Rekrutierungsveranstaltungen unter veränderten Vorzeichen

28.06.2002 von Christian Blees
Die Flaute am IT-Arbeitsmarkt schlägt sich auch auf Rekrutierungsveranstaltungen nieder. Dort finden Bewerber nur noch große Firmen vor, die sich über die neue Bescheidenheit und die bessere Qualifikation der Kandidaten freuen.

Karsten Müller* möchte lieber anonym bleiben. "Das wäre mir unangenehm, wenn mein Chef mitbekäme, dass ich mich aus einer ungekündigten Stellung heraus nach einem anderen Job umschaue", entschuldigt sich der 28-jährige Informatiker. Angesichts des durchwachsenen IT-Arbeitsmarktes würde sein Vorgesetzter "wahrscheinlich mit Unverständnis reagieren.

Uwe Holländer, Bayer AG: "Früher sammelten die Bewerber nur die Jobangebote ein, jetzt haben sie Interesse an den Stellen."

Da will ich lieber nichts riskieren."

Noch vor einem Jahr, räumt Müller ein, wäre ihm das egal gewesen. "Aber inzwischen muss man ja fast froh sein, im IT-Bereich einen Job zu haben. Wenn ich mich trotz fester Anstellung nach etwas Neuem umschaue, dann lieber inoffiziell. Sonst wecke ich bei den vielen, die inzwischen arbeitslos geworden sind, nur Sozialneid."

Karsten Müller ist kein Einzelfall. Auch manch anderer Teilnehmer der "Career Days Informationstechnologie", die kürzlich in Berlin stattfanden, möchte seinen Namen vorsichtshalber lieber nicht in der Presse lesen. Es besteht kein Zweifel: Die Stimmung ist gedämpft, die allgemeine Krise der Branche spiegelt sich auch in den Gesprächen mit den Bewerbern wider. Zudem herrscht auf dem "Markt der Möglichkeiten", auf dem sich die teilnehmenden Unternehmen präsentieren, viel Platz. Vom lebhaften Treiben vergangener Jahre, verursacht auch durch die Anwesenheit von Unternehmen des Neuen Marktes, ist kaum noch etwas zu spüren.

Die Kleinen bleiben weg

Dieses Mal sind es ausschließlich namhafte Großunternehmen wie Allianz, Bayer und Deutsche Telekom, die sich in Berlin nach geeigneten Bewerbern umschauen. Das Procedere ist indes dasselbe geblieben wie in den Jahren zuvor: Hochschulabsolventen und Akademiker mit maximal sieben Jahren Berufserfahrung reichen ihre Bewerbungsunterlagen beim Kölner Rekrutierungsdienstleister HR Gardens Events & Sourcing ein. Dort erfolgt auf Grundlage der von den Bewerbern und Unternehmen geäußerten Präferenzen eine Vorauswahl. Etwa 100 Jobsuchende erhalten dann schließlich die Chance, an zwei Tagen mehrere Bewerbungsgespräche zu führen. Die Kosten für Anreise und Unterkunft übernehmen dabei die beteiligten Firmen.

"Die Qualifikation der Bewerber ist deutlich höher als in der Vergangenheit", freut sich Uwe Holländer, zuständig für Graduate Marketing beim Pharmariesen Bayer AG. In der Vergangenheit hätten sich "viele Leute auf den Career Days getummelt, die nur mal locker ein Jobangebot nach dem anderen einsammeln wollten, ohne konkretes Interesse zu zeigen".

Diesmal seien jedoch "nur Top-Kräfte" anwesend. "Wir hatten insgesamt 40 vorab vereinbarte Interviewtermine, hinzu kamen etwa 50 Initiativgespräche, bei denen uns die Bewerber ihre Unterlagen überreichten. Allein von diesen 90 Interessenten werden mindestens 40 in die engere Auswahl kommen. Eine solche Quote wäre noch vor einem Jahr undenkbar gewesen."

Dotcom-Opfer suchen Sicherheit

Die rapide gestiegene Zahl hochqualifizierter Fachkräfte kommt der Bayer AG nach Aussage Holländers gerade recht. Nachdem innerhalb des Konzerns vor fünf Jahren die Entscheidung fiel, SAP als Standardsoftware einzuführen, "sind wir jetzt erst auf halbem Wege angekommen. Der Personalbedarf in Sachen IT ist bei uns insofern weiter sehr groß." Egal, ob Informatiker, Physiker, Mathematiker oder (Wirtschafts-) Ingenieure - für alle frischgebackenen Absolventen oder erfahrene Fachkräfte aus diesen Bereichen sieht Holländer im eigenen Unternehmen nach wie vor sehr gute Entwicklungschancen.

