Schrumpfen und neu aufstellen

12.03.2009
Die Automobilbranche kämpft mit der heftigsten Krise seit Bestehen. Wie stark sich dort der Sparzwang auf die IT auswirkt und warum sie dennoch mehr denn je als Business Enabler benötigt wird, diskutierte Robert Gammel* mit Branchenexperten.

? Die Automobilbranche steht derzeit vor der einschneidendsten Zäsur in ihrer Geschichte. Mit welchen Auswirkungen sind Sie im Zusammenspiel mit Ihren Kunden konfrontiert?

BARAL: Die Automobilbranche befindet sich ja aus vielerlei Gründen im größten Umbruch seit ihrem Bestehen. Der durch die internationale Finanzkrise noch zusätzlich verursachte sehr deutliche Absatzeinbruch verursacht für unsere Kunden finanzielle Herausforderungen, die spürbar werden.

HONOLD: Stimmt, zur Finanzkrise kommt die abwartende Haltung der Verbraucher, die wegen der steigenden Ölpreise und der Unsicherheiten zukünftiger Energie- und Antriebskonzepte verunsichert sind.

STOLTE: Hinzu kommt, dass beispielsweise in den USA, aber auch in anderen westlichen Ländern die Nachfragespitze seit Jahren überschritten ist und die Schwellenländer diese Nachfrage nicht ausgleichen.

? Wie reagieren die Automobilhersteller in puncto IT-Budgets auf diese Situation?

TRAUTNER: Selbstverständlich spüren wir einen stärkeren Preisdruck. Dabei muss allerdings der partnerschaftliche Ansatz weiterhin gelten können. Wir betreuen zum Beispiel sehr viele Netze und Rechenzentren. In diesem Bereich sind kurzfristige Kostensenkungen nur möglich, wenn auch Abstriche im Leistungsumfang oder Qualität möglich sind. Da aber viele Anbieter mit kleineren Volumina nicht so günstige Konditionen bieten können, erhöht sich auf diese der Druck.

STOLTE: Selbstverständlich ist das für alle eine schwierige Situation, da die OEMs in der Tat Druck auf die Budgets ausüben. Wir versuchen die CIOs, davon zu überzeugen, dass es die falscheste Maßnahme wäre, die IT-Budgets weiter zu drücken, da dadurch die Handlungsspielräume für die Zeit nach der Krise wegbrechen würden.

BARAL: Derzeit ist in den Unternehmen der Rotstift der Controller am Zug. Davon bleibt natürlich auch der IT-Bereich nicht verschont. Es erfordert Überzeugungsarbeit, in den Chefetagen der OEMs Verständnis dafür zu wecken, dass IT vor allem eine Chance in der Krise darstellt. Leider trotzdem werden wichtige Projekte geschoben oder beerdigt.

HONOLD: Einerseits ist die Kostenstruktur bei den Automobilherstellern über die Jahre stark optimiert worden – dies auch dank externer Dienstleister, so dass der verbleibende Spielraum eng geworden ist. Andererseits kommen die jetzigen Sparmaßnahmen auch bei der IT an. Sie muss hier ihren Beitrag leisten, obwohl dieser sich in der Unternehmensbilanz kaum auswirken wird.

? Wie begegnen die Unternehmen dem Kostendruck in der IT?

HONOLD: Am schnellsten lassen sich Kosten vermeiden, indem man Projekte stoppt. Der laufende Betrieb der IT sowie die Infrastruktur sind für schnelle Einsparungen wenig geeignet, auch weil hier meist langfristige Verträge bestehen. Das Stoppen von Projekten führt jedoch zwangsläufig zum Entfall von deren Nutzen in zukünftigen Perioden. Was derzeit zunehmend diskutiert wird, sind nutzungsbezogene Abrechnungsmodelle. Bislang wurden Verträge meist wachstumsorientiert abgeschlossen. Hier müssen wir dahin kommen, dass in guten Zeiten mehr abgerechnet wird und in der Krise reduziert werden kann. Zwischen Kunden und Anbietern sind neue Formen der Zusammenarbeit gefordert.

BARAL: Ja, Quick-Wins bezüglich der Kosten werden im Projektbereich gesehen. Ich schätze, dass rund 60 Prozent der Einsparungen dadurch erbracht werden. Der IT-Betrieb wird deutlich weniger gefordert. IT wird leider noch selten als Management-Werkzeug in der Krise gesehen und derzeit dementsprechend behandelt.

? Sind diese Quick-Wins also nicht eher kosmetischer Natur und verhindern sinnvolle oder notwendige Prozessverbesserungen?

BARAL: Natürlich sind nicht alle Kosteneinsparungen negativ. Allerdings sollte man sich der Rolle der IT für die Globalisierung erinnern, die diese erst ermöglicht hat. Die aktuelle Krise zeigt zum Beispiel deutlichen Handlungsbedarf bei der Unternehmensplanung und -steuerung. Diese Prozesse laufen zum Teil noch immer sehr starr ab. Hier sind dringend Anpassungen erforderlich, um mit der globalen Dynamik Schritt halten zu können.

