Anwenderbericht: Petz-Verbrauchermärkte:

Scanning im Westerwald

22.05.1987

Seit t8 Jahren sind Petz-Verbrauchermärkte im Westerwald und den angrenzenden Gebieten zu Hause. Mit dem Wachstum haben sie keine Probleme. Sie bauen auf moderne Elektronik.

"Wir hatten Verkrustungen im Warenbestand, daß uns die Haare zu Berge standen. Viel zu viele Ladenhüter, die sich immer mehr in den Regalen ausbreiteten", so erinnert sich Josef Sanktjohanser, einer der beiden geschäftsführenden Brüder der Petz GmbH, mit Grausen an die Zeit vor dem Tag X, als ihm solche Hemmnisse die Freude am Geschäft verdarben. Mit dem Tag X - am 1. Juli 1985 - begann für die Petz-Leute eine neue Zeitrechnung: "Die Einführung des Scanning" wurde zum geflügelten Wort.

Was ein geschlossenes Warenwirtschaftssystem für ein Unternehmen bedeutet, dem 15 Verbrauchermärkte anhängen, konnte das Petz-Management anfangs nur vage erahnen. Alles wurde auf den Kopf gestellt: Einkauf, Marktgeschehen, Verwaltung, Beleg- und Rechnungskontrolle und besonders die Personalorganisation. Denn mit Scanning hatten Josef und Franz Rudolf Sanktjohanser den alten Methoden abgeschworen: "Unser Unternehmen wird jetzt von der Basis her bestimmt, vom Point-of-Sale. Und das ist das Revolutionäre an der Neuerung, daß die relevanten Informationen nicht mehr vom Einkauf sondern vom Verkauf kommen. Wir arbeiten fortan mit der absoluten Wahrheit."

Arbeiten mit der absoluten Wahrheit

1978 entstand das Verwaltungsgebäude beim Petz-Einkaufszentrum in Wissen. Von hier aus werden seitdem alle Märkte zentral gesteuert. Auf eine eigene EDV-Verwaltung verzichteten die Petz-Leute zunächst, verfügte doch die REWE-Großhandlung Betzdorf über eine leistungsfähige Anlage, deren Kapazität den Märkten von zur Verfügung stand. Doch schon bald zeigte sich, daß die Informationsausbeute aus dem REWE-Rechner zu schwach war. Zur notwendig gewordenen Steuerung der ausufernden Warenwirtschaft testeten die expansionsfreudigen Westerwälder zusammen mit der REWE-Zentrale in Köln und einem Computerhersteller in der Folge verschiedene Programme.

Zur Debatte standen mehrere Systeme, die in ihrer Kapazität für die einzelnen Märkte entweder zu groß oder zu klein waren. Gilbert Hemm, Controller in der Petz-Zentrale, wurde schließlich bei einem Filial-Abrechnungssystem hellhörig. Die Gesamtkosten für die Umstellung auf dezentrale EDV - ein wesentlicher Faktor für den Kaufentscheid - beliefen sich auf ungefähr 0,8 Prozent des Gesamtumsatzes, spitz gezählt gar nur auf 0,7 Prozent.

Hemm hatte bereits 1979 mit Programmierunterstützung der Kölner REWE-Zentrale ein hauseigenes Warenwirtschaftssystem auf Zählwerksebene ausgeklügelt, das Petz-Informationssystem (PIS). Mobile Erfassungsgeräte übermittelten die Bestellungen der einzelnen Märkte ans Zentrallager der REWE auf der Basis zentralseitig ausgedruckter Ordersätze im Lager- und Streckenbereich. Jede einzelne Artikelnummer wurde strichcodiert und mit dem Lesegriffel eingegeben. Im Streckenbereich erhielten die Vertreter ihre Aufträge ausgedruckt. Die gesamte Wareneingangserfassung und auch eine rationelle Rechnungskontrolle war also durch PIS seit geraumer Zeit gegeben - beides wichtige Voraussetzungen für die Einführung eines scannergestützten Warenwirtschaftssystem. Was noch fehlte, waren die artikelgenauen Verkaufszahlen ab Kasse. Als nächsten Schritt - Aufbau und Sammlung von gesicherten Warenausgangsdaten - empfahl der REWE-Datenspezialist Rolf Menne aufgrund der Erfahrungen, die er in anderen REWE-Genossenschaften gemacht hatte, die Einführung von Scannerkassen. Mit Erfolg.

Zunächst wurde ein völlig neuer Artikelstamm entwickelt, der Leitsätze mit Kenninformationen beinhaltete, die beispielsweise die EAN-Nummer, Bezeichnung und Größe einzelner Waren ausweisen. Jedem Leitsatz lassen sich mit diesem System bis zu 999 verschiedene Folgesätze zuordnen. So konnten bis zu 999 Preise - auf Termin gelegt - eingegeben und damit Sonderangebote sowie Dauerkonditionen gesteuert werden. Artikelgenaue Auswertungen ließen sich nun auf der Basis von Warenausgangsdaten über den Rechner der Großhandlung in Betzdorf erstellen.

