Berlecon-Analyse

SaaS-Anbieter erreichen den Mittelstand nicht

17.09.2009 von Joachim Hackmann
Mietsoftware bietet mittelständischen Anwendern einige Vorteile. Dennoch gibt es nur wenige SaaS-Beispiele im Mittelstand.

Das Marktforschungshaus Berlecon sieht die Anbieter von Mietsoftware in der Pflicht, ihre Vertriebswege zu verbessern. Obwohl der Mittelstand immer wieder im Fokus steht, wenn das Marktpotenzial von Software as a Service (SaaS) diskutiert wird, hinkt der Zuspruch den Erwartungen hinterher. Doch gerade den kleinen und mittelgroßen Unternehmen bietet das Modell Vorteile, denn das zentrale Wertversprechen von SaaS besteht darin, State-of-the-Art-IT-Lösungen ohne hohe Anfangsinvestitionen bei flexiblen Nutzungsmöglichkeiten und Abrechnungsmodellen bereitzustellen. Gerade für den Mittelstand sind Flexibilität und Skalierbarkeit wichtige Wettbewerbsfaktoren. Gleichzeitig verfügen die Unternehmen häufig nicht über die erforderlichen finanziellen und personellen Ressourcen, um in Anschaffung und Betrieb immer top-aktueller Technologien zu investieren.

SaaS-Boom ist noch nicht in Sicht

Der Befragung zufolge winken mehr als dreiviertel der mittelständische Unternehmen ab. Sie brauchen SaaS nicht.

Trotz einer mittlerweile beträchtlichen Zahl an Angeboten, kann von einem SaaS-Boom im Mittelstand nicht die Rede sein, schildert Berlecon die Lage. Die Marktforscher berufen sich auf eine Studien von IBM und Impulse aus dem Jahr 2008. Demnach liegt der Anteil der mittelständischen Unternehmen mit SaaS-Erfahrung gerade einmal im niedrigen zweistelligen Bereich (siehe Grafik). Die Mehrheit der Mittelständler hat vom SaaS-Konzept offenbar noch nicht einmal etwas gehört.

Marketing und Vertrieb sind gefordert

SaaS ist im Mittelstand weitgehend unbekannt. 60 Prozent der Befragten aus kleinen und mittelgroßen Firmen kennen den Begriff nicht.

Diese Ergebnisse deuten laut Berlecon darauf hin, dass die SaaS-Anbieter bei Vertrieb und Marketing ihrer Lösungen noch vor immensen Herausforderungen stehen. So erfordert die Erschließung des SaaS-Massenmarktes "Mittelstand" auch massenmarkttaugliche Vertriebsstrukturen. Eine auf Großkunden ausgerichtete Vertriebsorganisation kann dies nicht leisten. Ein Besuch vor Ort, geschweige denn ein Geschäftsessen, ist bei den knappen Margen in diesem Geschäft einfach nicht drin. Und allein auf das Internet als Marketing- und Vertriebskanal zu setzen und darauf zu hoffen, dass der interessierte Mittelständler dort seine Kreditkartenkartendaten hinterlässt, um einen Dienst zu buchen, ist schlicht unrealistisch.

Das Ökosystem der Partner muss stimmen

Mehr als die Hälfte der Unternehmen halten SaaS für aufwändig und unpraktisch.

Ein funktionierendes Ökosystem für den Vertrieb von SaaS-Lösungen im Mittelstand verlangt vielmehr Player, die einerseits über den Zugang zum Mittelstand und Strukturen für den Massenvertrieb verfügen sowie andererseits auch fachlichen Support auf Augenhöhe leisten können. Vor diesem Hintergrund verwundert es nicht, dass sich immer häufiger sowohl TK-Unternehmen und Internet Services Provider (ISPs) als auch ITK-Distributoren, -Händler und -Systemhäuser als SaaS-Anbieter etablieren beziehungsweise als potenzielle Kooperationspartner umworben werden.

Anbieter wie die Deutsche Telekom, QSC, 1&1 oder Strato besitzen ein natürliches Interesse, durch SaaS-Mehrwertdienste etwa im Communication- oder Collaboration-Bereich, ihre immer knapper werdenden Margen im Kerngeschäft aufzubessern. Sie können dabei auf massenvertriebsfähige Strukturen und bestehende Kundenbeziehungen in Kleinstunternehmen und im kleineren Mittelstand setzen. Außerdem besitzen sie häufig auch erste Erfahrung im Vertrieb von SaaS-Lösungen im e-Commerce-Umfeld, zum Beispiel der Vermarktung von Online-Webshops.

