IT-Freiberufler

Risiko Scheinselbständigkeit

09.12.2010 von Ina Hönicke
IT-Freiberufler und ihre Auftraggeber sehen sich im Visier der Rentenversicherung. Die fahndet nach Scheinselbständigen und ausstehenden Sozialabgaben.

Jahrelang dämmerte das Thema Scheinselbständigkeit vor sich hin, nun scheinen die Vertreter der Sozialkassen es bei den IT-Freiberuflern wieder entdeckt zu haben. Immer mehr Unternehmen berichten von Sozialversicherungsbeiträgen, die sie rückwirkend für Externe abführen müssen. In den Anwaltskanzleien häufen sich ebenfalls Fälle dieser Art. Dass der IT-Bereich anders als andere behandelt wird, weist die Rentenversicherung indes weit von sich. Gleichzeitig beklagen sich Personalvermittlungsagenturen über Freiberufler, die sich bei Unternehmen einklagen. Rechtsanwälte dagegen monieren, dass selbst die Verträge der Vermittler nicht immer wasserdicht seien. in einem sind sich alle einig: Es gibt keine klare Abgrenzung zwischen selbständig und scheinselbständig.

Freiberufler dürfen keine Anweisungen erhalten

Vor elf Jahren hatte der Gesetzgeber die Regelung zur Scheinselbständigkeit überarbeitet. Damals wurden die Selbständigen anhand von einzelnen konkreten Umständen eingestuft. Seit 2003 ist von diesen Kriterien nicht mehr viel übrig geblieben: Laut Sozialgesetzbuch kommt es darauf an, ob die Tätigkeit nach Weisungen eines Auftraggebers ausgeführt wird beziehungsweise ob eine Eingliederung in die Organisation des Auftraggebers erfolgt ist. Die freie Gestaltung der Arbeitszeit und die Möglichkeit, die vereinbarte Leistung auch durch Dritte erbringen zu lassen, sind weitere Punkte, die für eine selbständige Tätigkeit sprechen.

Herbert Wittemer, Msg Systems: Eine Bestätigung des freiberuflichen Status bezieht isch auf ein Projekt und ist kein grundsätzlicher Freibrief. Foto: Joachim Wendler
Foto: Joachim Wendler

Dass die Sozialkassen den Status von Freiberuflern nicht mehr allein anhand konkreter Einzelfaktoren beurteilen, bestätigt Herbert Wittemer. Er ist Personalleiter des IT-Beratungs- und Systemintegrationshauses Msg Systems AG, das Freiberufler einsetzt und bei der Vergabe von Aufträgen auf eine mögliche Scheinselbständigkeit achten muss. Früher genügte es oft, wenn ein Freiberufler mehrere Auftraggeber vorweisen konnte, um selbständig zu sein. Heute würden die Sozialkassen diesen Status verstärkt an der unternehmerischen Eigenständigkeit insgesamt festmachen, so Wittemer.

Unternehmen, die Freiberufler beauftragen, sehen sich nicht nur dem Risiko gegenüber, nachträglich Sozialversicherungsbeiträge entrichten zu müssen, wenn dem Externen die Scheinselbständigkeit attestiert wird. Laut Wittemer besteht auch die Gefahr, dass sich der Externe selbst beim Auftraggeber einklagt. Schließlich gebe es immer wieder IT-Profis, die als Freiberufler agieren, aber im Grunde nicht selbständig seien, so der Msg-Personalchef: "Sie profitieren zwar von den besseren Verdienstmöglichkeiten eines Freiberuflers, tragen aber nicht die entsprechenden unternehmerischen Risiken." Manche Freiberufler verwiesen bei der Frage nach ihrem sozialversicherungsrechtlichen Status auf eine Statusbestätigung. Seit 1999 gibt es für die Klärung der Frage, ob eine Beschäftigung selbständig oder nichtselbständig ist, ein Verfahren bei der Deutschen Rentenversicherung (DRV), das Auftraggeber wie -nehmer einleiten können. Auf diese Weise kann man sich zwar seinen Status als Selbständiger bestätigen lassen, was aber laut Wittemer sich immer nur auf einen konkreten Projektauftrag bezieht und keinen grundsätzlichen Freibrief darstelle. Darum empfiehlt er Auftraggebern, bei jedem Projekt die Auftragsbeschreibung und die Vertragspflichten dahingehend zu gestalten, dass eine Selbständigkeit auf jeden Fall gegeben ist.