Menne und Hemm schilderten den Repräsentanten des Computerunternehmens die noch ungelösten Probleme. Gilbert Hemm: "Die notierten sich alles, hörten sich um und boten als marktgerechte Lösung ein multifunktionales Kassensystem an das mit bis zu zehn Kassen und jeweils einem Hintergrundrechner arbeiten kann."

Zusammen mit den neuen Bausteinen eröffnete das hauseigene PIS nun jene Anwendungsmöglichkeiten, wie sie für die spezifische Petz-Situation (15 Verbrauchermärkte im 100-km-Radius) nötig waren. Und, entscheidend für den Controller Hemm: Der Kostensatz lag mit 0,5 Prozent vom Umsatz in dem Bereich der die Anschaffung des Systems aus betriebswirtschaftlicher Sicht rentabel machte.

Für die Gebrüder Sanktjohanser die der Einführung von Scannerkassen bisher eher skeptisch gegenüberstanden, ging nun "die Post rasend schnell ab. Der Start erfolgte am 1. Juli 1985 im Markt des Städtchens Herdorf. Die Chancen des Scanning bargen aber neue Probleme:

Plötzlich hatten wir eine Menge Zahlen, nun fehlten die Leute, die damit umzugehen wußten. Die gesamte Marktstruktur wurde daher umgekrempelt, die Führungsspitze völlig neu organisiert.

Jetzt überwachen mit dem Marktleiter ein Substitut und bis zu drei Warenbereichsleiter die Bestell- und Preispolitik, Preisänderungen, Sonderangebote etwa, kommen am Freitagabend über die Zentrale in Wissen ins System und werden am Montagmorgen im Büro des Marktleiters ausgedruckt. Die Warenbereichsleiter tauschen an den Regalen die Etiketten aus (in der Regel 20 bis 30, bei Aktionen können es auch 100 bis 400 Änderungen sein), lokalisieren dort und am Bildschirm Renner und Penner und bereiten auf der Warenseite die Verkaufsförderung vor. Stundenkräfte füllen in der Zeit von 7 bis 9 Uhr morgens die Regale auf damit den Kunden die Wege freibleiben.

Die Kundenfreundlichkeit bekommt in den Petz-Märkten jetzt eine neue Dimension. Die Kassen sind in den Verkaufszeiten optimal besetzt, nachdem durch regelmäßige wöchentliche Umsatzabfragen die Stoßzeiten zuverlässig zu ermitteln sind. Jeden Nachmittag erfolgt eine "Abschöpfung", wenn die Kassen unter Eingabe der jeweiligen Bedienerhummer geleert, die Beträge in die Kassen eingegeben und an den Hintergrundrechner weitergeleitet werden. Die Endabrechnung am Abend ist nun pro Kasse in fünf Minuten erledigt.

"Das Phantastische am Scanning überhaupt ist, daß wir zu jeder Zeit abrufbare Informationen direkt von jeder einzelnen Kasse bekommen, tagesgenaue Ist-Rechnungen zu den Soll-Rechnungen", vermerkt Josef Sanktjohanser mit echter Begeisterung. Und wenn der Diplomkaufmann an die zu erwartende am Gesamtumsatz gemessene Kostenersparnis von 0,9 Prozent denkt, weiß er sich mit seiner Geschäftspolitik auf guten Wegen.

Ein weiteres Ziel ist, die Mitarbeiter am Bildschirm soweit zu trainieren, daß sie selbständig entscheiden und handeln können. Zeitreserven können sie nun von für die Kundenbetreuung nutzen. Für den Geschäftsführer, der sich augenblicklich "wettbewerbsmäßig von im Clinch" sieht, ist das die Garantie, auf lange Sicht gegenüber der großen Schar von namhaften Konkurrenten stets eine Nasenlänge voraus zu sein. Hier sind es besonders die Discounter, gegen die sich die Petz-Märkte durch einen aufmerksamen Kundenservice und durch ein tieferes und breiteres Sortiment abgrenzen wollen.

Immerhin reicht die Kapazität des Marktrechners für das Handling von 25 000 Artikeln aus. Aldi-Filialen, mit denen sich Petz durch Untermietverträge zu arrangieren sucht, führen nur etwa 700 Artikel. "Diese Kombination ist unschlagbar", versichert Josef Sanktjohanser.

So sind die innovationsfreudigen Verbrauchermarktgenossen gerade zur rechten Zeit auf den Scannerzug gesprungen. Denn mit ihrer modernen elektronischen Anlage können sie jetzt flexibel auf die harten Wettbewerbsbedingungen reagieren, um Umsatzeinbußen und Stagnationen auszugleichen. Von 1984 bis 1986 hielten sich die Jahresumsätze der Petz-Gruppe (heute: 650 Mitarbeiter) bei 200 Millionen Mark, eine Zahl, die trotz Standortbereinigungen und Schließungen unrentabler Märkte gehalten werden konnte. In Waldbröl ist bereits ein zweiter Markt mit Scannerkassen ausgerüstet. Die bis Ende 1987 anstehenden Neuerungen werden unmittelbar mit dem neuen System ausgestattet.

Für die Sanktjohanser und ihre Kommanditisten in jedem einzelnen Fall eine zusätzliche unternehmerische Stärkung: "Standortbereinigung nach außen, EDV-Einsatz mit allen gebotenen Möglichkeiten nach innen, so geht es bei uns weiter mit Musik".