Geschäftsprozesse und Funkchips

RFID bahnt sich den Weg in die Praxis

23.10.2008 von Frank Niemann
Wie Radio Frequency Identification (RFID) helfen kann, Prozesse zu verbessern, zeigte Siemens auf der Fachkonferenz "RFID SummIT 2008" in Wien. Obwohl die Möglichkeiten verlocken, schauen Firmen mittlerweile genau, ob sich die Technik wirklich lohnt.

Noch vor einigen Jahren prophezeiten Experten der RFID-Technik einen weltweiten Siegeszug. Doch von einem breiten Durchbruch der Funkchips (auch RFID-Transponder oder RFID-Tags genannt) kann nicht die Rede sein. Der RFID-Tag am Joghurtbecher im Kühlregal bleibt bisher Illusion.

Dennoch findet RFID Anwendung. Statt krampfhaft zu versuchen, RFID-Tags dort anzusiedeln, wo Barcodes völlig ausreichen, will man sich die besonderen Eigenschaften der Funksysteme zunutze machen. Transponder lassen sich berührungslos auslesen, beispielsweise während damit versehene Gegenstände ein Lesegerät passieren. Mittlerweile zählt das Erfassen von Produkten am Wareneingang und -ausgang zu den Klassikern im RFID-Umfeld. Kartons oder Paletten sind hierzu mit Tags ausgestattet und sollen sich so schneller, mit weniger Fehlern und geringerem Personaleinsatz registrieren lassen.

Experten wie Volker Klaas sehen jedoch eine Reihe weiterer Anwendungen der RFID-Technik und hoffen, mit Firmen unterschiedlicher Branchen noch besser als bisher ins Geschäft zu kommen. Die Funkchips sollen helfen, Gegenstände zu orten und zu überwachen. Der Manager vom Center of Competence Auto ID/RFID Solutions bei Siemens IT Solutions and Services (SIS) in Düsseldorf denkt dabei beispielsweise an Verleihsysteme. Jedes Produkt erhält einen RFID-Transponder, mit dem sich sein Standort feststellen lässt. "So weiß der Verleiher, wo das Gerät sich befindet, und kann zudem schneller die Leihgebühr abrechnen", so der Siemens-Experte. Sein Arbeitgeber hatte am Standort in Wien potenzielle Kunden zur Fachkonferenz RFID SummIT" eingeladen, um praktische Anwendungen der Funktechnik zu präsentieren.

Ortung von Waren

Ganz neu ist die Idee mit der RFID-Ortung nicht. Bereits 2005 hatte Siemens für den Versandhändler Otto eine RFID-Lösung eingerichtet. In der Zentrale des Konzerns werden teure Artikel wie etwa Mobiltelefone mit RFID-Tags bestückt, um so dem Schwund beim Transport von der Firmenzentrale über Verladestationen bis zum Kunden vorzubeugen.

Einzug hält ein ähnliches Konzept auch bei Industrieunternehmen, die etwa in der Produktion wiederverwendbare Behälter nutzen. Auf diese Weise wollen die Unternehmen feststellen können, wie viele Behälter im eigenen Haus und bei den Lieferanten unterwegs sind. Einerseits kosten die Behältnisse Geld und sollten nicht verloren gehen, andererseits gerät die Produktion möglicherweise ins Stocken, wenn zu wenige vorhanden sind. Eine quasi automatische Behälterinventur soll zudem Überkapazitäten an Behältnissen und damit Geldverschwendung vermeiden. Laut Klaas lässt sich damit auch eine Warenverfolgung kombinieren. "Der RFID-Chip kann speichern, welche Ware für welchen Kunden im Behälter liegt", so der Siemens-Spezialist.

