ERP

SAP ändert die Spielregeln

19.03.2009 von Martin Bayer und Frank Niemann
Schneller, als so manchem lieb ist, verwandelt sich SAP: Nicht mehr die Entwickler, sondern Marketing und Vertrieb haben das Sagen.

Noch immer beherrscht der "Enterprise Support" die Gemüter vieler SAP-Nutzer. Für die Walldorfer ist der Gegenwind ungewöhnlich. Volker Merk, Deutschlandgeschäftsführer von SAP, musste sich auf einer Tagung der Deutschsprachigen Anwendergruppe (DSAG) eine Menge anhören. Sogar laute Buhrufe waren im geschlossenen Zirkel zu hören, berichtet ein Insider.

Ende 2008 hatte SAP die von den Anwendern harsch kritisierte Kündigung der Wartungsverträge für den Standardsupport zurückgenommen. Im Grundsatz halten die Walldorfer aber an ihrer Idee des teureren Enterprise Support fest - weshalb das Thema für die Kunden längst noch nicht vom Tisch ist (siehe "Warum die DSAG den Enterprise Support ablehnt").

Nach Angaben von Volker Merk haben inzwischen etwa 90 Prozent der Anwender wieder einen Wartungsvertrag. Die restlichen Softwarenutzer würden später folgen. Insbesondere bei Behörden komme es hier zu Verzögerungen (siehe "SAP will Kunden vom Wartungsmodell überzeugen"). Die meisten von den Rückkehrern haben ihren alten Standardsupport-Vertrag reaktiviert. Merk zufolge hätten sich 20 Prozent der Softwarenutzer, deren Verträge gekündigt wurden, für den neuen Enterprise Support entschieden.

Verteuerung des SAP-Standardsupport

Ungemach droht, weil SAP ab 2010 von seinem vertraglich vereinbarten Recht Gebrauch machen will, die Wartungsgebühren für die Standardwartung entsprechend des Lohnkostenindex anzupassen, und zwar rückwirkend (siehe "Debatte um SAP-Wartung geht weiter"). Somit würde der Hersteller unter Umständen Unternehmen, die stabile ERP-Umgebungen betreiben und wenig Hilfestellung von SAP benötigen, hohe Wartungsaufschläge zumuten, während Kunden mit neueren Verträgen weniger Aufschlag zu zahlen hätten. Deshalb drängt die DSAG darauf, die Gebühren nur ein Jahr rückwirkend anzuheben. Andernfalls könnten langjährige Bestandskunden so gezwungen sein, den umstrittenen Enterprise Support in Anspruch zu nehmen, weil dieser für sie günstiger wäre.

Wohl auch deshalb gibt sich Merk in Sachen Enterprise Support optimistisch. "Bis 2010 oder 2011 werden alle Kunden auf das neue Wartungsmodell umgestiegen sein", versicherte der Manager (siehe auch: "SAP will Kunden vom Enterprise Support überzeugen"). Er verweist dabei auf eine geplante Aufklärungskampagne: Bei den Anwendern vor Ort sollen die Funktionen und Leistungen des Enterprise Support genau erläutert werden. Sie hätten durchaus Bedarf für umfangreiche Wartungsleistungen.

Über 50 Prozent der Support-Anrufe bei der SAP resultieren aus Problemen, die nichts mit unserer Software zu tun haben, meint SAP-Deutschlandchef Volker Merk.
Foto: SAP

Laut Merk könnten sich die Angestellten, die bei den Kundenunternehmen die ERP-Systeme verwalten, künftig stärker auf die Anpassung der Software an neue Geschäftsprozesse kümmern, da mit Enterprise Support administrative Aufgaben an SAP übergehen. Zudem rechtfertige die steigende Komplexität der IT, die aus SAP- und Nicht-SAP-Lösungen bestehe, bei den Kunden umfangreichere Wartungsdienste. "Über 50 Prozent der Support-Anrufe bei der SAP resultieren aus Problemen, die nichts mit unserer Software zu tun haben", behauptet der Deutschlandchef.

Überzeugungsarbeit für Enterprise Support

Überzeugungsarbeit ist nötig, denn nach Aussagen der ERP-Anwender bietet der neue Enterprise Support Leistungen, die für viele überdimensioniert sind. Ihrer Meinung nach sollen sie für Services zahlen, die sie nicht benötigen. "Solange insbesondere der Mittelstand im Enterprise Support keinen Mehrwert erkennen kann, wird es Widerstand geben", meint Cristian Wieland, Senior Analyst bei der Marktforschungsfirma Raad Research.

Diskussionsbedarf zwischen Anwendern und Hersteller gibt es also reichlich (siehe auch "Debatte um SAP-Wartung geht weiter"). Die DSAG-Mitglieder verlangen weiterhin flexible Supportmodelle, bei denen Firmen je nach Bedarf unterschiedlich aufwändig bedient werden. Solche Wahlmöglichkeiten schließt SAP aber aus.

