Integration der IT-Systeme

Risikoverringerung hatte für die Commerzbank oberste Priorität

18.07.2011 von Karin Quack
Mit der Migration der Kunden- und Produktdaten hat die Commerzbank zu Ostern den letzten großen Schritt der Integration mit der Dresdner Bank unternommen. CIO Peter Leukert spricht über die Herausforderungen und Stolpersteine des Mammutprojekts.

CW: Als CIO der Commerzbank haben Sie vor zwei Jahren die gesamte IT-Struktur überarbeitet und auf eine Projektorganisation umgestellt. Inwieweit werden Sie diese Struktur auf den nach der Fusion mit der Dresdner Bank deutlich gewachsenen IT-Bereich übertragen?

Peter Leukert, CIO der Commerzbank
Foto: Commerzbank AG

LEUKERT: Wir haben sie bereits übertragen. Die Struktur und das damit einhergehende Karrieremodell haben uns bei der Integration erheblich unterstützt. Denn eine solche Projektorganisation ist auf fachliche Fähigkeiten ausgerichtet und basiert auf objektiven Kriterien. So konnten wir für die anstehenden Aufgaben die jeweils am besten geeigneten Mitarbeiter finden - und zwar transparent für alle.

CW: Das ist vor allem dann wichtig, wenn Mitarbeiter entlassen werden.

LEUKERT: Im Zuge der Integration werden konzernweit rund 9000 Stellen abgebaut. Die IT ist davon aber nur geringfügig betroffen, denn wir haben gleichzeitig mit der Integration ein Re-Insourcing vorgenommen. Die Dresdner Bank hatte den Rechenzentrumsbetrieb an eine Allianz-Tochter, den Zahlungsverkehr an eine Postbank-Tochter und die Wertpapierabwicklung an die dwpbank ausgelagert. Diese Aufgaben haben wir wieder in das Unternehmen geholt, und dafür brauchen wir Mitarbeiter.

CW: Was heißt "nur geringfügig"? Wie viele IT-Fachleute müssen im Zuge der Fusion das Unternehmen verlassen?

LEUKERT: In der IT wollen wir Synergien insbesondere bei den Sachkosten erzielen. Wir haben rund 4000 IT-Mitarbeiter weltweit und bauen Stellen vorwiegend im Rahmen der normalen Fluktuationsrate von rund drei Prozent pro Jahr ab.

CW: Einige Mitarbeiter müssen künftig andere Aufgaben übernehmen als vor der Fusion. Wie sind Sie das Change-Management angegangen?

LEUKERT: Es gab kein klassisches Bewerbungsverfahren, sondern eine Zuordnung auf der Grundlage der jeweils erfassten Kompetenzen. Wir haben mit fast allen Mitarbeitern auf Anhieb einen Konsens erzielt. Das lag wohl auch daran, dass wir insbesondere den Mitarbeitern, die ursprünglich für die Systemlandschaft der Dresdner Bank zuständig waren, eine Perspektive gegeben haben. Sie wussten vor zwei Jahren schon, was sie nach dem Abschalten der Systeme machen würden. Das hat ihnen persönliche Sicherheit verschafft.

CW: Wie haben Sie den Übergang organisatorisch gelöst?

LEUKERT: Wir haben die "grüne" IT, also die der Dresdner Bank, in die "gelbe", die der Commerzbank, eingegliedert. Die Kollegen, die die Dresdner-Bank-Systeme weiterführen mussten, arbeiteten dann teilweise im Projekt "Keep the bank". Dabei ging es auch darum, die Systeme auf dem aktuellen Stand zu halten, zum Beispiel mit Blick auf regulatorische Änderungen.

Kurzer Lebenslauf: Peter Leukert

  • Als CIO der Commerzbank AG verantwortet Peter Leukert die gesamte Informationstechnik des Konzerns.

  • Er ist für etwa 4000 Mitarbeiter verantwortlich.

  • Unter seiner Regie integrierte die Commerzbank die IT der Dresdner Bank. Dieses Vorhaben ist seit April 2011 so gut wie abgeschlossen.

