Mobilfunk/Mit Kundenbindung und Datendiensten aus der Krise

Rechenspiele im Mobilfunk

06.12.2002
In der deutschen Mobilfunkszene ist die Konsolidierung voll im Gange. Nach dem UMTS-Ausstieg von Mobilcom und Quam versuchen die verbliebenen vier Lizenznehmer, durch harten Sparkurs und Datendienste die Weichen für die dritte Mobilfunkgeneration zu stellen. CW-Bericht, Peter Gruber

"Ich kenne keinen Konflikt mit France Télécom", hatte Gerhard Schmid im März noch trotzig auf der CeBIT behauptet. Doch wer den Mobilfunkpionier die letzten Jahre beobachtet hat, registrierte schnell: Das ist nicht der Alte. Schmid war anzumerken, wie schwer ihm die Drohung der Franzosen im Magen lag, sich aus Mobilcom zurückzuziehen.

Tatsächlich war sein Auftritt in Hannover der letzte große als Geschäftsführer von Mobilcom. Nach einem zermürbenden Kleinkrieg mit France Télécom um Aktienanteile und Spitzfindigkeiten des Gesellschaftervertrages wurde Schmid im Sommer aus seinem Amt gekegelt. Doch damit nicht genug: Er musste auch mit ansehen, wie die Franzosen ihre Drohung wahr machten und dem deutschen Mobilfunker den Rücken kehrten.

Damit war für Mobilcom der Traum vom eigenen UMTS-Netz (UMTS = Universal Mobile Telecommunications System) ausgeträumt, das ursprünglich Ende des Jahres in Betrieb genommen werden sollte. So wirft der Fall Schmid ein bezeichnendes Licht auf die Branche. Vom einstigen Glanz und hochfliegenden Plänen ist wenig übrig geblieben. Aufgrund der hohen Lizenzkosten in Deutschland sowie der weltweiten Konjunkturflaute ist die Euphorie der Ernüchterung gewichen. In den Konzernzentralen wird fieberhaft an neuen Business-Plänen für die kommende dritte Mobilfunkgeneration gerechnet, jede Investition auf den Prüfstand gestellt und, wo es geht, der Rotstift angesetzt.

Neben Stellenabbau gelten die Sparmaßnahmen der Carrier vor allem ihrer Netzinfrastruktur. So haben zum Beispiel Telefónica und Sonera, beide Mütter des deutschen Mobilfunkers Quam, beschlossen, ihr Engagement hierzulande komplett zu stoppen. Offiziell heißt es zwar, die Pläne würden nur ruhen, doch auf Quam wettet keiner mehr. Es gilt als sicher, dass die UMTS-Lizenz abgeschrieben wird.

Während für Quam und Mobilcom die UMTS-Messe schon gelesen ist, noch ehe sie richtig begann, halten die vier noch verbliebenen Lizenznehmer T-Mobile, Vodafone, E-Plus und O2 weiter an ihren UMTS-Zielen fest. Allerdings gilt auch hier der Grundsatz: sparen, sparen und nochmals sparen. So wollen zum Beispiel T-Mobile und O2 die Kosten für den Aufbau der UMTS-Infrastruktur durch die gemeinsame Nutzung von Netzressourcen um 30 Prozent reduzieren. Darüber hinaus investieren alle Betreiber zurzeit nur das Allernötigste in ihre Netze der Zukunft und Gegenwart. Leidtragende sind die Ausrüsterfirmen Ericsson, Lucent, Motorola, Nokia, Nortel oder Siemens, die am Tropf der Carrier hängen. Ihnen brechen zum einen durch Aussteiger wie Quam und Mobilcom Aufträge völlig weg, zum anderen haben die Betreiber ihre Ausgaben gestreckt und setzen die Equipment-Provider durch Knebelverträge unter Druck. Hinter vorgehaltener Hand heißt es, dass die Preise für UMTS-Komponenten um bis zu 50 Prozent gefallen sind.

Technische Probleme bei Endgeräten

Noch in einem anderen Punkt sind die Zulieferer die Prügelknaben. Sie müssen sich von den Carriern herbe Kritik in Sachen Endgeräte gefallen lassen. Der Vorwurf lautet, sie seien für die Verzögerungen bei UMTS verantwortlich, weil die ersten UMTS-Handys zu lange auf sich warten ließen und außerdem erhebliche technische Mängel aufwiesen. Tatsächlich haben bislang nur Nokia mit dem "6650" sowie Motorola mit dem "A830" UMTS-Geräte präsentiert. Samsung, Panasonic und Sony-Ericsson hüllen sich in Schweigen, und hinter dem Siemens "U10" verbirgt sich das Motorola A830.