IT-Freiberufler im Visier der Sozialkassen?

Um der sozialversicherungsrechtlichen Einstufung von IT-Freelancern zu entgehen, kaufen Auftraggeber wie Msg Systems die Leistungen von Freiberuflern zunehmend über Vermittlungsagenturen ein, die die Administration übernehmen. "Das Risiko, dass ein Freiberufler auf Festanstellung klagt, bleibt jedoch", erklärt Wittemer. Auch Personalvermittlungsagenturen beklagen die Situation. Laut Albert Lidl, Vorstandsvorsitzender der Top Itservices AG, nehmen die Sozialkassen verstärkt IT-Freiberufler und Unternehmen, die diese beauftragen, unter die Lupe. Die Folgen spüren auch Personalvermittler wie Top IT Services, so Lidl: "Eine Reihe von Kunden stehen Externen mehr als skeptisch gegenüber, da sie Angst haben, wegen möglicher Scheinselbständigkeit ihrer Berater in der Presse stehen. Wenn die Politik nicht gegensteuert, wird der Markt der Freiberufler nach und nach erodiert." Um die Situation zu verbessern, schlägt Lidl vor, dass sich der Externe als Selbständiger in einem Kaufmannsbuch eintragen muss. Darüber hinaus sollte auch die hohe Bezahlung der IT-Freiberufler ein dominierendes Kriterium zur Beurteilung der Selbständigkeit werden.

Rechtsanwalt Benn0o Grunewald: "Nach jahrelanger Ruhe haben die Berliner Beamten offenbar das Thema Scheinselbständigkeit wieder entdeckt."
Foto: Benno Grunewald/BVSI

Dass Musiker oder Architekten in der Sozialversicherung eher als freiberuflich Tätige angesehen werden als die relativ junge Zunft der ITler, kann Msg-Systems-Personalleiter Wittemer nicht verstehen: "Wenn ein freiberuflicher Softwareentwickler oder Webdesigner einen Auftrag annimmt, dann ist dies ebenso mit Chancen oder Risiken verbunden, wie das Komponieren von Werbe-Jingles oder die Planung eines Gebäudes." Das sieht Benno Grunewald, Vorstand des Berufsverbandes Selbständige für Informatik (BVSI), ähnlich. Der Bremer Fachanwalt für Steuerrecht beschäftigt sich seit elf Jahren mit dem Thema Scheinselbständigkeit. Nach seiner Erfahrung versucht die Rentenversicherung zurzeit mit allen Mitteln, die Selbständigen in eine Scheinselbständigkeit zu drängen: "Nach jahrelanger Ruhe haben die Berliner Beamten offenbar das Thema wieder entdeckt." Der Deutsche Rentenversicherungs Bund (DRB) versucht laut Grunewald zunächst das freie Mitarbeiterverhältnis in ein abhängiges Beschäftigungsverhältnis umzudefinieren. Ist die Behörde dabei nicht erfolgreich, tritt sie an den Freiberufler selbst heran. "Das Dilemma ist, dass es keine klare Abgrenzung zwischen selbständig und scheinselbständig gibt", erklärt der Rechtsanwalt.

Rentenversicherung prüft Verträge

Die Rentenversicherung prüfe die Verträge in den Unternehmen und verschicke Fragebögen. Dazu Grunewald: "Wenn in den Verträgen unglücklich formulierte Jobbeschreibungen stehen, reagiert die Rentenversicherung sofort. Das gilt vor allem für Hinweise, dass der Freiberufler weisungsgebunden tätig ist." Der Rechtsanwalt ist immer wieder überrascht, dass selbst Vermittlungsagenturen mangelhafte Verträge abschließen. "Sie sehen sich auf der sicheren Seite, verlangen aber vielfach von den Freelancern ein Statusfeststellungs-Verfahren." Dieses freiwilllig einzuleiten, hält er für falsch. Das Verfahren kann laut Grunewald Monate bis Jahre dauern. So seien in etlichen Fällen die Projekte längst beendet, bis die Selbständigkeit des Freiberuflers attestiert ist. Zudem würden sich Unternehmen von Statusfeststellungsanträgen eine Art Persilschein erwarten. Dies sei aber nicht der Fall, da die Rentenversicherung in fast allen Projekten ein scheinselbständiges Arbeitsverhältnis annehme.

