Shared Services bedienen "Focal Points"

20.01.2005 von Karin Quack
Wie Thiel Logistik das Business und die Informationstechnik verbindet.
Das Business bestimmt die IT-Unterstützung - auch in den Hochregallagern der Thiel Logistik AG. Fotos: Thiel Logistik

Eine Krise ist auch eine Chance. Dirk Weihe hat sie genutzt. Im Herbst 2003 übernahm der ehemalige EDS-Manager die CIO-Position beim Luxemburger Dienstleistungsunternehmen Thiel Logistik, das damals als Sanierungsfall galt. "Diese Situation ermöglichte es uns, sehr schnell neue Dinge umzusetzen und uns von alten Strukturen zu trennen", berichtet er. Damit schuf das Unternehmen die Grundlagen dafür, dass Geschäft und IT wesentlich enger miteinander verflochten sind, als das in anderen Konzernen der Fall ist. "Wenn diese Struktur funktioniert, ist IT-Governance für uns kein Thema mehr", bestätigt Weihe.

Quasi als erste Amtshandlung löste der CIO die zentrale Organisationsabteilung auf. In der Vergangenheit war diese Abteilung in der Management-Holding verankert, was Akzeptanzprobleme in den operativen Tochtergesellschaften mit sich brachte: "Die Organisationsabteilung war einfach nicht nah genug am Business", bestätigt Weihe. Genau das sollte sich ändern - und zwar so schnell wie möglich.

Mit dieser Änderung einher ging ein Wandel der ehemaligen IT-Abteilung zum Shared-Service-Center (SSC). Der Betrieb der Informationstechnik ist nach wie vor zentral organisiert. Er konzentriert sich vor allem in dem Hauptrechenzentrum am Luxemburger Stammsitz; daneben existiert ein RZ in Salzburg, das besonders die Tochtergesellschaft Quehenberger bedient und kürzlich seinen Dienst als Backup-Rechenzentrum für das SSC aufnahm.

So klein wie möglich

Welcher Aufgaben das Center hat, wird erst bei einem Blick auf die Gesamtstruktur deutlich: Parallel zu dem SSC hat Weihe zwei weitere Organisationseinheiten installiert, den "Architekturrat" sowie eine Handvoll "Focal Points".

Der seit einem knappen Jahr bestehende Architekturrat trifft, wie Weihe betont, Entscheidungen mit großer Bedeutung für die Zukunft des gesamten Konzerns: Er zeichnet für dessen IT-Landschaft verantwortlich. Damit liegt es an ihm, welche Server das Unternehmen beschafft und welche Datenbanksoftware darauf läuft. Und auf seine Empfehlung hin nutzen die Anwender des Konzerns künftig bevorzugt Thin Clients.

Das Gremium besteht aus nur drei IT-Spezialisten, die aus unterschiedlichen Tochtergesellschaften stammen. "Drei sind es deshalb, weil das die kleinste Gemeinschaft mit einer ungeraden Zahl von Mitgliedern ist", erläutert Weihe, "so vermeiden wir im Fall unterschiedlicher Ansichten eine Pattsituation." Der CIO selbst hält sich aus den Architekturdiskussionen weitgehend heraus: "Ich bin nur das Eskalationsgremium."

Wann der CIO ein IT-Mensch ist

Der CIO definiert seine Aufgaben völlig anders als herkömmliche IT-Leiter. Er sieht sich eher als Teil des Business als der IT: "Ich bin nur noch der IT-Mensch, wenn es nicht läuft." Weihe berichtet zwar ganz traditionell an den Finanzvorstand des Thiel-Konzerns, pflegt aber "selbstverständlich" auch den Kontakt zu den beiden anderen Vorstandsmitgliedern. Darüber hinaus informiert er die Konzernleitung alle drei Monate in einem kurzen "IT-Letter" über die Aktivitäten der Thiel-Informatik. Auch mit den IT-Leitern der Tochtergesellschaften treibt Weihe regen Gedankenaustausch. Er trifft sie mindestens einmal im Vierteljahr zum festen Gesprächstermin.