Ganz von der Hand zu weisen sind die Anschuldigungen nicht. Tatsächlich stehen die Techniker in den Labors der Endgerätehersteller vor einer großen Herausforderung. Sie müssen Mobiltelefone konzipieren, die nicht nur ein stabiles Handover - sprich die Übergabe eines Gesprächs zwischen GSM und UMTS - beherrschen, sondern auch GPRS-, Video-, Java-, Kamera- und Internet-Technik in sich vereinen - und das alles bei möglichst wenig Gewicht und Energieverbrauch. Natürlich geben es die Produzenten nicht gerne zu, aber auch aus ihren Reihen ist zu hören, dass vor allem der Handover sowie die Akkuleistung Kopfzerbrechen bereiten. Auch optisch ist Nokia und Motorola mit ihren ersten UMTS-Handys kein großer Wurf gelungen. Noch ist die neue Technik in herkömmliche Gehäuse gepackt, die mit den futuristischen, in Designstudien entwickelten Prototypen nichts gemein haben.

Allen technischen Schwierigkeiten zum Trotz steckt hinter dem Versuch der Netzbetreiber, den Equipment-Lieferanten den schwarzen Peter zuzuspielen, auch ein bisschen Taktik. Sie haben damit allesamt ein Alibi für die Verschiebung des UMTS-Regelbetriebs nach hinten. Positiver Nebeneffekt: Angesichts knapper Budgets können Investitionen hinausgezögert werden. "Die Kunst ist, die richtige Balance zu finden zwischen zu früh investieren oder ein Nachzügler zu sein", bringt Martin Witt, Chief Operations Officer Mobile Business Solutions bei T-Mobile, das Dilemma auf den Punkt und räumt ein, dass vieles bei UMTS noch Papierlage sei.

Was die Fakten für den Mobilfunk der Zukunft betrifft, ist tatsächlich noch vieles graue Theorie. Fest steht nur, dass sich Lizenz- sowie Infrastrukturkosten möglichst schnell amortisieren sollen. Eine zuverlässige Kalkulation ist jedoch schwer, weil in der Gleichung einige Unbekannte sind. Es ist zum Beispiel kaum vorhersehbar, wie schnell und umfangreich Kunden UMTS-Dienste akzeptieren werden. Hier bestehen in den Prognosen himmelweite Unterschiede. So gehen die Netzbetreiber in ihren Geschäftsplänen davon aus, dass bis 2007 jeder zweite Handy-Besitzer UMTS-Services nutzen wird. Die Marktforscher von Forrester hingegen rechnen lediglich mit zehn Prozent.

Auch beim zu erwartenden Umsatz pro Kunde, im Fachjargon Average Revenue Per User (ARPU) genannt, klaffen die Einschätzungen weit auseinander. Die Hoffnung der Lizenznehmer auf eine Verdreifachung des ARPU, um binnen fünf Jahren die Gewinnschwelle zu erreichen, ist nach Ansicht der Analysten utopisch. In diesem Punkt dürften sie Recht behalten. Eine Verdreifachung würde eine Umsatzsteigerung pro Teilnehmer von derzeit rund 25 auf 75 Euro pro Monat bedeuten.

Umsatzsteigerung über Datendienste

Ob die Lizenznehmer selbst wirklich an eine derartige ARPU-Steigerung glauben, ist zweifelhaft. Eines haben die Strategen jedoch begriffen: Der Weg dorthin kann nicht mehr über die Sprachkommunikation, sondern nur über datenorientierte Produkte führen. Das heißt, es müssen so schnell wie möglich datenintensive Anwendungen sowohl für Privat- als auch Geschäftskunden aufs Netz - und das zu erschwinglichen Tarifen. Außerdem ist es wichtig, dem Kunden diese Dienste nicht als die Techniken General Packet Radio Service (GPRS), Multimedia Messaging Service (MMS) oder UMTS zu vermarkten, sondern als Mehrwert, sei es im beruflichen Alltag oder im privaten Info- und Entertainment.

Der Zwang, aus der UMTS-Not eine Tugend zu machen, hat bei den Netzbetreibern offensichtlich die Einsicht geweckt, den Maßnahmenkatalog schnell umzusetzen. Dafür gibt es mehrere Indizien: Erstens sind die Tarife für die schnellere GPRS-Übertragung in diesem Jahr drastisch gesenkt worden. Zweitens begehen die Carrier nicht mehr den bei WAP gemachten Fehler, eine unausgereifte Technologie anzupreisen. Vielmehr werben heute Vodafone mit Michael Schumacher und Steffi Graf sowie T-Mobile mit James-Bond-Darsteller Pierce Brosnan mit der Möglichkeit, einen mit der Handy-Kamera gemachten Schnappschuss via Mobilfunk zu versenden. Dahinter verbirgt sich einerseits eine datenintensivere Anwendung, zum anderen die beiden Standards MMS und GPRS, mit deren Hilfe die Kunden bereits an die UMTS-Dienste der Zukunft herangeführt werden sollen. Drittens werden diese Dienste durch die Subvention von MMS-fähigen Mobiltelefonen gefördert. Viertens schließlich öffnen sich die Netzbetreiber den Content-Anbietern, um möglichst viele Angebote auf ihre Netze zu bringen.

