ERP und Produktdaten-Management

Sennheiser nutzt PDM für die weltweite mechatronische Entwicklung

12.08.2008 von Daniela Hoffmann
Der Audiogerätehersteller Sennheiser entwickelt Produkte international verteilt. Elektronische und mechanische Entwicklungsdaten fließen in einem Produktdaten-Management zusammen.

Von Mikrofonen und Kopfhörern über Konferenz- und Informationstechnik bis hin zu Museumsführungs-Systemen reicht das Produktspektrum von Sennheiser. Das 1945 gegründete Unternehmen erfand unter anderem den offenen Kopfhörer in den 60er Jahren und das kopfbezogene Surround-System in den 90ern.

Heute sind weltweit rund 1800 Mitarbeiter für das Familienunternehmen mit Sitz im niedersächsischen Wennebostel tätig. Rund 60 Prozent von ihnen arbeiten in Deutschland. Forschung und Entwicklung haben einen wichtigen Stand. "Ideen brauchen Freiraum. Und so habe ich immer den Standpunkt vertreten, dass man den Entwicklern eine Spielwiese erlauben soll", lautete ein Motto des Firmengründers Fritz Sennheiser, das bis heute gilt.

J.D. Edwards ERP, Catia und CIM Database im Konzert

PLM beginnt bei der Produktdefinition und führt über Entwicklung, Produktion, Service und Auslauf in einem integrativen Ansatz über den gesamten Lebenszyklus - und das wird immer wichtiger, erklärt Klaus Höling, IT-Leiter bei Sennheiser.

"Eine rasante Entwicklung" hat das Thema Produktdaten-Management in den letzten zehn Jahren bei Sennheiser durchlaufen, schildert Klaus Höling, IT-Leiter bei Sennheiser. 2002 führte der Audiospezialist "J.D. Edwards EnterpriseOne" (heute Version 8.11 SP1) als neues ERP-System ein, das in den kommenden Jahren für alle Produktionstöchter ausgerollt wurde. Der ERP-Hersteller J.D. Edwards gehört mittlerweile zu Oracle.

Im Jahr 2005 installierte das Unternehmen die Version 5 des CAD-Systems "Catia" . Während die CAD- und ERP-Anwendung migriert wurden, nutzt das Unternehmen für das Produktdaten-Management die Spezialsoftware "CIM Database" des Herstellers Contact Software. Evolutionär gehen die Wennebosteler weiter. Das Produktdaten-Management betrachtet Sennheiser als das Kernstück auf dem Weg zu einem umfassenden Product-Lifecycle-Management. "PLM beginnt bei der Produktdefinition und führt über Entwicklung, Produktion, Service und Auslauf in einem integrativen Ansatz über den gesamten Lebenszyklus - und das wird immer wichtiger", sagt Höling.

PLM-Strategie ist formuliert

PLM bedarf allerdings nicht nur eines Systems, sondern einer Unternehmensstrategie, die auf integrierter IT-Landschaft und Organisation beruht. Ziel ist, immer mehr Prozesse in das PLM-Konzept einzubeziehen. Aus dem Vertrieb fließen beispielsweise Anregungen für neue Produkte ein, aus dem Marketing kommen Informationen über die Auseinandersetzung mit dem Markt.

Wiederverwendbarkeit lebt von verfügbarer Information

Wenn man mit möglichst hoher Wiederverwendbarkeit aller Teile arbeiten will, muss der Entwickler ein Teil sehr schnell finden können, erläutert Jürgen Kelle, Project Manager Information Technology bei Sennheiser.