Aus dem Business heraus

Die Verbindung zwischen Business und IT manifestiert sich jedoch vor allem in den Focal Points. Sie ersetzen quasi die alte Organisationsstruktur und sind damit laut Weihe derzeit "einzigartig". Profan gesprochen, handelt es sich dabei jeweils um eine Person, die sich mit einem bestimmten, für das Unternehmen wichtigen Thema besonders gut auskennt. Sie fungiert nicht nur als zentraler Ansprechpartner für dieses Thema, sondern verantwortet auch alle damit zusammenhängenden IT-Aktivitäten des Thiel-Konzerns. Sie hat also den Überblick über alle laufenden Projekte und koordiniert sie, regt aber gleichzeitig auch neue Vorhaben an.

Geteilte Services

• Die Tochtergesellschaften der Thiel Logistik AG haben teilweise eine eigene IT, zu einem Teil sind die IT-Services aber auch ausgelagert.

• Es gibt zwei Rechenzentren: Das zentrale RZ in Luxemburg bietet IT-Produkte als Shared Services dem gesamten Konzern an. Hierfür nutzte Thiel den Mantel der bestehenden Gesellschaft Compabilité, Gestion et Transactions Immobilières S.A. (CGTI).

• Das zweite RZ betreut die Tochter Quehenberger und dient als Backup.

• Das Unternehmen beschäftigt insgesamt 9200 Mitarbeiter, die sich auf rund 350 Niederlassungen in 44 Ländern verteilen.

• CIO Dirk Weihe ist gleichzeitig Vorstand der CGTI. Seiner Doppelrolle wird er eigenen Angaben zufolge leicht gerecht, weil er kein externes Geschäft verantwortet.

Das Unternehmen

• Die Thiel Logistik AG hat ihren Sitz im luxemburgischen Grevenmacher.

• Sie entwickelt ganzheitliche Logistik- und Servicelösungen für Industrie und Handel.

• 2003 erzielte der Konzern einen Umsatz von 1,7 Milliarden Euro.

• Das Unternehmen beschäftigt insgesamt 9200 Mitarbeiter, die sich auf rund 350 Niederlassungen in 44 Ländern verteilen.

• Die Aktienmehrheit von 50,26 Prozent liegt bei der Delton AG, Bad Homburg.

• Thiel Logistik ist im MDax der Deutschen Börse notiert.

Derzeit gibt es neun dieser Focal Points. Die Themen betreffen die Unterstützung bestimmter Geschäftsaktivitäten ("Air and Ocean", "Spedition", "Lager", "Archivierung" und "RFID"), bestimmte IT-Themen ("Helpdesk", "Netzwerke" und "EDI") oder konzernübergreifende Aktivitäten ("Human Resources" und "Customer-Relationship-Management"). In Vorbereitung ist auch ein Focal Point zum Thema "Finance/Controlling").

Klasse statt Masse

Die jeweils verantwortliche Person kommt direkt aus dem Business. Eine IT-Vergangenheit ist kein Muss. Innerhalb der Aufbauorganisation ist sie oder er dem jeweiligen Bereichsleiter gegenüber berichtspflichtig, hinsichtlich der Projekte hingegen dem CIO, denn letztlich mündet jedes dieser Vorhaben, so Weihe, in eine IT-Lösung.