Sicher sind die Carrier aber nicht nur wegen des UMTS-Debakels aufgewacht, sondern auch, weil sich die Marktbedingungen im Mobilfunk grundsätzlich verändert haben. Nach Jahren mit atemberaubenden Wachstumsraten ist unterdessen eine Marktsättigung eingetreten. Mit rund 56 Millionen Teilnehmern liegt die Penetration hierzulande bei fast 70 Prozent der Gesamtbevölkerung. Im Klartext heißt das: Neukunden sind nur noch über Verdrängungswettbewerb zu gewinnen. Angesichts der Kosten von rund 400 Euro für die Gewinnung eines neuen Teilnehmers haben die Netzbetreiber und Service-Provider deshalb ihre Strategie gewechselt. Statt Kundenfang um jeden Preis, wie vor zwei Jahren noch mit defizitären Dumping-Angeboten im Prepaid-Segment geschehen, lautet die Devise jetzt: Kundenbindung.

Wer seine Klientel nicht loswerden will, muss etwas dafür tun. Jetzt sogar umso mehr, als seit Anfang November jeder Mobilfunkkunde bei einem Anbieterwechsel seine Rufnummer gegen Gebühr mitnehmen kann. Damit fällt ein wesentlicher Hinderungsgrund weg, aus dem mancher Kunde den Umstieg scheute. Solchen Abwanderungsgedanken begegnen die Provider mit gezielten Maßnahmen. So werden zum Beispiel bei Kündigungen konkrete Gegenangebote gemacht. Außerdem wird versucht, Abonnenten rechtzeitig vor Ablauf ihres Vertrages mit der Option auf ein neues Handy bei Laune zu halten.

Allerdings ist Kunde nicht gleich Kunde. Generell werden Vertragskunden (Postpaid) von den Netzbetreibern favorisiert, weil sie, verglichen mit der Prepaid-Kundschaft, mehr Umsatz einbringen. Deshalb ist es das Ziel der Provider, Prepaid-Nutzer in feste Vertragsverhältnisse zu überführen, sofern sie von ihrem Profil her Umsatz versprechen. Im Gegensatz dazu werden jetzt nach und nach die Karteileichen aussortiert, die nur Prepaid-Kunden wurden, um günstig an ein Handy zu kommen, aber nicht telefonieren. Um diese passive Klientel wollen die Carrier ihre Kundensysteme nun bereinigen und somit ihre Betriebskosten senken.

Der Zwang zum Sparen und mehr Effizienz, vor allem ausgelöst durch die exorbitante UMTS-Verschuldung, sollte aber nicht generell ein schlechtes Licht auf den Mobilfunk werfen. Immerhin hat die Zahl der Mobilfunkanschlüsse im vergangenen Jahr erstmals die der Festnetzkanäle übertroffen und wurde mehr Umsatz mit Mobilfunkdiensten als mit Festnetzleistungen erwirtschaftet.

Brüssel fordert Regulierung

Überhaupt kann sich Deutschland in Sachen Mobilfunk beim Durchschnittspreis für Endkunden im europäischen Vergleich sehen lassen. Im vom britischen Regulierer Oftel erstellten Mobilfunkindex, der aus den Monatsgebühren, Verbindungstarifen und Endgerätesubventionen ermittelt wird, schneiden die deutschen Provider am besten ab. Für Matthias Kurth, Präsident der Regulierungsbehörde für Telekommunikation und Post (Reg TP), ist das ein Zeichen dafür, dass der Wettbewerb im Mobilfunk hierzulande funktioniert. Laut Kurth musste seine Behörde seit Einführung des TK-Gesetzes 1998 noch kein einziges Mal regulierend in diesen Markt eingreifen.

Trotzdem droht den deutschen Mobilfunkern Ungemach aus Brüssel. Die EU hat im April nämlich ein Richtlinienpaket zum TK-Recht in Kraft gesetzt, das die nationalen Regulierer bis Juli 2003 umsetzen sollen. Es sieht vor allem vor, dass die Wettbewerbshüter stärker Einfluss auf die Entgelte nehmen. Diese Anordnung aus Brüssel würde Kurth zwingen, doch in den Markt einzugreifen. Dagegen laufen jedoch die Anbieter Sturm.

"Ich warne die Reg TP davor, die gleichen Fehler wie in der Festnetzregulierung zu machen", drohte Jürgen von Kuczkowski, Vorsitzender der Geschäftsführung der Vodafone Deutschland, auf einem Symposium der Behörde. Die Bilanz sei verheerend, weil das Augenmerk zu stark auf sinkende Preise gerichtet wurde und sich deshalb keine nachhaltigen Markt- und Wettbewerbsstrukturen entwickeln konnten. Rückendeckung erhielt er von Uwe Bergheim, dem CEO von E-Plus, der es nüchtern auf den Punkt brachte: "Was Mobilcom und Quam erleiden mussten, ist keine Folge von Regulierung, sondern von Wettbewerb."