Produkte zu spät und instabil

SAPs neue Dimension steht unter einem schlechten Stern

25.06.1999
MÜNCHEN (CW) - Vor negativen Schlagzeilen kann sich die SAP AG derzeit nicht retten. Erst der Verlust zweier Großkunden in den USA, dann das unrühmliche Ende eines Projektes bei der SPD, und jetzt stehen die verspäteten und fehlerhaften Produkte im Kreuzfeuer der Kritik. Das "Wall Street Journal" zeichnete ein Plauderstündchen mit Ex-SAP-Mitarbeitern auf.

Prominenter kann ein Verriß nicht plaziert sein: "SAP quält sich, seiner Positionierung eine neue Dimension zu geben", titelt das "Wall Street Journal Europe" (WSJ) auf der ersten Seite. Gemeint ist die Ausrichtung der Walldorfer weg vom Anbieter von Enterprise-Resource-Planning-(ERP-)Software hin zu einem Lieferanten von Front-Office-Produkten. Dazu zählen neben Lösungen für das Kunden- und Lieferketten-Management auch E-Commerce-Produkte.

Gleich ein halbes Dutzend ehemaliger SAP-Manager lassen in dem Beitrag kein gutes Haar an ihrem ehemaligen Brötchengeber: "SAP hatte 1993 die richtige Antwort auf Probleme der Unternehmenskunden. Das ist heute nicht mehr der Fall", tönt Scott Smith, Ex-Vertriebsmann bei SAP in den USA und damals zuständig für die "New-Dimension"-Produktfamilie der Walldorfer. Heute arbeitet er bei SAPs Erzrivalen Oracle.

Kritisiert wird von Anwendern und Analysten vor allem, was bisher als Ergebnis des Projekts "Scope" (Supply Chain Optimization, Planning and Execution) vorliegt. So wird das Rechenverfahren "Live Cache", das bei SAPs SCM-Lösungen zum Einsatz kommen soll, von Anwendern und eigenen Entwicklern scherzhaft als "Live Crash" bezeichnet. Die Software sei instabil und neige zu Abstürzen. Damit nicht genug: Was in puncto CRM-Software bisher gezeigt wurde, seien alles "Attrappen", behauptete Greg McKee, ein ehemaliger SAP-Mitarbeiter.

Die Entwicklung der so heftig kritisierten New-Dimension-Produkte wurde in den SAP Labs in Palo Alto, Kalifornien, begonnen, dann in Rußland und Indien weitergeführt. Ex-Mitarbeiter berichten, daß viele Programme doppelt entwickelt oder in Walldorf mit Abap neu geschrieben wurden. So landete die Fertigstellung zu guter Letzt wieder in Walldorf.

Einen Verantwortlichen für die Entwicklungskrise beim viertgrößten Softwarehersteller der Welt liefert die Wirtschaftsgazette mit: SAP-Vorstandsmitglied Peter Zencke habe die Prozesse verschleppt, da er in alle Aspekte der Entwicklung involviert sein möchte. Auch habe er strategische Perspektiven falsch eingeschätzt. Bei den Kooperationsverhandlungen mit I2, dem Marktführer im Bereich SCM, soll er geäußert haben, daß Unternehmen die I2-Lösungen nicht haben wollen, da diese Software nur Randbereiche der betrieblichen Aufgaben abdecke. SAP-Vorstandssprecher Hasso Plattner scheint die verspätete Lieferung der New-Dimension-Produkte wenig zu stören: "Es hat sich gezeigt, daß es nicht wichtig ist, immer der erste zu sein." Man müsse einfach nur besser sein. Die Anwender jedenfalls warten auch darauf noch.