Manche Firmen überdenken ihre IT-Strategie

Nicht ausgeschlossen ist dagegen, dass die Kunden weiter Druck machen. "Die SAP-Nutzer haben gemerkt, welche Macht sie gemeinsam haben. Richtig koordiniert können sie wohl auch andere Forderungen durchsetzen", so Rüdiger Spies, Independant Vice President Enterprise Applications beim Marktforschungsunternehmen IDC. "SAP erleidet einen Imageschaden, der sich längerfristig auch finanziell negativ auswirken kann", so der Analyst.

Für viele Firmen war es bisher selbstverständlich, bei IT-Neuanschaffungen zunächst die Lösungen aus Walldorf zu begutachten. Mit SAP war man auf der sicheren Seite, und das sollte so bleiben. Über Defizite der Software, gelegentliche Kurswechsel in der Produktstrategie und manchen Ärger im ERP-Betrieb sahen viele großzügig hinweg. Die Nutzer waren bestrebt, möglichst viele Anforderungen mit SAP-Produkten abzudecken. Das Walldorfer Softwarehaus konnte die IT-Strategie seiner Kunden zu einem großen Gutteil mitbestimmen.

Beziehung zwischen SAP und den Kunden kriselt

Mit der unangekündigten Wartungserhöhung hat SAP - vermutlich in dieser Dimension unbeabsichtigt - die Loyalität vieler Kunden verspielt. Die Anwender sprechen heute laut vernehmlich über Qualitätsmängel und die stetig wachsende Komplexität ihrer SAP-Landschaft. Unzufriedenheit äußern sie auch über die Supportleistungen ihres Softwarepartners.

SAPs Wartungspolitik hat mehr als nur Ärger ausgelöst. Nach Angaben der DSAG wollen viele Firmen bei Softwareprojekten wesentlich eingehender als bisher Alternativprodukte begutachten (siehe "Wir wollen die alte SAP wiederhaben". Laut der Anwendervereinigung überdenken Firmen ihre SAP-zentrische IT-Strategie auch deshalb, weil sie sich bewusst geworden sind, wie gefährlich es ist, von einer Branchengröße abhängig zu sein.

Die neue Nachdenklichkeit in der SAP-Anwenderschaft fällt in eine Zeit, in der viele Firmen den Gürtel ohnehin enger schnallen müssen. Die Frage ist, ob SAPs Kalkül, dass sich Kunden keine Schnittstellenprobleme einhandeln wollen und deshalb auf die voll integrierte, umspannende SAP-Software setzen, auf Dauer noch aufgehen wird. In der Tat können Best-of-Breed-Umgebungen teuer werden, müssen doch jeweils Spezialisten vor Ort sein, die Drittsysteme pflegen und betreiben. Viele Firmen haben in den letzten Jahren allerhand Aufwand geleistet, um Nicht-SAP-Systeme durch ERP-Komponenten aus Walldorf zu ersetzen.

"Alles aus einer Hand" gilt nicht mehr

Doch an das Argument, alles aus einer Hand bieten zu können, glaubt SAP mittlerweile selbst nicht mehr: Der Kauf des Business-Intelligence-Anbieters Business Objects zeigte deutlich, dass der ERP-Spezialist nicht mehr ausschließlich auf die eigenen Stärken vertrauen kann. Und unlängst kündigte SAP an, sich beim Softwarehaus Sybase Hilfe zu holen, um die Business Suite endlich auch für die zahlreichen mobilen Endgeräte zu öffnen (siehe "SAP mobilisiert die Business Suite").

Der Business-Objects-Deal kam für viele Kunden überraschend, da sie sich zuvor darauf verlassen hatten, SAP werde sämtliche Funktionen auf der eigenen Plattform entwickeln, auch wenn es mal ein Weilchen dauert. Für so manchen Kunden stellte die milliardenschwere Übernahme eine deutliche Abkehr von der bisherigen Geschäftsstrategie dar: Mit Business Objects erwarb SAP nicht nur etablierte Produkte, sondern auch zahlreiche Neukunden. Einerseits können Firmen so manche Business-Objects-Lösung gut gebrauchen, andererseits ist aber noch immer nicht in allen Punkten klar, wie die Produktlinien beider Softwarehäuser zusammenwachsen sollen. Einige Anwender fürchten zudem, durch die Integrationsarbeit könnten andere Entwicklungsprojekte rund um Netweaver auf der Strecke bleiben. Dass auch SAP Softwareprojekte über den Kopf wachsen können, belegt die Hängepartie um Business ByDesign. Hier kämpft der Konzern noch mit Schwierigkeiten und liegt merklich hinter dem ursprünglichen Zeitplan zurück.