Welches Interesse haben Systemhäuser?

Fraglich bleibt jedoch, ob TK-Anbieter und ISPs auch in der Lage sind, größere Mittelständler bei der Integration der SaaS-Lösungen fachkundig zu unterstützen und entsprechenden Support zu leisten. Dies ist die Domäne von ITK-Dienstleistern, die als Channelpartner größerer Hard- und Softwareanbieter ohnehin schon Ansprechpartner für den Mittelstand sind. Dass der Channel-Vertrieb im SaaS-Ökosystem an Bedeutung gewinnt, zeigen aktuelle Kooperationen zwischen SaaS-Betreibern und IT-Distributoren. So verkündete Strato im Mai 2009 eine Partnerschaft mit dem IT-Distributor Actebis Peacock zur Vermarktung des "Strato Business Portals". Im September dieses Jahres schloss Visionapp als Betreiber des SaaS-Hosting-Portals Vivio eine Vertriebspartnerschaft mit dem IT-Distributor Ingram Micro. Solche Partnerschaften sind sicher eine gute Basis, um aktuelle SaaS-Angebote noch näher an den Mittelstand heranzubringen. Sie sind jedoch kein Selbstläufer.

Wenn Unternehmen Services im SaaS-Modell beziehen, dann sind es zumeist Kommunikationsdienste.

Laut Berlecon bleibt es unklar, inwieweit bei ITK-Händlern und Systemhäusern tatsächlich ein Anreiz besteht, die SaaS-Angebote auch aktiv zu vermarkten und entsprechende Vertriebsstrukturen aufzubauen. Schließlich sorgen die SaaS-Dienste tendenziell dafür, dass weniger Hard- und Softwareprodukte nachgefragt werden und auch das Volumen an Integrationsleistungen geringer ausfällt. Hinzu kommt, dass durch die Verlängerung der Vertriebskette - vom Softwareanbieter über den Hosting-Dienstleister und IT-Distributor - für die ITK-Händler und Systemhäuser am Ende der Kette nur ein kleines Stück vom ohnehin knappen Kuchen übrig bleibt. Ob die Erschließung neuer Kunden- und Marktsegmente diese Nachteile aufwiegt, bleibt abzuwarten. Für den einzelnen IT-Dienstleister wird sich die aktive Vermarktung letztlich nur lohnen, wenn das Interesse auf Kundenseite deutlich zunimmt.

Praxisbeispiele sind gefragt

Die entstehenden SaaS-Ökosysteme werden also nur dann Früchte tragen, wenn sie von einem aktiven Marketing, das nicht nur theoretische Vorteile aufzählt, sondern praktische Einsatzbeispiele aufzeigt, unterstützt werden. Kurz und knapp: Es geht darum, zu zeigen, dass SaaS in der deutschen, mittelständischen Praxis tatsächlich funktioniert und nicht nur eine Facette der visionär geführten Cloud-Diskussion ist. Denn für IT-technische Experimente haben die Mittelständler weder Zeit noch Geld. Vielmehr wollen sie wissen, welche SaaS-Strategien sich bereits in der Praxis bewährt haben, wie Sicherheitsprobleme gelöst werden können und welche SaaS-Angebote ausgereift sind.

Praxisbeispiele, die belegen, dass SaaS mehr ist als eine Worthülse, sind jedoch - abgesehen vom vielzitierten Erfolg des amerikanischen CRM-Spezialisten Salesforce - immer noch Mangelware. Stattdessen liest man wiederholt von ehrgeizigen Projekten wie SAPs Business By Design, die sich bei genauerem Hinschauen bislang noch als Konzepte in der "Testphase" entpuppen. Selbst IT-affine Mittelständler werden sich schwer damit tun, aus theoretischen Wertversprechen, dem Erfolgsbeispiel Salesforce und visionären Projekten in der Testphase, Handlungsbedarf für ihr Unternehmen abzuleiten. Und so lange dieser Handlungsbedarf nicht besteht, werden ITK-Reseller allenfalls halbherzig in den Verkauf der Dienste investieren. (jha)