STOLTE: Die Optimierungspotenziale sind nicht mehr so groß wie früher, weil sich das IT-Management bei den großen Kunden professionalisiert hat. Die Schnittstellen zu den IT-Dienstleistern sind heute nicht nur einkaufsspezifisch, sondern auch fachlich besser besetzt.

? In welchen Bereichen besteht denn noch Potenzial für einen stärkeren IT-Einsatz? Wie sieht es beispielsweise mit den IT-Systemen im Fahrzeug aus?

HONOLD: In der Fahrzeugproduktion kann man die IT mit Reifen vergleichen: Das Auto wird dadurch nicht besser, aber ohne geht es nicht. Ich sehe im Engineering-Bereich weitaus größere Potenziale. Ich denke hier nicht nur an die Produktentwicklung, sondern auch an die Planung von Produktionsstätten wie die Simulation gesamter Fabriken. Da kann IT massive Einsparungen ermöglichen. In diesem Bereich erleben wir auch kaum Kostendiskussionen.

? Werden im Produktionsbereich nicht vorwiegend Eigenentwicklungen eingesetzt? Offenbar können hier externe Anbieter kaum interessante Lösungen anbieten.

STOLTE: Dazu habe ich eine andere Meinung. Wir rollen beispielsweise bei Volkswagen große Systeme aus, die durchaus zu Kostenersparnissen führen. Außerdem muss die Produktion nicht komplett IT-gesteuert sein. Hier hat man inzwischen erkannt, dass ein gesundes Mittelmaß am besten funktioniert. Bei der Entscheidung, "was steuere ich zentral und was fasse ich besser in lokalen Steuerungseinheiten zusammen", sind die deutschen Automobilhersteller schon sehr gut aufgestellt.

BARAL: Die Produktion ist ohne moderne IT nicht mehr denkbar. Durch die erforderliche Integration mit Anlagen sind Veränderungen hier aber eher zäh umsetzbar und stehen unter ähnlichem Kostendruck wie Erneuerungsinvestitionen bei Maschinen. Im Bereich Produktentwicklung hat IT einen deutlich höheren Stellenwert.

? Wir haben bisher viel über die OEMs gesprochen. Wie gehen im Vergleich dazu Händler und Zulieferer in der Krise mit der IT um?

BARAL: Der Handel steht schon immer stark unter Kostendruck, so dass hier bei IT nichts zu holen ist. Anders bei den Zulieferern, die sicher derzeit finanziell in der schwierigsten Lage sind. Allerdings ist IT für sie in den letzten Jahren das Rückgrat zur Steuerung zunehmender Internationalisierung geworden und damit zur lebenserhaltenden Kommunikations- und Lieferstruktur.

HONOLD: Bei den großen Systemzulieferern sehe ich noch große Outsourcing-Potenziale im Betrieb.

STOLTE: Die großen deutschen Zulieferer zeichnen sich durch sehr selbstbewusste und nachhaltige IT-Organisationen aus. Wir beobachten Fälle, in denen Applikationen wieder ins Unternehmen zurückgeholt werden. Die Potenziale für Outsourcing sind da eher theoretischer Natur.

HONOLD: Das ist sicherlich die Faktenlage, die Potenziale bestehen dennoch.

TRAUTNER: Die OEMs haben mittlerweile eine lange Outsourcing-Tradition. Mittelfristig sehe ich das auch für die Zulieferer, da es in vielen Bereichen wirtschaftlich keine Alternative dazu gibt. Momentan sorgen sich die Zulieferer noch sehr um Themen wie Datensicherheit und den Schutz geistigen Eigentums. Außerdem sind viele Zulieferer intern noch stark segmentiert.

BARAL: Die großen Systemlieferanten sind weitgehend recht gut aufgestellt. Bezogen auf Globalisierung des Gesamtgeschäfts sind sie zum Teil weiter als mancher Automobilhersteller. Insourcing von IT kann hier durchaus auch bedeuten, eigene IT-Kompetenzen in Indien aufzubauen und damit Kosteneffekte zu erzielen.

STOLTE: Es fällt schwer, hier pauschale Aussagen zu treffen. So ist zum Beispiel die IT bei Schaeffler ganz anders aufgestellt als Continental oder Bosch.

? Zeichnen sich trotz der verschiedenen Ausgangslagen bei den einzelnen Herstellern und Zulieferern neue IT-Trends ab?

STOLTE: Wir sehen auf der einen Seite nach wie vor das große Thema Standardisierung mittels SAP-Systemen, andererseits erkennen wir auch einen gegenläufigen Trend zu mehr Flexibilisierung und Service-orientierten Architekturen. In diesem Spannungsfeld muss jedes Unternehmen untersuchen, wo das jeweilige Optimum liegt. Großen Bedarf sehe ich bei Engineering-Portalen und bei sicheren Plattformen für die unternehmensübergreifende Zusammenarbeit.