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Kultureller Wandel

Die SAP konnte sich bisher von Konkurrenten wie Oracle abheben, da sie auf große Übernahmen verzichtete. Nun wird das badische Softwarehaus dem Rivalen ähnlicher. Der kulturelle Wandel der SAP setzt sich fort. Langjährige Mitglieder des Topmanagements wie Entwicklungsvorstand Peter Zencke, Personalvorstand Claus Heinrich und auch etliche Bereichsleiter haben das Unternehmen verlassen. Unlängst löste den obersten Netweaver-Entwickler und SAP-Urgestein Klaus Kreplin der aus dem Business-Objects-Lager stammende Hervé Couturier ab. Der erfahrene Softwareexperte wird sich zunächst damit beschäftigen müssen, die Softwareteams beider Firmen zusammenzuführen und die SAP-Plattform besser kennen zu lernen. Im Mai verlässt mit Henning Kagermann der letzte Topmanager mit Entwicklungshintergrund die Führungsriege. Das ist vielleicht nicht schlimm, für SAP-Kunden aber ungewohnt. Schwerer wiegt da die Frage, ob sich SAP vermehrt anderen Märkten zuwenden wird, die mehr Wachstum versprechen.

Apotheker trimmt SAP auf Effizienz

Schon jetzt hat Vertriebsprofi Léo Apotheker, der sich bis Mai den Vorstandsposten mit Kagermann teilt, praktisch das Zepter in der Hand. Sein Wirken hinterlässt deutliche Spuren, denn der künftige SAP-Chef trimmt den Konzern auf Effizienz. Schneller, als so manchem lieb ist, wandelt sich Deutschlands größter Tüftlerwerkstatt zu einer international aufgestellten Gelddruckmaschine, die mit Microsoft und Oracle vergleichbar ist.

Léo Apotheker

  • Im Mai übernimmt Léo Apotheker, Jahrgang 1953, den Chefposten bei SAP. Seit April 2008 teilt er sich die Konzernleitung mit Henning Kagermann, der demnächst ausscheidet. Apotheker ist international erfahren und spricht fünf Sprachen.

  • Ursprünglich galt Shai Agassi als Nachfolger Kagermanns. Der Kronprinz warf aber vor zwei Jahren das Handtuch, nachdem klar geworden war, dass er länger als erwartet auf den SAP-Thron warten hätte müssen (siehe auch "Agassi verlässt SAP").

  • Apotheker ist seit 2002 im SAP-Vorstand und leitet Beratung, Schulung, Marketing, Industrielösungen und Partner-Management.

  • Er gründete die SAP-Standorte in Frankreich und Belgien und war für das Gebiet Südwesteuropa verantwortlich.

  • Experten rechnen damit, dass der SAP-Chef den Konzern stärker in Richtung Vertrieb ausrichtet (siehe auch "Analysten kommentieren das Stühlerücken bei SAP").

Um die Margenziele auch in schwierigen Zeiten zu erreichen und wie gewohnt mit zweistelligen Wachstumszahlen zu glänzen, will Apotheker alte Zöpfe abschneiden. Da scheint es durchaus Potenzial zu geben: "In manchen Abteilungen hat SAP künstlich Hierarchieebenen geschaffen. So sind in bestimmten Firmenbereichen Grenzen entstanden, die SAP nun einreißen sollte", erläutert Frank Naujoks, ERP-Experte und Research Director bei der Unternehmensberatung i2s aus der Schweiz.

Interne Umstrukturierungen hat Apotheker bereits angekündigt. Ende 2008 wurde ein Sparprogramm verhängt, und erstmals hat SAP Entlassungen im großen Stil vor. Die Angestellten werden diese und andere Maßnahmen nicht gerade beklatschen. Ähnlich wie die Kunden spüren auch sie, dass sich SAP verändert. "Die Stimmung in der Belegschaft ist gut", versicherte Apotheker noch während der IT-Messe CeBIT. Doch das sehen nicht alle so. Ein namhaftes SAP-Partnerunternehmen erhält eigenen Angaben zufolge zurzeit so viele Bewerbungen von SAP-Angestellten wie nie zuvor.

SAP hat noch keine massiven Probleme

Hat SAP massive Probleme? Noch nicht. Der Konzern muss aber aufpassen, auf dem Weg zum Margenziel nicht seine treuen Kunden zu verlieren und potenzielle Neukunden abzuschrecken. Im Business-Software-Segment haben die Walldorfer wegen ihrer hohen Marktdurchdringung und ihres Know-hows bei Geschäftsprozessen nach wie vor eine Ausnahmestellung. Und dass der Konzern auf seine Kunden hören kann, auch wenn diese mitunter laut rufen müssen, belegt die Strategie, die aktuelle Geschäftssoftware für die nächsten fünf Jahre nicht grundlegend zu ändern. Firmen begrüßen trotz aller Wartungskritik, dass sie vorerst keine umfangreichen Release-Wechsel vornehmen müssen, wenn sie auf die aktuellen Lösungen ERP 6.0 und die ab Mai verfügbare Business Suite 7 umsteigen. Auch das Konzept der "Enhancement Packages", mit denen SAP das Ende umfangreicher Upgrades verspricht, kommt bei den Anwendern an, wenn auch noch Erfahrungen fehlen. Diese Planungssicherheit hat ihnen in der Vergangenheit gefehlt.

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