  • Vor seinem Wechsel zur Commerzbank war der promovierte Finanzmathematiker Partner bei McKinsey & Company.

Standardsoftware ist problematisch

CW: Sie haben also die IT-Systeme der Commerzbank behalten. Das spiegelt die Verhältnisse der Akquisition wider, wäre aber auch anders denkbar gewesen.

Das neue Logo ist ein Mix, das neue System keineswegs.
Foto: Commerzbank AG

LEUKERT: Im Prinzip galt: Wir übernehmen das System, das am meisten unserem neuen Geschäftsmodell entspricht, so dass wir weniger ändern mussten. Wichtig war für uns dabei, dass wir uns grundsätzlich für ein System entschieden haben, um die Komplexität zu verringern. Im Investment-Banking haben wir übrigens teilweise die "grünen" Systeme übernommen, weil wir das kundenfokussierte Geschäftsmodell der Commerzbank durch Elemente der Dresdner Kleinwort erweitert haben.

CW: Die Entscheidung stand unter dem Motto: "Mischen impossible". Erläutern Sie doch mal, warum das so unmöglich gewesen wäre.

LEUKERT: Eine durchschnittliche Universalbank hat etwa 1000 Systeme. Die sind vielleicht noch überschaubar, aber sie haben ja untereinander diverse Schnittstellen. Wird ein System verändert oder neu eingefügt, kommen neue Schnittstellen hinzu - und das erhöht die Komplexität. Umgekehrt gilt: Wenn man dieselbe Schnittstelle nutzen kann, braucht man nicht alles neu zu testen, sondern kann sich mit Regressionstests begnügen. Wir wollten die Banken möglichst schnell und vollständig integrieren. Auch deshalb haben wir uns gleich am Anfang für ein System entschieden.

CW: Sie hätten auch einen harten Schnitt machen und eine neue Softwarelandschaft aufbauen können. Was spricht gegen eine Standardsoftware, wie sie die Deutsche Bank einführen will ?

LEUKERT: Eine Standardsoftware hat sicher ihre Berechtigung. Sie ist sinnvoll, wenn sich häufig Änderungen ergeben, etwa durch neue Anforderungen von Seiten des Gesetzgebers. Diese Vorgaben müssen dann nur einmal - vom Anbieter - implementiert werden. Wenn eine Standardsoftware im laufenden Betrieb eingeführt wird, ist das mit Blick auf die Schnittstellen aber nur schwer möglich. Deshalb arbeiten wir nur vereinzelt mit Standardsoftware: Wir führen derzeit zum Beispiel im Bereich Group Finance Architecture mit SAP eine standardisierte Buchungsmaschine ein.

400 Millionen Euro durch IT-Synergien

CW: Die IT soll 400 Millionen Euro zu den angepeilten Einsparungen von 2,4 Milliarden beitragen. Da das Geschäft einer Bank überwiegend aus IT besteht, fragt man sich: Warum nur ein Sechstel?

LEUKERT: Ein Sechstel ist relativ viel - angesichts der Tatsache, dass die IT lediglich ein Fünfzehntel der gesamten Mitarbeiter beschäftigt. Bei dem kommunizierten Betrag handelt es sich zudem um Einsparungen, die sich allein aus Synergieeffekten innerhalb der IT ergeben. Dass die IT Voraussetzung für Synergien in anderen Bereichen ist, wurde hier nicht berücksichtigt.

CW: Was war Ihre schwierigste Aufgabe während der Migration?

LEUKERT: Das Ziel stabil zu halten. Sie können die Funktionen nicht einfrieren, denn es gibt regulatorische Anforderungen, die Sie einfach erfüllen müssen. Aber daneben gibt es zahlreiche Anforderungen im Sinne von: "Wenn wir schon mal dabei sind, können wir doch gleich …" Nein, das kann man nicht. Alles, was nicht unbedingt notwendig ist, lässt man besser. Sie können nicht gleichzeitig konsolidieren und optimieren. Die Integration hat unbedingt Vorfahrt.