Da sich Funkchips je nach Bauart auch beschreiben lassen, können sie Informationen von Sensoren speichern. Klaas zufolge ließe sich so zum Beispiel feststellen, ob ein teures Gerät wie etwa ein Laserdrucker während des Transports heftigen Erschütterungen ausgesetzt war. Somit wäre der Empfänger in der Lage, die Gründe für Transportschäden aufzudecken. Auf ähnliche Weise könnten Sensoren an Kühlbehältern und Containern dem RFID-Chip Temperaturdaten übermitteln, so dass die Qualitätskontrolle am Wareneingang prüfen könnte, ob die Kühlkette unterbrochen wurde.

Variantenfertigung mit Funkchip-Unterstützung

An Ideen mangelt es offenbar nicht. Was die massenhafte Verbreitung von RFID unter anderem hemmte, ist der Preis pro Transponder. Nun versucht die Industrie, das Beste aus der Situation zu machen. Funktechnikspezialist Klaas zufolge fällt der Preis pro Chip umso weniger ins Gewicht, je länger die Prozesskette ist und je öfter ein RFID-Tag sie durchläuft. Das Behälter-Management sei da ein gutes Beispiel. Ein weiteres sind Fertigungsstraßen, in denen aktive Funkchips Fertigungsdaten, Qualitätsinformationen und Prüfprotokolle eines Werkstücks mitführen. Siemens selbst greift auf dieses Verfahren bei der Herstellung von Niederspannungsschaltgeräten am Standort Amberg zurück. Von den "Sirius"-Schützen gibt es etwa 250 Varianten. Die Auftragsdaten werden aus einem SAP-System an die Fertigungsumgebung übermittelt und bestimmte Informationen auf einen RFID-Tag überspielt, der auf dem Werkstückträger angebracht ist. In jedem Bearbeitungszentrum sowie an jeder Prüfstelle lassen sich produktionsnahe Daten abgreifen beziehungsweise speichern. "Auf diese Weise bringen wir die Stückliste auf die Feldebene", erläutert Klaus Bleisteiner, Leiter Konstruktion Elektronik beim Amberger Siemens-Werk.

Anreize für Teilnehmer einer Lieferkette

Durchgesetzt haben sich RFID-Anwendungen in geschlossenen Umgebungen eines Unternehmens sowie in dessen Lieferkette, sofern es diese kontrolliert. Ein Beispiel sind Handelskonzerne. Durchgängige Abläufe auf Basis von RFID lassen sich aber nur realisieren, wenn alle Teilnehmer der Wertschöpfungskette mitmachen. Das tun sie natürlich nur, wenn sie dabei profitieren oder ihnen die anfallenden Kosten erstattet werden. Fehlen Anreize, nützt die schönste Technik wenig.

Ein bekanntes firmenübergreifendes RFID-Projekt realisiert Metro. Der Handelskonzern hat für die Warenlogistik zwischen den Zulieferern, den eigenen Verteillagern sowie den Märkten wie "Real" Funketiketten in der Warenlogistik eingeführt. Allein das hat schon Jahre gedauert. Die Funkchips werden an der Palette angebracht. In der Erprobung ist ein Frachtsystem mit RFID-Tags am einzelnen Karton.

RFID kann die Warenwirtschaft füttern

Damit sind die Möglichkeiten von RFID nach Ansicht von Gerd Wolfram, Geschäftsführer der Metro Group Information Technology, bei weitem noch nicht ausgereizt. Vor allem Firmen wie Metro, die konzernweit 1,2 Millionen Artikel verwaltet, profitieren von einer genauen Warenwirtschaft. Funktechnik kann ihnen helfen, aktuelle und genaue Bestandsdaten zu erfassen, beschreibt Wolfram. Zudem lassen sich Fehler in der Kommissionierung im Lager vermeiden, so dass die richtigen Artikel zum jeweiligen Markt gelangen. Verhindern lassen sich so ferner Bestandslücken (siehe auch "SAP und Oracle buhlen um Kunden im Handel").