Auch Klaus Schwiening, Human-Resources-Manager bei der Deutschen Telekom, zeigt sich von den Bewerbern durchweg begeistert. "Deren Auftreten hat sich deutlich geändert", sagt er. So seien Jobsuchende vor einem Jahr noch "mit verschränkten Armen bei uns vorstellig geworden und haben gefragt, was wir ihnen an Gehalt und Sozialleistungen zu bieten hätten". Inzwischen habe sich die Situation ins Gegenteil verkehrt: "Jetzt treten die Bewerber deutlich bescheidener auf und erzählen erst einmal von sich, bevor sie nach möglichen Stellenangeboten fragen."

Nach Schwienings Einschätzung hat die Deutsche Telekom auch nicht mehr mit dem Image des "schwerfälligen Riesen" zu kämpfen, das ihr aus Sicht vieler Jobsuchender angehaftet habe: "Unter den Bewerbern sind sehr viele Arbeitslose, die bis vor kurzem bei inzwischen Pleite gegangenen Dotcoms beschäftigt waren. Die wissen die Sicherheit, die ein großes Unternehmen wie wir zu bieten hat, jetzt mehr zu schätzen als früher." Alles in allem sei die Nachfrage derart groß, dass Schwiening Jobsuchende darum bittet, von Initiativbewerbungen abzusehen: "Interessenten sollten sich nur auf konkrete Stellenausschreibungen auf unseren Internet-Seiten melden."

Kemal Dönmez: "Es ist schwieriger geworden, an einen Job heranzukommen."

Kemal Dönmez, Diplomingenieur für technische Informatik, behagt der verschärfte Konkurrenzkampf unter den Bewerbern auf den "Career Days" verständlicherweise nicht besonders. Sein Zeitvertrag als Front- und Backend-Programmierer bei einer Berliner Firma läuft aus, eine ihm ursprünglich in Aussicht gestellte Stelle wurde ersatzlos gestrichen. Zumindest die Perspektive, an seinem Wohnort Berlin eine neue Stelle zu finden, schätzt der 30-Jährige als nicht gut ein. "Bei der gleichen Veranstaltung vor zwei Jahren hatte ich derart viele Interviewtermine, dass es überhaupt keine Zeit für Pausen gab", erinnert sich Dönmez wehmütig. "Diesmal sind aber viel weniger Firmen hier, und es ist wesentlich schwieriger, an einen Job heranzukommen."

Die veränderte Marktsituation zeige sich auch außerhalb der Rekrutierungsveranstaltung: Bei seinen insgesamt 15 schriftlichen Bewerbungen seien letztlich nur drei Bewerbungsgespräche herausgesprungen, von denen wiederum zwei in Absagen mündeten. Wenn auch die letzte Chance nicht greife, so Dönmez, werde er sich notgedrungen wohl auch außerhalb der Hauptstadt umsehen müssen. 

Vorstellungsgespräch verschlafen

Dass dennoch IT-Quereinsteiger keine Angst vor der beruflichen Zukunft haben müssen, davon ist Yvonne Kreher überzeugt. "Reine IT-Fachleute sind nicht mehr so gefragt", glaubt die 25-jährige Chemnitzerin. Für Bewerber mit wirtschaftlichem Hintergrund hingegen stünden die Aussichten nicht schlecht, will sie in diversen Gesprächen erfahren haben.

Yvonne Kreher

Insofern sieht die diplomierte Betriebswirtin, die ihre Liebe zur Informatik quasi nebenbei entdeckt hat, keinen Anlass zur Panik. Mit ihrer soeben fertig gestellten Diplomarbeit zum Thema "Internetbasierte Informationssysteme in virtuellen Unternehmen" als Grundlage hat sie immerhin ein intensives Bewerbungsgespräch mit einem Vertreter der Bayer AG führen können - und dies trotz denkbar schlechter Ausgangsvoraussetzungen, wie Kreher lachend erzählt.

So habe sie am Vorabend des vereinbarten Interviewtermins eine Schlaftablette zu sich genommen, "weil ich in Hotels sonst die ganze Nacht wach liege". Was zur Folge hatte, dass sie das für neun Uhr morgens anberaumte Vorstellungsgespräch glatt verschlief. Dass ihr zwei Stunden später trotz des großen Bewerber-Andrangs ohne Probleme ein erneuter Anlauf gewährt wurde, wertet sie als hoffnungsvolles Zeichen. "Zumal ich den Bayer-Mitarbeitern noch nicht einmal habe vorschwindeln müssen, ich hätte am Vorabend ein Produkt ihrer Firma zu mir genommen."

* (Name von der Redaktion geändert)