Shared Service Center

STICH
      WORT


Ein Shared Service Center (SSC) ist auf den ersten Blick ein Paradoxon - eine zentrale Organisationseinheit, die dezentrale Strukturen unterstützt. Das SSC erledigt Aufgaben, die ansonsten in unterschiedlichen Konzernteilen separat erbracht werden müssten, beispielsweise Pesonal-Management oder eben den IT-Betrieb. So lassen sich vorhandene Synergiepotenziale maximal ausschöpfen. Der Erfolg eines SSC spiegelt sich vor allem darin, dass die Preise, die das Business für die fest umrissenen IT-Produkte zu zahlen hat, kontinuierlich sinken. Wie effizient ein SSC arbeiten kann, wird am Beispiel der Thiel Logistik AG deutlich: In der Luxemburger CGTI sind knapp zwei Dutzend IT-Spezialisten in der Lage, für 4500 Anwender die Infrastruktur zu handhaben, die zentralen Anwendungen zu betreiben und den User Helpdesk zu betreuen. Möglich wird das durch eine strikte Standardisierung der Anwendungen und der Prozesse sowie den Einsatz von Thin Clients. Allerdings hat die Sache auch einen Haken: Die Teilkonzerne wollen erst einmal davon überzeugt werden, dass die Vorteile des SSC den Verlust ihrer individuellen IT-Abteilung aufwiegen.

Hinsichtlich der Themen hat Weihe ein Vorschlagsrecht. Sie entstehen jedoch im Allgemeinen in den Tochtergesellschaften; bisweilen werden sie auch von außen in das Unternehmen hineingetragen. Der CIO behält sich vor, lenkend einzugreifen, falls es zu viele werden. "Zehn bis 15 Focal Points sind noch steuerbar, wenn es darüber hinausgeht, muss man noch einmal herausstellen, dass es sich hier nur um wirklich wichtige Themen handeln darf."

Die Focal Points fungieren auch als Auftraggeber für die Shared Service-Center. Auf diese Weise ist sichergestellt, dass jede IT-Leistung in enger Abstimmung mit dem Business erbracht wird. Folglich gibt es bei Thiel Logistik auch keine jährlichen Projektbudgets, die "verbraten" werden. Stattdessen wird jedes Vorhaben einzeln bewertet und mit Geld ausgestattet. Damit, so Weihe, verändert sich das Denken. Am Anfang jedes Projekts stehe nun die Frage: "Was muss ich machen, um im Business wettbewerbsfähig zu sein?"

Das Service-Center diskutiert mit den Focal Points und den IT-Leitern der Tochtergesellschaften einmal im Jahr über die anzubietenden IT-Produkte und deren Preise. Daraus resultiert ein Warenkorbkatalog, aus dem die Gesellschaften ihre jeweils benötigten Systeme und Dienstleistungen zusammenstellen - angefangen vom vorkonfigurierten Desktop bis zum SAP-Arbeitsplatz mit einer bestimmten Verfügbarkeit und dem Sicherheitslevel, den der jeweilige Focal Point aufgrund der geschäftlichen Notwendigkeiten festlegt. Mittlerweile werden nicht nur Service-Level-Agreements (SLAs) getroffen, sondern regelrechte Verträge mit dem SSC geschlossen. Die Rahmenverträge mit dem SSC unterzeichnet die Leitung der betreffenden Tochtergesellschaft, die Einzelverträge verantwortet hingegen der Focal Point.

Bei der Definition der Produkte ist Weihe nach eigenen Angaben "pragmatisch" vorgegangen: "Wir haben uns angeschaut, welche IT-Prozesse und Produkte, sprich Anwendungen, wir bereits haben, was sie uns kosten und ob sie vom Business überhaupt benötigt werden." Statt der bis dahin üblichen "politischen" Preise zahlt nun jeder Focal Point für dieselben Leistungen auch denselben Preis. Darin enthalten sind anteilig die Kosten für Infrastruktur und Personal. "Alle Kosten, die in der IT anfallen, werden mit dem Business abgerechnet", erläutert Weihe.

