 2007 der Zusammenschluss der drei Unternehmen Degussa, RAG und Steag zu Evonik. Zeitgleich ging damals die neue SharePoint-Plattform in Betrieb, um Schritt für Schritt alle bestehenden Online-Auftritte, zwei Redaktionssysteme und Datenbanken abzulösen.

Komplettes Redaktionssystem in SharePoint: 400 Redakteure arbeiten bei Evonik am weltweiten Intranet. Bei der Entwicklung der Arbeitsumgebung wurde auf Usability geachtet - hier ein Beispiel für Bildauswahl-Dialoge.

Als zentrale Neuerung der Lösung ersannen die Entscheider eine strikte Personalisierung. So sollten zwar weltweit alle Mitarbeiter eine einheitliche Portaloberfläche erhalten, jedoch mit nach Standort und Rolle variierenden Inhalten. "Unsere User erhalten so einerseits alle konzernweit relevanten Informationen, gleichzeitig aber auch auf den für ihren Standort- und Geschäftsbereich bezogenen Content", sagt Urs Schnabel, der als Chefredakteur Online die Plattform von Essen aus verantwortet. Schnabel hat ausgerechnet, dass so in Summe bis zu 600 Varianten einer Seite im Evonik-Intranet zur Verfügung stehen.

Intuitive Bedienung der Editoren und Konfiguratoren im Evonik-Intranet: Die Redakteure können Seitenlayouts visuell anpassen, Module werden per Drag-and-Drop in die entsprechenden Seitenbereiche platziert.

Rund 400 Redakteure kümmern sich im Konzern um die Inhalte und produzieren täglich etwa 50 Beiträge in Wort und Bild. Ein Baukasten mit Formatvorlagen sorgt dabei für die Einhaltung des Corporate Designs, Workflows mit Rechteverwaltung strukturieren die Abläufe - vom Themenvorschlag vor Ort über die Klassifizierung und Freigabe an zentraler Stelle bis hin zur Datenübergabe an SharePoint für die Veröffentlichung. Inzwischen steht bei Evonik auch die Migration der öffentlichen Web-Auftritte auf das neue WCM-System an. 60 Sites wurden bereits umgestellt und nutzen die Kernfunktionen der SharePoint-Lösung. Versuchsweise kommt derzeit auch die Enterprise-Search-Funktion zum Einsatz, die zukünftig Kern einer konzernweiten Suchmaschine sein soll. Und schließlich bereitet die IT derzeit auch noch die Umstellung auf SharePoint 2010 vor.

Gasag fokussiert die Office-Integration

Das Gasag-Intranet bietet einfach zu bedienendes Workflow-Funktionen. Abteilungsleitern steht darüber hinaus ein Management-Cockpit zur Verfügung.

Bei der Gasag Berliner Gaswerke AG zwang ein in die Jahre gekommenes Portal zu einem WCM-Systemwechsel. "Unsere 2002 eingeführte Web-Plattform erwies sich nach einigen Jahren im Betrieb als zu unflexibel und schwer bedienbar. Weder unterstützte sie Web-2.0-Funktionen noch interaktive Inhalte und bremste uns so in der Weiterentwicklung", beschreibt Murat Kretschmer, Leiter Online-Portale beim Energieversorger, die Motivation für den Umstieg. Im Zuge der Ausschreibung brachte die IT-Abteilung SharePoint als Vorschlag ins Spiel. Insbesondere die Fachabteilungen versprachen sich vom Microsoft-Server eine bessere Office-Integration und direktes Publizieren aus den Anwendungen heraus. Einen weiteren Pluspunkt sah Kretschmer in der dokumentenzentrierten Zusammenarbeit: "Wir planten virtuelle Projekträume via Extranet, um externe Mitarbeiter einzubinden. Außerdem war ein zentrales Redaktionssystem für alle zehn Tochterunternehmen vorgesehen."

Als Besonderheit an diesem Projekt unterstreicht er die gleichberechtigte Kooperation zwischen der IT und der Unternehmenskommunikation. Während die IT den technischen Aufbau verantwortete, oblag seinem Bereich die Gesamtplanung und Einrichtung des Intranet- und Internet-Auftritts. Hierbei helfe auch das Office-ähnliche Bedienkonzept von SharePoint, weil sich auch nichttechnische Mitarbeiter schnell zurecht finden, so der Gasag-Manager: "Die neue Plattform spricht nicht nur Techies, sondern auch Fachverantwortliche aus Rechnungswesen oder Vertrieb an. Sie lernen schnell die Funktionsweise von SharePoint und können der IT ihre Anforderungen für neue Lösungen recht präzise vermitteln."

Einfache Workflow-Funktionen standen auf der Wunschliste der Gasag-Mitarbeiter ganz oben. Als typisches Szenario nennt Kretschmer das Erstellen von Angeboten, deren kniffligster Teil die in der Branche üblicherweise komplizierte Preisermittlung darstellt. Insgesamt umfasst ein solcher Workflow sechs Fachabteilungen, die innerhalb unterschiedlicher Fristen Formulare ausfüllen, Daten zuarbeiten und Freigaben erteilen müssen. Den Abteilungsleitern steht hierbei ein Management-Cockpit zur Verfügung, das über eine SharePoint-Listenaggregation den stets aktuellen Stand aller Ausschreibungen visualisiert.

Bis Ende 2011 will Kretschmer das auf zwei Jahre angelegte Projekt abschließen und dann alle Intranet- und Internet-Auftritte der Gasag auf SharPoint portiert haben. Der bisher erfolgreiche Verlauf beschert ihm aber auch immer wieder Überraschungen: "Inzwischen hat sich herumgesprochen, dass wir mit SharePoint schnell neue Applikationen realisieren. Da kommt dann schon mal der Vertrieb, und möchte nebenbei noch einen neuen Workflow für Ausschreibungen." (ue)