Zu Beginn standen beim PDM zwei Aspekte im Vordergrund: die ERP-Kopplung und das rasche Auffinden von Informationen. Das Zusammenspiel mit der ERP-Software wurde von Anfang an mitgeplant, um alle Vorteile der Integration ausschöpfen zu können. Dazu gehörte schon früh die automatisierte Übernahme der im PDM-System generierten Stücklisten und Artikelstammdaten in die ERP-Software. "Eine Stückliste hat 200 bis 300 Einträge. Die manuelle Übernahme hat sehr viel Zeit gekostet und war ausgesprochen fehleranfällig", erinnert sich Höling. PDM- und ERP-Software arbeiten status-gesteuert zusammen. Bei Statusübergängen werden Daten teilweise automatisch an die ERP-Software übertragen, zum Beispiel wenn es um die Übergabe an die Produktionsplanung- und steuerung geht. Ganz wichtig war den Wennebostelern die Sachmerkmalleiste. Sie bildet die Konfiguration aller Teile und Baugruppen aus Entwicklersicht ab. Dabei geht es um sinnvolle Hierarchien, die es erleichtern, Elemente zu finden. Zum Beispiel gehören Schrauben zur Obergruppe "Mechanik" und haben in der nächsten Ebene Eigenschaften wie "Gewindegröße" oder "Länge". "Wenn man mit möglichst hoher Wiederverwendbarkeit aller Teile arbeiten will, muss der Entwickler ein Teil sehr schnell finden können", erläutert Jürgen Kelle, Project Manager Information Technology bei Sennheiser.

Prozesse sind mit Qualitäts-Management verzahnt

Handy-Kopfhörer CX-300.

Alles beginnt mit einer Idee. Wenn es "nach Lehrbuch", sprich Prozessbeschreibung läuft, beginnt der Produktlebenszyklus mit der Requirement-Management-Phase. Die Anforderungen werden gesichtet, dann entsteht das Pflichtenheft für das Produkt. Anschließend folgt der Entwicklungsprozess, dessen Ergebnis die Stücklisten der unterschiedlichen Bereiche sind. Zunächst mit der Funktionsmusterfreigabe und dann mit der Prototypenfreigabe geht es schrittweise auf die Serienreife zu. Spätestens mit der Freigabe des Prototypen werden sämtliche Informationen an das ERP-System übergeben. Dabei ist das Qualitäts-Management mit den einzelnen Schritten verzahnt. Zum Beispiel finden zwischen Prototypen- und Serienfreigabe Feldstudien mit Kunden statt. Rückmeldungen gehen im geschlossenen Kreislauf zurück an die Entwicklung, das technische Änderungswesen ist Teil des PDM-Prozesses - das spart laut Kelle sehr viele manuelle Eingriffe, die früher erforderlich waren.

Mit der Serienreife kommt dann die weltweite Vertriebsfreigabe für das Produkt. Häufig ergeben sich Anregungen aus dem Fertigungsumfeld, oder der Produkt-Manager bringt Kundenwünsche ein. Das PDM-System sorgt dafür, dass keine wertvolle Anregung verloren geht. Vor allem durch Workflows wie bei den Freigabeprozeduren wird Qualität gesichert. Das Dokumenten-Management übernimmt auch die Versionsverwaltung und gewährleistet den Zugriff auf die aktuelle Version zum Beispiel einer Zeichnung. "In der Entwicklung stoße ich immer an bestimmte Grenzen und muss dann auch mal drei Schritte zurück und in eine neue Richtung gehen. Das System hilft dabei, dies so effizient wie möglich zu tun und zum letzten gültigen Versionsstand zurückzukehren", meint Kelle. Die Versionsverwaltung dient auch dazu, den Anforderungen der Produkthaftung gerecht zu werden. Sie dokumentiert, welcher Kunde wann welche Produktversion erhalten hat. Zudem lassen sich mit der Software fotorealistische 3D-Grafiken von Geräten oder Prototypen für das Marketing und den Vertrieb erzeugen.

Zwei Entwicklungswerkzeuge unter einem Dach

Entscheidend ist für Sennheiser, dass alle Bereiche im PDM zusammengeführt werden. Die Produkte bestehen zum einen aus dem Gehäuse, zum anderen aus der innewohnenden Elektronik (Leiterplatte) und weiteren Komponenten wie Kleber. Hinzu kommt die Gerätesoftware, die mit eigenen Tools und Systemen entwickelt wird. Das Layout der Leiterplatte entsteht im ECAD-System "Zuken CR5000", der Entwurf für das Gehäuse im mechanischen MCAD-System Catia V5. Im PDM-System werden die Stücklisten der bestückten Leiterplatten mit den mechanischen und manuellen Stücklisten "verheiratet". Als eine große Stückliste fließen alle Bauteile eines Gerätes - in der richtigen Reihenfolge - anschließend in das ERP-System ein und bilden die Informationsgrundlage für die Produktionsplanung und -steuerung.