Notwendig für die Einrichtung von Shared-Service-Centern ist eine weitgehende Standardisierung und Vereinheitlichung der Prozesse und der Anwendungen. So werden derzeit die bislang sechs verschiedenen Finanzsysteme durch eine Implementierung von "Mysap FI/CO" abgelöst. Ähnliches ist im Bereich Human Resources geplant, wo ebenfalls ein halbes Dutzend verschiedener Systeme im Einsatz ist. In puncto CRM nutzen die Tochterunternehmen glücklicherweise alle Siebel-Software. Die Investitionen in neue Softwaresysteme werden von den Einzelgesellschaften finanziert; die Projektkosten sind in deren Budgets eingeplant.

Durch die Standardisierung reduziert sich auch die Anzahl der eingesetzten Anwendungen: "Wir haben uns geeinigt, dass keine Softwareprodukte eingeführt werden, die im Konzern noch nicht vorhanden sind", bestätigt Weihe. Allerdings muss das Service-Center auf der anderen Seite auch Anwendungen betreuen, die sich nicht standardisieren lassen, weil eine Vereinheitlichung mit zusätzlichem Aufwand verbunden wäre. 

Die Kombination aus zentralem SSC und den Focal Points ist laut Weihe eine zukunftsfähige Konstruktion, mit der sich die langjährige Kluft zwischen IT und Geschäft quasi zwangsläufig schließe: "Die IT ist nun tatsächlich ein Teil des Business, die IT-Aspekte wachsen unmittelbar aus dem Geschäft heraus." Damit ist auch die wettbewerbsentscheidende Frage nach möglichen Innovationen leichter zu beantworten: Der Focal Point kennt das Geschäft und weiß, wo die Verbesserungspotenziale stecken. Der CIO untersucht, ob sich seine Ideen möglicherweise auf andere Geschäftsbereiche übertragen lassen.

Jede Menge Gegenwind

Diese Struktur durchzusetzen war allerdings nicht so einfach, wie es sich hier liest. "Jede Gesellschaft hatte ja bereits eigene IT-Lösungen, und es gab eine Vielzahl politischer Verrechnungspreise", erinnert sich Weihe, "deshalb rief schon der Begriff Shared Services jede Menge Gegenwind hervor." Dass er sich nicht zum Orkan ausweitete, sondern bald legte, erklärt der CIO damit, dass den lokalen Einheiten ein Mitbestimmungsrecht bei der Gestaltung der organisatorischen Veränderungen eingeräumt wurde. Zudem schreckt das SSC keineswegs davor zurück, sich mit seinen Leistungen und Preisen der Konkurrenz des Marktes zu stellen.

Exkurs: Investitionsentscheidung

Wer eine neue Anwendung benötigt, macht erst einmal ein Pflichtenheft. Nicht so Thiel Logistik. CIO Dirk Weihe wollte "keine Zeit mit unnötigen Diskussionen verlieren". Bei der Entscheidung für eine einheitliche Finanzsoftware ging das Unternehmen deshalb folgendermaßen vor:
• Zunächst diskutierten die Tochtergesellschaften, worauf es ihnen im Besonderen ankam.
• Dann wählten sie eine Reihe von möglichen Geschäftspartnern. Da eine Reihe von selbst entwickelten Anwendungen abzulösen war, kamen in die engere Auswahl nur Anbieter, deren Branchenkenntnisse und IT-Know-how weit über die reine Produkteinführung hinausreichte.
• Die erste Entscheidung sollte jedoch allein dem Produkt gelten. Deshalb musste jeder Kandidat in einem etwa halbstündigen Vortrag die Funktionsweise und die Vorzüge des von ihm bevorzugten Systems herausstellen.
• Hier gab es eine Handvoll K.o.-Kriterien; sie betrafen besonders die Marktstellung des Produktanbieters.
• Produkte, die diese Hürde meisterten, mussten sich vor allem einer Frage stellen: Wie viele Customizing-Tage sind notwendig?
• Damit multipliziert wurde der Tagessatz der jeweiligen Berater. Der Endbetrag war wichtig für die Entscheidung. Insgesamt nahm die Auswahl drei Monate in Anspruch. Durchsetzen konnte sich am Ende die "FI/CO"-Software von SAP.