CW: Eine zusätzliche Schwierigkeit haben Sie eingebaut, indem Sie allen Kunden ihre Kontonummern erhalten haben. Das ist im Sinne der Kundenbindung sinnvoll, aber schwer umzusetzen.

LEUKERT: Wir wollten, dass die Integration für unsere Kunden so einfach und komfortabel wie möglich umgesetzt wird. Aber es ist richtig, dass dieses Ziel erheblichen Aufwand verursacht hat - vergleichbar mit der Umstellung zur Jahrtausendwende. Wir mussten 600 Anwendungen anfassen, denn es handelte sich um "sprechende" Schlüssel, die wir zum Verstummen bringen mussten. Die darin enthaltenen Informationen haben wir dahin gepackt, wo sie hingehören: zum Beispiel in die Kundendatenbank.

CW: Trotzdem beschweren sich Ihre Kunden im Internet über anhaltende Einschränkungen ihrer Banking-Aktivitäten.

LEUKERT: Für unsere Kunden ist die Integration mit der IT-Migration Realität geworden. Sie erhalten jetzt in allen Filialen die gleichen Leistungen und Produkte. Das ist unter Umständen für Einzelne erst einmal neu. Für manche ist auch nicht alles gleich so gelaufen, wie es hätte sein sollen. Jeder dieser Fälle ärgert uns. Aber 99,9 Prozent der Kunden haben von dem gesamten Prozess sehr wenig mitbekommen.

Sicherheit ging vor Schnelligkeit

CW: Die Fusion der Banken ging 2009 über die Bühne. Wieso wurde die Integration der IT-Systeme erst Ostern 2011 weitgehend abgeschlossen?

Die Commerzbank-Zentrale in Frankfurt am Main
Foto: Commerzbank AG

LEUKERT: Auf der IT-Seite haben wir uns zuerst um die Infrastruktur gekümmert und die notwendigen Anpassungen etwa mit Blick auf das verdoppelte Volumen und die geplante Beibehaltung der Kontonummern vorgenommen. Diesen Prozess haben wir mit dem "Harmonisierungs-Release" im August 2010 abgeschlossen. Im April 2011 wurden die Kunden- und Produktdaten schließlich vereinheitlicht. Über eine eigens entwickelte "Datendrehscheibe" haben wir die fachliche Seite und die Datenseite beider Banken miteinander in Einklang gebracht. Damit das auf Anhieb klappte, wurden zuvor sieben Testläufe gefahren.

CW: Die Datenmigration erfolgte an zwei Wochenenden. Die HVB/Unicredit hat das an einem Wochenende geschafft.

LEUKERT: Uns ging es vor allem um Risikoverringerung. Wie wollten zuerst wissen, dass die Stammdatenmigration erfolgreich verlaufen war, bevor wir die Produktdaten überführten.

CW: Sie haben die Integration als das größte und komplexeste europäische IT-Projekt im Bankensektor bezeichnet. Inwiefern ist komplexer als die SAP -Einführung der Deutschen Bank oder das EuroSIG-Projekt der Unicredit/HVB?

LEUKERT: Der Umfang auf der geschäftlichen Ebene betrifft das gesamte Spektrum einer Universalbank. Und das Volumen ist bislang unerreicht. Zudem ließ sich dieser Umfang nicht in Portionen unterteilen, sondern war in einem Durchgang zu meistern.

CW: Und dann holen Sie auch noch die ausgelagerten Services wieder ins Unternehmen. Wieso tun Sie sich das an?

LEUKERT: Weil wir auf der eigenen Plattform niedrigere Stückkosten erzielen konnten, als sie uns von außen - nachhaltig - angeboten wurden. Was die Skaleneffekte angeht, kann uns heute kaum jemand schlagen. Darüber hinaus hatten wir ein vitales Interesse daran, dass unsere Projektrisiken beherrschbar blieben, und das waren sie am besten beim Re-Insourcing.