Darüber hinaus will der Handelskonzern seine weltweiten Warenströme besser kontrollieren. Metro-Lieferanten in Asien beladen Container mit Kartons, an denen RFID-Chips kleben. Ein Lesegerät erfasst die Waren und erzeugt so eine Packliste, die in einem beschreibbaren RFID-Transponder hinterlegt wird. Beim Ausladen wiederum lässt sich erkennen, ob im Zielhafen die Waren angekommen sind, die in Fernost verladen wurden.

Doch nicht nur Firmen von der Größe einer Metro wollen ihre Logistik verbessern. Ein Getränkehersteller arbeitet an einem Behälterverteilersystem. RFID-Technik soll den Weg des Behälters vom Abfüller über den Distributor bis zum Getränkemarkt verfolgen.

Pakete für RFID-Einsteiger

Um die Einstiegskosten für RFID-Lösungen niedrig zu halten, hat Siemens eine Reihe von "Starter Kits" aufgelegt. Sie bestehen aus Siemens-eigener RFID-Hardware, Beratung sowie einer Middleware des Softwarepartners RF-IT Solutions aus Graz. Von RF-IT stammt zudem das Entwicklungspaket, mit dem sich Softwareanwendungen erstellen und anpassen lassen. Die Softwareplattform kann von den Funkchips gelieferte Daten aufbereiten und Geschäftsapplikationen zur Verfügung stellen. Siemens betrachtet das Produkt jedoch nicht als Baukasten, sondern als vorkonfigurierte Standardlösung, mit der Unternehmen schnell einsteigen können.

Zu den Starter Kits zählt eine Lösung für Bekleidungsgeschäfte. Ein Gerät erzeugt die RFID-Tags, mit denen die ausgehängten Waren versehen werden. Mit mobilen Geräten können Angestellte den Bestand erfassen, und zwar nicht nur die Menge, sondern auch Farbe und Größe und sonstige Merkmale. Auf diese Weise sollen Soll- und Ist-Mengen leichter abgeglichen werden. Vermeiden könnten Läden ferner Bestandslücken im Sortiment und somit Umsatzeinbußen. Das betrifft nicht nur den Nachschub, sondern auch eine genaue Erfassung, was an Waren vorhanden ist. Käufer verlegen beim Anprobieren oder Stöbern Bekleidungsstücke oder hängen sie an die falschen Ständer zurück. Obwohl ausreichend Textilien im Geschäft vorhanden sind, findet der Kunde sie mitunter nicht.

Wirtschaftlichkeitsberechnungen für RFID unterscheiden sich im Grunde nicht von denen anderer IT-Lösungen, meint Wolf-Rüdiger Hansen vom Verband für Automatische Identifikation, Datenerfassung und Mobile Datenkommunikation.

Die Idee ist zwar gut, setzt aber voraus, dass bereits der Bekleidungshersteller, der oft in Fernost sitzt, die Chips anbringt, denn sonst müsste das Ladenpersonal jeden Textilartikel mit Funketiketten versehen. "Je eher die Tags an die Ware kommen, desto mehr Kontrollpunkte lassen sich nutzen", bemerkt Wolf-Rüdiger Hansen, Geschäftsführer vom Verband für Automatische Identifikation, Datenerfassung und Mobile Datenkommunikation. Auf diese Weise ließen sich Kleiderlieferungen vom Hersteller über verschiedene Logistikdienstleister überprüfen, so dass die Ware beim Händler ankommt, die für ihn vorgesehen war.

Projektbeispiele gibt es mittlerweile viele, doch das Machbare muss nicht immer nützlich sein. Nach einer Phase der Euphorie betrachten viele Experten die Funktechnik mit nüchternen Augen. "Unternehmen müssen sich über die Wirtschaftlichkeit von RFID klar werden", mahnt Hansen. Überzeugt werden wollen aber nicht nur die Techniker und Fachbereiche, sondern auch die Finanzexperten. "Wirtschaftlichkeitsberechnungen für RFID unterscheiden sich im Grunde nicht von denen anderer IT-Lösungen", gibt Verbandschef Hansen zu bedenken.