Business-Software für den Handel

SAP und Oracle drängeln an der Kasse

09.10.2008 von Frank Niemann
Zu den Branchen, in denen die Softwareindustrie noch nicht mit Standardprodukten vordringen konnte, zählt der Handel. Nicht zuletzt deshalb haben es Softwarekonzerne wie SAP und Oracle auf diese Firmen abgesehen. Sie rechnen damit, dass Handelsunternehmen ihre oft veralteten Warenwirtschafts- und Kassensysteme durch neue Produkte ersetzen.

Eine Großbaustelle des Handels findet sich an der Kasse, auch "Point of Sale" (PoS) genannt. "Alle zehn Jahre tauscht der Handel die PoS-Lösung aus, und diese Phase hat gerade begonnen", so Peter Kabuth, der bei SAP für die Handelslösungen verantwortlich ist. Kabuth zufolge fließen im Handel etwa 30 Prozent der Investitionen in die Läden, der Löwenanteil davon in PoS-Systeme. Die Firmen schaffen neben der Kassenhardware auch neue Software an.

Der Handel will neue Kassensysteme und -software

Seit der Übernahme des Spezialisten Triversity verfügt SAP über eine PoS-Software, die sich mit Hardware von Drittfirmen verbinden lässt. Laut dem SAP-Manager spielen bei der Entscheidung für ein PoS-Produkt die Wartungskosten eine Rolle. Beispielsweise sollen sich Kassensysteme im Store per Fernzugriff einfach konfigurieren lassen. Auch SAPs Erzrivale Oracle will im PoS-Segment mitmischen, und zwar mit Produkten, die der Softwarekonzern durch die Übernahme von 360commerce erwarb.

Laut Lynn Thorenz, auf Handels-IT spezialisierte Beraterin bei Pierre Audoin Consultants (PAC) in München, muss SAP die PoS-Lösung noch erweitern. Dazu zählt die Lokalisierung. Während etwa der Spezialist Wincor Nixdorf Kunden in 40 Ländern unterstützt, ist das SAP-Produkt bislang beispielsweise noch nicht in allen Ländern in Osteuropa verfügbar.

Über Datenanalysen den Kunden kennen lernen

Der Modernisierungsdruck im Handel wächst auch anderswo. Mehr denn je wollen Manager dieser Firmen wissen, was ihre Kunden wo einkaufen. "Aus einer guten Datenbasis lässt sich eben besser analysieren, wie die Kunden ticken", so PAC-Expertin Thorenz. Ihr zufolge suchen die Firmen deshalb nach Wegen, die Qualität ihrer Daten zu erhöhen. Wer das bereits getan hat, investiert in analytische Software, um die bestandsführenden Applikationen zu ergänzen.

Lagerkosten senken, den besten Preis finden

Einerseits hat der Handel in Sachen IT Nachholbedarf, andererseits steht er unter ständigem Margendruck, was den Spielraum für umfängliche IT-Investitionen einengt. Aus diesem Grund geben dem SAP-Experten Kabuth zufolge die Händler ihr Geld zwar einerseits für Innovationen aus, wollen andererseits aber die Lagerkosten drücken und Ausgaben für Personal einsparen. "Der Handel spürt den wirtschaftlichen Abschwung als Erster. Er sucht daher mehr denn je nach Wegen, seine Profitabilität zu steigern", so Christian Harnisch, der für den Softwarekonzern Oracle das Europa-Geschäft mit Retail-Software verantwortet. Schon ein bis zwei Prozent mehr Marge seien für die Firmen ein großer Erfolg. Dem französischen Oracle-Manager zufolge seien Handelsunternehmen derzeit neben den bereits erwähnten Produkten für ihre Ladengeschäfte an Applikationen vor allem für die Merchandising-Planung und für die Preisfindung interessiert. Sie benötigten Planungswerkzeuge, die ihnen zeigen, wie sich Preisänderungen auf ihren Absatz auswirken. "Schon heute planen und analysieren die Anwender im Handel, doch viele verwenden dazu Excel statt spezialisierter Software." Solchen Unternehmen will Oracle die im Sommer vorgestellte "Retail Suite 13" oder zumindest Teile davon verkaufen. Mit ihr sollen die Händler ihre Prozesse standardisieren können. Oracle zufolge wurden in der Produktsuite handelsspezifische Anwendungen sowie Datenanalysefunktionen integriert.

Schon heute planen und analysieren die Anwender im Handel, doch viele verwenden dazu Excel statt spezialisierter Software. Christian Harnisch, Europaverantwortlicher für das Retail-Geschäft bei Oracle.

Der Datenbank- und Applikationsanbieter hatte in den letzten Jahren einige Softwarespezialisten gekauft, darunter Retek, an dem auch SAP interessiert war. Bausteine für die Lieferkettensteuerung sollen dafür sorgen, dass in den Ladenregalen die Produkte vorrätig sind, die der Kunde will. Rückschlüsse über das Kaufverhalten sollen Auswertungen von Absatzzahlen aus den Geschäften liefern - Oracle spricht hier von "Retail Intelligence". Darüber hinaus soll der Regelkreis verhindern, dass der Handel seine Lager mit Ladenhütern füllt, die zwar keinen Umsatz bringen, aber Lagerkosten verursachen.

Weitere Funktionen der Suite ermitteln den besten Preis für ein Produkt. Zudem verspricht Oracle den Händlern Module, mit denen sie ermitteln können, ob ihre weltweiten Filialen profitabel arbeiten. Vermehrt eröffnen die Firmen Geschäfte beispielsweise in Osteuropa und benötigen dort Geschäftssoftware und Kassensysteme, die sowohl die lokalen Steuer- und Finanzgesetze berücksichtigen als auch die Sprachen unterstützen.