TRAUTNER: Hierzu laufen beim VDA beziehungsweise Odette fruchtbare Diskussionen. Daran müssen sich auch die IT-Hersteller vermehrt beteiligen. Zum Beispiel geht es darum, wie Kommunikationssysteme für verteilte Entwicklerteams gestaltet werden müssen. Hier kann die Krise sogar hilfreich sein, da die Bereitschaft zur Zusammenarbeit wächst. Und hier muss nicht nur die IT ihr Inseldasein überwinden, auch die generelle Bereitschaft zur Zusammenarbeit muss wachsen. Da ging es allen Beteiligten bislang einfach noch etwas zu gut.

? Einer der Megatrends der Branche ist das Billigauto. Lässt sich dieses nur mit Billig-IT produzieren?

BARAL: Das Billigauto ist sicher nur darstellbar, wenn alle relevanten Faktoren ein solches Geschäftsmodell unterstützen. Also auch eine einfachere IT. Hier war das ursprüngliche Smart-Konzept dem viel zitierten Nano in manchem voraus, da nicht nur ein neues Fahrzeug, sondern vor allem auch neue Vermarktungs- und Betriebskonzepte geliefert wurden. In puncto Total Cost of Ownership müssen Billigautos wie der Nano sich sicher erst noch als zukunftsfähig erweisen.

STOLTE: Ein grundsätzliches Merkmal der Billigautos ist ja die fehlende Variantenvielfalt. Damit sinkt die Komplexität, wodurch auch die Anforderungen an die IT sinken. Als es beispielsweise für den Vertrieb des Logan noch keine Vertriebssysteme gab, hat man festgestellt, dass die Konzepte aus dem Premium- und Normalsegment nicht übertragbar sind. Das heißt aber nicht, dass deutsche Unternehmen im Billigsegment nicht konkurrenzfähig sind. So hat beispielsweise Bosch das ABS für den Nano entwickelt und fertigt dieses auch. Das zeigt auch, dass hierzulande die Engineering-Potenziale sehr gut entwickelt sind, ebenso wie die unterstützende IT. Mit mächtigen SAP-Systemen sind Sie dagegen im Billigsegment verloren.

? Erwarten Sie bei den OEMs hierzulande ein Umdenken in Richtung Billigauto, oder werden diese weiterschlafen?

BARAL: Die deutsche Automobilbranche hat in den letzten Jahren extrem gelernt. Erfahrungen wie zum Beispiel in China waren teilweise bitter, aber hilfreich. Es gibt kein anderes Land weltweit mit dieser engen Zusammenarbeit wie Deutschland. Zum Beispiel Bosch mit den OEMs. Vielleicht haben wir vor allem durch diese Dichte und Infrastruktur die besten Karten, die Krise zu meistern.

HONOLD: Die Branche allgemein wie auch die IT speziell haben in den vergangenen Jahren einen sehr guten Job gemacht. Sie können auch heute nicht in beliebigen Schwellenländern Fahrzeugproduktionswerke eröffnen. Da sind wir bei der Infrastruktur, dem Erfahrungsschatz und dem Mitarbeiterpotenzial weit vorne. Die Innovationen werden weiterhin aus Europa kommen, vor allem wenn Betriebs- und Folgekosten mit eingerechnet werden. Das gilt im Übrigen auch für die IT. Auch da spielen ja nicht nur die Anschaffung, sondern auch die laufenden Kosten eine große Rolle.

? Wie bewerten Sie die Chancen für die nähere Zukunft?

STOLTE: Die deutschen OEMs sind bei der Internationalisierung und ihrem Engagement in Schwellenländern unterschiedlich weit. Die derzeitige Krise wird strukurelle Probleme offenlegen, aber auch große Potenziale aufzeigen. Nicht alle OEMs werden das überleben, aber die, die es schaffen, werden daraus gestärkt hervorgehen.

TRAUTNER: Ich erwarte mir viel von neuen Geschäftsmodellen im Handel und Service oder alternativen Modellen wie Carsharing und Mobilitätsservices. Da gibt es für die IT viel mitzugestalten und zu unterstützen. Da laufen viele Feldversuche, die nur noch nicht zum praktikablen Geschäftsmodell gereift sind. Generell habe ich keine Bange, da die Branche sehr innovativ ist.

Meine Herren, ich danke Ihnen für das Gespräch.

Teilnehmer

Ralf Baral, Mitglied der Geschäftsleitung, Mieschke Hofmann und Partner

Markus Honold, Geschäftsführer, SALT Solutions GmbH

Peter Stolte, Head of Industry Consulting Automotive, T-Systems Enterprise Services GmbH

Matthias Trautner, Global Account Director, BT Global Services

Moderation: *Robert Gammel, freier Journalist in München