Die Kombination von Mechanik und Elektronik, die Mechatronik, ist für Sennheiser ein zentraler Punkt: Dass die zunehmende Miniaturisierung der Geräte immer kleiner werden und zugleich immer mehr Funktionen erhalten, macht eine Abstimmung von Gehäuse und Innenleben schon vor dem Prototyping notwendiger denn je. Ob eine Leiterplatte tatsächlich in ein Gehäuse passt, wollen die Ingenieure nicht erst beim aufwändigen Bau eines Prototypen wissen. Daher müssen sie in der Lage sein, die komplexen Daten aus Mechanik und Elektronik zueinander in Beziehung zu setzen. Weil auch Sennheiser Entwicklungszyklen immer weiter verkürzt, um schnell auf den Markt zu kommen, müssen beide Entwicklungsprozesse parallel zu betreiben sein. "Ohne PDM-System als zentrale Steuerungseinheit mit Verbindungsfunktion wären diese Prozesse heute nicht mehr sinnvoll zu handhaben. Die Software stellt die einzige aussagekräftige und valide Quelle für Produktinformationen dar, im technischen wie auch im Marketing- und Vertriebsbereich", sagt Kelle.

Entwicklung und Produktion sind global organisiert

Das Bluetooth-Headset VMX 100 von Sennheiser verfügt über Dualmikrofontechnik.

Da sich Sennheiser auf Kernkompetenzen konzentriert, werden je nach Produktsparte zum Teil komplette Baugruppen von weltweit verteilten Zulieferern eingekauft. Wenn es nicht gerade zum Beispiel um besonders komplizierte Highend-Produkte wie Studiomikrofone geht - wo es stärker auf die Nähe der Fertigung zur Entwicklung ankommt - spielt es für den Audiospezialisten in der Großserien- und Massenfertigung keine allzu große Rolle, an welchem Ort auf dem Globus das Produkt entsteht. Soll beispielsweise ein Gehäuse oder ein bestimmter Gehäusebereich von einem externen Lieferanten kommen, geht es darum, ihm exakte Vorgaben zu geben und die Randbedingungen klar zu definieren. Auch dabei hilft das Produktdaten-Management. Ein Sennheiser-Konstrukteur betreut die Zusammenarbeit mit den Zulieferern.

Rund 80 Prozent des Umsatzes erwirtschaftet Sennheiser im Ausland. Neben Vertriebsbüros in vielen Ländern unterhält der Hersteller Produktionsbetriebe in Wennebostel und Burgdorf, im irischen Tullamore und in Albuquerque im US-Bundesstaat New Mexico. Auch die Forschung und Entwicklung des niedersächsischen Unternehmens ist global aufgestellt. Enwicklungszentren in Deutschland, den USA, Singapur und China, insgesamt etwa 120 Mitarbeiter, müssen ihre Tätigkeiten koordinieren. Eine funktionierende, strukturierte Zusammenarbeit und Kommunikation über Länder und Zeitzonen hinweg ist hier nur auf Basis eines einheitlichen PDM-Systems möglich. Dies bildet auch die Basis dafür, an einem Standort gewonnene Erkenntnisse weiterzugeben und Wissen zu teilen.

Welche Kundenwünsche sind akzeptabel?

Über 50 Prozent der Produktkosten werden bereits in der Entwurfs- und Entwicklungsphase festgelegt. Umso wichtiger wird es, bereits in frühen Phasen zu bewerten, welche regionalen und individuellen Kundenwünsche wichtig sind.

Entscheidend ist auch die Einbeziehung der Produktion. So wird bei einem neuen Gerät die Herstellung nicht erst nach der ersten Bestellung begonnen und ein auslaufendes Gerät nicht von heute auf morgen eingestellt. Mit Hilfe der Informationen aus dem Produktdaten-Management werden Produktionskapazitäten parallel zu anderen Aktivitäten auf- und abgebaut, dabei liegt ein Schwerpunkt darauf, das Rad nicht immer neu zu erfinden, sondern Bewährtes wieder einzusetzen. "Wir evaluieren immer mal wieder den PDM-Markt, halten unsere Lösung jedoch nach wie vor für optimal", sagt Klaus Höling. Flexibilität, Transparenz, Skalierbarkeit und Benutzerfreundlichkeit sind für Sennheiser dabei die wichtigsten Kriterien. (fn)