Handel kann Prozesse industrialisieren

Aus einer guten Datenbasis lässt sich eben besser analysieren, wie die Kunden ticken, meint Lynn Thorenz, Retail-Spezialistin beim Beratungshaus PAC.

Der Hauptkonkurrent von Oracle hat mit "SAP Retail" eine Industrielösung zusammengestellt, die auf der Grundlage der ERP-Software handelsspezifische Ausprägungen bietet. Auch SAP verspricht den Handelsunternehmen, ihre Prozesse von der Kasse bis in die Lieferkette zu steuern sowie über Planungs- und Statistikfunktionen Entscheidungen bezüglich Warenangebot, Preis und Lieferlogistik zu unterstützen. Die Automatisierung hat nach Ansicht der Softwarefirma hier noch nicht so sehr Einzug gehalten wie in anderen Branchen. "Der Handel tickt noch nicht industriell", bringt es der SAP-Manager Kabuth auf den Punkt. Dabei ließen sich etwa 85 Prozent der Abläufe des Handels automatisieren.

Die SAP-Software soll nicht nur Daten verwalten und Transaktionen abwickeln, sondern dem Handel darüber hinaus erlauben, genauere Bedarfsvorhersagen zu treffen und die Preise festzusetzen, indem viele Einflussfaktoren berücksichtigt werden.

Preisbestimmung nach Lage, Altersgruppe und Warentyp

Wie Oracle baut SAP das Retail-Portfolio aus. Die vom Softwarekonzern übernommene Firma Khimetrics soll den SAP-Baustein für das Forecast and Replenishment ergänzen. Algorithmen berechnen, wie viel ein Produkt in einem Laden im Süden von München kosten sollte, den vorwiegend eine bestimmte Altersgruppe aufsucht. Neben der Warengruppe, bei der der Konsument mehr oder weniger auf den Preis schaut, beeinflussen die Demografie, der Standort eines Ladens und sogar das Wetter die Preisgestaltung.

Darüber hinaus sollen Khimetrics-Funktionen helfen, den künftigen Bedarf für bestimmte Artikel vorherzusagen. Neben Erfahrungen aus der Vergangenheit schließt das die für eine Warengruppe typische Diebstahlsquote ein.

Der Handel tickt noch nicht industriell. Peter Kabuth, verantwortlich für Retail-Lösungen bei SAP.

Weitere Entwicklungen von SAP zielen darauf ab, die Qualität der Stammdaten zu steigern. Darum will der Konzern das dafür vorgesehene "Netweaver"-Produkt "Master Data Management" um handelsspezifische Merkmale erweitern. Künftig wird MDM in der Lage sein, Daten von generischen Artikeln (auch Sammelartikel genannt) zu verwalten. Sammelartikel sind beispielsweise Kleidungsstücke, die in unterschiedlichen Ausführungen (Farbe, Sorte und Größe) vorliegen. Weiterentwickeln will der Anbieter auch die Kunden-Management-Software "SAP CRM". Erweiterungen des Datenmodells sowie eine für den Handel angepasste E-Commerce-Funktion stehen an.

Mit CRM-Features für den Handel will auch Oracle punkten. Das aus der Siebel-Software hervorgegangene "Oracle CRM" soll Loyality-Angebote, zum Beispiel Kundenkarten, unterstützen. Wenn ein Stammkunde an der Kasse steht, könnte er Sonderkonditionen erhalten. Hierzu kann das Geschäft die CRM-Applikation sowohl mit der PoS-Software als auch mit dem Retail-Backend verknüpfen.

Oracle verfolgt Best of Breed-Strategie

Obwohl die Ansätze von Oracle und SAP sich ähneln, verfolgen beide unterschiedliche Strategien. Oracle vermarktet Retail-Funktionen in einer Suite, die Nutzer über die hauseigene Fusion-Middleware mit eigenen Geschäftsanwendungen, auch denen von SAP, verbinden können. Laut Harnisch könnten Anwender beispielsweise anfangs nur die Merchandising-Features einführen statt auf einen Schlag die gesamte Suite.

SAP vermarktet ERP mit Handelsaufsatz

SAPs Retail-Angebot setzt im Gegensatz zu Oracles Produktkonzept die eigene ERP-Software voraus. Viele Handelsunternehmen steuern ihre Buchhaltung und die Personalverwaltung bereits mit SAP-Software. Diesen Gesellschaften wollen die Walldorfer zusätzlich handelsspezifische Software verkaufen.

Andere IT-Lösungen für den Handel

Neben den Softwaregiganten gibt es zahlreiche Spezialisten. Zu den namhaften PoS-Softwareanbietern zählen laut Lynn Thorenz, Analystin bei Pierre Audoin Consultants (PAC) in München, unter anderem GK Software, Torex Retail und Digipos sowie NCR und Wincor Nixdorf.

Andere Hersteller konzentrieren sich auf Prognoselösungen, mit denen der Handel Bestände optimieren soll. PAC nennt hier die SAF AG aus Zürich. Sie entwickelt Programme, mit denen Händler ihre Nachschubplanung aus der Nachfrage der Käufer ermitteln können. Die Schweizer wenden sich dabei unter anderem an SAP-Kunden, die bestehende ERP-Umgebungen um die Prognosefunktionen ergänzen wollen.

Warenwirtschaftssysteme für den Handel vermarkten Softwarehäuser wie Maxess, Bison, Salt Solutions, Compex, Superdata und Aldata. An Firmen des produktionsnahen technischen Handels richten sich Hersteller wie Proalpha, SoftM, Sage Bäurer sowie GWS. Letzterer Anbieter entwickelt eine Lösung, die auf Microsoft Dynamics NAV aufsetzt.