Wie Firmen Scheinselbständigkeit vermeiden können

Wie können Firmen und Freiberufler Scheinselbständigkeit vermeiden? Grunewald rät, die Verträge sorgfältig zu prüfen und zu aktualisieren: "Im Vertrag sollte stehen, dass der Freiberufler weder in den Betriebsablauf des Auftraggebers eingebunden noch weisungsgebunden tätig ist." Unternehmen sollten auch auf folgenden Zusatz verzichten: Der Freiberufler darf keine Mitarbeiter oder nur eingeschränkt Mitarbeiter einsetzen. Günstiger wäre es, zu schreiben: Der Freiberufler darf Mitarbeiter einsetzen.

Freiberufler Oliver Knittel kann nicht empfehlen, sich einem Statusfeststellungsverfahren zu unterziehen.
Foto: Oliver Knittel

Oliver Knittel gehört zu den IT-Freiberuflern, die ein Statusfeststellungsverfahren hinter sich haben. Vor zehn Jahren hatte ihn sein damaliger Auftraggeber, ein Beratungshaus, dazu gedrängt. Nach dem Ausfüllen etlicher Fragebogen war Knittel bestätigt worden, dass er selbständig sei. Heute würde er keinem Kollegen mehr raten, ein solches Verfahren anzustreben. "Mittlerweile führt es immer öfter zur Bestätigung der Scheinselbständigkeit und diversen Nachzahlungen", weiß Knittel. Die IT-Freelancer stünden offenbar im Visier der Rentenversicherung.

Diese Ansicht von IT-Freiberuflern, sie würden öfter als andere geprüft werden, teilt die Deutsche Rentenversicherung nicht. Zur Prüfung, ob eine selbständige Tätigkeit oder ein abhängiges Beschäftigungsverhältnis vorliegt, wird laut Rentenversicherung ein Statusfeststellungsverfahren durchgeführt. In diesem Verfahren werde anhand Kriterien die tatsächlich ausgeübte Tätigkeit eingeordnet. Nach ihren Angaben handelt es sich unter anderem um folgende Kriterien: Weisungsgebundenheit gegenüber dem Auftraggeber, Gestaltung der Arbeitszeit, Berichterstattung gegenüber dem Auftraggeber, Tätigkeitsort sowie Verpflichtung zur Nutzung bestimmter Hard- und Software. Zu einer detaillierteren Stellungnahme oder Nennung eines Ansprechpartners war die Öffentlichkeitsabteilung der Rentenversicherung nicht bereit.

Scheinselbständig oder selbständig?

Scheinselbständig ist...

…ist derjenige, der als selbständiger Unternehmer auftritt, obwohl er von der Art seiner Tätigkeit her zu den abhängig Beschäftigten zählt. Laut Paragraf 7 Absatz 1 Satz 2 des Sozialgesetzbuches (SGB IV) liegt eine Scheinselbständigkeit dann vor, wenn die Tätigkeit nach Weisungen eines Auftraggebers ausgeführt wird beziehungsweise der Selbständige in die Organisation des Auftraggebers eingegliedert ist. Wichtige Kriterien für eine selbständige Tätigkeit sind daher nach wie vor die freie Arbeitszeitgestaltung und die Möglichkeit, die vereinbarte Leistung auch durch Dritte erbringen zu lassen.

Scheinselbständige gelten sozialversicherungsrechtlich als Arbeitnehmer, so dass für sie Beiträge zur Kranken-, Renten-, Pflege- und Arbeitslosenversicherung zu entrichten sind. Bei vorsätzlicher Hinterziehung kann der Arbeitgeber rückwirkend für bis zu 30 Jahre zur Zahlung des Arbeitgeber- und Arbeitnehmeranteils verpflichtet werden. Der Arbeitnehmer haftet maximal drei Monate.

Vor der Clearingstelle der Deutschen Rentenversicherung Bund (ehemals BfA) können die Beteiligten eine Klärung der Statusfrage erreichen. Das Anfrageverfahren ist jedoch nur möglich, wenn die Deutsche Rentenversicherung im Zeitpunkt der Antragstellung selbst noch kein Verfahren eingeleitet hat.

Selbständig….